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Islam und Völkerrecht

21. - 22. 7. 2003, Amman

Schon rund drei Monate nach dem Ende des Irak-Krieges lud das Länderbüro Jordanien der Konrad-Adenauer-Stiftung unter dem Titel „Restarting the Dialogue in International Law. The Necessity of Bridge Building“ zu einem Workshop nach Amman ein. Etwa 20 internationale Rechtswissenschaftler, Journalisten, Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft sowie eine Vielzahl an Gästen sollten hier den Brückenschlag zwischen Islam und Völkerrecht versuchen.

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Katastrophen und Kriege haben etwas Positives. Sie erhellen schlaglichtartig die Realitäten der internationalen Politik. Es war also zu erwarten, dass der 11. September und die Kriege in Afghanistan und Irak die Diskussion um Macht und Recht in der Weltpolitik neu anfachen würden. Was gegenwärtig zur Debatte steht, ist deshalb nicht nur die Rolle der USA und der Vereinten Nationen in der Weltpolitik. Auch grundsätzlich fragt man sich, wie es um das Recht zwischen den Staaten steht, wenn es keinen Richter und kein Weltparlament gibt. All das verschafft nicht nur in Europa und den Vereinigten Staaten politischen Diskussionsrunden ein eifriges Publikum. Gerade im Nahen und Mittleren Osten, wo man sich geografisch, kulturell, politisch und generell von den gegenwärtigen weltpolitischen Entwicklungen besonders betroffen fühlt, macht man sich über die Zukunft des Völkerrechts Gedanken. Die Suche nach dem eigenen arabisch-islamischen Standpunkt dient natürlich auch der Pflege des Besonderen, legitim ist sie trotzdem. Und sie muss ernst genommen werden. Denn Fragen gibt es aus islamischer Sicht in der Tat: Wie kann eine islamische Position zur gegenwärtigen Völkerrechtsordnung aussehen? Was sagt der Islam dazu, dass Humanitäre Interventionen schrittweise gewohnheitsrechtlichen Status angenommen haben? Wie kompatibel sind Islam und Völkerrecht und welche islamischen Ansätze zur Weiterentwicklung des Völkerrechts gibt es?

Westliches Recht und islamische Völker

Das Verhältnis von Islam und Völkerrecht geht nicht nur die Muslime an. Im Westen vermutet man, dass die Regeln der Scharia implizit als Grundlage für islamistisch motivierten Terror genommen werden. Selbst wohlmeinenden Beobachtern drängt sich der Verdacht auf, dass traditionelle islamische Rechtsvorstellungen und modernes Völkerrecht wenig zueinander passen. Dabei ist das nur der Anfang eines verbreiteten Rätselratens um islamische Vorstellungen zum Völkerrecht: Was heißt Dschihad? Ist er wirklich ein Teil des islamischen Rechts oder nur ein ziemlich vages und gerade deshalb ziemlich dankbares Konzept zu Rechtfertigung so ziemlich jeden Aktes von Terror und Gewalt? Wie war das mit der Dichotomie vom Haus des Friedens/Islams, das von einem Haus des Krieges umgeben ist? Und vor allem: was bedeuten diese Konzepte in der heutigen Lebenswirklichkeit der Muslime? Wird das islamische Recht nur missverstanden und damit zum Opfer westlicher Ränkeschmied? Ist es lediglich eine gruselige Ansammlung mittelalterlicher Stammesregeln? Oder bietet es in der Tat Anknüpfungspunkte für die aktuelle Völkerrechtsdiskussion?

Das Völkerrecht ist nicht statisch. Seine Bestandteile entwickeln sich, werden angepasst, befolgt oder missachtet, verkümmern und leben wieder auf, ganz in Abhängigkeit von der Staatenpraxis. Eine der wenigen Konstanten ist, dass das Völkerrecht in seiner gegenwärtigen Form vor allem westliches Rechtsverständnis und westliche Rechtspraktiken widerspiegelt. Der Westfälische Friede, Hugo Grotius, die großen Friedens- und Ordnungskonferenzen, alle sie waren Teil der westlichen und nicht der islamischen Geschichte. Muslime blieben bei der Entwicklung des Völkerrechts allenfalls Zaungäste. Aber noch aus anderen Gründen bewegt sich die Diskussion um den Anteil der Muslime an der Völkerrechtsentwicklung auf schwierigem Terrain. Bei vielen Muslimen genießt das Völkerrecht wenig Ansehen. Sie blicken zum einen auf die ständige Bezugnahme des Westens auf die Einhaltung von UN-Resolutionen und Menschrechtsabkommen und zum anderen auf die westliche Duldung des israelischen Vorgehens gegen die Palästinenser. Welcher Wert hat das Völkerrecht, so die unausweichliche Frage, wenn es für die einen gilt und für die anderen nicht?

Impulse und Kritik

Es gibt also Gründe genug, die Diskussion um Islam und Völkerrecht wieder aufzunehmen. Dabei ist Eile angeraten, denn auch im Nahen Osten geben Politik und Medien das Tempo politischer Debatten vor. Schon rund drei Monate nach dem Ende des Irak-Krieges lud deshalb das Länderbüro Jordanien der Konrad-Adenauer-Stiftung unter dem Titel „Restarting the Dialogue in International Law. The Necessity of Bridge Building“ zu einem Workshop nach Amman ein. Etwa 20 internationale Rechtswissenschaftler, Journalisten, Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft sowie eine Vielzahl an Gästen sollten hier den Brückenschlag zwischen Islam und Völkerrecht versuchen. Und weil die Stiftung dieses Thema als erste auf die Tagesordnung einer hochkarätig besetzten internationalen Konferenz brachte, war Prinz Hassan nur zu gern bereit, Schirmherrschaft und Eröffnungsansprache zu übernehmen. Er nutzte die Gelegenheit zwischen ein paar launigen Adenauer-Zitaten die etwa 120 anwesenden Diplomaten, Journalisten und Wissenschaftler wissen zu lassen, was der Workshop beabsichtige: Startschuss zu sein, für eine Intensivierung der Debatte um eine arabische und islamische Beteiligung an der globalen Diskussion um eine Weiterentwicklung des Völkerrechts.

Von Beginn an war man sich einig, dass Impulse für eine Weiterentwicklung des Völkerrechts aus verschiedenen Richtungen kommen müssen. Es besteht Anpassungsbedarf an neue Bedrohungen und veränderte Machtverhältnisse im internationalen System. Das betrifft vor allem die Vereinten Nationen, deren Strukturen und Entscheidungsmechanismen aus längst vergangenen Zeiten stammen. Auch wenn oft vieles bleibt wie es ist, Überlegungen zur Umgestaltung internationaler Institutionen sind durchaus sinnvoll. Die Geschichte zeigt, dass aus Rhetorik durchaus Substanz werden kann. Für den Bonner Völkerrechtler Matthias Herdegen ist die KSZE ein Beispiel, das Mut macht. Das europäische Drängen auf gute Regierungsführung (Good Governance) wird zwar oft zu eng verstanden und hat natürlich Defizite, muss aber beibehalten werden. Europäische Vorgaben sollen aber eher als „supportive standard“, nicht als „supreme value“ vermittelt werden.

Was aber macht man mit Akteuren, die sich lieber an ihre eigenen Wertigkeiten halten und damit das allgemein akzeptierte Völkerrecht mit Füßen treten? Hier liegen aus Sicht der französischen Rechtswissenschaftlerin Josiane Tercinet die eigentlichen Herausforderungen. Das Völkerrecht liefert keine Antwort auf die Frage, wie man mit nichtstaatlichen Gewaltakteuren im internationalen System umgeht. Natürlich muss Terrorismus vor allem durch Prävention bekämpft werden. Die Tücke steckt einmal mehr in der Umsetzung. Die Idee der Prävention bedeute nicht die Aufforderung zum unilateralen Handeln, mahnt Prinz Hassan. Aber bei aller Kritik sind die USA nicht der Totengräber des Völkerrechts. Amerikanische Politik begründet ihr Handeln immer noch mit dem Recht auf Selbstverteidigung, ist also um eine juristische Rechtfertigung bemüht. Das Völkerrecht mag unterlaufen werden, seine grundsätzliche Gültigkeit und Notwendigkeit wird nicht in Frage gestellt. Das Problem ist wieder einmal die Politik und nicht das Recht. Und wieder ist es Prinz Hassan, der den Finger auf die Wunde legt: Amerikanischer Interventionismus ist das eine, arabische Apathie das andere. Wer das eine beklagt, darf das andere nicht leugnen.

Normen und deren Durchsetzung

Trotzdem fällt es den muslimischen Teilnehmern schwer, die Idee von humanitären Interventionen zu akzeptieren. Ghassan Al-Jundy, Rechtswissenschaftler an der Jordan University glaubt nicht an die rechtschaffenen Motive einer militärischen Erzwingung von Demokratie. Ein Scheinargument sei das und überhaupt: „die Verteidigung der Demokratie ist kein völkerrechtliches Gebot!“ Schon hier wird klar, dass der Dissens weniger in den Normen, als vielmehr in der Frage ihrer Durchsetzung liegt. Die Verträge existieren und sind zum Großteil auch von islamischen Staaten unterschrieben worden. Formal gesehen, stellt Matthias Herdegen fest, ist die Idee von den westlichen Werten längst nicht mehr plausibel. Das relativiert auch die vermeintliche Bedeutung interkultureller Unterschiede. Wären diese wirklich so ausschlaggebend, gäbe es mehr Definitions- und nicht vor allem Umsetzungsprobleme. Die Idee universeller Menschenrechte ist nicht spezifisch westlich. Viele dieser westlichen Ideen wurden früher von den islamischen Staaten wie selbstverständlich akzeptiert und erst später aus politischen Interessen in Frage gestellt. Als Reflex auf einen empfundenen kulturellen Imperialismus betreibt man nun einen kulturellen Relativismus, der beispielsweise zur „Kairo-Deklaration über Menschenrechte im Islam“ aus dem Jahre 1990 führte.

Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Einzelfragen, die strittig sind und sich auch nicht durch wohlmeinenden Dialog klären lassen (oder lassen müssen). Kulturelle Eigenarten sollten bei der Festlegung auf Prinzipien keine Rolle spielen aber sie müssen einbezogen werden, wenn es um die Umsetzung geht. Frauenrechte sind hier ein ganz besonders heikler Testfall. Nirgendwo klaffen Theorie und Praxis derart weit auseinander. Doris König, Rechtswissenschaftlerin an der Bucerius Law School, erteilt der kulturalistischen Variable dennoch eine Absage. Der Gegensatz bestehe nicht zwischen Islam und Westen sondern zwischen unterschiedlichen Lebensentwürfen.

Koranische Prinzipien

Damit sind die muslimischen Gesprächspartner nur zum Teil einverstanden. Das Völkerrecht ist aus ihrer Sicht nicht wirklich universal, weil es Rechtssysteme nicht integriert hat, die vorher existierten. Selbst viele Muslime wissen heute nicht, dass es eine lange und reiche völkerrechtliche Tradition im islamischen Denken gibt (Siyar). Das ist bedauerlich, weil das islamische Völkerrecht in starkem Maße zur Zivilisierung der Beziehungen zwischen den islamischen Staaten beigetragen hat. Zumindest in Ansätzen kann Siyar diese Rolle auch heute noch spielen. Zudem gibt es eine Reihe von Übereinstimmungen zwischen modernem Völkerrecht und Siyar: Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit finden sich in beiden Systemen als die entscheidenden Werte (wenngleich sie im Siyar nur auf Muslime Anwendung fanden). Auch en detail ist im Siyar einiges angelegt, was sich auch im späteren Völkerrecht findet; Asylrecht und diplomatische Immunität etwa. In der Gewichtung gibt es allerdings Unterschiede gegenüber westlichen Konzeptionen: Gerechtigkeit ist im Islam immer zentral, Gleichheit hat einige Einschränkungen. Insgesamt klingt auch bei Khadija El-Madmad, Rechtprofessorin an der Universität Casablanca, die Klage der Unausgewogenheit durch: Das Völkerrecht ist Bestandteil des islamischen Rechts, umgekehrt gilt das nicht.

Aber zurück zur Theorie des islamischen Rechts. Hier findet sich in der Tat einiges zum friedlichen Zusammenleben der Völker. Aus dem koranischen Prinzip der Beratung ergibt sich für die Ordnung der internationalen Beziehungen klar die Forderung nach mehr Multilateralismus. Das meinen jedenfalls Abdullah Al-Kilaney von der Jordan University und die ehemalige jordanische UN-Diplomaten Hasan Abu Nimah und Waleed Sadi. Dabei schließen sich die Forderung nach einer transnationalen Einheit der arabischen bzw. islamischen Staaten und die Möglichkeit von Allianzbildungen und internationalen Partnerschaften nicht aus. Der Koran plädiert eindeutig für die Herrschaft der Moral und gegen das Gesetz des Stärkeren. Dies ist gleichbedeutend mit dem Prinzip der Gleichheit der Nationen und zugleich eine klare Absage an jeden globalen Hegemonialanspruch.

Krach um Begriffe

Ansonsten ist man lieber unverbindlich, was die islamischen Aussagen zum Völkerrecht betrifft. Unwohlsein bewirkt vor allem das Konzept des Dschihad. Bände lassen sich füllen über die Be- und Missdeutung dieses Begriffs und grundsätzlich hat der Westen hier etwas nicht richtig verstanden. Das mag zutreffend sein, sagt sich der Zuhörer aus Europa. Er fragt sich aber auch, warum so ziemlich jeder Spitzbube und Krawallmacher, der sich den Islam auf die Fahne geschrieben hat, zugleich den Dschihad im Munde führt. Ähnliches gilt für das Prinzip der selbstständigen Meinungsbildung (Idschtihad) im islamischen Recht. Auch hier gibt es viel Stoff für den Gelehrtenstreit. Soll das berühmte „Tor des Idschtihad“ geschlossen bleiben, soll es geöffnet werden oder war es etwa immer offen? Wie dem auch sei: ein modernes Islamverständnis kann mit der Idee vom Haus des Krieges wenig anfangen. Ohnehin hat diese Vorstellung keine Grundlage in der Scharia. Weiter hilft hier vielleicht die koranische Idee des Friedensvertrages. Die Hudna war schon beim Zustandekommen des wackeligen Waffenstillstands in Palästina hilfreich. Abdullah Al-Kilaney sieht sich in Übereinstimmung mit einer Vielzahl von Gelehrten wenn er argumentiert: „mit dem UN-System wurde eine Art globaler Friedensvertrag ins Leben gerufen.“ Zumindest aus dieser Sicht hat der Islam längst seinen Frieden mit und in der Völkergemeinschaft gemacht.

Dazu passt die Beobachtung, dass sich der Krach mit dem Westen in erster Linie um die Individualrechte dreht. Auch Khadija El-Madmad hat einiges am herkömmlichen Verständnis an der Scharia aussetzen. Aber es gibt auch Grund zur Gelassenheit. Die Scharia zwingt niemanden, mehr als eine Frau zu heiraten oder sein Erbe ungleich zwischen Töchtern oder Söhnen aufzuteilen. Awn Al-Khasawneh, Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, spielt dann endgültig die Karte der Realpolitik aus. Islam, Scharia und westliches Völkerrecht hin und her, gerade für kleine Staaten ist das Völkerrecht wichtig, weil es auch unter den aktuellen Bedingungen des internationalen Systems eine gewisse Sicherheit gewährleistet. Unabhängig von den endlosen Diskussionen darüber, was islamisch sei und was nicht, haben islamische Staaten ein Interesse an der Wahrung und Stärkung des Völkerrechts. In einer Welt in der die Starken das Sagen haben, hilft den Schwachen oft nur das Recht.

Restarting the Dialogue

Grundlage eines islamischen Beitrags zum Völkerrecht ist aber vor allem die interne Diskussion zwischen den Muslimen. Veränderungen müssen auch hier von innen kommen. Drängen, Drohen und Drangsalieren hat oft den gegenteiligen Effekt. Vor 40 bis 50 Jahren waren viele islamische Nationen noch jung und standen unter dem unmittelbaren Eindruck kolonialer Demütigungserfahrungen. Aber sie waren auch stolz, selbstbewusst und bereit, ihren Platz in der Völkergemeinschaft einzunehmen. Dieses Selbstbewusstsein war die Grundlage für eine Offenheit und Aufnahmebereitschaft für Ideen von Innen und Außen, die heute vielfach verlorengegangen ist. Voraussetzung für eine Einbringung arabisch/islamischer Stimmen in die Völkerrechtsentwicklung ist deshalb die Bereitschaft, konstruktiv mitzuwirken und sich nicht in den Schmollwinkel zurückzuziehen. Die wichtigste Grundlage einer solchen k

onstruktiven Mitwirkung ist der Aufbau von Wissen und die Formulierung von Positionen. Völkerrechtserziehung in den islamischen Ländern ist eine der wichtigsten entwicklungspolitischen Herausforderungen, wenn es um die Einigung auf universelle Werte geht. Und gerade hier, bei der Erziehung, liegt auch für die arabischen Teilnehmer manches im Argen. Nimmt man dies zur Kenntnis, sind es im Moment eher die Details, die auf Veränderungen hindeuten und die Mut machen. Details wie etwa die Nachricht, dass in den Internationale Strafgerichtshof für Ruanda eine jordanische Richterin gewählt wurde.

 

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