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Reformagenda im Kriegszustand

Das Schicksal der Ukraine

Erst vor wenigen Tagen gedachte man in Kiew der Menschen, die während der Unruhen auf dem Maidan im Februar 2014 gestorben sind. Seitdem ist gerade ein Jahr vergangen, vieles hat sich für die Ukraine in der Zeit grundlegend verändert.

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Auf die Annexion der Krim durch Russland im März folgte die gewaltsame Abspaltung von Teilen des Donbass. Diese Gebiete sind nunmehr vollständig in der Hand von aus Moskau gesteuerten Separatisten, die noch immer massive militärische Unterstützung aus Russland erhalten. Die Region entwickelt sich zu einem eingefrorenen Konflikt nach dem Muster Transnistriens, allerdings mit einer größtenteils zerstörten Infrastruktur und Menschen, die durch andauernde Gewalt schwer traumatisiert wurden. Gleichzeitig verdichten sich gerade in dieser Woche wieder Informationen über mögliche neue Militäraktionen der Separatisten in Richtung Mariupol. Über eine Million Binnenflüchtlinge in der Ukraine, eine bis zum heutigen Tage steigende Zahl von Toten und Verwundeten sind nur eine Folge des russisch-ukrainischen Konflikts. Präsident Poroschenko und die Regierung unter Ministerpräsident Jazenjuk ringen mit großen wirtschaftlichen Problemen, einem enormen Währungsverfall und massiven Produktionsausfällen in der Industrie gerade im Osten des Landes. Die Ausgaben für Verteidigung mussten erheblich aufgestockt werden und betragen nunmehr 7,9% des Gesamthaushalts.

Trotz der äußerst schwierigen Rahmenbedingungen werden zahlreiche Anstrengungen unternommen, um Reformen auf den Weg zu bringen und umzusetzen. Viele der Reformen erinnern allerdings mehr an Schnellschüsse in unruhigen Zeiten, verharren im Zustand der verabschiedeten Gesetzgebung und müssen ständig nachgebessert werden. Es mangelt an der Sichtbarkeit der Reformanstrengungen und auch an der Information der Bevölkerung zu den einzelnen Neuerungen. Die Unzufriedenheit in der Gesellschaft wächst im Angesicht steigender Preise und vermeintlich fehlender Reformen. Ab 1. April werden die Gaspreise für die Haushalte um das Sechsfache und die Heizkosten um 72% angehoben.

Präsident und Regierung unterstreichen dennoch immer wieder, dass man sich nicht vom Reformkurs abbringen lassen werde. Erfolgreiche Reformen sind auch die einzige Möglichkeit, die Menschen von den Vorteilen des politischen Wandels und der pro-europäischen Ausrichtung des Landes zu überzeugen. Nur so werden sich mittelfristig auch die Bewohner der Krim und des Donbass wieder integrieren lassen können.

Ausländische Berater in der Regierung

Die Ukraine erlebt in diesen Monaten einen Boom an ausländischen Beratungsleistungen. Sehr viele Berater stellen sich zur Verfügung, um den Reformprozess in der Ukraine zu unterstützen und der Reformunwilligkeit gerade auf der Ebene des Mittelbaus in den Ministerien etwas entgegen zu setzen. Neben Deutschland, den USA und Kanada sind Polen, Georgien, Litauen und die Slowakei besonders aktiv, wobei die drei letzteren auch ausländische Minister oder deren Stellvertreter stellen, allerdings nach Annahme der ukrainischen Staatsbürgerschaft.

Die prominenteste Figur unter den ausländischen Beratern ist sicherlich der ehemalige Präsident Georgiens, Mikhail Saakashvilli, der von Petro Poroschenko zum Vorsitzenden des Internationalen Beratergremiums für die Ukraine ernannt wurde. Das Gremium soll wichtige Impulse für den Reformprozess geben und sich in diesem Zusammenhang auf internationale Best-Practice-Beispiele wie die Justiz- und Polizeireform in Georgien und die Finanzreform in der Slowakei beziehen. Daher beraten auch Mikulas Dzurinda, ehemaliger Premierminister der Slowakei, Ivan Miklos, ehemals slowakischer Finanzminister, sowie Andrius Kubilius, ehemaliger Premierminister Litauens, zusammen mit dem renommierten schwedischen Wirtschaftswissenschaftler Anders Aslund den Wirtschafts- und den Finanzminister der Ukraine. Zudem soll das Beratungsgremium sämtliche Beratungsvorhaben durch ausländische Experten koordinieren und steuern.

Die stellv. Ministerin für Inneres, Katharina Zguladze-Glucksmann, hat bereits in Georgien die Polizei reformiert und arbeitet nun auch in der Ukraine an der Reform der Rechtsschutzorgane. Sie hat eine Umstrukturierung der Verkehrspolizei, die zu den korruptesten staatlichen Behörden der Ukraine gehört, auf den Weg gebracht. Noch im Sommer soll die Reform auf der Grundlage eines Pilotprojektes in Kiew umgesetzt werden und kann in diesem Zusammenhang einen Leuchtturmcharakter für das gesamte Land haben.

Anti-Korruption und Justiz

Neben dem Kampf gegen die Separatisten im Osten der Ukraine, kommt der Korruptionsbekämpfung im Rahmen der Reformbemühungen die wichtigste Bedeutung zu.

Ein Gesetz über die „Transparenz der Verwendung öffentlicher Finanzen“, welches mit einer Reihe von anderen Reformgesetzen Anfang Februar verabschiedet wurde, verpflichtet die Leiter von Institutionen und Organisationen, die staatliche Gelder ausgeben, die geplante und tatsächliche Verwendung dieser Finanzmittel öffentlich auf einem Webportal zu deklarieren. Dadurch soll die Transparenz im Umgang mit staatlichen Ausgaben erhöht werden und zur Korruptionsbekämpfung beigetragen werden.

Der Kampf gegen die überall grassierende Korruption kann allerdings nur dann erfolgreich sein, wenn auch die Justiz umfassend reformiert und nach europäischen Standards ausgerichtet wird.

Das am 12. Februar 2015 verabschiedete Gesetz „Über die Gewährleistung des Anspruchs auf gerechte Justiz“ sieht unter anderem vor, dass die Auswahlverfahren der Richter für alle Ämter verbessert werden, deren Arbeit regelmäßig evaluiert wird und der Zugang zu Gerichtssitzungen sowie der Zugriff auf Gerichtsbeschlüsse vereinfacht werden.

Experten aus der zivilgesellschaftlichen Organisation „Reanimation Package of Reforms“ bemängeln allerdings, die Unabhängigkeit der Justiz werde im Gesetz nicht verankert, da der Präsident den Einfluss auf die Richter und Gerichte behält: er kann Gerichte auflösen, Richter vereidigen, Richterausweise unterzeichnen, Richter von einem in ein anderes Gericht horizontal versetzen. Aber auch das Parlament hat das Recht, Richter horizontal zu versetzen und sie zeitlich unbefristet zu wählen.

Auch wenn die Justizreform erst am Anfang steht, verlangt die Gesellschaft schon jetzt vehement eine Strafverfolgung von Korruptionsfällen. Bisher sind hier allerdings keine nennenswerten Fortschritte zu verzeichnen, die bereits auf konkreten Ergebnissen beruhen. Eher gibt es Beispiele über missglückte Versuche wie in dem kürzlich berichteten Fall von Oleksandr Yefremow, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der Partei der Regionen in der Werchowna Rada. Ihm wird Amtsmissbrauch und Urkundenfälschung vorgeworfen. Innerhalb von zwei Wochen wurde er zweimal verhaftet und jedes Mal wieder auf Kaution entlassen.

Auch die Bildung des Nationalen Antikorruptionsbüros, ermöglicht durch ein Gesetz vom 14. Oktober 2014, lässt noch auf sich warten. Die Institution soll mit 700 Mitarbeitern die Aufgabe haben, die Tätigkeit von Abgeordneten, hohen Beamten, Richtern, Staatsanwälten, der Armeeführung u. a. zu kontrollieren. Die Leitung des Antikorruptionsbüros sollte bereits im Februar durch ein öffentliches Verfahren gewählt werden. Zur Auswahlkommission gehören hoch angesehene Intellektuelle, Dissidenten und Menschenrechtler.

Dezentralisierung und Kommunalwahlen

Präsident Poroschenko schaffte am 3. März die Grundlage für die Einsetzung einer Verfassungskommission, welche Vorschläge für die geplante Verfassungsreform erarbeiten soll. Mit dieser Reform sollen auch die Regionen mehr Rechte und finanzielle Möglichkeiten erhalten. Bisher flossen die örtlichen Steuern, die in den Städten und Gemeinden erhoben wurden, fast ausschließlich an die Zentralregierung in Kiew. Die Finanzzuweisungen von Kiew an die Kommunen dagegen entsprechen nur zu einem geringen Teil den dort erbrachten Leistungen. Das derzeitige zentralisierte System, das von Beziehungen und gegenseitigen Geschäften abhängt, muss einem radikalen Wandel unterzogen werden.

Auch das Ende Dezember letzten Jahres verabschiedete Steuergesetz hat hier nach Aussagen von Experten zu keiner Verbesserung der Situation geführt. Die Kommunen haben zwar jetzt beispielsweise das Recht eine neue Grundsteuer zu erheben und die Einnahmen daraus zu behalten. Dafür wurden aber andere Steuereinnahmen der Kommunen wie die Einkommensteuer wieder an die Zentralregierung übertragen. Das neue Steuergesetz wird auch von anderer Seite kritisiert. Auch wenn der Höchstsatz der Einkommensteuer mit 20% festgelegt wurde, so werden im Ergebnis Unternehmen mit zusätzlichen Steuern noch stärker belastet als zuvor.

Die Anfang Februar verabschiedeten Gesetze über die freiwilligen Zusammenschlüsse von territorialen Gemeinden und die Grundlagen staatlicher Regionalpolitik sind erste wichtige Schritte im Dezentralisierungsprozess. Weitere Schritte zur Durchsetzung von Recht und einem fairen Verteilungssystem zwischen der Zentralregierung und den Regionen sollten möglichst vor den Ende Oktober dieses Jahres geplanten Kommunalwahlen stattfinden.

Vor den Kommunalwahlen im Herbst wurden bereits durch Experten und Vertreter der Zivilgesellschaft Gesetzesentwürfe zur Umsetzung einer Wahlrechtsreform für Kommunalwahlen vorgelegt. Diese fordern im Wesentlichen die Einführung eines proportionalen Wahlrechts mit offenen Parteilisten. Die bisher praktizierte Wahl zur Hälfte über Direktmandate hat Korruption und Wahlmanipulation stark begünstigt. Oligarchen konnten durch die gezielte Verwendung von Finanzmitteln ihre persönlichen Netzwerke auch auf lokaler Ebene ausweiten und somit ihre Interessen vertreten. Die Wahlrechtsreform würde dagegen die politischen Parteien als Interessensvertretungen der Bürger stärken und das Parteiensystem in der Ukraine insgesamt fördern. In diesem Zusammenhang ist auch ein Gesetz zur staatlichen Parteienfinanzierung in Vorbereitung.

Rolle westlicher Geber im Reformprozess

Vertreter der Zivilgesellschaft fordern immer wieder, dass die EU, der IWF und einzelne westliche Unterstützerstaaten der ukrainischen Seite stärker auf die Finger schauen und das Prinzip der Konditionalität strikt anwenden sollten. In diesem Zusammenhang einigte sich der IWF mit der ukrainischen Regierung über die Ausschüttung von zusätzlichen Finanzmitteln für die kommenden vier Jahre in Höhe von insgesamt 17,5 Milliarden US-Dollar. Der Großteil der Summe soll für die Schuldentilgung im Ausland, die Aufstockung der Gold- und Devisenreserven und die Unterstützung von angeschlagenen Banken verwendet werden. Im Gegenzug werden unter anderem die Gas- und Heiztarife erhöht, der staatliche Energieversorger Naftogaz muss grundlegend reformiert und das Bankenwesen systematisch umstrukturiert werden. Insgesamt ist der Forderungskatalog des IWF sehr umfassend und bezieht sich auch auf notwendige Reformen im Justizbereich.

Für die kommenden Monate ist es unabdingbar, dass die positive Dynamik, mit der die Reformanstrengungen in der Ukraine begonnen wurden, zu konkreten Ergebnissen führt. Zudem ist es enorm wichtig, die vielseitige Beratung durch internationale Experten zu steuern und sinnvoll zu verwerten. Wie schon seit dem Sturz von Viktor Janukowitsch drängt die Zeit in der Ukraine. Poroschenko und Jazenjuk müssen ihre gesamte politische Macht einsetzen, um die wichtigen Reformen weiter voranzutreiben und die bereits getane Arbeit der Bevölkerung gegenüber zu kommunizieren. Ansonsten riskieren sie eine wachsende Unruhe in der Bevölkerung, die das angeschlagene Land weiter politisch destabilisieren könnte. Die Menschen in der Ukraine brauchen sichtbare Verbesserungen, um den politischen Wandel als Chance auf Erfolg wahrnehmen zu können.

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