Die Regierung hatte auf die erste Infektionswelle im März 2020 schnell reagiert, einen landesweiten Shutdown angeordnet und diesen durch zahlreiche wirtschaftspolitische Unterstützungsmaßnahmen abgefedert, wobei es auch in Bulgarien immer wieder zu Klagen kam, dass diese nicht ausreichend seien sowie ihre Empfänger nicht oder nicht rechtzeitig erreichen würden. Mitte Mai 2020 konnten zahlreiche Beschränkungen des öffentlichen Lebens aufgehoben werden, aber im Herbst stieg die Zahl der Infektionen rasant, und Ende November wurden erneut einige Geschäfte sowie alle Restaurants, Bars, Fitnesscenter, Kinos und Theater geschlossen. Diese Maßnahmen zeigten Wirkung, waren aber trotzdem unpopulär, und so öffnete die Regierung zum 1. Februar wieder die Shoppingmalls, andere Geschäfte, Fitnesscenter und Kinos, wenn auch mit Auflagen, Ende Februar folgte die Gastronomie. Doch die Lockerungen führten zu einem starken Anstieg der Zahl der Infektionen und mussten am 22. März zurückgenommen werden, zunächst für zwei Wochen, doch angesichts der sich zuspitzenden Lage rechnen wenige damit, dass Lockerungen schnell erfolgen können. Tatsächlich steht das Gesundheitssystem des Landes derzeit vor seiner bisher größten Herausforderung. Natürlich ist noch nicht absehbar, welche wirtschaftlichen Folgen die Coronakrise letztlich haben wird, 2020 verzeichnete Bulgarien nach den Zahlen des Nationalen Statistischen Instituts einen Rückgang des BIP um 4,2 % (Prognose der EU-Kommission 4,9 %), die Arbeitslosenzahl lag im vierten Quartal moderat bei 5,3 % (im letzten Quartal 2019 noch 4,2 %), die Verschuldung des Landes im Verhältnis zum BIP betrug im vierten Quartal 2020 20,3 % und war damit beneidenswert niedrig, bis Ende 2021 wird allerdings ein Anstieg auf 25,6 % erwartet.
Nicht übersehen werden darf, dass die Amtsperiode der Regierung auch von mehreren Skandalen und Affären überschattet war, etliche Minister mussten zurücktreten, und im Sommer und Herbst des Jahres 2020 gingen täglich viele Tausend Menschen auf die Straße, um gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeit zu demonstrieren. Die nationalistischen Parteien zerstritten sich, und die Partei Ataka schied aus dem Bündnis aus, trotzdem blieb die Regierung stabil und geriet im Parlament nicht in ernsthafte Bedrängnis.
Unter den Bedingungen der Coronakrise ist ein normaler Wahlkampf nicht möglich, es finden keine Kundgebungen statt, die Auseinandersetzungen werden vorwiegend im Internet, der Presse und in den elektronischen Medien abgehalten. Alle Parteien haben mehr oder weniger plakative Wahlkampfaussagen veröffentlicht, aber eine breite öffentlich Debatte darüber findet nicht statt, die Pandemie überlagert alle anderen Themen.
Im März veröffentlichten vier Meinungsforschungsinstitute die Ergebnisse von Wählerbefragungen, die ein relativ stabiles Bild ergeben.
Danach kann GERB mit seinem Bündnispartner „Union Demokratischer Kräfte“ (SDS, EVP-Mitglied) unter Führung von Ministerpräsident Bojko Borissow erneut damit rechnen, stärkste Partei zu werden, die Institute prognostizieren einen Stimmenanteil zwischen 27,5 % und 30.7%. Bei der letzen Parlamentswahl 2017 verzeichnete GERB 32.7 %, wird also voraussichtlich Verluste einfahren, aber im Vergleich zu den überaus schlechten Umfrageergebnissen für die Partei im Verlauf der Demonstrationen werden diese wohl nicht dramatisch ausfallen. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass viele Wähler in den übrigen Parteien keine wirkliche Alternative zu erkennen vermögen, zudem war Ministerpräsident Borissow unermüdlich im Land unterwegs und hat um Vertrauen geworben. GERB hat als Wahlkampfthemen eine Verfassungsreform im Justizsektor benannt, Investitionen in Infrastruktur, das Bildungs- und Gesundheitswesen, lehnt Steuererhöhungen ab und verspricht Wirtschaftswachstum und Einkommenssteigerungen. Durch eine auch im Wahlkampf harte Haltung in der Frage der Zustimmung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zur EU durch Nordmazedonien hat GERB den Nationalisten wenig Spielraum gegeben.
Zweitstärkste Partei dürfte erneut die BSP (Bulgarische Sozialistische Partei) werden, der zwischen 23,2% und 23,9 % vorausgesagt werden, 2017 erzielte sie noch 27,2 %. Die Partei unter Führung von Kornelia Ninowa kann damit nicht von der Unzufriedenheit von Teilen der Bevölkerung profitieren, es ist ihr nicht gelungen, sich neue Wählerschichten zu erschließen. Dies liegt gewiss nicht nur daran, dass die Partei als zerstritten wahrgenommen wird, für viele Bulgaren ist sie angesichts ihrer kommunistischen Vergangenheit, von der sie sich nie entschieden distanziert hat, zudem schlicht nicht wählbar. Die BSP spricht sich für ein „neues Wirtschaftsmodell“ aus, in dem der Staat als „Eigentümer und Regulator“ auftritt und damit den „30-jährigen Neoliberalismus“ beendet, kleine und mittlere Unternehmen, Reindustrialisierung und heimische Produktion fördert. Ein progressives Steuersystem soll eingeführt und sozial schwache Gruppen sollen gefördert werden, der Rechtsstaat soll gestärkt werden.
Offen ist, welche Partei den dritten Platz erreichen wird. Nach den jüngsten Umfragen hat die Partei „Es gibt so ein Volk“, die Nase hauchdünn vorn, sie wird von dem langjährigen Fernsehmoderator und -entertainer Stanislaw Trifonow, bekannt als Slawi Trifonow, geführt, ihr werden zwischen 11,9 % und 13,3 % der Stimmen vorhergesagt. Diese Partei ist eine Neugründung, Slawi Trifonow hat die politische Bühne erst im vergangenen Jahr betreten und sich in den vergangenen Wochen standhaft geweigert, in Interviews über die Forderungen seiner Partei Auskunft zu geben. Im Internet fordert „Es gibt so ein Volk“, Bulgarien müsse ein freies Land werden, in dem die Bürger entscheiden und die Politiker ausführen, sozial Schwache sollen kostenlose Medikamente, Essensmarken und Energie für ihre Wohnungen erhalten, Familien mit Kindern sollen Steuererleichterungen gewährt werden, der Generalstaatsanwalt soll direkt vom Volk gewählt werden. Die Partei zieht in erster Linie „Protestwähler“ an, für deren Wahlentscheidung die inhaltlichen Aussagen der Partei nicht ausschlaggebend sein dürften.
Knapp dahinter folgt die DPS („Bewegung für Rechte und Freiheiten“, Mitglied von „Renew“), inoffiziell die Partei der türkischen Minderheit, sie dürfte zwischen 11,5 % und 12,5 % der Stimmen erzielen und damit einen Zuwachs gegenüber den 2017 verzeichneten, damals erhielt die Partei 9 % der Stimmen. Starker Mann dieser Partei ist deren Ehrenvorsitzender Ahmed Dogan, von dem im Sommer 2020 bekannt wurde, dass dessen Sommerresidenz einen Strandabschnitt am Schwarzen Meer umfasst, was nach bulgarischem Recht unzulässig ist, dies war einer der Auslöser der landesweiten Proteste, die 2020 stattfanden. Der DPS scheint dies aber kaum geschadet zu haben, sie kann sich weiterhin insbesondere auf die Stimmen der türkischen Minderheit fest verlassen.
Ebenfalls ins Parlament einziehen dürfte das Wahlbündnis „Demokratisches Bulgarien“, das aus drei Parteien besteht: „Demokraten für ein starkes Bulgarien“ (EVP-Mitglied) unter Führung von Atanas Atanassow, „Ja, Bulgarien“ unter dem Vorsitz von Hristo Iwanow, ehemals Justizminister in einer GERB-geführten Regierung, der aber 2020 bei den gegen die Regierung gerichteten Protesten eine führende Rolle spielte sowie den bulgarischen Grünen. 5,6 % bis 6,5 % der Stimmen werden dem Bündnis vorhergesagt, bisher ist keine der drei Parteien im Parlament vertreten. Das Wahlbündnis spricht sich aus für einen „Neustart“ der Rechtsordnung und des Rechtsstaats, für Verfassungsänderungen, eine radikale Modernisierung, freie Medien, hohe Lebensqualität, drei Jahre Steuerfreiheit für alle Startups im Hochtechnologiebereich, Verbesserung des Geschäftsklimas, Senkung der Einkommenssteuer im Niedriglohnsektor.
Gute Chancen, ins Parlament einzuziehen, hat auch eine neue politische Formation, die unter dem Namen „Aufstehen! Fratzen raus!“ antritt. Sie wird angeführt von Maja Manolowa, aber auch die EVP-Partei „Bulgarien der Bürger“ (DBG) gehört ihr an. Maja Manolowa war Parlamentsabgeordnete für die BSP, trat aber später aus dieser Partei aus, von 2015 bis 2019 war sie Ombudsfrau und erlangte in dieser Funktion zusätzliche landesweite Bekanntheit, 2019 kandidierte sie für das Amt der Oberbürgermeisterin der Stadt Sofia, unterlag aber der Amtsinhaberin Jordanka Fandakowa (GERB). Das Wahlbündnis spricht sich aus für die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen, Einkommenssteigerungen sowie besondere Zuschüsse bei der Geburt von Kindern in der Familie.
Aussichten, erneut im Parlament vertreten zu sein, hat auch die nationalistische WMRO unter Führung von Verteidigungsminister Krassimir Karakatschanow, die nach jüngsten Umfragen bei 4,7 % liegt. Die Partei verspricht Rentenerhöhungen, Einkommenssteigerungen, einen Ausbau der Atomenergie, eine Revision des „Green Deal“, will keine Kompromisse bei Geschichtsdeutung und im Sprachenstreit gegenüber Nordmazedonien, verlangt Maßnahmen gegen die „Zigeunerisierung“.
Bisher gehörten dem Parlament auch die nationalistische Partei NFSB unter Führung von Waleri Simeonow an und die populistische Partei „Wolja“ („Wille“, geführt von dem Unternehmer Wesselin Mareschki, die sich jetzt zu einem Wahlbündnis zusammengeschlossen haben, das den Umfragen zufolge aber die 4% - Hürde nicht überspringen und damit nicht ins Parlament einziehen dürfte. Ein Wahlprogramm hat dieses Bündnis bisher nicht vorgelegt. Gleiches gilt für die Partei „Republikaner für Bulgarien“ unter Führung des ehemaligen Innenministers und GERB-Fraktionsvorsitzenden Zwetan Zwetanow. Diese Partei gibt sich besonders pro-westlich, transatlantisch und NATO-freundlich.
Auswirkungen auf das Wahlergebnis dürfte auch die Wahlbeteiligung haben, sie wird gegenwärtig auf lediglich 43 - 45 % geschätzt, ist aber ein Unsicherheitsfaktor. Die Wählerinnen und Wähler von GERB und DPS gelten als diszipliniert, beide Parteien dürften von einer niedrigen Wahlbeteiligung profitieren, die BSP hingegen hat ihre Stammwählerschaft vorwiegend bei älteren Menschen, die bei einer Verschärfung der Corona-Situation Angst davor haben könnten, ein Wahllokal aufzusuchen. Andererseits können Bürgerinnen und Bürger, die unter Quarantäne stehen oder mittels einen Behindertenausweises oder eines ärztlichen Attestes nachweisen, dass sie aufgrund eingeschränkter Mobilität nicht in der Lage sind, ein Wahllokal aufzusuchen, einen mobilen Wahlvorstand anfordern, Briefwahl ist hingegen in Bulgarien nicht zugelassen. Zum ersten Mal wird es in 9,360 der ca. 11,900 Wahllokale die Möglichkeit geben, die Stimme an Wahlautomaten abzugeben, diese Möglichkeit wurde geschaffen, um einem möglichen Stimmenkauf entgegenzuwirken. Auslandsbulgaren können ihre Stimme in 467 Auslandswahllokalen in 69 Staaten abgeben, in dieser Wählergruppe hatte GERB bisher einen eher schwachen Rückhalt. Im Verhältnis zum Gesamtergebnis der Partei ist der Anteil der Stimmen aus dem Ausland bei den „Demokraten für ein starkes Bulgarien“ (DSB) und „Ja, Bulgarien“ bei Wahlen in der Vergangenheit traditionell am höchsten unter allen Parteien gewesen. Die Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS) kann mit Stimmen von türkischstämmigen bulgarischen Aussiedlern in der Türkei rechnen. Die Sozialisten hingegen können im Ausland kaum punkten.
Die Regierungsbildung wird schwierig. Nach der Verfassung muss Staatspräsident Rumen Radew nach der Wahl und „nach Konsultation mit den Parlamentsfraktionen“ der Partei, die die meisten Sitze im Parlament hat, den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen, die dafür sieben Tage Zeit hat. Dieser Auftrag dürfte daher an GERB gehen, aber diese Partei wird vermutlich Schwierigkeiten haben, Koalitionspartner zu finden. Die DPS wäre grundsätzlich wohl bündnisbereit, sie ist jedoch bei den ethnischen Bulgaren überaus unbeliebt, und wer mit ihr paktiert, riskiert Sympathieverluste bei den eigenen Wählern und damit Einbußen bei der darauffolgenden Wahl. Auch die WMRO würde wohl weiter mit GERB zusammenarbeiten wollen, wird aber allein einer GERB-geführten Regierung nicht zur Mehrheit verhelfen können. Alle anderen Parteien wollen nicht mit GERB koalieren.
Sollte es GERB nicht gelingen, eine Regierung zu bilden, so würde der Auftrag an die BSP gehen, die dafür wiederum sieben Tage Zeit hätte. Aber auch die BSP würde es nicht einfach haben, Koalitionspartner zu finden.
Im Falle ihres Scheiterns würde der Auftrag innerhalb von sieben Tagen einer der kleineren Fraktionen im Parlament erteilt werden, der Präsident kann frei entscheiden, welche er damit betraut. Erfahrungsgemäß kommt in einer solchen „dritten Runde“ Bewegung ins Spiel, und Parteien, die bisher bestimmte Koalitionen ausgeschlossen haben, zeigen sich plötzlich aufgeschlossener. Die mit der Regierungsbildung beauftragte kleine Fraktion kann auch eine Politikerin oder einen Politiker einer größeren Partei oder eine „Expertin“ bzw. einen „Experten“ für das Amt des Regierungschefs vorschlagen, und sie steht bei den Verhandlungen auch nicht unter Zeitdruck.
Ein dem Staatspräsidenten vorgeschlagener Regierungschef muss sich ebenso wie die vorgeschlagenen Ministerinnen bzw. Minister im Parlament einer Vertrauensabstimmung stellen. Scheitert sie, so ernennt der Staatspräsident eine Übergangsregierung und es wird eine Neuwahl des Parlaments innerhalb von zwei Monaten anberaumt. Das gleiche gilt, wenn es gar nicht erst dazu kommt, dass dem Staatspräsidenten eine Regierung vorgeschlagen wird.
Was wünschen sich die Wählerinnen und Wähler?
Einer Umfrage zufolge wollen 29,3 % eine Koalition ohne GERB und BSP, 23,5 % eine Mitte-Rechts-Koalition unter Führung von GERB, 20,2 % eine Mitte-Links-Koalition unter Führung der BSP, 4,2 % eine Große Koalition von GERB und BSP, 22,7 % haben keine Meinung.
Bulgarien steht vor schwierigen Wochen.
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