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Zwei Bilder. Jedes zeigt einen Arbeiter, schwitzend, mit massivem Hammer in der Hand, schuftend, schlagend. Doch obwohl die Bilder so gleich scheinen, sind sie Relikte aus kontrahierenden Staatssystemen – aus Hitlers Nationalsozialismus und aus Stalins kommunistischer Sowjetunion. Die Propagandaplakate hingen zu ihrer Zeit überall im Land - das eine überall in Nazi-Deutschland, das mit den russischen Leitsprüchen überall in Stalins Reich. Doch appellieren beide Plakate an die Arbeiter jener Zeit. „Nachdem durch die Industrialisierung Reichtum einzig für die Aristokratie und Bourgeoisie entstand, aber die Arbeiter in Elend lebten, trafen die Ideologien Kommunismus und Nationalsozialismus auf fruchtbaren Boden. Sie sagten zum Arbeiter: ‚Du, der sich unterdrückt fühlt, bist nun im Zentrum’“, erklärt Vaira Vīķe-Freiberga, die lettische Staatspräsidentin a.D. In ihrer Rede im Rahmen des Hohenschönhausen-Forums in der Gedenkstätte Hohenschönhausen stellte sie mit Propaganda-Plakaten von Stalin und Hitler Ähnlichkeiten und Unterschiede der beiden totalitären Regime dar.
Knapp ein halbes Dutzend Beispiele führt sie vor. Von den Arbeitern über abstrakte Bildnisse der Arbeiterschaft schwenkt sie schließlich zu den Führern. „Wenn wir eine Diktatur haben, braucht das auch einen Diktator, nichts ist von wegen ‚Diktatur des Proletariat’, das funktioniert nicht. Die Macht kommt also in die Hand des Führers“, sagt die inzwischen 73-Jährige und wechselt zu zwei Plakaten mit Führerporträts. Das Publikum lacht. Ein Plakat mit Stalin und eins mit Hitler. Beide stehen jeweils leicht seitlich am rechten Bildrand, in Uniform, beide mit Schnurrbart, mit der gleichen Geste: Sie strecken den rechten Arm empor. Hitler zum Nazigruß, Stalin um den Weg zu weisen.
Ein deutsches Mädchen, ein russisches Mädchen – wie Zwillinge
Doch zurück zum Volk. „Beide Diktatoren begannen schon bei den Kindern die Indoktrination ihrer Ideologie“, sagte die studierte Psychologin, während hinter ihr zwei blonde Mädchen mit geflochtenen Zöpfen fröhlich von der Leinwand strahlen. Links das sozialistische russische Mädchen, rechts das nationalsozialistische deutsche Mädchen. Beide tragen eine weiße Bluse und ein Tuch um den Hals – wie Zwillinge sehen sie aus. „Bis diese Kinder erwachsen waren, wurden sie schon programmiert, das eine zum sozialistischen neuen Menschen, das andere zum Nazi“, beschreibt Vīķe-Freiberga, hinter ihr nun Bilder mit zwei jugendlichen Burschen, die anmutig Trompete spielen. Links der russische auf einer Anhöhe, rechts der deutsche in Braun mit roter Armbinde.
Doch betrachtet Vaira Vīķe-Freiberga die Plakate auch im Detail und findet dort Unterschiede zwischen den Systemen. Methoden und Folgen von Stalins und Hitlers Politik waren ähnlich, doch ihre Ziele differierten. Zwei Plakate, die zum Kampf für die jeweilige Ideologie aufrufen, erscheinen auf der Leinwand: Junge Menschen mit entschlossenem Blick und geschwollener Brust gucken in eine gemeinsame Richtung. Das nationalsozialistische zeigt weiße, hellhaarige Menschen. Die stalinistische Version versammelt schwarze, weiße, indianischstämmig und asiatische „Beide waren zwar Feinde von Demokratie, aber es gibt auch eine Reihe Unterschiede. Die Plakate zeigen einen bedeutsamen: Während Hitler einen Rassenkampf focht, zielte Stalin auf einen internationalen Klassenkampf.“
Gulag versus Holocaust?
Doch nicht nur das damalige Walten der Diktatoren, sondern auch in welchem Land die begangenen Verbrechen heute thematisiert werden, macht scheinbar einen Unterschied aus.
Prof. Dr. Valters Nollendorfs, der im Okkupationsmuseum Riga mitwirkt, berichtet dazu in einer späteren Diskussion Paradoxes: „In der westlichen Welt werden oft Verbrechen unter den kommunistischen Systemen banalisiert und die nationalsozialistischen in den Vordergrund gestellt. In Lettland hingegen, wo der Stalinismus herrschte, hat der Holocaust niedrigeren Stellenwert als der Gulag. Dabei ist schon ein Opfer eines politischen Systems, eines zuviel.“
Die Debatte um die Vergleichbarkeit von Kommunismus und Nationalsozialismus kochte in den vergangenen Jahren in Deutschland hoch. Der Politikwissenschaftler und Professor an der Freien Universität zu Berlin, Dr. Klaus Schroeder, nimmt an dieser Diskussion häufig teil. Er kann die Scheu, beide Systeme gleich zu verurteilen, nicht nachvollziehen: „Die meisten meinen, man dürfe die kommunistischen Verbrechen nicht zeigen, aus Angst die unter den Nazis würden dadurch relativiert. Oder auch Nazi-Opfer haben die Befürchtung ihre Leiden würden dann zur Seite geschoben. Was ja nicht passiert.“ Schroeder plädiert dafür, bei beiden Systemen gleiche Maßstäbe anzusetzen, wenn sie bewertet werden. „Denn auch wer für einen vermeintlich guten Zweck mordet, wie oft die Verbrechen des Kommunismus unter meinen Studenten gerechtfertigt werden, auch der ist ein Mörder, und dass ein Mensch für eine Ideologie sterben muss, ist zu viel“, argumentiert Schroeder.
Aufklären ohne zu relativieren
Doch wie mit dem Thema in Gegenwart und Zukunft umgehen, wie über Verbrechen beider Systeme aufklären ohne zu relativieren? Die Redner des Tages sind sich einig. Der Mensch sollte im Mittelpunkt stehen. Menschen wie unsere Großeltern oder Eltern oder andere Verwandte, sagt auch die lettische Ministerpräsidentin in ihrem Schlusswort: „Wir dürfen nie vergessen, was die alles durchgemacht haben, müssen versuchen zu verstehen und uns selbst zu verstehen, diese Gesellschaft, damit sich diese Fehler nicht wiederholen.“