Die deutsche Sicherheitspolitik muss an neue Realitäten angepasst werden
Wir befinden uns inmitten einer „außenpolitischen Revolution“, stellte Botschafter und KAS-Fellow Christoph Heusgen gleich zu Beginn seiner Rede klar. In diesem Zusammenhang beschrieb er die zukünftige Rolle Deutschlands. Einerseits habe man „großes Vertrauen“ in Deutschland, andererseits auch „große Erwartungen“, man erhoffe sich ein „Vorangehen“ statt „Mitgehen“. Ebenfalls stellte der Botschafter klar, dass die Umsetzung der Entscheidungen, die Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner „Zeitenwende“-Rede genannt hatte, nicht ausreichen werden im Hinblick auf die Anpassungen unserer Außen- und Sicherheitspolitik.
In seiner Rede stellte Heusgen verschiedene offene Fragen zu unterschiedlichen Themenfeldern, die zur Diskussion anregen sollten. Themenfelder waren hier die Unterstützung der NATO durch die USA und eine faire Lastenteilung, mittel- und langfristige Strategien für den Umgang mit Moskau, neue Abstufungen für EU-Mitgliedschaften, die Bedeutung militärischer Gewalt sowie die Prüfung von Abhängigkeiten (Energie, medizinische Produkte, etc.) und die Wichtigkeit der Bemühung um Mehrheiten für eine regelbasierte globale Ordnung und die globale Herrschaft des Rechts (Rule of Law).
Ruf nach strategischer Souveränität Europas
Deutsch-französische Achse als Motor für eine starke EU
Im anschließenden Gespräch diskutierte die französische Botschafterin in Deutschland, I.E. Anne-Marie Descôtes, der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Dr. Johann Wadephul, MdB, sowie Botschafter Dr. Christoph Heusgen, moderiert durch unseren Vorsitzenden Prof. Dr. Norbert Lammert über die Bedeutung des deutsch-französischen Motors bei der Stärkung europäischer Handlungsfähigkeit.
Enquete-Kommission zur Russland-Politik der letzten Jahre
Lammert ging anfangs ein auf die immer lauter werdenden Rufe nach einer Auseinandersetzung mit der Russland-Politik der vergangenen Jahre. In diesem Zusammenhang sprach sich Wadephul für die Einberufung einer Enquete-Kommission im Bundestag aus, um die Fragen zur Russland-Politik in den letzten Jahren aufzuarbeiten und Lehren für die Zukunft zu ziehen.
NATO-Mitgliedschaft der Ukraine bereits 2008 überfällig gewesen?
Ebenfalls wurde diskutiert, ob es nicht 2008 bereits nötig gewesen wäre, der Ukraine die NATO-Mitgliedschaft zu eröffnen. Gescheitert sei das damals an Deutschland und Frankreich. Christoph Heusgen sowie Anne-Marie Descôtes betonten jedoch, dass die Entscheidung damals richtig war; nicht zuletzt, weil sich seinerzeit eine Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung gegen einen Beitritt aussprach.
Ein strategischer Kompass für mehr Sicherheit und Verteidigung
Botschafterin Descôtes verwies zudem auf den „Strategischen Kompass“; dieser beschreibe die gemeinsamen strategischen Ziele der EU in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung und definiere, was die EU im Bereich Sicherheit und Verteidigung mit ihrem zivilen und militärischen Krisenmanagement leisten kann und soll. Auf Grundlage dieser klaren gemeinsamen Ziele könne die EU in Zukunft schneller reagieren.
„Ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten“
Lammert sprach auch die jüngsten Vorschläge des französischen Präsidenten an, nämlich die Schaffung einer erweiterten „europäischen politischen Gemeinschaft“, um Länder wie die Ukraine und weitere Staaten in einem neuen Konstrukt aufzunehmen, da ein regulärer EU-Beitritt Jahrzehnte dauern könne. Auch Wadephul begrüßte den Vorschlag von Macron und betonte, man brauche eine grundlegende Reform des Aufnahmeprozesses, des Aufnahmeverfahrens und des Assoziierungsverfahrens, um weiterzukommen.
Nukleare Komponenten der Sicherheitsarchitektur
Der Krieg in der Ukraine hat in der EU eine scharfe Aufrüstungsdebatte in Gang gesetzt. Wladimir Putin spricht offen von einer nuklearen Eskalation und immer mehr Stimmen in Deutschland werben für eine Aufrüstung mit Atomwaffen. Heusgen, der auch Chef der Münchner Sicherheitskonferenz ist, betonte, dass man mit Frankreich in den Dialog treten solle, um zu besprechen, ob und wie die Europäer gemeinsam zur nuklearen Abschreckung gegen Russland beitragen können und verwies darauf, dass man von einer strategischen Souveränität in Europa noch sehr weit entfernt sei.
Europas Rolle nach dem Krieg gegen die Ukraine
Russlands Überfall auf die Ukraine war auch das bestimmende Thema des Panels zur europäischen Rolle in Zeiten globaler Machtverschiebungen. Konteradmiral Jürgen Ehle, Senior Military Advisor des Managing Director for CSDP and Crisis Response im Europäischen Auswärtigen Dienst, ging zu Beginn auf den Strategischen Kompass ein, der grundlegende Weichen für die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU stellt. Der Generalsekretär des Europäischen Parlamentes, Klaus Welle, zeichnete noch einmal das Weltbild Putins nach, das die russische Politik präge und zum völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine geführt habe. „Unsere Freiheit wird jetzt entschieden – in der Ukraine“, stellte Welle fest und forderte eine geschlossene, entschiedene Reaktion der freien, demokratischen Staaten Europas.
Auch Marieluise Beck, Direktorin Ostmitteleuropa/Osteuropa vom Zentrum Liberale Moderne, und die Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Patricia Lips, pflichteten dieser Schlussfolgerung bei. Lips forderte in diesem Zusammenhang, dass die angekündigte „Zeitenwende“ des Bundeskanzlers keine leere Worthülse bleiben dürfe. Deutschland müsse mehr für die eigene Verteidigungsfähigkeit tun und daher das geplante Sondervermögen auch nur für die Ausrüstung der Bundeswehr verwenden. Beck stellte fest, dass die zögerliche Reaktion der Bundesregierung auf den Krieg dazu geführt habe, dass die „Enttäuschung über Deutschland in der Ukraine groß ist“. Sie forderte deshalb, dass Deutschland seine historische Verpflichtung gegenüber der Ukraine nun wahrnehme und seinem Partner entschieden – und mit Demut – beisteht.
China und Russland haben eine enge Beziehung aufgebaut
Spätestens seit 2014 hat sich gezeigt, dass sich die Kooperation zwischen China und Russland stetig intensiviert hat. Auch die Absprachen zwischen beiden Hauptstädten im Vorfeld des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine verdeutlichen die zunehmend engere Beziehung.
Aufgrund dieser Entwicklungen warnte der Leiter Global Security am Center for Security Studies der ETH Zürich, Dr. Brain Carlson, dass die USA nicht fähig sein werden, China und Russland zeitgleich in Schach zu halten. Zwar habe China trotz des Ausbaus seiner militärischen Kräfte bisher noch kaum Möglichkeit gehabt, seine neuen Waffensysteme und sein militärisches Gerät im Gefecht zum Einsatz zu bringen, aber die Europäische Union müsse nun selbst handlungsfähiger werden und Stütze sein für eine Konfrontation mit Peking und Moskau.
Der Senior Associate Fellow bei der DGAP Heinrich Brauß sieht zunächst die Hauptaufgabe darin, den russischen Vormarsch in der Ukraine zu stoppen, denn sollte Putin die Ukraine gewinnen, dann wäre sie nur das erste Opfer, zeigte sich der General a. D. überzeugt.
Einen Schritt weiter ging Roderich Kiesewetter, Mitglied des Deutschen Bundestages, Obmann im Auswärtigen Ausschuss und Sprecher für Krisenprävention der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der zum Ausdruck brachte, dass bereits jetzt verhindert werden müsse, dass auf Putin ein noch größerer machtpolitischer Aggressor in Russland folge. Zugleich müsse man aber auch verhindern, dass China der „Hegemon Eurasiens“ wird. Kiesewetter nahm Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland als Motor der Europäischen Union in die Pflicht und forderte eine gemeinschaftliche strategische Ausrichtung für den Umgang mit beiden autokratischen Regimen.
Ein Schub für die transatlantische Partnerschaft
Nach der Mittagspause wurden auch die transatlantischen Beziehungen nach dem Angriff auf die Ukraine debattiert. Direkt zu Beginn des Panels stellte Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Bundestag, fest, dass die transatlantische Partnerschaft gestärkt aus der Krise hervorgegangen sei und insbesondere die Konsequenz der amerikanischen Reaktion, die im großen Stil wieder Truppen nach Europa verlegt und weitreichende Sanktionsmaßnahmen beschlossen hatten, positiv überrascht habe.
Der stellvertretende Stabschef des Multinationalen Korps Nord-Ost der NATO, Brigadegeneral Kay Brinkmann, ergänzte diesen Eindruck aus Sicht des vorwärtsstationierten Hauptquartiers. Er bekräftigte, dass die USA unabdingbar für die europäische Sicherheit seien, aber nicht für immer in Europa bleiben könnte, da sie sich auf Herausforderungen im Indo-Pazifik fokussieren werden. Daher müsse die kollektive Verteidigungsfähigkeit Europas gestärkt werden, um künftig weiter handlungsfähig zu bleiben.
Brigadegeneral a. D. Rainer Meyer zum Felde, Senior Fellow am Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel, vertrat eine ähnliche Sichtweise und wies auf den großen internationalen Druck auf Deutschland hin. Vor allem die transatlantischen Verbündeten drängten darauf, dass Deutschland endlich seine Verpflichtungen einhält. „Die USA wollen, dass wir agieren“, fasste Brinkmann zum Abschluss des Panels die amerikanischen Erwartungen an eine aktivere deutsche Sicherheitspolitik zusammen.
Keine Abschreckungsszenarien im Informationsraum
Russland versucht nicht erst seit Beginn des Krieges in der Ukraine das Narrativ der „russischen Spezial- und Befreiungsoperation“ zu verbreiten. Auch über die Grenzen Russlands hinaus findet dieses Narrativ Einfallstore in gesellschaftliche Diskurse.
Oberst Dr. Johann Schmid vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr sieht aber in der Abschottung des Informationsraumes gerade für Demokratien keine Lösung dafür, derartigen Narrativen oder Desinformationen Einhalt zu gebieten. Vielmehr erfordern diese hybriden Bedrohungen, bei der die Akteure auf „Multivektorangriffe“ setzen, um eine Übersättigung des Gegners zu erzeugen, eine Antwort auf politischer Ebene.
Dass es sich bei Desinformation um eine universelle, dauerhafte Bedrohung handele, die sich gegen die westliche Wertegemeinschaft richte, machte auch Oberst Dr. Ferdi Akaltin, Kommandeur des Zentrums Operative Kommunikation der Bundeswehr, klar. Um gegen diese Einwirkungen bestehen zu können, sehe er den Aufbau von Resilienz als gesamtstaatliche Aufgabe. Die Landesverteidigung können in dieser Hinsicht nur mit einem gesamtgesellschaftlichen Ansatz Erfolg haben.
Professorin Natascha Zowislo-Grünewald von der Universität der Bundeswehr München stellte klar, dass es bei dem Kampf der Narrative um vorherrschende Wertehaltungen gehe. Sie beobachtet, dass wir den Informationsraum nicht ernst genug nehmen. Darüber hinaus sieht die Professorin für Unternehmenskommunikation keinen strategischen Ansatz, den man verfolgt und dieser Bedrohung entgegenhalten kann. Zugleich gab sie an, dass wir die Waffen im Informationsraum nicht hinreichend nutzen, obwohl sie nicht tödlich seien und somit das Potenzial der Beherrschung dieser Einflüsse noch nicht gänzlich ausschöpfen.
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