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War die DDR ein Unrechtsstaat?

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Die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, ruft oft Emotionen hervor. Wer sich an den Prinzipien des Rechtsstaates orientiert – Rechtssicherheit und materieller Rechtsgleichheit –, kommt nicht umhin, die SED-Diktatur als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Ein Unwerturteil über die in ihm lebenden Menschen ist damit nicht verbunden.

Die DDR hat sich zur „sozialistischen Gesetzlichkeit“ als einem grundlegenden Prinzip der staatlichen Leitung bekannt.

Im SED-offiziösen „Kleinen politischen Wörterbuch“ heißt es dazu 1988: „Die Einhaltung der s[ozialistischen] G[esetzlichkeit] ist ein erstrangiges Prinzip der Politik der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei nach der Erringung der politischen Macht. In allen Etappen der gesellschaftlichen Entwicklung ist die s[ozialistische] G[esetzlichkeit] eine revolutionäre Gesetzlichkeit, die auf der Grundlage und in Verwirklichung der Beschlüsse der Partei entwickelt und gefestigt wurde. Die Einhaltung der s[ozialistischen] G[esetzlichkeit] ist Kampf für die Verwirklichung der im Recht ausgedrückten Politik der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei. Die Herausarbeitung der s[ozialistischen] G[esetzlichkeit] ist unmittelbar mit dem theoretischen und praktischen W. I. Lenins verbunden.“1
Wie nicht nur dieses ausführliche Zitat nachdrücklich belegt, steht die von der DDR propagierte und praktizierte „sozialistische Gesetzlichkeit“, die die „Politik der Arbeiterklasse“ rechtfertigt, mit den Prinzipien des Rechtsstaates auf Kriegsfuß. Der Rechtsstaat hingegen ist u.a. gekennzeichnet durch unverbrüchlich geltende Grundrechte, durch das Prinzip der Gewaltenteilung, durch eine umfassend gestaltete unabhängige Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit.

Die DDR fußte von ihrer Gründung an auf der Unterdrückung rechtsstaatlicher Prinzipien. „Sozialistische Gesetzlichkeit“ (das Recht stand unter dem Vorrang der Politik) entsprach nicht den Anforderungen des Rechtsstaats (die Politik steht unter dem Vorrang des Rechts). Ideologische Abweichungen wurden gemäß den Prinzipien des „demokratischen Zentralismus“ (siehe auch „Was ist die führende Rolle der Partei?“) schwer geahndet. In der Spätzeit ließen drakonische Strafen nach und es gab Amnestien für bestimmte Straftaten. Die DDR schaffte die Todesstrafe 1987 ab, hatte sie 1981 das letzte Mal vollstreckt. Das verbreitete „Eingabewesen“, das in der Tat manchem Missstand abhalf, war aber kein Ausdruck von Rechtsstaatlichkeit, sondern von Beliebigkeit. Ob die jeweilige Instanz einem Anliegen entsprach, war nicht vorherzusehen. Die Verwendung des Begriffs „Unrechtsstaat“ schließt nicht die Feststellung aus, dass außerhalb politischer Delikte korrekt Recht gesprochen wurde, etwa bei Verkehrsdelikten.

Wer sagt, in der DDR habe es viel Unrecht gegeben, sagt zu wenig, denn auch in der Bundesrepublik Deutschland, einem Rechtsstaat, hat es Unrecht gegeben, gibt es Unrecht. Hier allerdings gibt es kein systematisches, in Recht gegossenes Unrecht. Da die Aufarbeitung der DDR-Diktatur in vieler Hinsicht zu wünschen übrig lässt, darf es nicht verwundern, wenn manche Schüler ein geschöntes Bild von der DDR vor Augen haben.2

Es gibt zwar keine juristisch klare Definition von „Unrechtsstaat“. Für Staaten wie die DDR ist dieser Begriff dennoch korrekt und angebracht, berücksichtigt man die Dimensionen und die Intensität des Unrechts.

 

Eckhard Jesse

 


Art. „sozialistische Gesetzlichkeit“, in: Kleines politisches Wörterbuch, 7. Aufl., Berlin (Ost) 1988, S. 889.

Vgl. etwa Monika Deutz-Schroeder/Klaus Schroeder, Soziales Paradies oder Stasi-Staat? Das DDR-Bild von Schülern – ein Ost-West-Vergleich, München 2008.

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Felix Neumann

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