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Länderberichte

Usbekistans Reformagenda für 2020

Nach den Parlamentswahlen am 22. Dezember 2019 und der Konstituierung des neu gewählten Parlaments sprach Präsident Schawkat Mirsijojew am 24. Januar vor beiden Kammern des Parlaments über die Schwerpunkte seiner Politik in diesem Jahr. Die Rede selbst fand allerdings nicht im Parlament statt, sondern in einer neu gebauten Kongresshalle in Tashkent, welche 2019 fertiggestellt wurde und sinnbildlich für das moderne, neue Usbekistan steht. Die Botschaft des Präsidenten an die Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft, die er auch mit der Wahl des Veranstaltungsortes zum Ausdruck bringen wollte, ist deutlich: Usbekistan befindet sich auf einem unumkehrbaren Weg der Reformen, der Modernisierung und Öffnung.

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Diesen Anspruch unterstreicht auch die Aussage zu Beginn der Rede des Präsidenten: „Ich möchte mich an die Abgeordneten und Senatoren und in ihrer Person an das ganze Volk Usbekistans wenden: Demokratische Reformen sind der einzig richtige Weg für uns“. Zweifelsohne richtetet sich diese deutliche Aussage vor allem auch an die politischen Kräfte und Strukturen im Land, die wenig Interesse an umfassenden Reformen haben und vielmehr an der Erhaltung des früheren Systems interessiert sind.

Ebenso bedeutsam war allerdings, dass Präsident Mirsijojew in seiner Rede auch die mit den gesellschaftlichen und politischen Umwandlungen im Land verbundenen Herausforderungen ausdrücklich hervorhob. Als Grundtenor in der gesamten Ansprache können folgende Worte des Präsidenten betrachtet werden: „Unser Volk muss gut verstehen: wir haben einen langen und schwierigen Weg vor uns“.

Damit hebt Präsident Mirsijojew hervor, dass der Transformationsprozess trotz allgemeiner öffentlicher Zustimmung Herausforderungen mit sich bringt, die auch mit erheblichen Zumutungen an die Bevölkerung verbunden sind und sein werden. Zu den vom Präsidenten angesprochenen zentralen politischen Handlungsfeldern gehören die Bekämpfung der zunehmenden sozialen Verwerfungen im Land, die erheblichen Mängel im Bildungssystem, die Ineffizienz von Teilen der öffentlichen Verwaltung und die Korruption.

Auch wenn die bisherigen Reformen in Usbekistan bereits Änderungen im Selbstverständnis der Behörden bewirken, fällt es einigen staatlichen Stellen dennoch schwer, sich von kompletter Kontrolle zu verabschieden. Medien berichten regelmäßig über Fälle der Missachtung von Rechten und Freiheiten von Unternehmern durch staatliche Stellen, die dann rege öffentliche Diskussionen, hauptsächlich in den sozialen Medien, auslösen. Präsident Mirsijojew kritisiert diese Fälle öffentlich und versucht auch einen Generationenwechsel in der öffentlichen Verwaltung zu erreichen. Die wirtschaftliche Öffnung und Liberalisierung des Landes wird in der Bevölkerung zwar insgesamt positiv bewertet, aufgrund sozialer Verwerfungen aber auch kritisch gesehen. In der derzeitigen Etappe der Reformen ist es daher wichtig, breite Bevölkerungsschichten mit einzubeziehen und eine entsprechende politische Kultur in der Gesellschaft zu verankern.

 

Prioritäten für 2020 im Detail

Wissenschaft, Bildung, Digitalisierung

Um das Bildungssystem fit für die Anforderungen der Globalisierung und des Zeitalters der Digitalisierung zu machen, soll ein ambitioniertes Reformprogramm umgesetzt werden, welches das umfangreichste Programm in diesem Bereich seit der Unabhängigkeit des Landes ist. Es sieht vor, mindestens 60 Prozent aller Kinder eine Vorschulbildung zu ermöglichen, den Bau neuer Schulen, auch privater Schulen, auszuweiten, die Fortbildung von Lehrkräften und ihre Vergütung zu verbessern und das Berufsausbildungssystem zu reorganisieren. Zudem wird angestrebt, dass künftig 50 bis 60 Prozent eines Abiturjahrgangs ein Hochschulstudium unabhängig von ihrer finanziellen Situation beginnen können. Dafür sollen die Anzahl der staatlich geförderten Studienplätze an Universitäten verdoppelt sowie weitere Fördermittel für Studienberechtigte bereitgestellt werden. Einige Hochschulen streben zudem eine Eigenfinanzierung an und ein Teil der Hochschulen hofft auf eine enge Kooperation mit ausländischen Universitäten.

Auch im Digitalbereich ist eine umfassende Modernisierung geplant. In den Bereichen Bauwesen, Energie, Land- und Wasserwirtschaft, Verkehr, Geologie, Gesundheit, Bildung, und öffentliches Archivwesen wird eine komplette Digitalisierung angestrebt und dafür das Programm «Digitales Usbekistan – 2030» ausgearbeitet.

 

Wirtschaft

Usbekistans wirtschaftliche Führungsrolle in der Region soll wieder erreicht werden. Die Schwerpunkte der Wirtschaftspolitik sind daher auf makroökonomische Stabilität, Inflationsbekämpfung, Demonopolisierung in allen Wirtschaftsbranchen, Abschaffung der staatlichen Preisregulierung und der Bekämpfung der «Schattenwirtschaft» sowie auf eine offensive Investitionspolitik mit besonderem Fokus auf ausländische Direktinvestitionen und Kredite ausgerichtet.

Auch Maßnahmen zur grundlegenden Reform des gesamten Außenhandels sind vorgesehen. Dafür soll ein Konzept für die Regulierung der Außenwirtschaftstätigkeit vorbereitet werden. Eine wichtige Priorität der wirtschaftlichen Entwicklung bleibt die Tourismusindustrie.

Sie soll zu einem strategischen Wirtschaftszweig ausgebaut werden. Auch auf dem Kapitalmarkt sind weitere Liberalisierungen vorgesehen. Im Bankwesen soll der Fokus künftig auf die Erhöhung der Kapitalbasis und auf die Erwirtschaftung von Renditen liegen. Dazu sollen staatliche Banken schrittweise privatisiert werden.

 

Agrarsektor

Das Hauptziel von Reformen im Agrarsektor besteht darin, zum marktwirtschaftlichen Beschaffungssystem von Baumwolle und Getreide überzugehen und damit die bisherige Praxis, diese Kulturen im Staatsauftrag anzubauen, abzuschaffen.

 

Sozialpolitik

Der Präsident hat in seiner Rede erstmals öffentlich Armut als Schlüsselproblem im sozialen Bereich erwähnt. Ziel des neuen Parlaments und der Regierung müsse daher deren wirksame Bekämpfung sein. Vorgesehen ist, mit Hilfe internationaler Experten ein Programm zur Armutsreduzierung zu entwickeln. Unter anderem ist die reale Erhöhung von Gehältern, Renten, Stipendien und sonstiger soziale Leistungen vorgesehen. Die Beantragung von Sozialleistungen soll entbürokratisiert und damit vereinfacht werden. Unter anderem ist künftig eine obligatorische Krankenversicherung für alle Staatsbürger vorgesehen.

 

Öffentliche Verwaltung

Neben der Zielrichtung der Stärkung der Effizienz liegt der Schwerpunkt in einer systematischen Bekämpfung und Vorbeugung der nach wie vor verbreiteten Korruption. Dazu ist die Gründung einer Antikorruptionsbehörde vorgesehen, die gegenüber dem Parlament und dem Präsidenten rechenschaftspflichtig sein wird.

 

Rechtstaatlichkeit

Zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit sind die Erarbeitung und Verabschiedung neuer Zivil-, Straf-, Strafvollzugs- und Verwaltungsgesetzbücher vorgesehen. Auch die Binnenmigration soll liberalisiert werden, um die freie Wahl des Wohnortes zu gewährleisten. Nach derzeit geltendem Recht ist ein Umzug für usbekische Staatsbürger innerhalb des Landes nur mit erheblichen bürokratischem Aufwand und behördlicher Genehmigung möglich.

 

Außenpolitik

Die strategische Partnerschaft mit den Ländern Zentralasiens hat hier oberste Priorität.
Weitere Schwerpunkte sind die Entwicklung der Beziehungen zu Russland, China, den USA, Japan, Südkorea, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten und den Staaten der Europäischen Union. Bezüglich einer Mitgliedschaft Usbekistan in der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) gibt es noch keine abschließende Entscheidung. Präsident Mirsijojew wies das Ministerkabinett an, eine umfassende Analyse und Bewertung dieser Frage durchführen und beiden Kammern des Parlaments entsprechende Schlussfolgerungen und Vorschläge vorzulegen.

 

Bewertung

Mit der inhaltlichen Schwerpunktsetzung seiner Rede unterstrich Präsident Mirsijojew seinen unbedingten Willen zur weiteren Modernisierung und Reformierung des Landes. Die durch ihn im Rahmen einer ambitionierten Entwicklungsstrategie eingeleiteten wirtschaftlichen, innen- und außenpolitischen Reformen entfalten zunehmend ihre Wirkung. Vor allem auch die Schritte zur Liberalisierung der Medien und der Gewährleistung von Meinungsfreiheit sind beispiellos in der Geschichte des Landes. Die Medien beginnen auch, zwar mit Vorsicht und einer bestimmten Selbstzensur, davon Gebrauch zu machen. Doch ist bereits ein kritischer Ansatz in der Arbeit von Journalisten zu spüren.

Offiziell wurde ein Kampf gegen die Korruption verkündet. Durch die Schaffung von mehr als zwanzig freien Wirtschaftszonen und wirtschaftliche Reformen soll das Land für ausländische Investoren attraktiver gemacht werden. Auf diesem Weg ist die freie Konvertierung der usbekischen Währung, die 2017 eingeführt wurde, von großer Bedeutung. Auch die am 22. Dezember 2019 stattgefundenen Parlamentswahlen können klar als frei im Vergleich zu früheren Wahlen bewertet werden. Die Bemühungen, die Rolle des Parlaments und der politischen Parteien zu stärken, sind positiv einzuschätzen. Besonders beachtenswert ist die aktive Einbeziehung der Medien in den gesamten Reformprozess. Der unter Präsident Mirsijojew eingeschlagene Weg stimmt hoffnungsvoll und ist nicht nur für Usbekistan selbst eine große Chance, sondern auch für die Entwicklung der gesamten zentralasiatischen Region.

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Kontakt

André Algermißen

Algermissen, Andre

Leiter des Regionalprogramms Zentralasien

andre.algermissen@kas.de +998 71 215 52 01

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