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Publikationen mit Anbindung an Organisationen und Milieus
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Das klassische „Zentralorgan“, also die Organisationszeitung, die ausschließlich und kompromisslos die Sichtweise „ihrer“ revolutionären Partei vertritt, ist selten geworden. Auch Zeitschriften mit organisatorischer Anbindung öffnen sich heute einem breiteren Publikum - mindestens einem solchen, das in allgemeinster Form einen linken „systemüberwindenden“ Ansatz vertritt. Bisweilen sind Organisationen eingegangen, ihre Blätter haben überlebt und sich neu orientiert. Manche Organisationen leisten sich mehrere Publikationen. Wieder andere kommen ohne einen solchen Rückhalt aus; sie existieren einfach vom Zuspruch aus einem bestimmten Milieu des Linksextremismus, das ihnen Autoren, finanzielle Mittel und Leser beschert.
„Neues Deutschland“ (ND)
Das 1946 unter diesem Namen gegründete Blatt trug Jahrzehnte den Untertitel „Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ und nennt sich seit Ende 1989 schlicht „Sozialistische Tageszeitung“. Offiziell gehört sie zwar zu gleichen Teilen einer Genossenschaft und einer GmbH, aber de facto war sie seit 1989 nie etwas anderes als das Organ der PDS, der Linkspartei-PDS und der heutigen Die Linke, die damit als einzige Bundestagspartei über eine Tageszeitung verfügt.1 In den neuen Bundesländern ist „Neues Deutschland“, verkaufte Tagesauflage knapp unter 30.000 Exemplare, praktisch allerorten erhältlich; im Westen sucht man es besser in Bahnhofsbuchhandlungen oder linken Buchläden.
ND ist heute kein „Zentralorgan“ mehr; in ihm spiegeln sich die Positionen der unterschiedlichen Parteiflügel von den Reformern bis zur Kommunistischen Plattform. Und weil Die Linke in den Neuen Bundesländern eine Volkspartei geworden ist, kann sich eine Einordnung des heutigen ND nicht in einer einfachen Zuschreibung als „linksextremistisch“ erschöpfen. Es bedient vielmehr die gesamte Palette einer überregionalen Tageszeitung, wobei sich die Themenpräferenz nach den Interessen ihrer politisch gebundenen Leser richtet. Marktwirtschaft („Kapitalismus“) oder westliche Außenpolitik („Imperialismus“) haben hier eher geringere Chancen auf eine faire Darstellung (siehe auch „Der Kapitalismus ist an allem schuld.“ und Sind Auslandseinsätze der Bundeswehr „Imperialismus“?). Dafür finden nach wie vor DDR-nostalgische Beiträge und Abhandlungen zu Geschichte der SED reichlich Raum.
Fast schlimmer aber ist, dass sich die Partei keine neue Zeitung leistete. Das „neue Deutschland“, welches ND im Titel führt, war bis 1989 eine stalinistische Diktatur. Und unter dem Titel dieses Blattes wurden die Bürger der heutigen neuen Bundesländer 40 Jahre lang mit den Lügen der regierenden SED agitiert, wurden politische Gegner systematisch fertig gemacht. Es gehört Zynismus dazu, einen solchen Titel an Kiosken weiterhin öffentlich auszulegen, auch wenn der Inhalt der Zeitung sich verändert hat. Denn selbst mit völlig demokratisiertem Inhalt wäre ein „Völkischer Beobachter“ auch heute gänzlich unakzeptabel.
„junge Welt“ (jW)
Das frühere Zentralorgan der Freien Deutschen Jugend (FDJ) hat ebenfalls das Ende der SED-Diktatur überdauert und ist heute die nach dem ND auflagenstärkste Publikation im Spektrum des Linksextremismus. jW ist nicht an eine politische Organisation gebunden, sie wird von einer Genossenschaft mit rund 1.600 Mitgliedern herausgegeben. Wie sie bei einer verkaufte Auflage von 19.000 Exemplaren2 mit rund zwei Dutzend Redakteuren die Kosten von - nach Eigenangaben - rund 250.000 Euro monatlich aufbringt, bleibt ihr Geheimnis. Sie ist in den neuen Bundesländern praktisch überall erhältlich, in den alten allenfalls in großen Bahnhofsbuchhandlungen und in linken Buchläden.
Der Verfassungsschutz bezeichnet das Blatt höflich distanziert als „traditionskommunistisch“. Unter den Redakteuren und Stammautoren scheint es zum guten Ton zu gehören, entweder hauptamtlich oder doch zumindest als IM für die Staatssicherheit tätig gewesen zu sein. Chefredakteur Arnold Schölzel beispielsweise war als IM „André Holzer“ an der Berliner Humboldt-Universität für die Bespitzelung seiner Mitstudenten eingesetzt.3 Der frühere Verlagsleiter Dietmar Koschmieder, dem seine Mitarbeiter bescheinigten, den Betrieb wie eine Galeere zu führen und intern schon mal die Diktatur des Proletariats errichtet zu haben4, war allerdings nur in der DKP. Das Denken der Blattmacher kreist recht stark um einen angeblich zwingenden Zusammenhang zwischen Kapitalismus, Faschismus und Krieg. Faschismus und Krieg drohen demnach in westlichen Demokratien offenbar immer. Wenn die Lage so ernst ist und eine Neuauflage des Nationalsozialismus ständig droht, kann man verstehen, dass jW auch einen politischen Auftrag gegen den „Faschismus“ fühlt: „Die junge Welt fördert alle politischen Formen von Protest und Widerstand gegen diese Tendenzen.“5 Deshalb kommen auch Vertreter terroristischer „Befreiungsbewegungen“ in der jW häufig und zumeist ohne jede Distanzierung zu Wort. Der „internationalen Solidarität“ dienen auch die jährlich im Januar in Berlin durchgeführten „Rosa-Luxemburg-Konferenzen“, zu denen sich regelmäßig rund 2.000 Gesinnungsgenossen ihres „harten“ Linksextremismus zusammenrotten.
Eng verbunden mit dem Milieu, das die Leserschaft der jW ausmacht, ist eine Reihe von Postillen, die Lobbyarbeit für frühere „Systemeliten“ der SED-Diktatur leisten. Eine heißt „Akzente“ und gehört zur „Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde“ (GBM). Diese beiden Werte sieht die Gesellschaft durch die Entmachtung früherer SED-Funktionäre verletzt. Von vergleichbarer Ausrichtung sind „ISOR e.V. - Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR“ und die „Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung e.V.“ (GRH). Auf ihren Seiten findet man leicht ihre online gestellten Postillen.
„Unsere Zeit“ (UZ)
UZ ist seit März 1969 das Zentralorgan der DKP. Bis 1989 musste es die SED mit jährlichem Millionenaufwand am Leben erhalten, weil es oft nicht mal die eigenen Parteimitglieder abonnieren wollten. Heute hat das vierzehntäglich erscheinende Blatt nur noch die Funktion eines Selbstverständigungsforums für die deutlich unter 3.000, zumeist recht betagten Mitglieder der DKP. Inhaltlich liegt es ungefähr auf der Linie der „jungen Welt“.
Die DKP hat noch eine zweite regelmäßige Publikation, die es sogar schon seit 1963 gibt: Die „Marxistischen Blätter“ sind ein zweimonatlich erscheinendes Magazin, in dem Aktionsfelder der Partei und Fragen der marxistisch-leninistischen Ideologie vertiefend erörtert werden.
„Rote Fahne“
So hieß schon in den 1930er Jahren das Zentralorgan der historischen KPD. Die maoistisch-stalinistische Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) hat sich diesen Traditionstitel für ihr wöchentlich erscheinendes Zentralorgan gesichert. Es ist auf schlichteste Klassenkampfagitation spezialisiert und darauf, die Rolle als allzeit erfolgreiche revolutionäre Partei herauszustellen. Gemessen an seinem Niveau sind jW und UZ vergleichsweise anspruchsvolle Literatur.6 Nicht allein die MLPD erhebt Anspruch auf den Traditionstitel „Rote Fahne“. Auch noch ein paar andere Blätter gleichen oder fast gleichen Namens sind - bei einiger Mühe - gedruckt oder einfacher im Netz - auffindbar, zum Beispiel „Die Rote Fahne“ der 1990 in Berlin gegründeten „Kommunistischen Partei Deutschlands“ (KPD); ihren Mitgliedern waren seinerzeit weder die PDS noch die DKP hinreichend orthodox, sie kehrten daher zum Namen der Kommunistischen Partei vor 1946 zurück.
„Marx 21“, „Solidarität“ und „Sozialistische Zeitung“ (SoZ)
führen den Leser in die Welt der stark zerspaltenen trotzkistischen, zumeist international organisierten Dachverbände.
„Marx 21“ ist das Magazin der deutschen Sektion der „International Socialist Tendency“. Sie integrierte sich 2007 in Die Linke und gab sowohl ihren bisherigen Namen „Linksruck“ als auch die gleichnamige Zeitung auf. Mit Marx 21 haben sich die Trotzkisten (siehe auch Was ist Kommunismus?) nur eine neue Plattform geschaffen.
Ähnlich verhält es sich mit „Solidarität“, der deutschen Sektion des „International Committee for a Worker’s International“. Auch die deutschen Anhänger dieses trotzkistischen Dachverbands sind in den vergangenen Jahren bei der Linken willkommen gewesen, haben sich aber eine eigene publizistische Plattform erhalten.
Komplizierter verlief die Eingemeindung der deutschen Anhänger eines anderen, inzwischen offiziell nicht mehr bestehenden trotzkistischen Dachverbands7 in die heutige Linke, der bereits seit 1990 in Gang gewesen war. Diese Trotzkisten verfügten seit 1986 mit der „Sozialistischen Zeitung“ (SoZ) über ein monatlich erscheinendes Periodikum von beachtlichem Niveau. Ihr organisatorischer Zusammenhalt ist inzwischen abhanden gekommen, aber die Zeitung existiert weiter.
Es gibt andere Blätter, deren frühere Trägerorganisationen entweder weggefallen sind oder die heute eher Plattformen für politische Diskussuionen in bestimmten Milieus darstellen. Eine zweifelsfreie und trennscharfe Zurechnung zum Linksextremismus ist nicht für alle möglich. Man kann es solchen Zeitschriftenprojekten nicht verübeln, dass sie sich an die „Linke“ als finanziell potenteste Organisation anlehnen. Dazu zählt z.B.
„analyse & kritik“ (ak)
ein dickleibiges Monatsblatt im Zeitungsformat. Seine Abkürzung „ak“ stand seit 1971 ursprünglich für „Arbeiterkampf - Zeitung des Kommunistischen Bundes“. Da der KB, aus dem zahlreiche prominente Kader der „Linken“ stammen, sich aber 1991 auflöste, wandelte sich auch sein ursprüngliches Zentralorgan zu einem Diskussions- und Informationsforum über revolutionäre Wege im In- und Ausland. Der politische Anspruch blieb erhalten: „Wir wollen aber nicht nur informieren und kommentieren, sondern auch eingreifen“, erklärt die Redaktion auf ihrer Homepage unter http://www.akweb.de.
„Sozialismus“ heißt ein Fachperiodikum aus Hamburg für „politische Ökonomie“, also marxistische Wirtschaftstheorie. Es versteht sich als Forum für die „politische Debatte der gewerkschaftlichen und politischen Linken“; personell ist eine deutliche Anbindung an „Die Linke“ unübersehbar.
„Z - Zeitschrift marxistische Erneuerung“ war ein Selbstverständigungsorgan von DKP-Kadern, die nach 1990 aus ihrer Partei in die PDS, die heutige „Linke“, wechselten. Mit dem Erneuern sind die inzwischen zumeist gut mit Posten im öffentlichen Dienst und/oder im Bundestag versorgten Genossen heute noch vierteljährlich zugange.
Wie man sieht, verstehen sich die meisten dieser Publikationen auch als Diskussionsplattformen, und einige versuchen, Brücken in die demokratische Linke zu bauen. Dort wiederum scheint es hinreichend viele Autoren und Redaktionen zu geben, denen es offenbar nichts ausmacht, marxistische Theorien mit Personen zu diskutieren, die partout Demokratie und Diktatur nicht auseinander halten können. Das ist offenbar auch beim Kooperationsprojekt „Linksnet - für linke Politik und Wissenschaft“ der Fall. Das Internetportal bietet Beiträge aus 47 deutschsprachigen Zeitschriften an; seine Anschubfinanzierung hatte 2001 die „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ (RLS) übernommen. Aber es wäre insgesamt verfehlt, die an diesem Bündnisunternehmen beteiligten Blätter pauschal als linksextremistisch zu bezeichnen.
Ein besonderes Genre im linken Publikationendschungel stellen die Blätter des „antideutschen“ Linksextremismus dar. Seine Besonderheit besteht darin, dass hier revolutionären Marxisten und Autonomen der Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Antisemitismus aufgefallen ist. Sie finden daher linken Antisemitismus, wie er in der pro-palästinensischen und pro-Taliban-Ausrichtung traditioneller Linksextremisten immer mal wieder aufscheint, inakzeptabel. Die „Antideutschen“ ergreifen statt dessen Partei für Israel und für dessen Schutzmacht, die USA, schießen aber andererseits deutlich über den rationalen Kern ihrer Einsichten hinaus, wenn sie deutsche Außenpolitik ständig als versuchte Wiederholung des Nationalsozialismus interpretieren.8
Das „Zentralorgan“ der „Antideutschen“ ist die kleine, seit 1996 zwei bis dreimal jährlich erscheinende und wegen ihrer pointiert islamkritischen und proisraelischen Beiträge bei anderen Linksextremisten geradezu verhasste „Bahamas“. Die Verfolgungsbemühungen der traditionellen „Antiimperialisten“ gegenüber „Bahamas“ legen beredtes Zeugnis davon ab, wie es um die Pressefreiheit in Deutschland bestellt wäre, hätten Linksextremisten über sie zu entscheiden.
Als eine „antideutsche“ Abspaltung der neostalinistischen „jungen Welt“ entstand 2000 die „Jungle World“. Sie ist wie „Bahamas“ sensibel für Gefahren des linksextremistischen Antisemitismus.
Es fällt schwer, „Bahamas“ und „Jungle World“ mit dem Verdikt „linksextremistisch“ zu versehen, obgleich in früheren Zeiten in beiden Blättern schon mal die Rede vom „Kommunismus“ als Ziel war. Eine Einordnung als Projekte radikaler Aufklärung, die sich an den systematischen Lebenslügen des Mainstream-Linksextremismus abarbeitet, kommt den Tatsachen erheblich näher.
Rudolf van Hüllen
1 Selbstverständlich „gehört“ das ND nicht offiziell der Partei. Über die recht subtilen Eigentumsverhältnisse berichtete zuletzt „Der Spiegel“ (Nr. 17/2011, S.46) unter dem Titel „Rotes Wunder“.
2 jW v. 16./17.2.2008.
3 Vgl. Jochen Staadt/Manfred Wilke, „Nichts Neues im Westen?“, Arbeitspapier des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 28, S. 26.
4 jW v. 5./6.11.2005.
5 http://www.jungewelt.de/ueber_uns/diese_zeitung.php
6 Auch die MLPD leistet sich ein unregelmäßig erscheinendes „Theorieorgan“ namens „Neuer Weg“ (http://www.mlpd.de/partei/theoretisches-organ).
7 Es handelt sich um die in Paris ansässige „IV. Internationale/Secrétariat Unifié“ („IV. Internationale / Vereinigtes Sekretariat“). Ihre deutschen Anhänger finden sich weitgehend in der „Linken“, das ungleich größere französische Segment nennt sich „Nouveau Parti Anticapitaliste“ („Neue Antikapitalistische Partei“).
8 Vgl. Carsten Koschmieder, Die Entstehung der „Antideutschen“ und die Spaltung der linksradikalen Szene, in Ulrich Dovermann (Hrsg.), Linksextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2011 (Schriftenreihe bpb Bd. 1135), S. 183-200.