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Gibt es einen linksextremistischen Antisemitismus?
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Antisemitismus bringt man üblicherweise mit Rechtsextremismus in Verbindung: Die Nationalsozialisten verwirklichten einen selbst in der Jahrtausende alten Geschichte des Antisemitismus beispiellosen Massenmord an jüdischen Menschen. Von Linksextremisten, die sich durchweg als „Antifaschisten“ verstehen, könnte man daher erwarten, dass sie antisemitischen Stereotypen in ihren Zusammenhängen keinen Raum lassen. Das aber stimmt leider so nicht.
Antisemitismus ist eine Jahrtausende alte Vorurteilsstruktur, die sich pauschal gegen Menschen richtet, die sich als jüdische Religionsgemeinschaft verstehen. Antisemitismus ist vereinfacht formuliert „Feindschaft gegen Juden als Juden“, sagt der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber. Es gibt unterschiedliche Spielarten von Antisemitismus: Er kann religiös begründet sein, er kann ökonomisch begründet sei, wenn er am wirtschaftlichen Erfolg jüdischer Händler und Bankiers Anstoß nimmt, er kann, wie bei den Nazis, rassistisch/biologistisch begründet sein. Im letzteren Fall glaubt er, in den Mitgliedern der jüdischen Religionsgemeinschaft eine ethnisch oder biologisch definierbare „Rasse“ erkennen zu können, der dann kollektiv negative Eigenschaften zugeschrieben werden. Dieses Verfahren ist allen Spielarten des Antisemitismus eigen: Unabhängig von ihrem Tun oder Lassen, von ihren politischen Überzeugungen, ihrem Geschlecht, ihrer Hautfarbe, werden „die Juden“ in kollektive Verantwortung dafür genommen, was irgendeiner von ihnen an angeblich Negativem tut. Im politisch begründeten linken Antisemitismus, der sich üblicherweise „Antizionismus“ nennt, wird auf „die Juden“ in erster Linie eine tief greifende Abneigung gegen den Staat Israel als einzige westliche Demokratie im Nahen Osten projiziert. Linksextremisten würden wohl nicht in die Gefahr geraten, ihren Antisemitismus rassistisch zu begründen. Die ökonomischen und politischen Varianten des Antisemitismus haben im Linksextremismus dagegen eine lange Tradition. Der stalinistische Sowjetkommunismus war stark antisemitisch ausgerichtet; eine geplante „Säuberungskampagne“ unter Stalin in den 1950er Jahren war gegen eine angebliche „jüdische Ärzteverschwörung“ gerichtet. Seit dem Sechstagekrieg 1967 ergriffen Linksextremisten in Deutschland fast durchgängig einseitig für die arabisch-palästinensische Seite Partei. Das lag nur zum Teil daran, dass die Sowjetunion auf die arabische Karte setzte. Andere linksextremistische Gruppen bis hin zu den Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) sahen im palästinensischen Terrorismus nunmehr ein „für seine Befreiung kämpfendes Volk“; in Israel aber einen „kapitalistischen“ Bündnispartner der verhassten USA. Dabei vermischten sich alte antisemitische Stereotypen mit linksextremem Antiimperialismus (siehe auch „Antimilitarismus“ und „Antiimperialismus“ bei Linksextremisten). Zudem wird konsequent mit doppelten Standards gearbeitet: Israelische Maßnahmen gegen palästinensischen Terror bezeichnen Linksextremisten als Menschenrechtsverletzungen oder Kriegsverbrechen. Gewalt und Terrorismus, Korruption und Kriminalität bei palästinensischen Akteuren werden von ihnen nicht erwähnt.
Entschuldigend heißt es zu diesem Verhalten, es handele sich nicht um Antisemitismus, sondern um „antizionistische Kritik“ an der israelischen Politik. Und die werde man doch wohl noch kritisieren dürfen. Selbstverständlich darf man das, die Kritik findet ja in der israelischen Gesellschaft genau so statt wie in jedem demokratischen System. Allerdings geht der linksextreme „Antizionismus“ bisweilen so weit, dass Israel als „zionistisches Gebilde“ bezeichnet und ihm das Existenzrecht abgesprochen wird – auf eine solche Idee käme wohl niemand, dem vielleicht an der belgischen, dänischen oder französischen Politik irgend etwas nicht passt. Israel gilt in der Perspektive eines linken Antisemitismus nicht als ein Zufluchtsort für Juden, die den Holocaust überlebt haben, sondern als ein verbrecherisches Unternehmen, das beendet werden müsse – die Nachkommen der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung werden zu Tätern umgedeutet, die angeblich eine „Endlösung der palästinensischen Frage“ (so deutsche Linksextremisten 1982) betreiben. Tatsächliche oder vermeintliche Fehler der israelischen Politik werden dabei einfach „den Juden“ weltweit zugerechnet. Über die Kritik israelischer Kriegsführung und Politik, schreibt der Soziologe und Historiker Thomas Haury, könne der „Staat der Opfer“ zum „Täterstaat“ und damit der „Jude“, das Sinnbild des unschuldigen Opfers, als „Israeli“ zum Täter erklärt werden.1
Kritiker sehen einen solchen als „Israelkritik“ oder „Antizionismus“ getarnten Antisemitismus vor allem in der Partei Die Linke: Dort habe er sich ungefähr seit 2010 zur dominierenden Position in der Außenpolitik der Partei verdichtet2. Als Anknüpfungspunkte nennen die Kritiker etliche eindeutig von Ressentiments gegen Juden als Juden getragene Vorfälle in der Partei (z.B. die Ablehnung der Förderung eines Synagogenbaus oder Aufrufe zum Boykott israelischer Waren durch Kommunalpolitiker der Linken), vor allem aber die Teilnahme von drei Bundestagsabgeordneten an einer gemeinsam mit islamistischen Organisationen durchgeführten „Solidaritätsflottille“, die 2010 angeblich Hilfsgüter nach Gaza bringen sollte. Als ein Durchsuchungskommando der israelischen Küstenwache die Schiffe stoppte, kam es zu Auseinandersetzungen mit mehreren Toten. Die Bundestagsabgeordneten der Linken sprachen anschließend von israelischer Piraterie und Kriegsverbrechen; ihr Agieren an der Seite von islamistischen Terroristen wurde intern nicht weiter problematisiert.
Der linksextreme Antisemitismus kommt weniger deutlich und plakativ daher als der Antisemitismus von Rechtsextremisten oder Islamisten. Man erkennt ihn dennoch meistens an folgenden Elementen:
- Abstreiten des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. mit der Behauptung, Israel sei ein rassistischer Staat,
- Die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet und erlangt wird,
- Verwenden von Symbolen und Bildern, die mit dem traditionellen Antisemitismus in Verbindung stehen,
- Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten,
- Bestreben, alle Juden kollektiv für die Handlungen des Staates Israel verantwortlich zu machen.3
Rudolf van Hüllen
Lesetipps:
- Martin W. Kloke, Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses, 2. Aufl. Frankfurt/Main 1994.
- Doron Rabinovici/Ulrich Speck/Natan Sznaider (Hrsg.), Neuer Antisemitismus? Eine globale Debatte, Frankfurt/Main 2004.
- Bericht der unabhängigen Expertenkommission Antisemitismus: Antisemitismus in Deutschland - Erscheinungen, Bedingungen, Präventionsansätze, Bundestags-Drs. 17/7700 vom 10.11.2011.
1 Thomas Haury, Antisemitismus von links, Hamburg 2002, S.126.
2 Die Schilderung einzelnen Vorfälle bei Samuel Salzborn/Sebastian Voigt, Antisemiten als Koalitionspartner? Die Linkspartei zwischen antizionistischem Antisemitismus und dem Streben nach Regierungsfähigkeit, in: Zeitschrift für Politik 3/2011, S.290-309. Online hier verfügbar.
3 Das ist im Wesentlichen eine Definition des European Union Monitoring Center on Racism and Xenophobia (EUMC) von 2004, wiedergegeben nach Salzborn/Voigt, S. 293.