Veranstaltungsberichte
Um einen großen Baum sammeln sich die Bewohner von Paomo Lawange-Kwar, einem Dorf in der Nähe von Gulu in Norduganda. Sie bringen Stühle und Bänke aus Holz, eine große Plastikplane. Die Sitzordnung ist klar geregelt: Die Frauen rechts vom Baum auf der Plane, die Männer links auf den Sitzen. Dazwischen läuft Innocent Aloyo hin und her, auf ihrem Kopf wippt eine rosa Schleife im Takt ihrer Füße. In der Hand hält sie ein schwarzes Mikrofon, passend zu ihrem Rock. Und um ihren Hals baumelt ein roter Rosenkranz, hebt sich von der grünleuchtenden Bluse ab. Innocents Augen ruhen auf dem Mann vor ihr. Der spricht klar, blickt ab und zu auf einen weißen Notizblock. Die Diskussion dieses Mal: Sollten Paare nach einer Trennung wieder zusammenkommen?
Kabake ist ein Radioprogramm, das von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt wird. Der Acholi-Begriff bedeutet wörtlich „sich versammeln und diskutieren“. Jeden Sonntag reist die Moderatorin Innocent Aloyo mit ihrem Aufnahmeteam in ein anderes Dorf und gibt den Bewohnern die Möglichkeit über Themen zu sprechen, die sie direkt betreffen. Dabei weiß sie vorher nicht, worüber sie diskutieren werden – die Teilnehmer bringen jede Woche individuell Vorschläge und stimmen über sie ab.
Die Show wurde erstmals 2003 ausgestrahlt, als der Konflikt mit den LRA-Rebellen seinen Höhepunkt hatte. Während des Konflikts kamen ungefähr 150.000 Menschen ums Leben, 20.000 Kinder wurden entführt und mehr als 2 Millionen Menschen wurden vertrieben und ihre Besitztümer zerstört. Als die Show ihren Anfang nahm, waren Millionen von Nordugandern Bewohner von Flüchtlingscamps. Innocent Aloyo, die Moderatorin, und ihr Aufnahmeteam fuhren damals von einem Camp zum nächsten, sammelten Meinungen und ermöglichten den Menschen dort über ihre Probleme zu klagen. „Es kamen nicht weniger als 500 Teilnehmer zu unseren Kabake-Aufnahmen in den Camps. Die meisten davon verlangten, dass ihre Stimme auch wirklich gehört werden soll. Jeder wollte teilnehmen“, erinnert sich Aloyo. „Es war der einzige Weg, dass die Menschen in ihrer Notlage ihrem Ärger und ihrer Frustration Luft machen konnten. Kabake gab ihnen die Möglichkeit, zu lachen und zu hoffen, dass die Waffen eines Tages ruhig sein und das Leben im Camp Geschichte sein wird.“
Kurz nach dem Krieg war Kabake ein essenzieller Teil der Erholung, Neubildung und des Wiederaufbaus Nordugandas. Jeden Sonntag versammelten sich Gemeinschaften um kleine, batteriebetriebene Radios, um die Kabake-Radioshow zu hören. Die Nachfrage von Gemeinden war immens: Jeder wollte, dass Aloyo und ihr Team zu ihnen ins Dorf kommen. Der Vorsitzende des Mede-Dorfes schrieb am 27. Juli 2008 an Mega FM in einem Brief folgendes: „... bitte bringt das Kabake-Programm zu uns, weil ihr noch nie hier wart. Der wichtigste Punkt unserer Diskussion wird sich um Inzest drehen, welcher unter den Jugendlichen zur Zeit in die Höhe schießt."
Kabake bietet Menschen eine Plattform, um genau über solche sozialen Probleme wie Inzest oder Polygamie zu sprechen. Aber auch über Entwicklungsprobleme wie schlechte Straßen, Analphabetismus, die ständige Schaffung neuer Distrikte oder den fehlenden Zugang zur Gesundheitsversorgung. Und schon viele Male hat Kabake dabei geholfen, politische Führungskräfte zur Verantwortung zu ziehen. Denn wenn Probleme in der Show angesprochen werden, sind die Politiker und Oberhäupter der Dörfer oft selbst anwesend. Sie scheinen die vorgetragenen Probleme ihrer Bürger ernst zu nehmen und versuchen, die Lage zu verbessern. Kabake hilft dabei, Fortschritt zu bringen und den Dialog und das Engagement anzukurbeln.
Das Programm hat auch tatsächlich dazu beigetragen, den Frauen in den ländlichen Gegenden Nordugandas, die traditionell Opfer von patriarchalen Ungerechtigkeiten sind, eine Stimme zu geben und über Probleme zu sprechen, die sie direkt betreffen. Und obwohl Frauen während der Kabake-Diskussionen immer noch auf Matten oder Plastikplanen und Männer auf Holzstühlen sitzen, kann hier jeder alles sagen – patriarchale Strukturen haben in der Diskussion keinen Platz. Tatsächlich sind vor allem Frauen diejenigen, die hauptsächlich die Gespräche leiten und lenken. Die Diskussionen helfen ihnen dabei, selbstbewusster zu werden und sich gekonnter auszudrücken. In einer der beiden Kabake-Diskussionen in Paomo Lawange-Kwar wurde darüber gesprochen, wie man Kinder in der Schule halten kann. Eine Frau stand auf und warf ihrem Mann (der auch anwesend war) vor, dass er ein Alkoholiker sei und sich absichtlich weigert, die Schulgebühren der Kinder zu bezahlen.
Kabake ist wahrlich ein einflussreiches Radioprogramm – und das im Zeitalter von Facebook, Twitter und Co. In Uganda, wo die Mehrheit der Menschen auf dem Land wohnt, verlassen sich aber sechs von zehn Leuten noch auf das Radio als Informationsquelle. Das Internet ist noch nicht weit verbreitet: Es wird geschätzt, dass 90 Prozent der Bevölkerung noch offline sind. Das bedeutet, dass das Radio – vor allem für ländliche Gemeinden – unvermeidlich ist. Natürlich kann ein Radioprogramm kein Leben über Nacht ändern. Aber es kann Veränderung und Fortschritt anstoßen. Ein chinesisches Sprichwort fasst das besser zusammen: eine Reise von tausend Meilen beginnt noch immer mit dem ersten Schritt. Und Kabake ist in der Tat nur ein Schritt, um die komplizierten Entwicklungsherausforderungen in Norduganda zu lösen. Jedoch ein effektiver.
Bericht: Anne Fleischmann und Donnas Ojok