Am Abend des 05. Mai 2022 wurde im Rahmen einer Online-Veranstaltung über die aktuelle Lage in der Ukraine und die damit einhergehende prekäre Rolle der ukrainischen Frauen diskutiert. Die Veranstaltung wurde vom Leiter des Herrmann-Ehlers Bildungsforums Weser-Ems, Manuel Ley, moderiert und von einem Impulsvortrag der aus der Ukraine stammenden Professorin für Germanistik Prof. Dr. phil. Iryna Cherniaieva eingeleitet, welche zunächst einen kurzen Abriss über die historischen Hintergründe des aktuellen Kriegs zwischen Russland und der Ukraine gab. Vor diesem Hintergrund wurde auch die Frage nach den Gründen für diesen Angriff gestellt. Zahllose Ukrainer hatten bis zuletzt nicht daran geglaubt, dass ihr Heimatland von Putins Armee angegriffen werden würde und sie gezwungen sein würden zu fliehen; ein Schicksal, welches auch Prof. Dr. Cherniaieva und ihre Familie teilt. Als potenzielle Gründe für den Angriffskrieg führte sie die Demokratieentwicklung in der Ukraine an, welche aufgrund ihrer Selbstbestimmung und der Zuwendung zu demokratischen Idealen sowohl Putin als auch Lukaschenko bedroht.
Die Rolle der Frauen in der Ukraine spiegelt die gesamte gesellschaftliche Situation wider. Aufgrund der Flucht in diverse Nachbarstaaten sind Familien und Freundschaften zerrissen, rund 25.000 Soldatinnen sind freiwillig in der ukrainischen Armee und kämpfen. Daneben kämpfen zahllose Arzte um das Leben der Verwundeten. Breite Unterstützung leisten auch eine Vielzahl von Volontären, welche humanitäre Hilfe leisten und das Militär unterstützen. Trotz allem gibt es auch Zeichen der Hoffnung: Ehepaare geben sich das Ja-Wort, Hochzeiten finden statt und seit Kriegsbeginn sind fast 37.000 Babys auf die Welt gekommen – von denen circa die Hälfte in einem Luftschutzbunker geboren wurde. Diejenigen die wie unsere Referentin ihr Land verlassen haben und geflohen sind, sind nun in der Welt verstreut, wobei die Mehrheit Schutz in den direkten Nachbarstaaten der Ukraine (Moldawien, Ungarn und Polen) gefunden hat. Dieses Ankommen beschreibt Frau Cherniaieva auch in Deutschland als gastfreundlich und herzlich und bedankt sich im Laufe dieses Abends mehrmals für die deutsche Solidarität. In diesem Rahmen wurde auch das aktuelle Thema Waffenlieferungen angesprochen. Frau Cherniaieva äußerte Verständnis für das zögerliche Vorgehen der Bundesregierung sich für die Lieferung schwerer Waffen auszusprechen, da diese natürlich auch die Stimmung im eigenen Land berücksichtigen müssten. Sie führte allerdings an, dass die Ukrainer und Ukrainerinnen gegen die zweitstärkste Armee der Welt kämpften und somit jede Hilfe auch in Form von militärischer Ausrüstung gebrauchen könnten, um ihre Leben zu retten.
Auf die Frage, ob Frieden mit Russland möglich sei, antwortete sie, dass die Ukraine eine Garantie bräuchte, dass so ein Krieg nie wieder stattfände. Darüber hinaus warf sie die Frage in den Raum, wie man die Taten Russlands überhaupt entschuldigen solle. Morde, Vergewaltigungen – diese Taten würden noch lange auch psychologische Unterstützung für die ukrainischen Betroffenen erfordern. Trotz allem spricht Frau Chernianieva sich deutlich für Frieden aus und fordert ein baldiges Ende des russischen Angriffskriegs.
Auf die Frage nach Perspektiven, die sich aus dem Krieg ergeben, zeigte sie in ihrer Präsentation metaphorisch eine Blanko-Seite. Grundsätzlich bestünde Hoffnung für alle Menschen, dass diese in ihr Zuhause zurückkehren können; auch Frau Chernianieva würde sofort ihre Koffer packen und nach Hause fahren, wenn sie könnte. Die multikulturell geprägte Ukraine, in welcher vor Kriegsbeginn viele mit der russischen Seite sympathisiert hatten, hält gegen Russland als Feind zusammen. Dabei kämpft die Ukraine um den Respekt für Menschenrechte, für die Menschenwürde, für Demokratie, Liebe, Familie, das Leben und den Respekt für andere Völker auf der ganzen Welt.
In der anschließenden Diskussion ging es u. a. um die Wahl und Bewertung Selenskyjs und dessen Karriere vom Komiker zum Präsidenten der Ukraine. Es wurde betont, dass die Ukrainer wohl zum ersten Mal den richtigen Präsidenten gewählt hätten und stolz seien auf dessen mutigen Einsatz und charismatischen Politik-Stil. Daran schloss sich die Frage an, ob es aus ukrainischer Perspektive annehmbar sei, dass Teile des Staatsgebietes (Donezk, Luhansk, Cherson) an Russland abgetreten werden. Nach Frau Chernianieva haben die Einwohner in diesen Gebieten durch die bisherige russische Okkupation nichts gewonnen, außerdem sei durch das Budapester Memorandum vereinbart worden, die Grenzen der Ukraine nicht zu verschieben, sondern zu respektieren. Sie schob allerdings ein, dass man die Einwohner nach ihrer Präferenz fragen sollte.
Auch wurde nach den kulturellen Unterschieden zwischen der Ost- und der West-Ukraine und der russischen „Notwendigkeit“ einer militärischen Eroberung gefragt. So wie es kulturelle Unterschiede zwischen Nord- und Süddeutschland gibt, gestaltet sich auch die Lage in der Ukraine: Der Westen orientiert sich stark an den europäischen Werten und Idealen und ist an der europäischen Assoziation interessiert, während der Osten vor Kriegsbeginn stärker an Russland orientiert war. Diese prorussische Orientierung hat die Einwohner im Osten stark desillusioniert zurückgelassen, Geflüchtete aus dem Osten sprechen mittlerweile ukrainisch auf den Straßen im Westen, um nicht mit Russland in Verbindung gebracht zu werden. In der Fragerunde ging es auch um die Dokumentation und Strafverfolgung von sexualisierter Gewalt im Krieg sowie Opferhilfe. Derzeit können nur Beweise gegen Täter gesichert werden, wobei die moderne Technik die Identifizierung der russischen Soldaten vereinfacht. Darüber hinaus sind viele NGOs in der Ukraine tätig, sodass die Möglichkeit besteht der Weltöffentlichkeit über Straftaten zu berichten. Dennoch bleibt die Frage, wie man der Täter im Kriegsverlauf und nach Kriegsende habhaft werden kann. Der Weg aus dem Krieg heraus stellt sich als schwierig dar, da bereits zu viel Unverzeihliches passiert sei. Zuletzt ging es um die russische Kriegspropaganda und die Frage, wie die Menschen in Russland überhaupt zu erreichen seien. Einen Hoffnungsschimmer stellt dabei die Bewegung russischer Mütter da, welche die Schicksale ihrer Söhne, die als Soldaten in die Ukraine gegangen sind, nachvollziehen werden wollen. Frau Cherniaieva hofft, dass so Druck auf Putin ausgeübt wird. Initiativen der internationalen Gemeinschaft, wie etwa der geplante Papst-Besuch bei Putin könnten sich ebenfalls als ein mögliches Mittel erweisen, den russischen Präsidenten zum Einlenken zu bewegen. Gewiss ist dies allerdings nicht.