Veranstaltungsberichte
Eröffnet und moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Ulrich Schlie, Ministerialdirektor a.D. und Leiter des Zentrums für Diplomatie der AUB.
Frank Spengler, Leiter des Auslandbüros Ungarn der Konrad-Adenauer-Stiftung, betonte in seiner Begrüßungsrede, dass die jüngsten Wahlergebnisse deutlich zeigen würden, dass der Altersdurchschnitt der Wähler der Christdemokraten in Deutschland sehr hoch sei. In Zukunft komme es darauf an, auch die jüngere Generation zu mobilisieren, um europaweit bessere Ergebnisse erreichen zu können.
Dr. Hardy Ostry fasste in seinem Impulsbeitrag zunächst die positiven Ergebnisse der Wahlen zusammen. So sei der befürchtete starke „Rechtsruck“ in weiten Teilen ausgeblieben und die Wahlbeteiligung zeuge von einem hohen Interesse in der Bevölkerung. Über 50% Beteiligung habe es das letzte Mal im Jahr 1994 gegeben. Doch stelle sich bei aller Euphorie die Frage, welche Wähler mobilisiert wurden. Insgesamt hätten die Volksparteien an Zustimmung verloren; die Mitte sei durch die Erfolge der Liberalen und Grünen europaweit gestärkt sowie breiter und „bunter“ geworden.
Offen bleibe weiter die Entwicklung sowohl der Europäischen Volkspartei als auch einer neuen „Dreierkonstellation“. Da erstere und die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D) gemeinsam nicht mehr die erforderlichen 376 Mandate für eine Mehrheit aufbringen würden, sei nun eine erweiterte Kooperation nötig, um handlungsfähig zu bleiben. Ein möglicher Partner stelle bspw. die liberale Fraktion ALDE dar. Weitere Veränderungen könnten außerdem im Herbst eintreten, wenn das Parlament durch den geplanten Brexit verkleinert werde.
Dr. Ágoston Mráz legte den Fokus nach diesen allgemein europäischen Beobachtungen auf die ungarischen Ergebnisse der Europawahl. Nicht zuletzt aufgrund der Suspendierung des Fidesz von der Europäischen Volkspartei sei der Wahl in Ungarn viel Aufmerksamkeit zu Teil geworden. Für den Fidesz stellen die diesjährigen Wahlergebnisse mit 52% die zweitbesten seit Ungarns Beitritt zur EU dar. Während die sozialdemokratische MSZP Stimmen verloren habe, erhielte die linke Demokratische Koalition mit gut 16% starken Aufwind. Überraschend gut abgeschnitten bei der Wahl hätte die erst vor zwei Jahren gegründete liberale Partei Momentum. Die knapp 10% reichen aus für zwei Parlamentssitze.
In der weiteren Diskussion ging es vor allem um die Position des Spitzenkandidaten. Mráz bewertete das aktuelle Modell sowie die mangelnde Popularität der einzelnen Kandidaten kritisch: Er bezweifle, dass hinter dem Kandidaten Manfred Weber die gesamte Europäische Volkspartei stehe, als dessen Kandidat er angetreten war und stelle sich noch dazu die Frage, welchen Spitzenkandidaten ein Ungar hätte wählen können – habe sich Fidesz doch gegen den Christdemokraten Weber ausgesprochen. Gerade die EU-weit eher geringe Zustimmung zu den einzelnen Kandidaten bilde keine ausreichende Grundlage für die angestrebte Legitimation der Kandidaten.
Insgesamt käme es darauf an, so Ostry, ob die Parteien und Fraktionen bereit seien, Kompromisse einzugehen. Schließlich hätten sich die Präsidenten aller Fraktionen darauf geeinigt, das Spitzenkandidatensystem beizubehalten. Ein spontaner Rückzieher sei problematisch, da er zu einer hohen Unglaubwürdigkeit des Systems und aller Beteiligten führen würde. Europa brauche noch etwas Zeit, um die nötige Reife zu erlangen, die Kultur der Spitzenkandidaten als eine Option wahrzunehmen, die bessere Transparenz in Parlament und Kommission ermögliche.
Wie sich die Fraktionslandschaft im Europäischen Parlament letztendlich entwickeln werde, so Ostry und Mráz, bleibe abzuwarten. Die Möglichkeit, dass die Europäische Volkspartei so wie sie jetzt sei, Ende des Jahres nicht mehr existieren werde, sei nicht auszuschließen. Dennoch sei zu vermuten, dass ab einem gewissen Zeitpunkt der „politische Sachverstand“ einsetze, Kompromisse kreiert und die europäischen Institutionen sich darauf konzentrieren würden, sich den globalen Herausforderungen zu stellen, da weder Asien noch die USA Europa Zeit geben würden, sich „zurückzulehnen“.
Text: Viktoria von Kalm