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picture alliance / AA | Augustin Wamenya

Ein Pulverfass im Herzen Afrikas

Im Ostkongo herrscht seit Jahrzehnten Krieg – ein komplexer Konflikt mit vielen Beteiligten. Die wiedererstarkte Rebellengruppe M23 hat ihn neu angeheizt. Die Bevölkerung leidet, und die Welt schaut weg. Eine Eskalation hätte verheerende Folgen, und die Zeit für diplomatische Lösungen läuft ab.

Ist von aktuellen Krisen und Kriegen die Rede, dann von Gaza, der Ukraine oder Syrien, zuweilen auch von Jemen. Selten wird der Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRK) genannt. Und doch findet dort einer der blutigsten Kriege weltweit statt.

Der Konflikt ist so vielschichtig, dass es schwer ist, einen genauen Zeitpunkt auszumachen, an dem er begann. Vermutlich schon in den 60er Jahren, als die ehemaligen Kolonialmächte dem frisch in die Unabhängigkeit entlassenen Kongo alle nur möglichen Steine in den Weg legten. Doch spätestens die Geschehnisse um den Völkermord in Ruanda 1994 und der Dritte Kongokrieg ab 2006 markieren den Ausgangspunkt für die heutige Lage.

Nach den Massakern 1994, während der die Hutu in Ruanda etwa eine Millionen Tutsis ermordeten, flohen aus Angst vor Repressionen mehrere zehntausend Mittäter des Genozids in den Osten der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Ihre Flucht wurde nachweislich von Frankreich unterstützt. In der Folge versammelte sich im Ostkongo eine Mischung aus Opfern des ruandischen Völkermords und bewaffneten Tätern, während die kongolesische Regierung nicht in der Lage war, die Verhältnisse zu ordnen. Der daraus resultierende Erste Kongokrieg (1996 bis 1997, führte zum Sturz des langjährigen Machthabers Mobutu) konnte die angespannte Lage im Ostkongo nicht lösen – im Gegenteil: Es folgten zwei weitere Kriege, die mindestens vier Millionen Menschen das Leben kosteten.

„Seither hat die kongolesische Regierung keine Kontrolle mehr über die östlichen Gebiete des Landes, in denen sich im Zuge der Kriege Milizen, Rebellen und Terrororganisationen ausbreiteten.“

Jona Thiel

Seither hat die kongolesische Regierung keine Kontrolle mehr über die östlichen Gebiete des Landes, in denen sich im Zuge der Kriege Milizen, Rebellen und Terrororganisationen ausbreiteten. Einige dieser Gruppierungen lösten sich auf, andere haben sich zusammengetan, wieder andere haben sich abgespalten. Aktuell gibt es etwa einhundert von ihnen; sie kontrollieren die Gebiete an der kongolesisch-ruandisch-burundischen Grenze.

Eine dieser Rebellengruppen, die prominenteste, ist M23, oder auch „Bewegung 23. März“, benannt nach dem Datum eines Friedensvertrages im März 2009. Die Gruppe entstand – ironischerweise – aus einem Zusammenschluss von ehemaligen Mitgliedern der von Tutsi dominierten Gruppierung CNDP und der von Hutu gegründeten PARECO, also genau den beiden Ethnien, die 1994 Opfer und Täter des Völkermordes in Ruanda waren. Das Abkommen vom März 2009 sah vor, dass beide bewaffneten Gruppen in die kongolesische Armee aufgenommen werden sollten, doch die Festnahme des politischen Anführers der CNDP führte zu Unmut und Misstrauen in den Reihen der Rebellen. Bis heute werfen die Mitglieder der M23 dem kongolesischen Staat vor, das Abkommen mehrfach gebrochen zu haben.

2012 eskalierte die Situation zwischen den kongolesischen Truppen und den Rebellen: Die gerade gegründete M23 eroberte die Provinzhauptstadt Goma (ca. 700.000 Einwohner). Dort stationierte UN-Soldaten ließen den Rebellen freie Hand. In der Stadt herrschte Gewalt, die Wirtschaft lag am Boden. 2013 zogen sich die Rebellen zwar aus Goma zurück, doch es folgte ein UN-Einsatz (Resolution 2098), mit einem offensiven Mandat, der Bewegung des 23. März Einhalt zu gebieten. Zunächst verfehlte die Operation ihr Ziel. Erst im November 2013 gestand die Führung von M23 ihre Niederlage ein und stellte die Kämpfe ein.

Das war jedoch nicht das Ende des Krieges im Ostkongo, und vor allem nicht in der Provinz Nord-Kivu. Die Konflikte zwischen bewaffneten Gruppen, Ruanda und der kongolesischen Regierung begannen erst jetzt ihre Brisanz und Sprengkraft zu entfalten. Während sich die M23 vorerst aufgelöst hatte, dauerten die Gräuel in der Demokratischen Republik Kongo an. Der Zentralstaat kontrollierte in den drei östlichsten Provinzen schließlich nur etwa die Hälfte des Territoriums.

Jona Thiel | gepo.global

Doch im Jahr 2021 kehrten die M23-Rebellen zurück – stärker und besser ausgerüstet. Mitte 2022 standen sie im Begriff, das Gebiet um die Stadt Bunagana in der Nähe zur Grenze zu Uganda und Ruanda einzunehmen. Was anfangs wie ein vereinzelter Angriff aussah, entpuppte sich als Offensive der wiedererstarkten Rebellen und führte zu weiteren Gebietsgewinnen der Gruppierung. Schon bald kontrollierte die M23 erneut ein nicht unerhebliches Gebiet in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu und konnte einen steten Zufluss an Rekruten verbuchen.

Es stellte sich die Frage, wie die Gruppierung in den acht Jahren ihres Verschwindens eine solche militärische Schlagkraft entwickeln konnte. Für die Kongolesen lag die Antwort auf der Hand: Ihr Parlament machte zum einen Uganda verantwortlich, doch die Hauptlast der Anschuldigungen richtete sich gegen Ruanda. Die Beziehungen Kongos zu beiden zentralafrikanischen Staaten waren spätestens seit dem ersten Kongokrieg mehr als angespannt. Ruandische Soldaten stießen damals tief in die Demokratische Republik Kongo (damals noch Zaire) vor.

Die Konflikte und das Leid der Bevölkerung sollten sich mit dem Zweiten Kongokrieg (1998 bis 2003) nur noch weiter verschärfen. Bis dahin hatte Ruanda einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die kongolesische Politik. Mit dem Amtsantritt von Kabila im Jahr 1997 änderte sich das grundlegend. Ruanda sah seine Sicherheitsinteressen gefährdet und sich zu einer erneuten Invasion des Ostkongos genötigt, die schließlich in einem Krieg gipfelte, der wegen der vielen beteiligten Kriegsparteien bald „Afrikanischer Weltkrieg“ (1998 bis 2003) genannt wurde. Schon während der 90er Jahre, verstärkt in der Folge des „Afrikanischen Weltkrieges“ nutzte Ruanda seine Kontrolle über Teile des Ostens, um massiv Bodenschätze abzubauen und ins eigene Land zu schaffen. Neben den steten ruandischen Aktivitäten auf kongolesischem Gebiet griffen 2023 ugandische Militärkräfte aktiv in den Konflikt ein und nahmen die von der M23 gehaltene Stadt Bunagana ein.

„Eine Melange aus regionaler Instabilität und der politisch-militärischen Einmischung anderer Staaten macht den Krieg im Ostkongo so gefährlich.“

Jona Thiel

Eine Melange aus regionaler Instabilität und der politisch-militärischen Einmischung anderer Staaten macht den Krieg im Ostkongo so gefährlich. Die Geschichte hat gezeigt, dass sowohl die DRK als auch Ruanda bereit sind, die eigenen Interessen militärisch durchzusetzen. Vermeintlich unbedeutende Ereignisse, wie das kurzzeitige Übertreten der gemeinsamen Grenze durch ruandische Truppen, wie im Jahr 2023, können jederzeit eine Kettenreaktion auslösen, die die Akteure nicht mehr in der Lage sind zu beherrschen. In diesem Zusammenhang sind auch die in den vergangenen zwei Jahren mehrfach berichteten Drohnenangriffe Ruandas gegen den Kongo zu verstehen. Derzeit ist keines der involvierten Länder daran interessiert, die Scharmützel zu einem großen zwischenstaatlichen Konflikt auszuweiten. Doch die Grenzen und roten Linien werden ausgetestet, und der Krieg gegen die unzähligen Rebellengruppen geht weiter.

Und dann ist da noch die unberechenbare M23. Inwieweit sie unter dem Einfluss Ruandas steht, ist umstritten. Weitere Offensiven der Bewegung 23. März könnten den Konflikt allerdings zusätzlich eskalieren und die Beteiligten aus der Reserve locken – auch ohne direkte Weisungen aus der ruandischen Hauptstadt Kigali. Würde ein handfester Krieg ausbrechen, könnten auch die Soldaten der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas – im Kongo vornehmlich durch Südafrika, Tansania und Malawi vertreten – in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt werden. Allein Südafrika hat fast 3.000 Soldaten in den Osten der DRK entsendet, um die kongolesische Zentralregierung zu unterstützen.

Derzeit kontrolliert die M23 das ostkongolesische Gebiet zwischen den beiden großen Seen Lac Édouard und Lac Kivu an der Grenze zu Uganda und Ruanda. Das Territorium umfasst vom nördlichsten bis zum südlichsten Punkt mehr als 120 Kilometer (etwa die Strecke zwischen Berlin und Cottbus). Bis in die Provinzhauptstadt Goma sind die Rebellen noch nicht vorgedrungen, doch sie erobern von Woche zu Woche mehr kleinere Ortschaften in der Nähe von Goma. Sie haben strategische Punkte um die Stadt herum eingenommen, die es ihnen erlauben, die Nutzung der National Road (N2) nach Belieben einzuschränken. Die Zu- und Ausfuhr von Waren, aber auch wer in die Stadt hereinkommt oder sie verlässt wird von ihnen bestimmt.

Für die Bevölkerung verschlechtert sich die Versorgungslage immer weiter. In den östlichen Provinzen, in denen die Rebellengruppen besonders aktiv sind, ist die tägliche Versorgung mit Lebensmitteln zusammengebrochen. In Goma droht eine Hungersnot: Grundlegende Ressourcen, wie Wasser und Brot sind massiv eingeschränkt oder erreichen die Stadt wegen der zahlreichen Straßenblockaden überhaupt nicht mehr. In den abgeschnittenen Regionen kommt es vermehrt zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung. Gewaltsame Rekrutierungen von Kindern, Vergewaltigungen und Morde sind seit 2023 sprunghaft angestiegen – meist zulasten der ohnehin marginalisierten Bevölkerungsgruppen.

Eine Verbesserung der Situation ist derzeit nicht absehbar. Sollten die Konfliktparteien keine diplomatische Lösung finden und die Hilfsprojekte von UNHCR (Vereinte Nationen) und UNICEF weiterhin unterfinanziert bleiben, wird sich die Lage im Ostkongo kontinuierlich verschlechtern. Eine düstere Aussicht, in der keiner der beteiligten Akteure in der Lage ist oder den Willen aufbringt, das Leid der Bevölkerung Nord-Kivus zu lindern. 

 

Jona Thiel, geboren 1999 in Troisdorf (Nordrhein-Westfalen), ist studierter Geschichts- und Politikwissenschaftler. Er publiziert als freier Journalist und fungiert als Sprecher, sowie Autor der Forschungsgruppe "Afrika" des Think Tanks "Kölner Forum für Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik". Zudem ist der Historiker als Autor für die Forschungsgruppe "Friedens- und Konfliktforschung" tätig,  seit 2024 ist er stellvertretender Vorstand des BSH Trier (Bundesverbandes Sicherheitspolitik an Hochschulen. Thiel führt einen Blog, welcher sich primär historischen und außenpolitischen Themen zuwendet (Instagram: @gepo.global).

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