Zum 13. Mal traf sich in Berlin der ideengeschichtliche Arbeitskreis, um über die Wurzeln der Christlichen Demokratie – den Liberalismus, den Konservatismus und die christlichen Soziallehren – zu diskutieren. Unter dem Titel „Adenauer, Erhard und der Liberalismus in der Gründungsphase der CDU“ referierte Prof. Dr. Dominik Geppert, Inhaber des Lehrstuhls für die Geschichte des 19./20. Jahrhunderts an der Universität Potsdam, über die Soziale Marktwirtschaft und das Ringen um deren Ausgestaltung in den 1950er Jahren.
Einführend erklärte Dr. Michael Borchard, Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik, dass die Soziale Marktwirtschaft auf den Ideen von Walter Eucken, Franz Böhm und Alfred Müller-Armack beruhe. „Ludwig Erhard war dabei aber unverzichtbar, denn er hat die Soziale Marktwirtschaft mit Sachkompetenz und viel Überzeugungskraft umgesetzt und die Bevölkerung dafür gewonnen“, so Borchard. Heute sei die CDU „Opfer ihres Erfolgs“, da sich inzwischen alle Parteien zur Sozialen Marktwirtschaft bekennten. Das sei ein „Danaergeschenk“, denn es bestünde zum ersten die Gefahr, dass die jeweiligen Gruppierungen diesen Begriff für ihre politischen Ziele vereinnahmen würden. Darüber hinaus sei die Gefahr heute groß, die Soziale Marktwirtschaft allein auf das Attribut „sozial“ zu reduzieren und die notwendige Balance mit dem liberalen Element dabei zu vergessen.
In seinem Vortrag bezog sich Professor Geppert auf einen Briefwechsel zwischen Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard und Bundeskanzler Konrad Adenauer aus dem Jahr 1956. Zu dieser Zeit habe sich das „Wirtschaftswunder“ – ein Begriff, den Erhard stets abgelehnt habe, weil die positive wirtschaftliche Entwicklung seiner Auffassung nach kein „Wunder“, sondern das Ergebnis richtiger politischer Entscheidungen gewesen sei – auf dem Höhepunkt befunden. Die Debatte um die Hochkonjunktur dieser Jahre habe sich dabei aber nicht allein um die positiven, sondern auch um die negativen Seiten des Wirtschaftswachstums gedreht, wie die Lohn-Preis-Spirale oder die Inflationsgefahr.
In dem Schriftwechsel, abgedruckt in der jüngst erschienenen Rhöndorfer Ausgabe zu Erhard, Adenauer und der Sozialen Marktwirtschaft (Band 20), prangerte Erhard die „Maßlosigkeit“ an, mit der einzelne Interessenverbände ihre Forderungen durchsetzten, und appellierte an Adenauer, die Politik nicht an einzelnen Interessengruppen auszurichten. Adenauer erteilte Erhards Bitten jedoch eine klare Absage. So hätte sich die Politik jahrelang selbst gerühmt, den Lebensstandard immer weiter zu erhöhen und die Bevölkerung dadurch veranlasst, auch immer größere Anforderungen zu stellen. „Jetzt plötzliche Zurückhaltung und Enthaltsamkeit zu predigen, halte ich für völlig aussichtslos“, so Adenauer.
In Erhards Ausführungen werde deutlich, so Geppert, dass dieser die Soziale Marktwirtschaft stets auch als sozial-ethisch fundierten Orientierungsrahmen verstanden habe. So habe Erhard bereits im August 1948 auf dem Parteitag der CDU in der britischen Zone erklärt: „Nicht die freie Marktwirtschaft des liberalistischen Freibeutertums (…), sondern die sozial verpflichtete Marktwirtschaft, die das einzelne Individuum zur Geltung kommen lässt, die den Wert der Persönlichkeit oben anstellt und der Leistung dann aber auch den verdienten Erfolg zugute kommen lässt, das ist die Marktwirtschaft moderner Prägung.“
Auch die unterschiedliche Herangehensweise an die Politik werde in dem Briefwechsel deutlich, erklärte Geppert. So sei Adenauer stets ein Pragmatiker und Realist gewesen, Erhard hingegen sei stets ideengeleitet gewesen.
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass viele Fragen der Wirtschaftspolitik, wie die Bedeutung der Fiskal- und Geldpolitik oder die Steuerung in Zeiten der Hochkonjunktur heute aktueller denn je sind.
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