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Besuch des US-Präsidenten Ronald Reagan in Deutschland

by Ulrike Hospes
Am 5. Mai 1985 besuchten Bundeskanzler Helmut Kohl und der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Ronald Reagan das Konzentrationslager Bergen-Belsen und den Soldatenfriedhof Kolmeshöhe bei Bitburg. Neben Zustimmung zu dem symbolischen Akt der Versöhnung gab es auch Kritik.

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Ansprache von US-Präsident Ronald Reagan am 5. Mai 1985 im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen

Gesten der Versöhnung

Zur Feier anlässlich des 40. Jahrestags der Landung der Alliierten der Normandie war der einstige Kriegsgegner Deutschland nicht eingeladen worden. Doch knapp drei Monate später, am 22. September 1984, zeigten Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Staatspräsident François Mitterrand auf dem Schlachtfeld von Verdun eine Geste der Versöhnung zwischen den einstigen „Erbfeinden“ Deutschland und Frankreich: Sie reichten sich in einem Moment der Stille in der ehemaligen Verteidigungsanlage Fort Douaumont die Hände. Zwei Menschen, die vom Zweiten Weltkrieg ganz unterschiedlich geprägt waren: Mitterrand, der in der Résistance gegen Hitler-Deutschland aktiv war, und Kohl, der den Krieg als Jugendlicher erlebt hatte und den Verlust seines Bruders zu beklagen hatte. Dieser Handschlag ist bis heute in Erinnerung. Überzeugt von der Kraft der Symbolik verständigten sich Helmut Kohl und der amerikanische Präsident Ronald Reagan ebenfalls auf ein öffentliches Zeichen der Aussöhnung. Als im Frühjahr 1985 in Bonn die Gipfelkonferenz der wichtigsten Industrienationen stattfand, lud der Bundeskanzler den amerikanischen Präsidenten im Anschluss zu einem Staatsbesuch ein. Reagan stimmte zu – eine passende Gelegenheit, um sowohl des 40. Jahrestags des Kriegsendes zu gedenken als auch des Beginns einer 40-jährigen Epoche des Friedens und der Freundschaft zwischen zwei ehemaligen Feinden.

 

Die Kolmeshöhe

Als Ort wurde Bitburg ins Auge gefasst. Dort in der Eifel war eine große amerikanische Garnison auf einem der bedeutendsten NATO-Flugplätze Europas stationiert und pflegte einen engen Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung. Auf der Kolmeshöhe legte der Volksbund für Kriegsgräberfürsorge 1959 einen Friedhof an. Gefallene Soldaten und Ziviltote des Ersten und Zweiten Weltkriegs fanden ihre letzte Ruhe. Unter den ca. 2000 bestatteten Toten waren auch 49 Mitglieder unterer Ränge der Waffen-SS beigesetzt, 32 von ihnen jünger als 25 Jahre. Dies war der amerikanischen Seite vor Ort bekannt und sie hatte es in der Vergangenheit nicht abgelehnt, jährlich eine Delegation zum Volkstrauertag zu entsenden.

 

Widerstand in den USA

Die Ablehnung Reagans einer Einladung eines bayerischen Politikers zum Besuch des Konzentrationslagers Dachau und das Festhalten am Besuch des Soldatenfriedhofs führten zum Vorwurf, der Präsident würde ehemaligen Nationalsozialisten seine Referenz erweisen, den Holocaust jedoch ignorieren und mangelnde Sensibilität für die Opfer zeigen. 53 US-Senatoren empfahlen, mit dem Besuch nicht Soldaten zu ehren, die im Kampf für das Hitler-Regime gefallen seien. Das Repräsentantenhaus entschied am 1. Mai 1985 mit breiter Mehrheit von 390 zu 26 Stimmen, den Präsidenten aufzufordern, den Besuch in Bitburg nicht vorzunehmen. Überzeugt von der Geste und auf Bitten Helmut Kohls hielt Ronald Reagan dennoch am Besuch des Friedhofs fest. Er suchte das Gespräch mit Vertretern jüdischer Organisationen, so auch mit dem Schriftsteller Elie Wiesel, den er einlud, ihn auf der Reise zu begleiten. In seinen Erinnerungen urteilt Reagan: „Nach meinem Dafürhalten konnte es nicht angehen, jeden einzelnen Deutschen – einschließlich jener Generation, die zu Hitlers Zeiten noch gar nicht geboren war – auf immer und ewig für den Holocaust büßen zu lassen. Ich glaube nicht, dass es gerecht ist, alle Deutschen das Stigma der Taten Hitlers tragen zu lassen.“

 

Kontroversen in der Bundesrepublik Deutschland

Scharfe öffentliche Kontroversen wurden auch in der Bundesrepublik Deutschland geführt. In einer Debatte im Deutschen Bundestag am 25. April 1985 machte die SPD Helmut Kohl für die Missstimmigkeiten verantwortlich und warf ihm mangelndes Fingerspitzengefühl vor. Die Grünen forderten den Verzicht auf den Besuch des Friedhofs. Der Bundeskanzler dagegen wandte sich gegen Pauschalierungen. Viele junge Leute seien gegen Ende des Krieges ohne Chance zur freien Entscheidung eingezogen worden, auch zur SS. In seiner Rede betonte er den vorangestellten Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen und das Gedenken an die unmittelbaren Opfer der Hitler-Barbarei. Vier Tage zuvor hatte Kohl sich in seiner Ansprache in Bergen-Belsen ausdrücklich zur Verantwortung vor der Geschichte bekannt – unvergessenes Leid und Mahnung für die Zukunft.

 

Der 5. Mai 1985 – Tagesablauf

Am Morgen des 5. Mai besuchten Helmut und Hannelore Kohl sowie Ronald und Nancy Reagan zunächst das Grab Konrad Adenauers in Bad Honnef-Rhöndorf. Anschließend flogen sie nach Bergen-Belsen. Dort gedachten sie an den Massengräbern der Opfer des Nationalsozialismus. In seiner Ansprache erklärte Reagan, ein Vergessen dürfe es nicht geben, es sei ein Muss für alle, dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder geschehen könne. Am späten Nachmittag erreichte die Delegation schließlich Bitburg. Die geladenen Teilnehmer hatten Aufstellung genommen: Honoratioren aus Stadt und Land, Angehörige von deutschen Widerstandskämpfern, ein Musikzug der Bundeswehr, annähernd 100 Journalisten. Auf dem Friedhof trafen Kohl und Reagan den damals 91-jährigen General Matthew Ridgway, den letzten noch lebenden Amerikaner aus der obersten Militärführung des Zweiten Weltkriegs, und General Johannes Steinhoff, der als einer der erfolgreichsten Jagdflieger im Zweiten Weltkrieg die Luftwaffe der Bundeswehr aufgebaut und in der NATO gearbeitet hatte. Alle vier durchschritten den Friedhof. Die beiden Staatsmänner legten Kränze nieder, die beiden Generäle reichten sich die Hände. Ein Soldat der Bundeswehr spielte „Ich hatt‘ einen Kameraden“. Nach zehn Minuten war die Zeremonie vorüber.

Im Anschluss fuhr die Delegation zum Luftwaffenstützpunkt, auf dem deutsche und amerikanische Einheiten stationiert waren. Mehrere tausend Menschen aus Bitburg hatten sich versammelt. Kohl betonte in seiner Rede die deutsch-amerikanische Freundschaft und die Verpflichtung zur Erinnerung und Aufarbeitung. Reagan knüpfte seinerseits an Bergen-Belsen an und mahnte zur Verantwortung für die Freiheit. Er erhielt begeisterte Zustimmung. Der Tag endete mit einem abendlichen Staatsbankett und einer halben Stunde Kammermusik. Der von einem Teil der Presse prophezeite katastrophale Verlauf war ausgeblieben. Einen Tag später endete Reagans Deutschlandbesuch vor dem Hambacher Schloss mit einer „Rede an die deutsche Jugend“ – dem Ort, an dem 1832 u.a. die damalige Jugend demokratische Freiheitsrechte eingefordert hatte. Die deutsch-amerikanische Freundschaft hatte eine weitere Bewährungsprobe bestanden – 30 Jahre, nachdem am 5. Mai 1955 die Bundesrepublik Deutschland – unter alliiertem Vorbehalt der Deutschland als Ganzes betreffenden Entscheidungen – zum freien, souveränen Staat geworden war.

Ronald Reagan bilanziert im Rückblick: „Meine Weigerung, die Reise nach Bitburg abzusagen, habe ich nie bereut. Im nachhinein glaube ich, dass mein Besuch auf dem dortigen Friedhof und die ebenso dramatische wie unerwartete Versöhnungsgeste zwischen den beiden alten Soldaten, die sich einst als Gegner auf dem Schlachtfeld bekämpft hatten, dazu beitrugen, die Allianz mit unseren europäischen Verbündeten zu stärken und viele der noch immer schwärenden Wunden des Krieges ein für allemal zu heilen.“ Noch in seinen Erinnerungen zeigt sich Helmut Kohl dankbar für die amerikanische Unterstützung auf dem schwierigen Weg der Deutschen zu einer gefestigten Demokratie: „Über hundert Jahre später (Bezugspunkt ist das Jahr 1848) halfen uns unsere amerikanischen Freunde, eine freie deutsche Republik aufzubauen – trotz all des Unheils, das zuvor im deutschen Namen über Europa und die Welt gebracht worden ist. Für diese Unterstützung in jenen schwierigen Jahren bleiben wir stets dankbar.“

 

Literaturhinweise:

  • Der Besuch. Dokumentation über den Besuch des amerikanischen Präsidenten Ronald W. Reagan und des deutschen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl am 5. Mai 1985 in Bitburg. Bitburg 1986.
  • Kohl, Helmut: Erinnerungen 1982-1990. München 2005, S. 348-360.
  • Reagan, Ronald: Erinnerungen. Ein amerikanisches Leben. Berlin 1990, S. 386-397.

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Essay
picture alliance/United Archives | Sven Simon
April 1, 2024
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