Veranstaltungsberichte
Einkommensungleichheit und die Verteilung von Vermögen gehören zu den am meisten diskutierten Wirtschaftsthemen unserer Zeit. Allein in den USA gingen 93% aller Einkommenszuwächse im Jahr 2010, also kurz nach Bankenkrise und Rezession, an das reichste eine Prozent der Bevölkerung. Auch in der Entwicklungszusammenarbeit spielt das Thema seit längerem eine Rolle. So sind zum Beispiel nach einem Bericht der UNDP vom letzten Jahr die Vermögen in den Entwicklungsländern ungleicher verteilt als 1990. Die KAS Washington hatte nun den Sozial- und Wirtschaftsexperten Prof. Dr. Matthias Zimmer, Bundestagsabgeordneter aus Frankfurt/M., eingeladen, um mit ihm über diese Entwicklungen zu diskutieren. Experten aus Weltbank und verschiedenen Think Tanks, die sich auf die Ursachen und Auswirkungen von Ungleichheit konzentrieren, trugen zu dieser Debatte eine transatlantische Perspektive bei.
Zu Beginn des Gesprächs machte Prof. Zimmer deutlich, dass er und viele seiner Kollegen im Deutschen Bundestag die wachsende Lohnungleichheit und ungleiche Verteilung von Vermögen in Europa und vor allem den USA zunehmend als Problem wahrnehmen. So stelle sich immer mehr die Frage, welche Rolle wirtschaftliches Wachstum für eine Gesellschaft spiele, wenn der Großteil der Bevölkerung an diesem Wachstum kaum noch positiv teilnehme. Könne wirtschaftliches Wachstum unter diesen Voraussetzungen eine Antwort auf zunehmende Ungleichheit sein oder sei es gar dessen Ursache? Der Bundestagsabgeordnete war im Hinblick auf diese Fragen vor allem daran interessiert, wie diese in den USA diskutiert würden und wie eine transatlantische Perspektive zu Lösungen führen könne.
Der Leiter der KAS Washington Dr. Hänsel erinnerte daran, dass seit den Wachstumsdebatten der 1980er Jahre dieses Thema immer wieder aufgegriffen worden sei, und auch unter dem Begriff der Nachhaltigkeit oder, bei Partnerländern in der Entwicklungszusammenarbeit, unter dem Stichwort Ressourcenschonung manchmal kritisch beurteilt werde. In der offen geführten Diskussion schien unter den Diskussionsteilnehmern Einigkeit darüber zu herrschen, dass wirtschaftliches Wachstum nicht die alleinige Antwort auf steigende Ungleichheit sein kann. Gegenwärtig sei dies jedoch eine Grundvoraussetzung für deren Bekämpfung.
Als ein wichtiger Themenschwerpunkt wurde die Debatte um den Mindestlohn herausgegriffen. Einige der Diskussionsteilnehmer sahen im Mindestlohn ein wichtiges Mittel zur Minderung von Lohnungleichheit in modernen Gesellschaften. Auf beiden Seiten des Atlantiks sei dazu eine breite Debatte entstanden, welche die Teilnehmer begrüßten. Beispielsweise komme im nun laufenden Wahlkampf bei den US-Zwischenwahlen immer wieder die Forderung nach Mindestlöhnen auf. Diskutiert wurde für Deutschland die Vorrangstellung von Tarifverhandlungen. Führten diese zu keinem Ergebnis, könne man über den Sinn von Mindestlöhnen in einigen Branchen nachdenken. Prof. Zimmer gab hierzu Einblicke in die jüngsten deutschen Erfahrungen. Ein anderer Teilnehmer beschrieb dessen Wirksamkeit in den USA vor allem als abhängig von der Gesamtheit existierender Bestimmungen und erklärte die Auswirkungen eines Mindestlohns auf den Konsum und die Nachfrage in einer Gesellschaft.
Als einen zweiten Themenschwerpunkt der Diskussionsrunde stellten sich die Auswirkungen von Ungleichheit auf die Entwicklungsfähigkeit von Ländern dar. So erläuterte der Vertreter der Weltbank, dass Länder ab einem gewissen Ungleichheitsniveau nicht mehr in der Lage seien, zu einem Land mit hohen Einkommen aufzusteigen. Der Entwicklungsexperte betonte außerdem, dass sich die USA unter gegenwärtigen Voraussetzungen nicht zu einem Hochlohnland entwickeln würden, wäre dies nicht schon im Laufe des 20. Jahrhunderts passiert.
Als ein dritter Gesprächspunkt mit zunehmend transatlantischer Bedeutung wurden die Auswirkungen von Immigration und multikulturellen Gesellschaften auf das Ungleichheitsniveau diskutiert. Dazu erklärte ein Teilnehmer, dass es deutliche Tendenzen zu geringen sozialen Sicherungsmaßnahmen gäbe, je multikultureller eine Gesellschaft würde.
Am Ende der Debatte wurden noch einige weitere Themen von transatlantischer und deutscher Bedeutung angesprochen, wie die anhaltenden Probleme der Euro-Zone. Der Rahmen und die jeweilige Expertise der Teilnehmer sorgten dabei nicht nur für verschiedene Perspektiven, sondern stellten auch eine Möglichkeit dar, die steigende wirtschaftliche, und damit soziale, Ungleichheit in den transatlantischen Gesellschaften zu analysieren und über neue Lösungsansätze nachzudenken.