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Die Bedeutung europäischer Werte für die Ukraine

Dr. Andreas Schockenhoff, MdB, Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion

Dr. Andreas Schockenhoff, MdB, Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Rede bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung, Kiew, 6. September 2010

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Meine Damen und Herren!

Ich möchte meinen Vortrag mit einem Zitat beginnen. Es lautet: „Liegen wir etwa in Asien?“ Das fragte – natürlich scherzhaft gemeint – Ihr Ministerpräsidenten Nikolai Asarow im Interview mit einer großen deutschen Tageszeitung. Darin machte er deutlich, dass er sein Land als künftiges EU-Mitglied sieht, weil – wie er sagte - die Europäische Union von ihrem Selbstverständnis her für alle Europäischen Länder offen stehe.

Damit nimmt Ihr Ministerpräsident Bezug auf Artikel 49 des Lissaboner Vertrages. Dort heißt es, dass „jeder europäische Staat, der die Werte der Europäischen Union achtet und sich für ihre Förderung einsetzt“, beantragen kann, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Voraussetzung für eine Mitgliedschaft ist, dass der betreffende Staat die politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Voraussetzungen erfüllt und dass die Europäische Union ihrerseits in der Lage ist, die Mitgliedschaft eines neuen Landes zu verkraften.

Das alles klingt in der nüchternen Vertragssprache, die grundsätzlich für alle europäischen Nicht-EU-Staaten gilt, sehr technisch und distanziert. Mit Blick auf die Ukraine möchte ich das wie folgt formulieren:

Die Europäische Union hat ein strategisches Interesse daran, dass sich die Ukraine als europäischer Staat eindeutig auf die EU ausrichtet, sich ihr immer mehr annähert und nicht in einem „Zwischen-Europa“ – oder man könnte auch sagen, in einem Nirgendwo – zwischen der EU und Russland verharrt oder gar hin- und hergerissen wird.

Wir begrüßen deshalb, dass sich Präsident Janukowitsch von Anfang an zur weiteren Annäherung der Ukraine an die EU bekannt hat. Diese Annäherung sei kein Selbstzweck, so sagt er, sondern sie sei wichtig für die Entwicklung der Wirtschaft, für die Umsetzung von Innovationen, für neue Qualitätsstandards und für die Steigerung der Effizienz von wirtschaftlichen Strukturen. Und er fügte wörtlich hinzu: „Wir können und müssen Europäer werden, was Lebensqualität, Schutz von Menschenrechten, Voraussagbarkeit und Effizienz der staatlichen Politik angeht, bevor die technische Frage einer Einladung der Ukraine an die EU aktuell wird.“ Zudem hat Ihr Präsident in seiner Rede am Unabhängigkeitstag besonders die Bürgerrechte und die Meinungsfreiheit betont.

Dies sind wichtige Botschaften. Denn beim Schutz der Menschen- und Bürgerrechte, bei Meinungsfreiheit geht es um europäische Werte wie die Würde des Menschen, die freie Entfaltung der Persönlichkeit oder um Rechtsstaatlichkeit. Die Worte Ihres Präsidenten sind zugleich eine realistische Einschätzung der Voraussetzungen und Möglichkeiten. Denn der Weg ist noch weit. Aber ihn gemeinsam zu gehen, das liegt im beiderseitigen Interesse.

Eine moderne, demokratische, rechtsstaatlich gefestigte und wirtschaftlich prosperierende Ukraine hätte viel zu bieten: Ich denke dabei nicht an unsere Energieversorgung. Ich denke an das Potenzial der Ukraine im Bereich der Metall- und Stahlproduktion, das noch immer immens ist. Auch die Land- und Forstwirtschaft hat viel zu bieten, beispielsweise ist die Ukraine 2009 zum drittgrößten Exporteur von Getreide in der Welt aufgestiegen. In diesen wie anderen Wirtschaftsbereichen besteht ein großes Potenzial für die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Ukraine würde in der EU zu wirtschaftlichem Wachstum und sozialem Fortschritt beitragen. Doch es geht nicht nur um diese wirtschaftlichen Aspekte: eine moderne, demokratische, rechtsstaatlich gefestigte und wirtschaftlich prosperierende Ukraine würde auch die Sicherheit und Stabilität in ganz Europa erheblich stärken.

Auch die EU hat viel zu bieten. Hier denke ich weniger an die Strukturfonds und die anderen Möglichkeiten einer finanziellen Unterstützung. Ich denke vielmehr an den Binnenmarkt, an den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, an die Arbeitnehmerfreizügigkeit, d. h. überall in der EU arbeiten oder seine Dienstleistung anbieten zu können. Weiterhin gehören die hohen Standards der Rechtssicherheit oder im Gesundheits- und Umweltbereich dazu. Nicht zuletzt ist die Europäische Union nicht nur wirtschaftlich, sondern auch außenpolitisch ein starker Faktor in der Weltpolitik.

Das alles macht deutlich: Eine Modernisierung der Ukraine zu einem modernen, rechtsstaatlich gefestigten und wirtschaftlich prosperierenden Land ist nicht nur mit technischen Know how und Investitionen zu erreichen. Sie bedingt zugleich einen Prozess der gesamtgesellschaftlichen Modernisierung, der auf den Werten basiert, auf die wir uns als Mitglied des Europarates verpflichtet haben.

Was heißt das konkret?

Grundlage unseres Menschenbildes und unseres Werteverständnis ist das Bekenntnis zur Würde des Menschen.

Aus der Würde des Menschen erwächst das Recht eines Jeden auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Freie Entfaltung der Persönlichkeit, also Freiheit, verwirklicht sich durch Selbstverantwortung und Mitverantwortung, Beide bedingen einander.

Es ist Aufgabe der Politik, den Menschen den notwendigen Freiheitsraum zu sichern.

Die Freiheit des Einzelnen wird gesichert durch das Recht, indem nämlich das Recht die personale Würde des Menschen schützt. Rechtsstaatlichkeit ist also ein hoher Wert!

Der Freiheit des Einzelnen entspricht die plurale Gesellschaft, sie ist Ausdruck der Vielfalt der Meinungen, der Bedürfnisse und Interessen der Bürger und damit Grundlage der freiheitlichen Demokratie.

Es ist also Aufgabe des Staates und damit der Politik, nicht nur die politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen für eine solche Gesellschaft zu schaffen, sondern auch alles zu tun, um das Engagement der Bürger für Innovation, Fortschritt und Wandel zu fördern. Mit anderen Worten heißt das: den Einzelnen seine Persönlichkeit in Selbstverantwortung, aber auch in Mitverantwortung für die Gesellschaft entfalten zu lassen – frei von Gängelung und Willkür. Denn diese Chance zur verantworteten Freiheit des Einzelnen hat viel mit der Würde des Menschen zu tun. Das muss im Übrigen eine wirksame Bekämpfung der Korruption einschließen, weil die weitestgehende Ausmerzung von Korruption nicht nur eine wirtschaftliche, sondern im Sinne der Würde des Menschen auch eine Wertefrage ist.

Es geht also darum, die Menschen zu ermutigen, stärker als bisher Initiativen „von unten“ zu ergreifen, und sie in ihrer individuellen Verantwortung und Mitverantwortung für die Gesellschaft zu stärken. Um nicht missverstanden zu werden: Engagement des Einzelnen, Kreativität und Innovation können und dürfen nicht von oben her befohlen werden. Es geht vielmehr darum, ein Klima zu schaffen, in dem die Einzelnen „von unten her“ nicht nur mitgestalten können, sondern auch mitgestalten wollen, sich engagieren und einmischen. Und es geht darum, dass diese Vielfalt der Meinungen, Ideen und Mitgestaltungsinitiativen „von oben her“ nicht als Belastung und Störung verstanden oder gar abgewürgt werden, sondern dass sie als Beitrag zur Modernisierung des eigenen Landes und zur gewünschten Stärkung von Staat und Gesellschaft willkommen geheißen und gefördert werden, ja, dass sie als Reichtum des Landes wert geschätzt werden.

Wir wissen, dass ein solcher gesellschaftlicher Innovationsprozess schwierig ist, für den viel Geduld erforderlich ist – und dass es dabei auch Rückschläge gibt. Leider müssen wir heute feststellen, dass die Ukraine schon einmal näher an der EU war, als sie es heute ist. Dass es dazu gekommen ist, liegt zum Einen daran, dass hier vieles schon unter der alten Regierung versäumt worden ist. Zum Anderen hat es unter der neuen Regierung weitere Entwicklungen gegeben, die der Modernisierung des Landes und der angestrebten Annäherung an die EU zuwider laufen.

Wir übersehen nicht, dass seit dem Regierungswechsel das Land wieder aus der Paralyse erwacht ist. Man hat das Gefühl, dass sich die Regierung wieder um Fragen kümmert und Entscheidungen trifft, die zuvor viel zu lange vermieden wurden – auch weil derartige Entscheidungen nicht populär waren, obwohl sie für die Entwicklung des Landes zwingend erforderlich waren. So wurden im Vorfeld des neuen IWF-Hilfsprogramms die umstrittenen, aber notwendigen Tariferhöhungen im Energiebereich durchgesetzt, ebenso wurden ökonomisch nicht verantwortbare Vergünstigungen für die Eisen- und Stahlindustrie, dem Bergbau und die Schwerindustrie aufgehoben. Damit die Modernisierung vorankommt, wurden zudem notwendige Gesetze beschlossen, auf die ausländische Investoren lange gedrungen hatten – ich nenne nur das Beispiel öffentlicher Ausschreibungen.

Für ein stärkeres wirtschaftliches Engagement, vor allem für den erforderlichen größeren Umfang an ausländischen Investitionen müssen jedoch die Investitionsbedingungen deutlich verbessert werden. Zu den größten Problemen gehören Rechtsunsicherheit, erhebliche Korruption und schwache Eigentumsrechte – also alles Probleme mit der Erfüllung europäischer Werte.

Aber, wie ich bereits sagte, eine tiefgreifende wirtschaftliche Modernisierung, der Abbau bürokratischer Hürden, die Reduzierung der erheblichen Korruption, die nur Investoren abschreckt – das alles wird kaum gelingen, wenn es nicht ein stärkeres, das heißt kritisches breites Engagement der gesellschaftlichen Kräfte gibt und dieses auch gefördert wird.

Insofern sind die Verbesserungen am Gesetz zur Kommunalwahl zu begrüßen, auch wenn dieses Gesetz noch immer nicht zufriedenstellend ist. Es wäre wünschenswert, dass künftig europäische Institutionen – wie beispielsweise die Venedig-Kommission – mit ihrem Know how konsultiert werden, ehe derart wichtige Gesetze verabschiedet werden. In der alten Fassung hätte das Gesetz die Teilnahme mehrerer Parteien ausgeschlossen und die Chancen für die führende Regierungspartei erheblich verbessert, noch mehr Einfluss zu nehmen. Die jetzt auf internationalen Druck hin erfolgte Änderung des Wahlgesetzes hat allerdings folgendes deutlich gemacht: Die wahren Kräfte der Orangenen Revolution – nämlich die Kräfte der Zivilgesellschaft, die sich für eine moderne, demokratische und rechtsstaatliche Ukraine einsetzen - werden von uns nicht allein gelassen. Das sollte Ihnen, den Vertretern der Zivilgesellschaft, Mut machen, sich weiterhin für diese Ziele einzusetzen, und nicht zu resignieren - so schwierig die Lage hier im Lande wieder geworden ist.

Denn es liegt im Interesse des Landes, Parteien gar nicht erst in ihrem Wirken zu behindern, sondern ihnen die Chance zu geben, eine starke Kraft zu werden. Starke Parteien, die programmatisch für konkrete Inhalte stehen, sind für die Modernisierung des Landes und für einen erfolgreichen Weg nach Europa unverzichtbar. Nur ein fairer Wettstreit um die besten Ideen und Konzepte bringt ein Land voran und macht es stark. Nicht zuletzt wird es immer – auch in den modernsten und demokratisch gefestigten Staaten – Politiker und Beamte geben, die ihre politische Stellung oder Macht zum eigenen Vorteil oder gar zur persönlichen Bereicherung ausnutzen wollen. Die Möglichkeit, dies zu verhindern, ist umso größer, je stärker die Opposition, die Medien, die Zivilgesellschaft und eine unabhängige Justiz sind. Aber vielleicht wird das von dem einen oder anderen gar nicht gewünscht?

Leider ist die Opposition hier in keinem guten Zustand. Deshalb begrüße ich es, dass die politischen Stiftungen – wie beispielsweise die Konrad-Adenauer-Stiftung – einen Beitrag dazu leisten, dass über die Parteienzusammenarbeit ein wichtiges Element eines modernen, wertebestimmten Staates – nämlich ein Parteienpluralismus - gefördert wird. Dass die politischen Stiftungen dies tun, sollte im Interesse der regierenden Kräfte liegen, wenn sie das Land wirklich modernisieren wollen, und dieses Engagement sollte deshalb nicht behindert werden.

Ein weiterer Punkt, den ich kritisch sehe, ist das Gesetz zur Gerichtsreform. Es verkürzt zwar die Gerichtsverfahren, erleichtert aber auch das politisch motivierte Entfernen von unliebsamen Richtern. Der Weg in die EU setzt jedoch ein hohes Maß an Rechtsstaatlichkeit voraus, wofür eine unabhängige Justiz unabdingbare Voraussetzung ist. Wenn jedoch heute im Hohen Justizrat, der alle Gerichtspräsidenten ernennen soll, also in der Judikative, auch der Leiter eines Sicherheitsdienstes sitzt, also ein Vertreter der Exekutive, dann ist dieser Zustand mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und der Unabhängigkeit der Justiz nicht in Einklang zu bringen. Unabhängig von der Frage der Annäherung an die EU gilt: Je mehr Rechtsstaatlichkeit gewährleistet ist, desto mehr Investitionen in die Modernisierung des Landes wird es geben.

Wir begrüßen sehr, dass die neue Regierung der immensen Korruption den Kampf angesagt hat. Denn Angesichts der Tatsache, dass Transparency International die Ukraine auf Platz 146 von 180 Plätzen eingestuft hat, werden Investoren erst dann in größerer Zahl hier in Privatisierungsprojekte einsteigen wollen, wenn im Antikorruptionskampf echte Erfolge erzielt werden. Insofern ist es positiv zu bewerten, dass die zuständigen Behörden für dieses Ziel eine neue Dynamik entfalten. Dass gleichzeitig aber der Schutz des Staates durch diese Dienste politisch zur Einschüchterung kritischer Köpfe oder von Institutionen und von Stiftungen genutzt wird, widerspricht nicht nur dem Verständnis europäischer Werte, es schadet auch den Modernisierungsbemühungen des Landes.

Pressefreiheit, meine Damen und Herren, ist ebenfalls ein wichtiger europäischer Wert. Die Vielfalt der Meinungen ist Grundlage der freiheitlichen Demokratie. Hier haben wir inzwischen erheblichen Grund zur Sorge, die Bundeskanzlerin hat es beim Besuch Ihres Präsidenten in Berlin deutlich angesprochen. Ukrainische Journalisten berichten uns von wachsendem politischen Druck. Der Journalistenverband „Reporter ohne Grenzen“ hat unmittelbar vor dem Deutschland-Besuch Ihres Präsidenten darauf hingewiesen, dass es seit Februar vermehrt tätliche Angriffe auf Journalisten gegeben habe. Vor wenigen Tagen ist im Osten Ihres Landes ein kritischer Chefredakteur verschwunden. Den letzten zwei Fernsehsendern, die nicht von regierungsnahen Kräften kontrolliert werden, sind jetzt alle bzw. Teile der terrestrischen Frequenzen entzogen worden. Und ich höre immer wieder, dass Einflussnahmen und Publikationssperren wieder zu Formen von Selbstzensur führen, die wir für überwunden hielten.

Das alles sind erhebliche Rückschritte und hat wenig mit Pressefreiheit, sondern eher wieder zunehmend mit Zensur zu tun. Zensur zeigt sich nicht nur durch Vorgaben und Kontrolle, was berichtet oder gesendet werden darf, sondern auch, wenn gezielt die Arbeitsmöglichkeiten von kritischen oder nichtregierungsnahen Journalisten, Redaktionen und Sendern eingeschränkt werden oder wenn ein Klima der Einschüchterung geschaffen wird, das eine Selbstzensur bewirkt. Ihr Präsident hat vor Kurzem noch einmal öffentlich betont, dass er eine Rückkehr zur Zensur nicht zulassen werde. Deshalb gehen wir davon aus, dass diese wichtige Äußerung des Präsidenten wieder zu einem politischen Klima führt, das jede Selbstzensur bei Journalisten und Redaktionen beendet und den Wettbewerb der Medien stärkt.

Ich habe diese kritischen Anmerkungen gemacht, weil das die derzeitige Faktenlage ist. Ich kenne natürlich die Rede, die Ihr Präsident am Unabhängigkeitstag gehalten und in der er seine Vision eines stabilen politischen Systems präsentiert hat mit, wie er sagte, einem „kompetenten Parlament“, mit einer „einflussreichen Opposition“, mit „unabhängigen, gerechten Gerichten“ sowie mit seinem wiederholten Bekenntnis zu Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit, Rechtshoheit und dem Kampf gegen Korruption. Das sind wichtige konkrete Ankündigungen und Bekenntnisse, bezüglich deren Umsetzung wir ihn – auch mit konkreten Vorschlägen - beim Wort nehmen werden. Ich komme darauf am Ende meiner Rede zurück.

Meine Damen und Herren, ein wichtiges Element auf dem Weg der Annäherung an die EU ist das Konzept der Östlichen Partnerschaft der EU. Die Östliche Partnerschaft ist das aktive Angebot für eine möglichst enge Anbindung an die Europäische Union, ohne die EU-Perspektive nach Artikel 49 des EU-Vertrages auszuschließen.

Damit sollen der wirtschaftlichen, sozialen und regionalen Entwicklung der Partnerländer zusätzliche Impulse gegeben werden. Konkret sollen eine verantwortungsvolle Regierungsführung gefördert, die regionale Entwicklung gestärkt, der soziale Zusammenhalt unterstützt werden und sozioökonomische Unterschiede zwischen den Partnerländern verringert werden. Die bisherige bilaterale Zusammenarbeit zwischen der EU und diesen Ländern soll dafür durch neue Assoziierungsabkommen weiter entwickelt werden, die eine engere politische und rechtliche Bindung zwischen der EU und den östlichen Partnerstaaten herstellen sollen.

Dabei geht es beispielsweise um die Schaffung weitreichender und umfassender Freihandelszonen. Weiterhin sollen die Energieversorgungssicherheit durch Ausbau der Zusammenarbeit bei der Energieversorgung, bei Energietransport und -effizienz sowie die stärkere Nutzung von Erneuerbaren Energien verbessert werden. Nicht zuletzt geht es darum, die Mobilität der Bürger der Partnerländer zu fördern durch schrittweise Erleichterungen bei der Visa-Vergabe bis hin zur vollständigen Abschaffung der Visumspflicht. Es ist selbstverständlich, dass diese und weitere Projekte durch Programme zur Verbesserung der Verwaltungskapazitäten in den Partnerländern begleitet werden.

Diese Beispiele machen deutlich: Es geht um die Angleichung an die Rechtsvorschriften der EU und um Übernahme von EU-Standards und hat damit viel mit europäischen Werten zu tun. Genereller gesagt geht es um die engere Anbindung an und um die Einbindung in den EU-Rechts- und Wirtschaftsraum. Das ist ein sehr ambitioniertes Angebot, das auf die individuellen Interessen und Möglichkeiten der Partnerländer zugeschnitten wird.

Das gilt gleichermaßen für die regionale Zusammenarbeit bei konkreten Projekten – wie beispielsweise den Aufbau eines integrierten Grenzmanagements, die wirtschaftliche Integration durch regionale Energie-Zusammenarbeit oder die Förderung Kleiner und Mittlerer Unternehmen, oder es geht um die regionale Kooperation zur Prävention und zur Bewältigung von Katastrophen. Ebenso leistet das Zivilgesellschaftliche Forum, das die Akteure der Zivilgesellschaft in die Ausgestaltung der Östlichen Partnerschaft einbindet, einen Beitrag zur Stärkung von Demokratie, guter Regierungsführung, aber auch zur Vertrauensbildung zwischen den Partnerländern.

Was die Ukraine betrifft, so stellen wir eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Östlichen Partnerschaft fest. Dafür werden vor allem zwei Gründe genannt:

Zum einen wird die Befürchtung geäußert, die Östliche Partnerschaft sei eine Alternative zur EU-Perspektive. Dazu sage ich mit aller Klarheit: Es ist richtig, dass die Östliche Partnerschaft keine Beitrittsperspektive enthält, aber sie schließt sie auch nicht aus. Vielmehr noch: Die – wie erwähnt – mit der Östlichen Partnerschaft angebotene schrittweise Integration in den EU-Rechts- und Wirtschaftsraum und die Möglichkeit der aktiven Mitwirkung und Mitgestaltung in den EU-Politiken sind eine konkrete Vorbereitung auf eine nach Artikel 49 des EU-Vertrages mögliche EU-Mitgliedschaft.

Zum anderen wird gesagt, dass die Östliche Partnerschaft keine Instrumente für die Unterstützung einer schnellen wirtschaftlichen Entwicklung der Ukraine habe und dass vieles von dem, was als Programm in der Östlichen Partnerschaft enthalten ist, bereits von der Ukraine angegangen oder gar umgesetzt werde. Dazu sage ich: Die Förderung regionaler Strommärkte, der Energieeffizienz und von Erneuerbaren Energieträgern oder die Stärkung des Privatsektors durch Unterstützungsprogramme für Kleine und Mittlere Unternehmen ist sehr wohl ein konkreter Beitrag zur Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung. Natürlich ist bei genauerer Betrachtung der Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine festzustellen, dass die Ukraine im Vergleich zu den anderen fünf Partnern der Östlichen Partnerschaft deutlich weiter ist – beispielsweise wird mit der Ukraine seit ihrem WTO-Beitritt im Mai 2008 über ein Freihandelsabkommen verhandelt. Allerdings ist auch festzustellen, dass die Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen besser verlaufen könnten, wenn hier der Wert dieses Abkommens für die Modernisierung Ihres Landes, insbesondere des darin enthaltenen Freihandelsabkommens, klarer gesehen würde. Denn ein solcher Assoziierungsvertrag würde die Ukraine im Idealfall so nahe an die EU heranführen, wie etwa die Schweiz heute ist. Nicht zuletzt gilt: Niemand wird die Ukraine daran hindern, für die Ausgestaltung der Östlichen Partnerschaft weitergehende Vorschläge zu machen – im Gegenteil, die EU und insbesondere Deutschland würden dies sehr begrüßen.

Meine Damen und Herren!

Ich habe wiederholt darauf verwiesen, dass die Europäische Union ein strategisches Interesse hat, dass sich Ihr Land eindeutig auf die EU ausrichtet, sich ihr immer mehr annähert, und dass sie dafür auch ihren Beitrag leisten will, wenn dies gewünscht wird. Ich habe heute über die Bedeutung europäischer Werte gesprochen. Im Sinne der Heranführung der Ukraine an die Wertegemeinschaft EU möchte ich abschließend noch fünf Überlegungen präsentieren, wie die Zusammenarbeit für ein besseres Verständnis dessen, was die Wertegemeinschaft EU ausmacht, ausgebaut und wie die Fähigkeit, Wertestandards der EU zu erfüllen, gestärkt werden könnte. Dies sind Maßnahmen, die die EU als Ganzes mit der Ukraine oder beispielsweise auch Deutschland und Polen mit Ihrem Land vereinbaren könnten.

Erstens:

Ich erwähnte eben das Ziel, ein besseres Verständnis zu ermöglichen, was die Wertegemeinschaft EU ausmacht. Hier könnten wir als Europäische Union einiges anbieten, damit die EU, ihre Grundlagen einschließlich ihres Werteverständnisses, ihre Arbeitsweise sowie die Chancen und Pflichten einer immer engeren Zusammenarbeit noch besser bekannt und verstanden werden. Es geht also um die Einrichtung zusätzlicher regionaler EU-Informations-, -Kontakt- und –Bildungszentren. In Zusammenarbeit mit ukrainischen Partnern könnten Nichtregierungsorganisationen aus der EU, also beispielsweise deutsche und polnische Nichtregierungsorganisatio-nen, hierbei einen Beitrag leisten.

Zweitens:

Ich habe davon gesprochen, dass starke Parteien und eine starke Opposition im Interesse der Modernisierung der Ukraine liegen. Insofern könnte hier ein echter Parteienpluralismus geschaffen werden, wie wir ihn in der EU kennen, dies könnte durch einen intensivierten Dialog zwischen Vertretern der im Europäischen Parlament vertretenen Parteien und hiesigen Partnern erreicht werden. Ein Thema dabei wäre die Rolle und Arbeitsweise einer effektiven Opposition. Auch die deutschen Stiftungen und Vertreter politischer Parteien hätten hier gutes Know-how zu bieten.

Drittens:

Die ukrainische Zivilgesellschaft, insbesondere außerhalb der Hauptstadt Kiew, sollte stärker unterstützt werden, damit sie einen eigenen Beitrag zur Modernisierung leisten kann. Das schließt eine Einbeziehung der Zivilgesellschaft in den politischen Prozess im Dialog mit führenden ukrainischen Politikern mit ein. Eine stärkere Unterstützung könnte durch Projektfinanzierung, Austauschprogramme und Stipendien erreicht werden. Auch hierbei sollten sich Deutschland und Polen in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen ihres Landes oder die EU im Rahmen der Östlichen Partnerschaft besonders engagieren.

Viertens:

Ich habe von der Pressefreiheit als einen wichtigen europäischen Wert gesprochen und von den Sorgen, die wir uns über die jüngsten Entwicklungen hier machen. Ihr Präsident hat in seiner Rede zum Unabhängigkeitstag gesagt: Als Verfassungshüter werde er nicht den kleinsten Druck auf die Medien erlauben, woher er auch komme. Was also spricht dagegen, durch eine unabhängige Einrichtung, an der auch Vertreter der EU beteiligt sind, ein Monitoring der Entwicklung im Medienbereich durchführen zu lassen und, wenn auf Probleme von Seiten der Medien hingewiesen wird, diese im Dialog mit dem Präsidenten oder seinem Beauftragten zu klären und auszuräumen?

Fünftens:

In meinen Ausführungen habe ich auch auf den herausragenden europäischen Wert der Rechtsstaatlichkeit hingewiesen. Hierzu sollten die Fortbildungsmaßnahmen für die ukrainische Verwaltung verstärkt werden, wie sie beispielsweise von Deutschland und Polen durchgeführt werden. Ziel muss sei, die Fähigkeit zu einer wirkungsvollen Implementierung von europäischem Recht zu erreichen. Auch könnten Kapazitäten für ein Korruptions-Monitoring durch unabhängige ukrainische Stellen, also ukrainische Nichtregierungsorganisationen, vorgesehen und deren Aufbau von EU-Experten unterstützt werden.

Meine Damen und Herren,

das sind einige wenige Vorschläge, wie unsererseits ein spezifischer Beitrag zur schnelleren Annäherung an die Wertegemeinschaft Europäische Union geleistet werden könnte und für deren Realisierung ich mich nachdrücklich einsetze. Denn dies sind konkrete Vorschläge zur Ausgestaltung der Vision Ihres Präsidenten für ein stabiles politisches System, die er in seiner Rede am Unabhängigkeitstag präsentiert hat.

Auf jeden Fall sollen mein Vortrag wie auch diese Vorschläge zum Ausdruck bringen, dass wir ein strategisches Interesse daran haben, dass sich die Ukraine möglichst schnell zu einem modernen, demokratischen, rechtsstaatlichen und damit auch werteorientierten Land mit einer starken Zivilgesellschaft entwickelt und damit eindeutig auf die EU ausrichtet.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf Ihre Fragen und die Diskussion.

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