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Was unterscheidet linksextremistische von rechtsextremistischen Straftaten?
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Neben der allgemeinen politischen Motivation und ihren geistigen Grundlagen unterscheiden sich links- und rechtsextremistische Straftaten, soweit sie im neuen Jahrtausend registriert wurden, in ihrer Deliktspezifik und ihren Angriffszielen. Bei der linken Gewalt überwiegen die instrumentellen Tatkomponenten. Dies gilt in noch höherem Maße für die Konfrontationsgewalt (Zusammenstöße mit dem politischen Gegner). Linke Gewalt ist weit häufiger als rechte Gewalt mit dem Demonstrationsgeschehen verknüpft und in höherem Grade geplant und aufsuchend. In der Tatausführung greifen linke Täter in deutlich geringem Maße als rechte Täter auf lebensbedrohliche Formen der Tatbegehung zurück. Während bei rechten Tätern die Anwendung roher Gewalt in der Face-to-Face-Situation häufig ist, überwiegt bei linken Tätern die Gewaltanwendung aus der Distanz wie beim Stein- und Flaschenwurf. Allerdings werden auch bei dieser Art der Tatbegehung nicht selten schwerste Verletzungen in Kauf genommen.
Eine am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden durchgeführte Untersuchung hat die Befunde früherer Studien teilweise bestätigt, wonach rechtes Gewalthandeln wiederum mehr durch expressive (Gewalt als Mittel zur Selbstdarstellung/-verwirklichung und zum Abreagieren von Wut und Hass) als durch instrumentelle Komponenten (Gewalt als Mittel zur Erreichung politischer Ziele) geprägt ist.
Während (potentielle) linksextremistische Gewalttäter umfangreiche „Militanzdebatten“ in Szeneorganen führen, bleiben (potentiell) rechtsextremistische Gewalttäter oft wortkarg und reflexionsarm. Beide Gruppen operieren im Umgang mit ihren Gegnern nicht selten mit dehumanisierenden Vergleichen („Schweine“, „Pigs“, „Ratten“, „Zecken“), stellen „schwarze Listen“ zusammen und rechtfertigen ihr Gewalthandeln üblicherweise mit einer Notstandssituation, die keinen anderen Ausweg lasse.
Das Gewaltgeschehen an den Flügeln des politischen Spektrums ist wesentlich von der Interaktion links- und rechtsextremer Akteure geprägt. Zu Beginn der 1990er Jahre entstand eine „Anti-Antifa“ als Reaktion auf die zunehmenden Aktivitäten der autonomen „Antifa“. Dabei wurden deren Methoden teilweise übernommen. Einen weiteren Höhepunkt dieser Entwicklung stellte das Auftauchen „nationaler schwarzer Blöcke“ mit bislang szeneuntypischem, „autonomem“ Erscheinungsbild (Vermummung, Palästinensertücher, Anstecker mit abgewandelten Parolen) dar – zunächst ab etwa dem Jahr 2002 in Berlin, bald darauf auch an Rhein und Ruhr und durch den Nachahmungseffekt sehr schnell in weiteren Regionen; in manchen Regionen stellen sie das dominierende Erscheinungsbild der Neonazis dar (siehe auch „Autonome Nationalisten“). Sie treten bei Demonstrationen aggressiver als andere Gruppierungen des rechtsextremen Spektrums auf, bilden „schwarze Blöcke“, greifen linke Gegner wie Polizeibeamte an. Eine jüngere Generation von Aktivisten agiert, anders als ihre Vorgänger, offensiv, stört gegnerische Veranstaltungen und fotografiert deren Teilnehmer – mit der unverhohlenen Drohung, gegen diese bei Gelegenheit vorzugehen.
Gleichzeitig werden Radikalisierungstendenzen in Teilen der Autonomen-Szene registriert. Dies gilt einerseits im Verhältnis zu den ideologischen Antipoden. Mit dem Argument „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ lassen sich Übergriffe jeglicher Art rechtfertigen. Andererseits wird der antifaschistische Kampf als Teil der Auseinandersetzung mit dem verhassten „System“ gesehen. Aus dieser Einstellung erklärt sich u.a. die zunehmende Aggressivität von Szene-Angehörigen gegenüber den Sicherheitskräften, wie sie sich etwa bei einem Überfall auf das Gebäude des Polizeikommissariats 16 im Hamburger Schanzenviertel am 3. Dezember 2009 zeigte: „In den späten Abendstunden des 03.12.2009 warfen ca. 20 Vermummte mit Steinen mehrere Fensterscheiben der Polizeiwache Lerchenstraße ein und setzten zwei Streifenwagen in Brand. Sie bewarfen Polizeibeamte, die aus der Wache eilten und keine Schutzkleidung trugen, massiv mit faustgroßen Steinen und rollten eine brennende Mülltonne direkt an das Gebäude, dessen Eingangstür sie zuvor verschließen wollten“1. In einem Rechtfertigungsschreiben hieß es, man habe die neue Methode des „crash flash mob“, einer unerwartet auftauchenden und zuschlagenden Menge, praktiziert. „Auf dem Weg der Revolte/Revolution“ werde man „an handfesten Konfrontationen auch mit den Repressionsorganen nicht vorbeikommen“. Die angegriffene Wache habe „rassistischen Terror“ ausgeübt. Unverhohlen Sympathie bekundende Szene-Angehörige kommentierten den Vorfall ausführlich. Dabei wandten sie sich gegen die Auffassung, Gewaltanwendung sei nur als Reaktion gegen staatliche „Repression“ legitim: „Wenn nämlich Militanz und militante Aktionen nur als Reaktion auf Schweinerein der Herrschenden für sinnvoll gehalten werden (wenn überhaupt …), bleiben wir auf eine defensive Sicht auf die Welt und den (sic) eigenen Perspektiven darin reduziert. (…) Wir werden auch weiterhin offensiv agieren und militante Aktionen nicht nur dann akzeptieren, wenn sie sich als Reaktion auf Ereignisse vermittelt (sic)“2.
Uwe Backes
Lesetipps:
- Uwe Backes/Matthias Mletzko/Jan Stoye, NPD-Wahlmobilisierung und politisch motivierte Gewalt, Reihe Polizei + Forschung, Bd. 39, hrsg. vom Bundeskriminalamt (BKA)/Kriminalistisches Institut, Köln 2010.
- Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Linksextremistische Gewalt – Gefährdungen, Ursachen und Prävention. 9. Symposium des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz am 4. November 2010 , Erfurt 2011.
1 Verfassungsschutzbericht Hamburg 2009, S. 130
2 Autonomes Szeneblatt „Interim“ vom 29. Januar 2010, S. 13