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Das Europa der Staaten – Eine Geschichte von Integration und Partikularität

Bericht zum Livestream am 17. November 2020

Im Rahmen der deutschen EU-Präsidentschaft ist es der Konrad-Adenauer-Stiftung wichtig, auch darauf zu schauen, welche historischen Ursachen für manche Herausforderungen des europäischen Integrationsprozesses auszumachen sind. Diesen Blick nahm eine Vortragsveranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung in den Räumen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ein, die pandemiebedingt digital stattfand.

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In seiner Begrüßung ging Dr. Hans-Gert Pöttering, Präsident des Europäischen Parlaments a.D. und Europabeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung, auf die Pentarchie der Großmächte zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein, deren Wesenszug – mit Golo Mann gesprochen – die Feindschaft aller Großmächte untereinander gewesen sei. Der Versuch, mittels einer Politik des Gleichgewichts Kriege zu verhindern, sei gescheitert. Die Gründerväter der europäischen Einigung wie Konrad Adenauer, Alcide de Gasperi und Robert Schuman zogen die Konsequenzen aus Nationalismus und Krieg. Statt auf das Gleichgewicht der Mächte setzten sie auf den gemeinsamen Prozess der europäischen Integration mit dem Aufbau supranationaler Strukturen. Die Europäische Union sei eine Rechtsgemeinschaft, die sich auch bei den aktuellen Debatten über die Bewältigung der Pandemie und den EU-Haushalt bewähren müsse. „Das Recht“, so betonte Pöttering abschließend, „sichert den Frieden.“

Der Frühneuzeit-Historiker Dr. Leonhard Horowski lenkte in seinem Vortrag den Blick auf die europäische Staatenwelt zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert, die sich als Vergleichsfolie zur jüngeren Geschichte anböte. Im Gegensatz zu den gängigen Geschichtsmythen des 19./20. Jahrhunderts entwickelten sich die Nationen aus den Staaten heraus, nicht umgekehrt. Als europäische Besonderheit sei dabei der „dynastische Protostaat“ vorherrschend gewesen, der häufig über viele Generationen hinweg zu einem hohen Grad an Kontinuität und Stabilität des sich herausbildenden Staatensystems geführt habe. Erbmonarchien bildeten im Rückblick mit rund 86 Prozent ganz überwiegend die Grundlage für die heutigen Nationalstaaten in Europa. Andere Staatsformen wie etwa Territorien geistlicher Herrschaft (u.a. Vatikan, Malta), ältere Republiken (u.a. Schweiz) und erst im 20. Jahrhundert entstandene moderne ethnisch definierte Staaten (u.a. Slowakei, Slowenien) seien demgegenüber die Ausnahme gewesen. Die Staaten des Alten Europa, so führte Horowski weiter aus, seien aufgrund der dynastischen Verbindungen zwischen den Herrscherhäusern international ausgerichtet gewesen. Das Alte Europa könne in diesem sehr begrenzten Sinne – also nur mit Blick auf die internationale Ausrichtung der Staaten – durchaus eine Art Vorbild für das heutige Europa sein; allerdings, so schränkte er gleich ein, hätten sich die europäischen Entscheidungsprozesse damals auf den herrschenden Adel beschränkt, 99 Prozent der Europäer hätten kein Mitspracherecht gehabt. Die große Herausforderung auf dem Weg zu einem europäischen Bundesstaat bestehe heute im Herstellen einer gemeinsamen europäischen Öffentlichkeit. 

 

In der anschließenden Diskussion, die von PD Dr. Matthias Oppermann, stellv. Leiter Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung, moderiert wurde, stand die Frage im Vordergrund, wie die historischen Erfahrungen bei der Herausbildung von Staat, Nation und europäischer Integration für die aktuellen Herausforderungen der europäischen Politik fruchtbar gemacht werden könnten. Dabei verwies die Bundestagsabgeordnete und stellv. Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Katja Leikert, auf die Initiative von Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für einen 750 Milliarden Hilfsfonds. In der aktuellen Krise sei das ein guter Beleg für gemeinsames pragmatisches europäisches Handeln.

Am Beispiel des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle (1958-1969) wurden die Wirkmächtigkeit und Langlebigkeit nationalstaatlichen Denkens im 19./20. Jahrhundert diskutiert, das die historische Forschung heute generell als ideengeschichtliche Konstruktion ansieht. In diesem Zusammenhang machte der Literaturkritiker und Publizist Ijoma Mangold, stellv. Leiter des Feuilletons der ZEIT, jedoch darauf aufmerksam, dass das Wissen um die Konstruiertheit von Ideen diesen nicht ihre gedankliche Bindekraft in Vergangenheit und Gegenwart nähme, was bei der Bewertung ihrer Bedeutung berücksichtigt werden müsse. Bei der Zukunftsfähigkeit des Begriff des „Westens“ als gemeinsame Klammer zwischen Europa und den USA gaben sich die Teilnehmer mit Blick auf die Entfremdung der letzten Jahre eher skeptisch. Europa müsse bei den aktuellen Herausforderungen primär seine eigene Zukunftsfähigkeit und Innovationskraft beweisen. Aktuell habe Europa leider ein „Zukunftsvertrauensproblem“, konstatierte Mangold. Oppermann beschloss die Diskussion mit einem Zitat des französischen Intellektuellen Raymond Aron: „Ich hätte mir gewünscht, dass das vereinte Europa Monnets […] möglich gewesen wäre. Ich glaubte aber nicht sehr daran. […] Aber ich wünschte mir leidenschaftlich die Versöhnung mit Deutschland und eine enge Zusammenarbeit. Und im Grunde hat man wahrscheinlich das erreicht, was möglich war und was heute Realität für die jungen Franzosen, die jungen Deutschen ist: Sie gehören derselben zivilisatorischen Einheit an. Die Grenzen haben keine große Bedeutung mehr. Das ist schon viel. Es ist nicht das, wovon Monnet träumte. Es liegt näher bei dem, was General de Gaulle sich vorstellte. Es war das historisch Wahrscheinliche.“ Alle Teilnehmer stimmten der Grundaussage Arons zu und hoben hervor, dass der Weg der europäischen Integration ebenso pragmatisch fortgesetzt werden müsse, wie er in den 1950er Jahren begonnen worden sei.

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Dr. Kathrin Zehender

Dr

Referentin Zeitgeschichte

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