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Die Muslimbruderschaft in Deutschland
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Die Gefährdung der Demokratie durch legalistisch agierende, islamistische Gruppierungen, wie die Muslimbruderschaft (MB), kann nicht kleingeredet werden. Denn sie streben eine Umformung des demokratischen Rechtsstaats in einen islamischen Staat an, jedoch sieht ihre Strategie keine Anwendung von Gewalt vor und ist langfristig angelegt.
Die MB gilt als ein führender Akteur des legalistischen Islamismus in Deutschland. Sie unterhält ein weitverzweigtes Netzwerk von Organisationen und Vereinen und tritt nicht unter ihrem Namen auf. Dies ermöglicht ihren Funktionären, als aufrichtige Vertreter muslimischer Interessen zu agieren. Unter der Bezeichnung „Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V.“ (DMG) mit Hauptsitz in Berlin, ist die MB im gesamten Bundesgebiet aktiv. Von den Verfassungsschutzbehörden wird die Anzahl der DMG-Mitglieder bundesweit auf rund 1.450 Personen (Stand 2020) geschätzt. Kompensiert wird dieses niedrige Personenpotenzial durch das hohe Bildungsniveau der Mitglieder, die häufig einen hohen soziokulturellen Status aufweisen und darüber hinaus innerhalb der arabisch-muslimischen Gemeinschaft in Deutschland gut vernetzt sind. So unterhält die DMG bundesweit Kontakte zu zahlreichen Moscheegemeinden, die zwar formal von ihr unabhängig sind, aber de facto unter ihrem Einfluss stehen.
Die DMG agiert insofern legalistisch, als dass sie sich öffentlich als moderat gibt, auf Gewalt als Mittel zur Verwirklichung politischer Ziele verzichtet und sich ausdrücklich vom Terrorismus distanziert. Zudem bekennen sich Mitglieder der DMG öffentlich zur freiheitlichen, demokratischen Grundordnung und gestalten ihre Aktivitäten unter Beachtung hiesiger Gesetze. All dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die MB in Deutschland eine langfristige Strategie der „Islamisierung von unten“ verfolgt, so die Bewertung deutscher Verfassungsschutzbehörden. Die „Islamisierungsstrategie“ der MB ist darauf ausgerichtet einen ideologischen Bewusstseinswandel, mittels Propaganda- und Missionsarbeit (Da’wa), bei den hierzulande lebenden Muslimen und Musliminnen zu bewirken. Dadurch sollen mehr Anhänger und Anhängerinnen sowie Verfechter und Verfechterinnen für die ideologische Überzeugung, der Islam sei ein allumfassendes Normen- und Regelsystem, gewonnen werden. Muslime und Musliminnen, die das Islamverständnis der MB vertreten, sollen das deutsche Parteiensystem sowie die staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen durchdringen und beeinflussen. Eingesetzt wird dafür eine entsprechend geschulte muslimische Elite, die als Multiplikator und Ansprechpartner für die Mehrheitsgesellschaft fungiert. Die Einflussnahme auf Politik und Gesellschaft zwecks Verbreitung der MB-Ideologie und Durchsetzung islamistischer Positionen, insbesondere in den Bereichen Bildungs- und Erziehungsarbeit, soll vom Individuum ausgehen und über Familie, Gesellschaft und Staat bis hin zur langfristig angestrebten Dominanz des Islam führen.
Die DMG, ehemals „Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD), steht bereits seit ihrer Gründung unter bestimmender Einflussnahme der MB. Ihre Gründung im Jahre 1958 ging von Said Ramadan aus, dem prominenten Muslimbruder und Schwiegersohn des MB-Begründers Hasan al-Banna. Auch Mahdi Akef, der als „Allgemeiner Führer“ das höchste Amt in der Mutterorganisation in Ägypten von 2004 bis 2010 bekleidete, hatte Mitte der 1980er Jahre das der IGD zugehörige „Islamische Zentrum München“ (IZM) geleitet und dort als Imam gewirkt. Die IGD zählte zu den ältesten muslimischen Organisationen in Deutschland. Sie wurde am 9. März 1960 zunächst als „Moscheebau-Kommission e.V.“ in das Vereinsregister eingetragen. Danach erfolgte 1962 die Umbenennung in die „Islamische Gemeinschaft in Süddeutschland e.V“ und 1982 in die „Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V.“ (IGD). Beide Namensänderungen resultieren aus den sich ausdehnenden Tätigkeiten der IGD über München und den süddeutschen Raum hinaus. Die Umbenennung der IGD zu DMG erfolgte Ende 2018 und stellt einen Meilenstein auf dem Weg zu einem Imagewandel dar. Damit sollte der Darstellung in den Verfassungsschutzberichten des Bundes und Länder als die wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der MB in Deutschland entgegengewirkt werden. Die Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden, wonach die IGD als Teil des weltweiten MB-Netzwerkes anzusehen sei, war im Jahr 2017 durch den Verwaltungsgerichtshof Hessen bestätigt worden. Auch die DMG wird wiederholt namentlich in Verfassungsschutzberichten des genannt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist der Auffassung, dass das öffentliche Bestreiten der Verbindung zur MB zum „konspirativen Vorgehen“ der DMG gehöre und „die Janusköpfigkeit der Organisation“ verdeutliche. Hiergegen ging die DMG juristisch vor, zog ihre Klage jedoch im September 2021 zurück.
Die IGD, die Vorläuferorganisation der DMG, spielte eine nicht zu unterschätzende Rolle in der deutschen Islamlandschaft. Denn sie war Gründungsmitglied des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD). Die DMG ließ im Jahr 2019 ihre Mitgliedschaft im ZMD ruhen. Damit folgte die DMG einem Beschluss der Vollversammlung des ZMD vom
2. Dezember 2019. Dies sollte so lange gelten, bis vor dem Landgericht Berlin geklärt ist, ob die DMG zu Recht im Verfassungsschutzbericht erwähnt wird. Seit dem Rückzug der Klage durch die DMG im Herbst 2021 wurde in dieser Angelegenheit noch keine Entscheidung beigeführt.
Als Juniororganisation der DMG wird die im Jahr 1994 gegründete „Muslimische Jugend in Deutschland e.V.“ (MJD) angesehen. Sie hat ihren Sitz in Berlin und organisiert sich in bundesweiten „Lokalkreisgruppen“. Der Verein bietet jungen Muslimen und Musliminnen Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Nach Bewertung des Verfassungsschutzes richtet sich die MJD mit islamischen Bildungs- und Freizeitangeboten an muslimische Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 13 und 30 Jahren.
Der „Fatwa-Ausschuss Deutschland“ steht im Verdacht, eine Plattform der MB zu sein. Seine Mitglieder gehören mehrheitlich dem „European Council for Fatwa and Research“ (ECFR) an. Bis 2018 stand das ECFR unter dem Vorsitz von Yusuf al-Qaradawi, einem in Katar lebenden MB-nahen Gelehrten. Als Teil des weltweiten Netzwerkes der MB verfolgt der ECFR das Ziel, sich als religiöse Instanz zu etablieren, indem er regelmäßig Rechtsgutachten für die in Europa lebenden Muslime und Musliminnen erlässt. In Frankfurt am Main wurde 2004 der MB-nahe „Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland e. V.“ (RIGD) gegründet. Ähnlich wie der ECFR auf europäischer Ebene erhebt der RIGD den Anspruch, als wissenschaftliche Autorität in Fragen der Koranauslegung für die in Deutschland lebenden Muslime und Musliminnen zu fungieren.
Zu dem weit verästelten Netzwerk gehört auch der „Council of European Muslims“ (CEM), ein Dachverband aller MB-nahen Organisationen in Europa mit Sitz in Brüssel. Im CEM sind Organisationen aus 28 Staaten vertreten, darunter einige nationale Dachverbände wie die „Union des Organisations Islamiques de France“ (UOIF) und die „Muslim Association of Britain“ (MAB). Ziel des CEM ist es, als Sprachrohr der europäischen Muslime und Musliminnen zu fungieren.
Als Kaderschmiede für MB- und DMG-Funktionäre gilt das im Jahr 2012 in Frankfurt am Main gegründete „Europäische Institut für Humanwissenschaften“ (EIHW). An dem EIHW werden Islam sowie Arabisch und Deutsch unterrichtet. Das Frankfurter Institut arbeitet eng mit dem „European Institute of Human Sciences“ (EIHS) in Großbritannien und dem „Institut Européen des Sciences Humaines“ (IESH)) in Frankreich zusammen. In Kooperation mit diesen beiden MB-nahen Bildungsstätten vermittelt das EIHW Studienabschlüsse in arabischer Sprache und Islamwissenschaft.
Insbesondere am Beispiel des europaweit vernetzten „Fatwa-Ausschusses Deutschland“ sowie des „Europäischen Instituts für Humanwissenschaften“ wird der besondere Stellenwert, den die MB der Bildung im Prozess der angestrebten Islamisierung von Gesellschafts-, Rechts- und Staatsordnung beimisst, deutlich. Anders als militante Islamisten wollen MB-Anhänger das System nicht kurzfristig mit Gewalt umstürzten; ihr Planungshorizont zur Machtübernahme ist langfristig ausgerichtet.
Aladdin Sarhan
Lesetipps:
- Bundesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2020, Berlin 2021.
- Landesamt für Verfassungsschutz Hessen, Verfassungsschutzbericht 2020, Wiesbaden 2021.
- Stefan Meining, Eine Moschee in Deutschland: Nazis, Geheimdienste und der Aufstieg des politischen Islam im Westen, München 2011.