Die 17- und 18-jährigen Jugendlichen stehen, nur wenige Monate vor der Abiturprüfung, vor dem Nichts. Am Ende sieht die Mehrzahl der Klassenkameradensehen sie keine andere Möglichkeit, als in den Westen zu flüchten.
Das historische Filmdrama „Das schweigende Klassenzimmer“ beruht auf einer wahren Begebenheit. Als Drehbuchvorlage diente das gleichnamige Buch von Dietrich Garstka, der 1956 kurz vor Weihnachten als erster über West-Berlin in den Westen floh. Noch vor dem Kinostart wurde der Film im Rahmen der Zeithistorischen Filmreihe der Abteilung Zeitgeschichte der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit Studiocanal im Kino Cinestar in der Kulturbrauerei in Berlin aufgeführt. Rund 150 Gäste waren der Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung gefolgt. Zum anschließenden obligatorischen Nachgespräch begrüßte Dr. Michael Borchard, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/ Archiv für Christlich-Demokratische Politik, den Zeitzeugen Karsten Köhler, der die Ereignisse 1956 als Klassensprecher miterlebt hat, sowie Regisseur Lars Kraume und Hauptdarsteller Tom Gramenz.
Dass ihre Aktion so drastische Folgen haben würde – damit hätten sie nicht gerechnet, berichtet Köhler. Nachdem es auf die Schweigeminute zunächst keine Reaktionen gegeben hatte, erschien einige Zeit später DDR-Volksbildungsminister Fritz Lange in der Klasse und stellte ihr ein Ultimatum: Binnen einer Woche sollte der Rädelsführer benannt werden – ansonsten würde die gesamte Klasse vom Abitur ausgeschlossen. „Wir haben bis zuletzt geglaubt, dass wir schon irgendwie davonkommen würden“, erklärte Köhler. Tatsächlich gab es gar keinen einzelnen Rädelsführer. Die Idee, eine Schweigeminute in Gedenken an die Opfer des Volksaufstandes zu begehen, hatten sie im verbotenen „Feindsender“ RIAS gehört. Obwohl sie in den folgenden Tagen massiv unter Druck gesetzt und von SED-Funktionären gegeneinander ausgespielt wurden, hielt die Klasse zusammen. Am 21. Dezember wurde ihnen dann mitgeteilt: Sie würden in der gesamten DDR kein Abitur ablegen. Die Klasse wurde umgehend aufgelöst.
„Es ist eine Geschichte über Solidarität, Zusammenhalt und Freiheit“, erklärt Regisseur Lars Kraume, der bereits mit dem historischen Drama „Der Staat gegen Fritz Bauer“ 2016 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet worden war. Als er vor einigen Jahren Garstkas Buch in die Hände bekommen hatte, sei ihm sofort klar gewesen, dass es sich dabei um einen großartigen Filmstoff und eine bewegende Geschichte handle. „Es ist eine wahre Geschichte – die inspiriert natürlich mehr, als wenn Spiderman die Welt rettet“, so der vielfach preisgekrönte Regisseur. Gerade die 50er Jahre faszinieren ihn, die Transformationsprozesse in den beiden deutschen Staaten. Wichtig sei ihm bei dem Film gewesen, kein schwarz-weiß-Bild von der DDR zu zeichnen, sondern die Komplexität und Vielschichtigkeit, wie die Menschen mit der Vergangenheit umgegangen sind und die Nachkriegszeit erlebt und gestaltet hätten. Es habe Menschen gegeben, die mit der DDR tatsächlich die Vision einer neuen Gesellschaft verbunden haben, nur dass gerade auch diese Geschichte zeige, wie sehr sich diese Vision dann dekonstruiert hätte.
Eine besondere Erfahrung war der Dreh für Hauptdarsteller Tom Gramenz, der – 1991 in Wiesbaden geboren – einen der Schüler spielte: „Natürlich hatte ich keinerlei emotionalen Bezug zu der Geschichte und kannte nur die Fakten, wie man sie in der Schule lernt.“ In der Vorbereitung hätten sie aber viel über die Geschichte geredet und versucht, sich in das Lebensgefühl der damaligen Zeit und in der Diktatur hineinzuversetzen. „Wir haben auch Filme geschaut, zum Beispiel Die Halbstarken, und auch die Kostüme haben geholfen, sich in die Rollen einzufinden.“ Am Ende, berichtet Gramenz, sei aus der fiktiven Schauspieler-Klasse sogar eine richtige Gemeinschaft entstanden. Besonders unter die Haut gegangen seien ihm beim Drehen des Films die Gespräche mit den Eltern. Ob er selbst damals so viel Mut und Zivilcourage aufgebracht hätte wie die Klasse, könne er nicht sagen. „Ich hoffe es aber.“
Während der Film mit der Flucht der Schüler nach West-Berlin endet, berichtet Garstka in seinem Buch auch, wie ihr Leben im Westen weiterging. Von den 20 Schülern waren 16 nach West-Berlin geflüchtet. Gemeinsam wurden sie im Januar 1957 nach Frankfurt ausgeflogen und konnten ein Jahr später am Aufbaugymnasium in Bensheim ihr Abitur machen. Von ihren Familien waren sie viele Jahre getrennt. „Es war hart – besonders die Trennung von den Eltern, nicht wissend, ob man sich wiedersehen wird“, erinnert sich auch Zeitzeuge Köhler sichtlich bewegt. Erst mit dem Grundlagenvertrag, den die Bundesrepublik mit der DDR 1972 geschlossen hatte, wurden sie als Republikflüchtige amnestiert und konnten ihre Familien in der DDR besuchen und wiedersehen.
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