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Linksextremistische Milieus
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Zum Glück gibt es in Deutschland keine politisch definierten Ghettos – weder im geografischen noch im sozialen Sinne. Auch Linksextremisten leben mit der Mehrheitsgesellschaft, mitten in ihr. Und sie können sich durchaus aussuchen, wieweit sie sich den gesellschaftlichen Normen anpassen und sich deren Vorteile sichern, ohne im Kopf die revolutionäre Motivation aufzugeben. In Frankreich nennt man die besonders anpassungsfähigen Exemplare dieser Art Linksextremisten „gauche de caviar“ – Kaviarkommunisten. Und deshalb gibt es auch den Gelegenheitsrevolutionär, der eher „rechts“ und kapitalistisch lebt, aber im Kopf „links“ und revolutionär denkt. Das ist nicht immer nur ein Täuschungsmanöver, manchmal auch einfach ein Kompromiss, der aus Bequemlichkeitsgründen vorgenommen wird.
Auch innerhalb der einschlägigen Milieus gibt es eben nicht nur den idealtypischen Kommunisten oder Autonomen. Manchmal weisen Linksextremisten kräftige Grautöne auf. Aber das Bild von einem idealtypischen Milieu hilft dabei zu erkennen, wo Linksextremismus anfängt, wo er zur vollen Blüte gelangt und wo er möglicherweise nur noch in ganz stark verdünnter Form vorhanden ist.
Besonders die Kommunisten mit ihrer in sich geschlossenen Ideologie des Marxismus-Leninismus erhoben von jeher den Anspruch, sich als radikale Alternative zu den Staaten und Gesellschaften zu verstehen, in denen sie lebten. Kommunisten verstanden sich, wie die französische Politikwissenschaftlerin Anni Kriegel feststellte, als „Gegengesellschaft“. Dabei sollten die Organisationsmuster ihrer Partei als Muster für die künftigen Strukturen einer kommunistischen Gesellschaft dienen, und das setzte notwendig die totale Ablehnung der bestehenden gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung voraus. Allerdings konnten sich die Kommunisten auch nie völlig abschotten. Sie wollten es auch nicht, weil sie vorhatten, die Arbeiter von der Notwendigkeit des Sozialismus/Kommunismus zu überzeugen, und deshalb suchten sie nach ihrem Verständnis den „Kontakt zu den Massen“. Dazu hatten sie versucht, sich in den bis in die 1950er Jahre in der alten Bundesrepublik existenten Arbeiterwohnvierteln, den sogenannten „proletarischen Milieus“, möglichst wirksam zu verankern. Allerdings konkurrierten die Kommunisten auch dort mit den Sozialdemokraten und den christlichen Arbeitnehmerorganisationen um die Vorherrschaft.
Auch die Autonomen verachten Lebensgewohnheiten und Verhaltensformen gesellschaftlicher Mehrheiten und ziehen es vor, in bestimmten Stadtvierteln zu wohnen, die ihren Vorstellungen von „Selbstbestimmtheit“ und „Anarchie“ annähernd entsprechen und eine Infrastruktur aus „linken“ Einrichtungen (vom autonomen Zentrum bis zum linken Buchladen) besitzen. In solchen vernachlässigten und oft sozial schwachen Vierteln, vor allem in Großstädten und Universitätsstädten, sind sie zwar nicht allein, aber sie finden dort ein für sie günstiges und schützendes linkes Milieu.
Rudolf van Hüllen