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Konrad-Adenauer-Stiftung

Demokratie unter Druck - was tun?

Reflexionen zur Rule of Law Academy 2024

Das Konzept der "wehrhaften Demokratie" versucht den Spagat zwischen Schutzmechanismen und der Bewahrung demokratischer Freiheiten. Beispiele aus verschiedenen Ländern verdeutlichen, wie sie mit Bedrohungen ihrer demokratischen Systeme umgehen. Die Wirksamkeit der wehrhaften Demokratie hängt von ihrer Anpassungsfähigkeit und Verhältnismäßigkeit ab.

Das Konzept der "wehrhaften Demokratie" erscheint auf den ersten Blick paradox: Wie kann eine Demokratie, die auf Werten wie Freiheit und Offenheit beruht, „wehrhaft“ sein? Dieser Frage widmete sich die Rule of Law Academy 2024. 18 Jurastudierende aus aller Welt trafen sich in Berlin und befassten sich mit dem Thema: „Kann der Rechtsstaat die Demokratie retten?“
Stärkt oder untergräbt ein solcher Ansatz die Demokratie, die er zu schützen versucht?

Löst die wehrhafte Demokratie unsere Probleme?

Die kurze Antwort lautet: „Es ist kompliziert.“ Die Reaktionen fallen sehr unterschiedlich aus. Befürworter argumentieren, die Demokratie sei ohne Schutzmechanismen anfällig dafür, von denen ausgenutzt zu werden, die ihre Existenz beenden wollen. Kritiker warnen vor den Risiken eines rigorosen Eingreifens und der potenziellen Unterdrückung legitimer Meinungen. Sie betonen, dass eine zu aggressive Haltung die grundlegenden Freiheiten, die die Demokratie schützen will, untergraben könnte. Das Spannungsverhältnis dieser beiden Perspektiven macht eines klar: Die Wirksamkeit und Ethik der wehrhaften Demokratie hängen vom Gleichgewicht zwischen Abwehrmaßnahmen und der Bewahrung demokratischer Freiheiten ab.

„Herzstück des deutschen Ansatzes ist das Grundgesetz, das darauf ausgelegt ist, potenziellen Gefahren für die demokratische Ordnung zu begegnen.“

Houssein A. Al Malla

Die deutsche Erfahrung

Deutschlands Verständnis von wehrhafter Demokratie ist ein überzeugendes Beispiel dafür, wie sich demokratische Systeme gegen existenzielle Gefahren wappnen, ohne ihre Verpflichtung zu politischen Freiheiten zu unterlaufen. Herzstück des deutschen Ansatzes ist das Grundgesetz, das darauf ausgelegt ist, potenziellen Gefahren für die demokratische Ordnung zu begegnen. Dies schließt die Möglichkeit von Parteiverboten ein, sofern eine Partei die verfassungsmäßige Ordnung bedroht oder zu stürzen versucht.

Der rechtliche Rahmen für ein Parteiverbot ist in Deutschland streng geregelt und darauf ausgelegt, die Sicherheitsbedürfnisse mit dem Schutz politischer Freiheiten in Einklang zu bringen. Dem Bundesverfassungsgericht kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Es verlangt stichhaltige Beweise dafür, dass eine Partei nicht nur die demokratische Ordnung ablehnt, sondern auch eine realistische Bedrohung für diese darstellt. Die Beurteilung des Gerichts stützt sich auf eine umfassende Analyse der Aktivitäten und der weltanschaulichen Ausrichtung der Partei. Das Gericht will sicherstellen, dass alle beschlossenen Maßnahmen gerechtfertigt und unumgänglich sind. Die Hürden für ein Parteiverbot liegen somit hoch.

Vergangene, aber auch aktuelle Debatten, die Wissenschaftler wie Hockenos[i], Kommers[ii] und Miller[iii] analysiert haben, konzentrierten sich vornehmlich auf rechtsextreme Gruppierungen, welche die deutsche Demokratie vor besondere Probleme stellen. Juristen und Politiker befassen sich zumeist mit den Feinheiten: Wann etwa überschreiten Taten oder die Rhetorik die Grenze vom rechtmäßig politischen Handeln hin zu einer handlungsrelevanten Bedrohung des Staates. Solche Vorgänge werden akribisch geprüft, um sicherzustellen, dass die Reaktion des Staates angemessen und gerechtfertigt ist. Wo diese Grenze zu ziehen ist, darum wird immer wieder aufs Neue gerungen.

Ein empfindliches Gleichgewicht muss also gewahrt bleiben: Zu weit gefasste Kriterien für Verbote könnten legitimen politischen Widerspruch und Debatten ersticken, was wiederum zu einem Verlust demokratischer Freiheiten führen könnte. Sind jedoch die Hürden für ein Parteiverbot zu hoch, läuft die Demokratie Gefahr, von innen unterwandert zu werden.

Globale Perspektiven

Weitet man den Blick lernt man vielfältige Kontexte und Strategien kennen. Sie illustrieren, wie unterschiedlich Demokratien das fragile Gleichgewicht zwischen Selbstverteidigung und der Aufrechterhaltung demokratischer Prinzipien von Freiheit und Offenheit ausbalancieren. Jeder Ansatz ist aufschlussreich und zeigt, dass das Konzept der wehrhaften Demokratie zwar universell ist, allerdings auch sorgfältig an die spezifischen politischen, kulturellen und rechtlichen Realitäten eines jeweiligen Landes angepasst werden muss.

In den Vereinigten Staaten waren das Konzept der wehrhaften Demokratie und die demokratischen Institutionen in Anbetracht vieler politischer Ereignisse der vergangenen Jahre besonderen Belastungsproben ausgesetzt. Timothy Snyder[iv] argumentiert, dass die Verfassung und andere grundlegende Rechtsdokumente nicht nur Maßnahmen zum Schutz des demokratischen Prozesses vor jenen erlauben, die ihn durch Gewalt oder Subversion bedrohen, sondern solche Maßnahmen sogar verlangen. Man kombiniert bestehende Gesetze mit neuen, um spezifischen Bedrohungen passgenau zu begegnen. So braucht es Gesetze gegen Aufwiegelung, Verrat und Terrorismus, um gegen Einzelpersonen oder Gruppen vorzugehen, die versuchen, die verfassungsmäßige Ordnung zu stören.

In den Vereinigten Staaten besteht die Schwierigkeit oft darin, den Umschlagpunkt zu identifizieren, an dem die freie Meinungsäußerung in demokratiefeindliche Handlungen übergeht. Der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 ist ein Beispiel dafür. Der Einsatz der Nationalgarde und die anschließenden Ermittlungen und Gerichtsverfahren haben gezeigt, wie geschickt sich die Regierung, der bestehenden rechtlichen Strukturen zu bedienen wusste. Mit all den Maßnahmen wurden zwei Ziele verfolgt: Es galt, die demokratischen Normen einzuhalten und die physische Sicherheit der demokratischen Institutionen zu gewährleisten. Die Ereignisse um den 6. Januar haben eine breite Debatte darüber entfacht, ob die bestehenden Gesetze ausreichend sind oder ob es neuer Regelungen bedarf, um inneren Bedrohungen effizienter zu begegnen. Diskutiert wurde zumeist die Frage, ob stärkere Sicherheitsmaßnahmen nicht die politische Teilhabe und das Recht auf freie Meinungsäußerung gefährden. Die jüngsten amerikanischen Erfahrungen in Sachen wehrhafte Demokratie sind ein sehr dynamischer Prozess, und die anhaltende Diskussion in den USA verdeutlicht, wie schwierig es ist, eine Demokratie in einem so polarisierten Land wehrhaft aufzustellen.

Auch in anderen Ländern wird diese Debatte intensiv geführt: Wissenschaftler wie Zambrano[v] in Brasilien und Cavanaugh, Hughes und Feisel[vi] in der Europäischen Union und der Türkei untersuchen, wie einzelne Staaten den Problemen begegnen, vor denen die Demokratie steht. So hat Brasilien erhebliche politische Turbulenzen mit populistischen Bewegungen erlebt, die die Grenzen der demokratischen Belastbarkeit sehr strapaziert haben. In der Folge wurde immer wieder neu darüber nachgedacht, wie man innerhalb des rechtlichen Rahmens eine wehrhafte Demokratie wirksam umsetzt.

In der Türkei ist die Situation eine besondere, bilden die politische Instabilität und die Bedrohungen des Säkularismus doch den Hintergrund: Das Bemühen, demokratische Prinzipien zu schützen und gleichzeitig antidemokratische Kräfte einzuhegen, führt in der Türkei oft zu Kontroversen über die Aushöhlung der bürgerlichen Freiheiten.

„Es geht darum, ob es uns gelingt, das Wesen der Demokratie – ihre Integrationsfähigkeit, ihre Freiheiten, die Rechtsstaatlichkeit – zu bewahren und zugleich jene zu bekämpfen, die ihre Existenz bedrohen.“

Houssein A. Al Malla

Die Gratwanderung. Der Weg in die Zukunft

In den Diskussionen, ob eine wehrhafte Demokratie in der Lage ist, die Demokratie zu retten, dreht sich alles darum, wie das Gleichgewicht zwischen Streitbarkeit und freiheitlichen Rechten gewahrt werden kann. Dieses Gleichgewicht ist nicht statisch, es muss ständig neu justiert werden – in Anbetracht neuer Bedrohungen und sich wandelnder gesellschaftlicher Werte. Die Wirksamkeit der wehrhaften Demokratie kann nie absolut beurteilt werden, sondern immer nur in Bezug auf ihre Anpassungsfähigkeit und ihre Verhältnismäßigkeit. So betrachtet kann sie, wenn man sich ihrer klug bedient, demokratische Gesellschaften tatsächlich vor ihren Feinden schützen. Ihr Erfolg hängt allerdings davon ab, wie sorgfältig über die demokratischen Verantwortlichkeiten gewacht wird und wie unerschütterlich der Glaube in die Prinzipien ist, die die Demokratie zu schützen sucht. Am Ende geht es nicht darum, ob die wehrhafte Demokratie die Demokratie tatsächlich retten kann. Es geht darum, ob es uns gelingt, das Wesen der Demokratie – ihre Integrationsfähigkeit, ihre Freiheiten, die Rechtsstaatlichkeit – zu bewahren und zugleich jene zu bekämpfen, die ihre Existenz bedrohen.

Houssein A. Al Malla ist Doktorand der Politikwissenschaft und Internationalen Beziehungen am German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg.

 

[i] Paul Hockenos, Germany Is Thinking of Simply Banning the Far Right, FOREIGN POLICY (Dec. 13, 2023)
[ii][ii] Kommers & Miller, Militant Democracy, in THE CONSTITUTIONAL JURISPRUDENCE OF THE FEDERAL REPUBLIC OF GERMANY 285-300 (2012)
[iii][iii] Russell Miller, How to Kill an Idea: An American’s Observations on the NPD Party-Ban Proceedings, VERFASSUNGSBLOG (Jan. 13, 2017)
[iv] Timothy Snyder, Constitutional Self-Defense, THINKING ABOUT (SUBSTACK) (Jan. 27, 2024)
[v] Diego A. Zambrano & Ludmilla Martins da Silva, Militant Democracy Stages a Comeback in Brazil, LAWFARE (Nov. 28, 2022)
[vi] Kathleen Cavanaugh & Edel Hughes, Rethinking What is Necessary in a Democratic Society: Militant Democracy and the Turkish State, 38 HUMAN RIGHTS QUARTERLY 623 (2016) [read pages 623-630; 634-654]

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