Veranstaltungsberichte
Der Gipfel in Chicago wird als Bestandsaufnahme wichtig sein, allerdings keine überraschenden Ergebnisse bringen, so Kamp. Wichtig sei, die über Chicago hinausgehenden Trends - abgesehen von wichtigen Fragen wie die nach der Beziehung zu Russland und den nuklearen Ambitionen des Iran - in den Blick zu nehmen, die Kamp so beschrieb:
1. Die Finanzkrise wird auch weiter für die Verteidigungshaushalte wirksam sein. Sie unterscheidet sich durch ihre Größenordnung von früheren Krisen und betrifft nun auch die großen Staaten - ein Ende der Krise sei nicht in Sicht. Eine Anhebung der Verteidigungsausgaben sei deshalb nicht realistisch.
2. Es gäbe keine schnellen Lösungen für die die Spannung zwischen NATO's Ambitionen und den dafür fehlenden Ressourcen. Konzepte wie "smart defense" oder "pooling and sharing" werden nicht dazu führen, dass mit weniger Resourcen mehr erreichbar sei, sondern man müsse sich angesichts geringerer Mittel auf eingeschränkte Möglichkeiten einstellen. Außerdem sei das politische Problem bei "pooling and sharing", dass man sich auf die Bereitstellung der Ressourcen im Ernstfall verlassen müsse. Dieses Vertrauen fehle jedoch selbst unter den großen NATO-Mitgliedern.
3. Nach der Auffassung Kamps werden die geringer werdenden Mittel auch zu einer neuen Risikoeinschätzung führen. Ein militärischer Einsatz könnte sich zudem an den Kosten entscheiden. Wichtiger könnte deshalb für die NATO in Zukunft kooperative Sicherheit werden, d.h. die Unterstützung und Befähigung regionaler Partner, welche dann für die Sicherheit und Stabilität selbst sorgen können.
4. Die neue Orientierung der USA auf den pazifischen Raum sei nicht anti-Europäisch, sondern strategisch konsequent. In Europa gäbe es für die USA kaum "unerledigten Aufgaben". Damit gehe eine Reduzierung der nationale Truppenstärke der USA einher, zugleich kommen die Soldaten aus den Kriege im Irak und in Afghanistan in due USA zurück. Beides führe zu einer stärkeren Konzentration innere Probleme in den USA.
5. Die Entwicklungen in Nordafrika und in den arabischen Staaten werden weiterhin eine Quelle von Spannungen auch innerhalb der NATO bleiben. Da die Region wohl langfristig instabil bleiben wird, wird sich die Frage von Interventionen und deren Bedingungen immer wieder stellen und potentiell Auslöser von transatlantischen Spannungen bleiben.
6. Die Finanzkrise kann zu instabilen Regionen auch innerhalb der NATO führen. Nationalistische oder fremdenfeindliche Bewegungen könnten im Süden Europas zu regionalen Krisen ("Balkanisierung") führen.
Aus der Analyse der Trends zog Kamp die Konsequenz, dass die NATO in Zukunft nicht unwichtiger, sondern im Gegenteil wichtiger wird. Außer der USA werden auch große Mitglieder der NATO nicht in der Lage sein, allein zu handeln: "Es wird nur ein Handeln innerhalb der NATO geben - oder gar kein Handeln", so Kamp. Deshalb sei auch die Interoperabilität so zentral. Von der NATO profitieren zudem beide Seiten des Atlantik: Die USA erhalten sich den Einfluss in Europa, wo sich auch in Zukunft ein wichtiges logistisches Drehkreuz befinden wird. Die europäischen Partner tragen außerdem zur Legitimierung von Missionen bei. Für Europa werden die USA auch in Zukunft Schutzmacht sein. Die USA werden nicht zuletzt auch wiederum zu einer inneren Befriedung Europas beitragen, sollte es zu Spannungen in Südeuropa kommen.
Die entscheidende Frage wird in Zukunft die Aufteilung der Verantwortlichkeiten innerhalb von NATO sein, so Kamp. Die USA werden weiterhin ihren Verpflichtungen aus Art. 5 (Bündnisfall) nachkommen, dies stehe außer Frage. Offen sei jedoch, wie sich Interventionen gestalten, für welche man sich entschieden habe. Für Kamp könnte die Erfahrung in Libyen Beispiel für ein neues Modell sein: Die Europäer übernehmen die Führung, die USA leisten entscheidende Unterstützung. "Die USA verstehen, dass die Europäer in Zukunft nicht mehr für Verteidigung ausgeben können. Was sie aber erwarten ist ein weiterer strategischer Horizont der europäischen Partner - ein Horizont der nicht an den Grenzen Europas und mit Diskussionen über die Stabilität des Euro aufhört", so Kamp.
In der anschließenden Diskussion wurde u.a. auch dei Beziehung der NATO zu Russland diskutiert. Russland sei sehr wichtig, aber nicht gefährlich, so Kamp. In Bezug auf die Bundeswehr betonte Kamp, dass die Reform zu einer zwar kleineren, aber einsatzbereiteren Truppe führt. Zudem sei die Bundeswehr durch verschiedene Einsätze kampferprobt.
Kamp forderte außerdem eine Diskussion, wer unter den NATO-Partnern welche Kapazitäten kürze - dieses Diskussion komme bei Frage nach den gemeinsamen Fähigkeiten zu kurz. - Im Kontext der Diskussion um die Aufteilung von Kosten und Verantwortlichkeiten müsse man auch das zivile Engagement für die Stabilisierungen mit in die Rechnung aufnehmen, so Kamp.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung konnte mit dieser Veranstaltung zu einem vertieften Verständnis der europäischen bzw. deutschen und amerikanischen Sicht auf die gegenwärtige Debatte um die Zukunft der NATO beigetragen.