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Hizb ut-Tahrir

Die Vorstellung vom besten Kalifat

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Entstehungshintergrund

Bei der Hizb ut-Tahrir handelt es sich um eine 1953 im jordanisch kontrollierten Ostjerusalem entstandene Abspaltung der Muslimbruderschaft, der Keimzelle unzähliger islamistisch aktiver Gruppen. Unzufrieden mit der mangelnden Unterstützung führender Muslimbrüder propagierte die HuT unter der Führung von Taqi ad-Din al-Nabhani zunächst die namensgebende Befreiung Palästinas, bevor sie in den 1970er Jahren transnationale Züge annahm und die Befreiung aller Muslime in einem weltumspannenden Gottesreich zum Ziel erklärte.

Heute ist die Hizb ut-Tahrir in verschiedenen Weltregionen aktiv. Neben Australien, Zentralasien oder Südostasien auch in Europa, wo in Großbritannien mit einer Verbotsdiskussion ein Schritt erwogen wird, den Deutschland bereits 2003 unternahm. Die zentrale Frage ist dabei, neben der bereits in ihren frühen Gründungsjahren angelegten Israelfeindlichkeit, das Verhältnis zur Gewalt.

Während sie sich in öffentlichen Verlautbarungen immer wieder von revolutionärer Gewalt distanziert, gibt es nachvollziehbaren Zweifel an der behaupteten Friedfertigkeit.

 

Relativierung des islamistischen Terrorismus?

Es war im Jahr 2014 als die Bilder von Gräueltaten des so genannten „Islamischen Staates“ weltweit für Aufsehen und eine umfassende Berichterstattung sorgten. Im australischen Fernsehen sah sich deshalb auch ein prominenter Sprecher der Hizb ut-Tahrir, Wassim Doureihi, aufgefordert, die terroristischen Attacken des IS zu verdammen. Diesem Wunsch aber wollte der HuT-Mann nicht nachkommen. Er weigerte sich schlichtweg, den politischen Kontext der IS-Entstehung außen vor zu lassen und allein das mediale Schema der IS-Barbarei zu bedienen. Für ihn schien es unmöglich, über das Thema zu sprechen und dabei die Jahrzehnte zurückreichende Destabilisierung des Irak, insbesondere durch US-geführte Interventionen, außen vor zu lassen. Dieser Topos ist nicht neu und dass sich die HuT in diesem Thema durchaus treu ist, zeigt auch der Gegenstand eines Vortrages, der den Anfang vom Ende der HuT in Deutschland markiert. Bereits in der Alten Mensa der TU Berlin referierte im Oktober 2002 der immer noch aktive, deutsch parlierende HuT-Sprecher Shaker Assem (Dipl. Ing.) zu dem Thema: „Irak: Ein neuer Krieg und die Folgen!“. Stellt man die bis heute spürbare antikoloniale Grundausrichtung der HuT in Rechnung, wäre es falsch, die Antwortverweigerung als Relativierung terroristischer Gewalt oder gar als Beleg für eine stillschweigende Sympathie mit IS zu sehen – dafür gibt es für die HuT auch keinen Grund.

 

Das bessere Kalifat

Aus ganz unterschiedlichen Gründen tun sich islamistische oder fundamentalistische Gruppen mitunter schwer, sich von terroristischer Gewalt zu distanzieren. Dabei hätten sie oft besonders guten Grund – auch die HuT. Denn wie www.khilafa.com, eine Webseite der Partei, vermeldet, wurde in Bagdad im vergangenen Jahr Mustafa, ein Mann der HuT, zum „Märtyrer“: Er sei von einem „Mob“, von Anhängern des IS, getötet worden, weil er Wörter der Wahrheit (haqq) gesprochen habe. Und selbstverständlich seien die mordenden „Staats-Männer“ nicht rechtgeleitet und sollten deshalb um die Vergebung ihrer Sünden bitten. Aus der Sicht von HuT ist die Tötung Mustafas durch IS schlimmer als ähnliche Akte, begangen etwa im Auftrag tyrannischer Despoten von Usbekistan bis Syrien, die in der Propaganda zumeist als Hauptfeinde firmieren. Während sie Muslime im Namen des „Säkularismus“ töten, tut IS dies verwerflicherweise im Namen des Kalifats. Dass der HuT ein vermeintlich islamkonformes Kalifat nach eigenen Vorstellungen vorschwebt, führt uns zum islamistischen Kernbestand von IS, HuT und Co. Denn das einzig islamkonforme Kalifat der HuT wäre eines unter der Herrschaft der HuT.

 

Belebte Konkurrenz

Wer wissen will, wie sich die HuT gegenüber anderen Muslimen verhalten würde, lernt einiges, wenn er sich die Expansionsbestrebungen der Partei in Hamburg nach der Jahrtausendwende vor Augen hält. In einer Tätigkeitsbilanz rekapituliert die ortsansässige Schura, die verschiedene islamische Gemeinschaften und damit Islamausrichtungen vereint, auf welche Weise die HuT mit feindlichen Übernahmen von Moscheen die innerislamische Konkurrenz zu schwächen versuchte. Mit ihrer Jugendarbeit erreichte sie besonders junge Muslime – oft aus säkularen Elternhäusern oder akademischen Milieus – nur um dann die Schura-Konkurrenz als „Verräter“ abzustempeln, weil sie mit dem System der „Kuffar“ (Ungläubige) kollaborieren würde. Diese Abwertung anderer Muslime ist es, in der sich Gruppen wie HuT oder IS ähneln. Insofern vernebelt die reale Konkurrenz eine ebenso reale Gefahr, die darin besteht, dass sie das Geschäft belebt. Denn wer das real existierende Kalifat von IS mit den Argumenten der HuT ablehnt, schadet den IS-Ambitionen nicht wirklich, sondern schluckt die Vorstellung von einem „wahren Kalifat“, das anderen Kalifatsvorstellungen überlegen ist.

 

Klaus Hummel

 

Lesetipps:

  • Irina Volf, Hizb ut-Tahrir in the press II: Exploring differences between academic discourses and editorial choices in Europe and Central Asia, in: conflict & communication on line, Vol. 14, No. 1, 2015.

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