Vor rund 150 Gästen betonte Lammert im Kleinen Marienpalast in Kiew die historische Verantwortung Deutschlands und unterstrich die Wichtigkeit der Ukraine. Der hohe Stellenwert des Landes zeige sich auch darin, dass die Ukraine zu den wenigen Ländern weltweit gehört, in denen die Konrad-Adenauer-Stiftung zwei Büros – in Kiew und in Charkiw – unterhalte. Der Grund für dieses besondere Engagement liege in der Bedeutung, die der tragische Ostukrainekonflikt und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim für das friedliche Zusammenleben im Europa des 21. Jahrhunderts insgesamt haben. Mit der Zukunft der Ukraine entscheide sich damit auch die Zukunftsperspektive Europas.
In seiner Rede erinnerte Lammert an die doppelte deutsche Staatsgründung 1949. In den Jahren der Teilung habe die Bundesrepublik Deutschland stets an dem im Grundgesetz festgeschriebenen Ziel der Verwirklichung der Deutschen Einheit festgehalten. Auch durch den im Dezember 1972 unterzeichneten Grundlagenvertrag mit der DDR, der den politischen Realitäten und der Existenz zweier deutscher Staaten Rechnung trug, sei das Wiedervereinigungsgebot nicht aufgegeben worden. Eine besondere Rolle kam dabei dem Bundesverfassungsgericht zu, dass seinerzeit in einer bedeutenden Entscheidung feststellte, dass kein Verfassungsorgan der Bundesrepublik die Wiederherstellung der staatlichen Einheit als politisches Ziel aufgeben dürfe. Dies sei die Voraussetzung für die Deutsche Einheit im Jahr 1990 gewesen. Mit Verweis auf dieses Ereignis schlug Lammert einen Bogen zur Ukraine, indem er von entscheidenden Umbrüchen in der Geschichte sprach, auch wenn diese zuvor für unmöglich gehalten wurden. Den Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 habe noch am Tag zuvor niemand vorhersehen können. Zwar könne man solch eine spektakuläre Veränderung von Grenzen, Mauern und Zäunen wie den Fall der Berliner Mauer weder exportieren, patentieren oder als Muster übertragen, jedoch könne dieses Ereignis doch als Hoffnung und Ermutigung herangezogen werden, dass manches in der Geschichte möglich sei, auch wenn man es nicht erwartet. Abschließend dankte Lammert den Partnern und Mitarbeitern der Auslandsbüros Kiew und Charkiw. Ein festes Prinzip der Stiftungsarbeit sei stets die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern auf der Basis gemeinsamer Werte.
Vor der Festrede ging Tim B. Peters, Leiter der Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew und Charkiw, in seiner Begrüßung auf den besonderen Kontext der Büroeröffnung nur drei Jahre nach dem Ende der Sowjetunion ein. Nach Verhandlungen des damaligen Stiftungsvertreters Dr. Manfred Lohmann mit einer „Kommission für die Fragen der Annahme, des Transportes, der Bewachung und der Verteilung der humanitären Hilfe aus dem Ausland beim Ministerkabinett der Ukraine“ datiert die ukrainische Geburtsurkunde der Stiftung auf den 12. September 1994. Satzungsgemäßes Hauptziel war schon damals die „Förderung des demokratischen Prozesses in der Ukraine.“ Weiter wurden die Verbesserung der öffentlichen Verwaltung, Förderung der kommunalen Selbstverwaltung, eine sozial und umweltfreundlich orientierte Marktwirtschaft sowie eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit genannt. Zwar unterscheide sich die Ukraine des Jahres 1994 grundlegend von der des Jahres 2019, so Peters, doch seien diese Aufgaben zeitlos für die politische Bildungsarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung in allen Staaten.
Das erste Grußwort von ukrainischer Seite hielt Myroslaw Marynowytsch, Vizerektor der Ukrainischen Katholischen Universität Lwiw (Lemberg) und Ehrenpräsident des “Ukrainian Center of International PEN-Club”. Bereits zu Zeiten der Sowjetunion hatte er sich als Dissident für die Menschenrechte eingesetzt und war einer der Mitgründer der ukrainischen Helsinki-Gruppe. Als langjähriger Kenner der Stiftung in der Ukraine hob Herr Marynowytsch besonders die Bindung der Konrad-Adenauer-Stiftung an christlich-demokratische Werte hervor. Ferner bedankte er sich für die vielfältige Arbeit, mit der die KAS sowohl die Basis für demokratische Ideen und gemeinsame Grundwerte fördere als auch den Weg für ein gemeinschaftliches Europa ebne. Die Schaffung eines Staatsaufbaus, der auf diesen aus der christlichen Ethik entstandenen Werten basiere und der Konrad Adenauer in Deutschland gelungen sei, sei bisher in der Ukraine nicht möglich gewesen. Gleichwohl sei die Ukraine verbunden mit den sicherheitspolitischen Krisen der Welt und leider auch selbst Teil davon. Myroslaw Marynowytsch gab sich aber überzeugt davon, dass sein Land Teil der Lösung dieser Krisenherde sein könne.
Als weiterer ukrainischer Gastredner kam der 19-jährige ehemalige Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung und Young European Ambassador, Denys Ganzha, aus Charkiw zu Wort. Er berichtete, wie die Förderung der KAS ihn zu weiterem gesellschaftspolitischem Engagement ermutigt habe. Noch vor zwei Jahren habe er wie viele andere junge Menschen geplant, die Ukraine zu verlassen. Heute wolle er auch aufgrund der vielen Begegnungen, die er durch die Teilnahme an politischen Bildungsseminaren erlebt hat, sein Heimatland positiv verändern. Auch wenn vor allem in kleineren Städten und abgelegenen Regionen noch zu wenig getan werde, glaube er an eine gute Zukunft für sich selbst und die folgenden Generationen in der Ukraine.