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Die Regierung beginnt mit der Arbeit

by Ulrike Hospes , Hanns Jürgen Küsters
Konrad Adenauer stellt sein erstes Kabinett vor und hält seine erste Regierungserklärung

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Seit fünf Tagen ist Konrad Adenauer als erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland im Amt, ernannt am 15. September 1949 von Bundespräsident Theodor Heuss. Die Berufung seines Kabinetts steht noch aus. Harte Verhandlungen um Proporz, Landsmannschaften, Parteizugehörigkeiten hätten fast die Kanzlerwahl gefährdet, doch nun sind die strittigen Fragen geklärt, die Ressorts sind zugeschnitten, das Personal ist bestimmt. Wer wirkt mit? Welche Entscheidungen werden getroffen?

 

Jeder will dabei sein: Das erste Kabinett Adenauer

Vier Parteien müssen die dreizehn Ministerämter unter sich verteilen: CDU und CSU erhalten als stärkste Fraktion acht – fünf für die CDU, drei für die CSU. Im Kampf um das einflussreiche Finanzministerium setzt sich der bayerische CSU-Abgeordnete Fritz Schäffer durch. Er wird sich als Sparminister profilieren, manchmal gegen die politische Weitsicht Adenauers, oft jedoch als nützlicher Prellbock gegen unangebrachte Ausgabenwünsche. Wirtschaftsminister wird der bereits durch die Einführung der Deutschen Mark und das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft bekannt gewordene Ludwig Erhard. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Sozialausschüsse, Jakob Kaiser, übernimmt das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen, der ursprünglich aus Schlesien stammende Hans Lukaschek ist für die Angelegenheiten der Vertriebenen verantwortlich. Postminister wird Hans Schuberth (CSU). So manche Personalentscheidung wird Adenauer regelrecht aufgezwungen: Der evangelische Flügel in der Fraktion setzt als Innenminister Gustav Heinemann durch. Er wird nicht lange bleiben und im Streit um die Wiederbewaffnung zurücktreten. Nachfolger wird 1950 der ehemalige Düsseldorfer Oberbürgermeister Robert Lehr. Wegen seiner Nähe zu den Gewerkschaften umstritten ist der Arbeitsminister Anton Storch. Auch der Minister für Landwirtschaft und Ernährung, Wilhelm Niklas (CSU), ist nicht Adenauers erste Wahl.

Der kleinere Koalitionspartner FDP stellt mit dem ehemaligen Leiter des Wirtschaftsausschusses im Frankfurter Wirtschaftsrat der Bizone, Franz Blücher, den Stellvertreter des Bundeskanzlers, außerdem ist er für die Angelegenheiten des Marshall-Plans zuständig. Der FDP-Bundesvorsitzende Thomas Dehler übernimmt das Justizministerium, Eberhard Wildermuth ist zuständig für Wohnungsbau. Als er 1952 stirbt, wird Fritz Neumayer sein Nachfolger. Der Kleinste im Bunde, die Deutsche Partei, bekommt mit Hans Christoph Seebohm für Verkehr und Heinrich Hellwege für die Angelegenheiten des Bundesrates zwei Ressorts.

Ein eigenes Außenministerium darf die Bundesregierung (noch) nicht einrichten: Das Besatzungsstatut sieht keine eigenständige außenpolitische Interessenvertretung vor. Erst nach dessen erster Revision, die am 15. März 1951 in Kraft tritt, übernimmt Konrad Adenauer das Amt in Personalunion. 1955 folgt ihm Heinrich von Brentano nach.

Vereidigt werden die dreizehn Minister in der 5. Sitzung des Deutschen Bundestages am Dienstag, 20. September 1949. Das erste Kabinett kann mit der Arbeit beginnen.

 

Leitlinien Adenauerscher Politik

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Im Anschluss an die Vereidigung des Kabinetts gibt Konrad Adenauer seine erste Regierungserklärung (im O-Ton) ab – nach den kontroversen Personaldiskussionen eilig am Nachmittag und in der Nacht des 19. September formuliert, von den Kabinettsmitgliedern am 20. September um 12 Uhr in ihren Grundzügen gebilligt. Noch als Adenauer um 14 Uhr zu den Abgeordneten des Deutschen Bundestags spricht, werden die letzten Seiten getippt – „die Rede eines Mannes“, so Adenauers persönlicher Referent Herbert Blankenhorn, „der in nüchternen Worten die Probleme und Aufgaben aneinanderreihte, vor die sich die eben konstituierte Bundesregierung gestellt sieht.“

In 82 Minuten dankt der Bundeskanzler für das bisher Erreichte und skizziert Herausforderungen in der Zukunft: Schutz der Persönlichkeitsrechte, Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft, die Rolle einer starken Opposition in einer parlamentarischen Demokratie. Stichpunktartig vorgetragen werden die innenpolitischen Herausforderungen, insbesondere die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Der Wiederaufbau steht über allem: „Das Streben nach Linderung der Not, nach sozialer Gerechtigkeit, wird der oberste Leitstern bei unserer gesamten Arbeit sein“, so Adenauer. Einbezogen ist in diesen Gedanken stets die besondere Fürsorge für die Stadt Berlin. Das Schicksal der Kriegsgefangenen und der Vertriebenen führt der Kanzler ebenfalls deutlich vor Augen.

Adenauer reklamiert für die Bundesrepublik den Anspruch, „deutscher Kernstaat“ zu sein und lässt keinen Zweifel daran, dass Deutschland nach Herkunft und Gesinnung zur westeuropäischen Welt gehört. Er verurteilt auf das Schärfste aktuelle antisemitische Ausfälle. Gute Beziehungen zu den Nachbarländern strebt er an, insbesondere zu Frankreich: „Der deutsch-französische Gegensatz, der Hunderte von Jahren die europäische Politik beherrscht und zu so manchen Kriegen, zu Zerstörungen und Blutvergießen Anlaß gegeben hat, muß endgültig aus der Welt geschafft werden.“ Adenauer wiederholt die Bereitschaft der Bundesregierung, am Zusammenschluss Europas mitzuwirken. Sein besonderer Dank gilt den Vereinigten Staaten von Amerika: „Ich glaube nicht, daß jemals in der Geschichte ein siegreiches Land es versucht hat, dem besiegten Land in der Weise zu helfen und zu seinem Wiederaufbau und seiner Erholung beizutragen, wie das die Vereinigten Staaten gegenüber Deutschland getan haben und tun.“

Mit den Hoffnung weckenden Worten, „daß es uns mit Gottes Hilfe gelingen wird, das deutsche Volk aufwärtszuführen und beizutragen zum Frieden in Europa und in der Welt“, schließt Adenauer unter anhaltendem und lebhaften Beifall seine erste Regierungserklärung.

 

Ein Schritt auf den Teppich signalisiert gleiche Augenhöhe

Doch souveränes Regierungshandeln ist (noch) nicht möglich. Die westlichen Alliierten besitzen weiterhin Einspruchsmöglichkeiten und Kontrollbefugnisse, auf die der deutsche Bundeskanzler Rücksicht zu nehmen hat.

Einen Tag nach seiner Rede, am 21. September 1949, fährt Konrad Adenauer mit fünf Ministern und Herbert Blankenhorn, seinem Vertrauten und Leiter der Verbindungsstelle zur Alliierten Hohen Kommission, in zwei großen Limousinen die steile Straße zum Petersberg hinauf, dem Sitz der Alliierten Hohen Kommission, den der SPD-Bundestagsabgeordnete Carlo Schmid süffisant als „Areopag“ bezeichnet. Die drei Hohen Kommissare John McCloy, General Brian Robertson, André François-Poncet erwarten ihn. Der neuen Bundesregierung soll das Besatzungsstatut übergeben werden. Eine offizielle Zeremonie konnte Adenauer im Vorfeld verhindern; die schwarz auf weiß festgeschriebenen Einschränkungen der deutschen Souveränität sind für ihn wahrlich kein Anlass für einen besonderen Festakt.

11.15 Uhr. Die Delegation trifft ein. Zur Überraschung der Deutschen wird sie von einer Ehrengarde alliierter Soldaten begrüßt. Die Hohen Kommissare warten im großen Gesellschaftsraum auf einem Teppich, der in den nächsten Minuten in die Geschichte eingehen wird: Als Symbol der hierarchischen Unterordnung sollen Adenauer und seine Minister vor dem Teppich Halt machen und in diesem angemessenen Abstand Begrüßung und Vorstellung verfolgen. Doch François-Poncet kommt Adenauer in einer spontanen Geste entgegen, der Kanzler betritt beherzt den Teppich und begrüßt den Hohen Kommissar. Adenauer hält nun auf dem Teppich, symbolisch auf Augenhöhe, seine Ansprache: Die schrittweise Ablösung des Besatzungsstatuts und Hilfen beim Flüchtlingsproblem sind dringende Aufgaben. Eine Neuordnung der Demontagen zur Linderung der sozialen Not muss damit einhergehen. Als Gegenleistung signalisiert Adenauer die Bereitschaft der Bundesregierung, an einer Neuordnung der Welt im demokratischen Geist und im Sinne der Völkerverständigung mitzuarbeiten.

Das Treffen mündet in einen ruhigen, beinahe freundschaftlichen Empfang – keineswegs das befürchtete steife Zeremoniell. Und der eigentlich Grund des Treffens? In der Garderobe schiebt ein Beamter des französischen Außenministeriums das in Packpapier eingebundene Besatzungsstatut Blankenhorn versteckt unter den Arm. Nicht unterzeichnet, wie sich Adenauer in seinen Erinnerungen mit Genugtuung äußert.

Ulrike Hospes

 

 

Literaturhinweise:

  • Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1945-1953, Stuttgart 1965.
  • Auftakt zur Ära Adenauer. Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung 1949. Bearb. von Udo Wengst. Düsseldorf 1985. (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Vierte Reihe: Deutschland seit 1945; 3)
  • Schwarz, Hans-Peter: Adenauer. Der Aufstieg: 1876-1952. Stuttgart 1986.
Weitere Informationen zu Konrad Adenauer finden Sie unter www.konrad-adenauer.de

 

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