Am 9./10. Dezember 1991 beschloss der Europäische Rat im niederländischen Maastricht den „Vertrag über die Europäische Union“. Am 7. Februar 1992 wurde er unterzeichnet. Der Vertrag bedeutete den bis dahin größten Schritt auf dem Weg zur Politischen Union seit den Römischen Verträgen des Jahres 1957. Er ist das Ergebnis der Strategie „Vertiefung vor Erweiterung“, die angesichts des Umbruchs Ende der 1980er Jahre in Mittel- und Osteuropa verfolgt worden war. Auch die deutsche Einheit bzw. die Verknüpfung der deutschen Frage mit der gesamteuropäischen Entwicklung hatte als zusätzlicher Katalysator gewirkt.
Inhalt des Vertrages
Die geschaffene Europäische Union (EU) sollte die bisherigen Verträge der Europäischen Gemeinschaften (EG) nach deren Novellierung umrahmen und verknüpfen. Kernstück war die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, deren Vollendung der neue EG-Vertrag vorsah. Beschlossen wurde aber auch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie eine gemeinsame Innen- und Justizpolitik. Vereinfacht erklärt ruhte die EU auf drei Säulen: Die drei bereits bestehenden Europäischen Gemeinschaften EGKS, EWG und EURATOM blieben das tragende Element und bildeten die erste, supranational organisierte Säule. Dazu kamen zwei Bereiche intergouvernementaler Zusammenarbeit: eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GSAP, zweite Säule) sowie eine Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres als dritte Säule. Weitere Themen des Vertrages waren die Festschreibung des Subsidiaritätsprinzips, die Einführung der Unionsbürgerschaft, ein neues Mitentscheidungsverfahren des Europäischen Parlaments und die Gründung des Ausschusses der Regionen.
Wirtschafts- und Währungsunion
Der Vertrag legte den Grundstein zur Währungsunion und zum Euro in drei Stufen. Die gemeinsame Währung sollte spätestens zum 1.1.1999 im Bankensektor und bis zum 1.1.2002 als Bargeld eingeführt werden. Die sogenannten Konvergenzkriterien legten die Bedingungen für die Einführung des Euro in den Ländern fest. Sie bezogen sich auf die Staatsverschuldung, Zinssatz-, Preisniveau-, Haushalts- und die Wechselkursstabilität. Das jährliche Haushaltsdefizit eines Staates durfte nicht mehr als drei Prozent und die gesamten öffentlichen Schulden nicht mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen.
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
Ersetzt wurde die bisherige Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) durch die wesentlich verbindlichere Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GSAP). Die erklärten Ziele waren die Wahrung der gemeinsamen Werte, der Interessen und der Unabhängigkeit der EU, die Stärkung ihrer Sicherheit, die Förderung der internationalen Zusammenarbeit sowie der Demokratie und Rechtstaatlichkeit. Allerdings lagen letztendlich die Entscheidungen immer noch bei den Nationalstaaten.
Gemeinsame Innen- und Rechtspolitik
Im Bereich Inneres und Justiz wurde erstmals eine Zusammenarbeit in Fragen der Asyl- und Einwanderungspolitik, des Kampfes gegen Drogen, der Bekämpfung von internationalem Betrug und Terrorismus sowie in Zivil- und Strafsachen vereinbart. Zur besseren polizeilichen Zusammenarbeit einigten sich die Staaten auf die Gründung der Europäischen Polizeibehörde Europol.
Subsidiaritätsprinzip
Das Subsidiaritätsprinzip, wonach eine staatliche Aufgabe soweit wie möglich von der unteren Ebene wahrgenommen werden soll und die Europäische Gemeinschaft erst dann tätig werden darf, wenn die politischen Ziele besser auf der Gemeinschaftsebene erreicht werden können, wurde in der Präambel und in Art. 5 Abs. 3 des Vertrags festgeschrieben. Das Subsidiaritätsprinzip war bereits im Keim im EGKS-Vertrag von 1951, implizit im EWG-Vertrag von Rom (1957) und ausdrücklich in den Bestimmungen der Einheitlichen Europäischen Akte (1986) über die Umwelt enthalten.
Stärkung des Europäischen Parlaments
Eine größere Demokratisierung der EU sollte durch eine Stärkung des Europäischen Parlaments erreicht werden. Die Einführung des sogenannten Mitentscheidungsverfahrens machte das Parlament in zahlreichen Politikbereichen zum gleichberechtigten Mitgesetzgeber neben dem Rat. Außerdem wurde die Einsetzung der Kommission von der Zustimmung des Parlaments abhängig gemacht und die Möglichkeit des Misstrauensvotums gegen die Kommission eingeführt. Auch wurden erstmals politische Parteien auf europäischer Ebene anerkannt, womit eine Finanzierung aus EU-Mitteln möglich wurde.
Unionsbürgerschaft
Für die Weiterentwicklung von einer Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zu einer Politischen Union (EU) stand als deutliches Symbol die Einführung der Unionsbürgerschaft. Diese erhielt jeder Staatsbürger aus den EU-Ländern; sie ergänzte die Staatsbürgerschaft, ersetzte sie aber nicht. Zu den Rechten der Unionsbürger gehörte das Recht auf die Einreichung von Petitionen an das Europäische Parlament sowie von Beschwerden an den Europäischen Bürgerbeauftragten, das Recht zu Bürgerinitiativen, das aktive und passive Wahlrecht bei den Kommunal- und Europawahlen, das Recht, sich im Hoheitsgebiet der EU frei zu bewegen und aufzuhalten sowie das Recht auf Schutz durch die diplomatischen und konsularischen Vertretungen eines beliebigen EU-Mitgliedstaates.
Ausschuss der Regionen
Der neu geschaffene Ausschuss der Regionen (AdR) sollte als beratendes Organ es den Gebietskörperschaften ermöglichen, sich im Entscheidungsprozess der EU Gehör zu verschaffen. Der Ausschuss setzte sich aus 344 Vertretern der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften zusammen. Allerdings hat das viel zitierte „Europa der Regionen“ durch die lediglich beratende Tätigkeit des AdR eine nur schwache Profilierung erfahren.
Gemeinsame Sozialpolitik
Dem Vertrag wurde ein Protokoll über eine gemeinsame Sozialpolitik beigefügt. Darin einigte man sich auf die Einführung von Mindestnormen für Arbeitsrecht und die Ingangsetzung eines größeren sozialen Dialogs. Als einziges Land stimmte Großbritannien gegen das Protokoll.
Reaktion der Öffentlichkeit auf den Vertrag
Die notwendige Ratifizierung des Vertrags in den Mitgliedstaaten stieß auf einige Schwierigkeiten, denn die öffentliche Meinung zum Vertragswerk war zwiespältig. In Dänemark, Irland und Frankreich wurden Volksabstimmungen durchgeführt, die knappe Mehrheiten brachten. Die dänische Bevölkerung stimmte erst im zweiten Referendum zu, beim ersten im Juni 1992 hatte sie den Vertrag mit 50,7 % knapp abgelehnt. Die Zustimmung in Frankreich war ebenfalls denkbar knapp (51,05 %). In Deutschland musste das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob die Bundesrepublik mit dem Vertrag von der Verfassung geschützte Souveränitätsrechte aufgeben würde; grünes Licht für die Ratifizierung gab es erst im Oktober 1993. Aus diesem Grund konnte der Maastrichter Vertrag erst am 1. November 1993 und nicht schon wie geplant am 1.1.1993 in Kraft treten. Die Diskussionen um Maastricht gingen weiter; die Gegner argumentierten vor allem damit, dass eine erzwungene Integration von oben einen neuen Nationalismus erzeugte. Spätestens seit dem Maastrichter Gipfel beschäftigte das Thema „Europa“ nachhaltig das öffentliche Denken. Angesichts der plötzlichen Realität einer Währungs- und Politischen Union wurden vor allem in Großbritannien, Dänemark und Frankreich der drohende Verlust nationaler Souveränität und der nationalen Währungen lebhaft diskutiert, auch in Deutschland spielte der „Verlust der DM“ eine beherrschende Rolle.
Literatur:
- Carl-Otto Lenz, Klaus-Dieter Borchardt (Hrsg.): EU-Verträge. Kommentar, Köln 5. Aufl. 2010.
- Jürgen Stark: Von Maastricht zur Verfassung einer erweiterten Union. Zur Entwicklung der europäischen Währungsordnung, Speyer 2003.
- Colette Mazzucelli: France and Germany at Maastricht. Politics and Negotiations to create the European Union, New York 1997.
- Christian Koenig, Matthias Pechstein: Die Europäische Union. Der Vertrag von Maastricht, Tübingen 1995.