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Die vier Siegermächte übernehmen mit der „Berliner Erklärung“ die oberste Regierungsgewalt in Deutschland

by Manfred Görtemaker
Erst durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 und die Zustimmung der Vier Mächte zur Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 wurden die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte vollständig aufgehoben.

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Am 5. Juni 1945 unterzeichneten General Eisenhower, Feldmarschall Montgomery, General Lattre de Tassigny und Marschall Schukow im sowjetischen Hauptquartier in der Niebergallstraße 20 in Berlin-Wendenschloss die sogenannte „Berliner Erklärung“. Es war das erste Zusammentreffen der Oberkommandierenden der amerikanischen, britischen und französischen Streitkräfte in Deutschland mit ihrem sowjetischen Kollegen nach der Kapitulation der Wehrmacht am 8./9. Mai 1945 und der Verhaftung der letzten deutschen Reichsregierung unter Admiral Dönitz durch die britischen Besatzungsbehörden am 23. Mai in Flensburg. In der Berliner Erklärung wurde nunmehr die bedingungslose Kapitulation Deutschlands und die Übernahme der „Obersten Regierungsgewalt“ durch die vier Siegermächte verkündet. „Deutschland“, so hieß es dort, unterwerfe sich damit „allen Forderungen, die ihm jetzt oder später auferlegt werden.“

 

Spannungen zwischen den Alliierten

Ein zweites Dokument, das an diesem Tag unterzeichnet wurde, betraf die Errichtung des Alliierten Kontrollrats mit Sitz im Berliner Kammergericht am Kleistpark. Bestehend aus den Oberbefehlshabern der Vier Mächte, sollte der Rat auf der Grundlage des Prinzips der Einstimmigkeit über alle Deutschland als Ganzes betreffenden Angelegenheiten entscheiden. Ein drittes Dokument regelte die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen in den Grenzen des Deutschen Reiches vom 31. Dezember 1937 – also vor dem „Anschluss“ Österreichs 1938 – sowie die Aufteilung Berlins in vier Sektoren und deren Verwaltung durch eine Alliierte Kommandantur. Zur Beratung dieser Fragen war auf der Konferenz von Teheran Ende 1943 von den Staats- und Regierungschefs der „Großen Drei“ – den USA, Großbritannien und der Sowjetunion – eigens eine „Europäische Beratende Kommission“ eingesetzt worden, um gemeinsame Lösungen zu erarbeiten. Die European Advisory Commission hatte schließlich im September und November 1944 die „Londoner Protokolle“ vorgelegt, die unter anderem Vorschläge für die Einteilung Deutschlands in Besatzungszonen und den Kontrollmechanismus, der für das besetzte Land gelten sollte, enthielten. Bei aller Detailliertheit der Vorschläge waren dabei jedoch wichtige Fragen offen geblieben, die auch auf der zweiten Kriegskonferenz der Großen Drei im Februar 1945 in Jalta nicht geklärt werden konnten. Zudem war Frankreich, das erst am 1. Mai 1945 dem Kontrollsystem für Deutschland beitrat, an den Beschlüssen von Teheran und Jalta nicht beteiligt gewesen und wurde auch zur Potsdamer Konferenz im Juli und August 1945 nicht eingeladen, so dass es die Beschlüsse der Verbündeten zur Deutschlandfrage allenfalls halbherzig mittrug.

Die Vorstellung der Vier Mächte, Deutschland gemeinsam regieren zu können, obwohl sie sich ideologisch und hinsichtlich ihrer Interessen stark voneinander unterschieden, war deshalb eine Illusion. Spannungen zwischen ihnen waren bereits im Sommer 1944 erkennbar geworden und nahmen im Verlauf des Jahres 1945 immer mehr zu. Hintergrund der Meinungsverschiedenheiten waren neben den unterschiedlichen Kriegsanstrengungen der einzelnen Staaten vor allem die Erfahrungen der Zwischenkriegszeit. So galten in den USA die Bedingungen, die Deutschland durch den Versailler Vertrag 1919 auferlegt worden waren, als eine wesentliche Ursache für das Scheitern der Weimarer Republik und den Aufstieg Hitlers. Auch eine Aufteilung Deutschlands, die noch bis zur Konferenz von Teheran im Gespräch war, wurde von den USA am Ende verworfen. Derartige Teilstaaten, so die Auffassung des amerikanischen Post-War Planning Committee, seien nicht lebensfähig und würden nur zu Ressentiments unter den Deutschen führen, die dann wieder „einen neuen Hitler“ produzieren könnten. Die französische Exilregierung unter General de Gaulle in London hielt dagegen bis zum Schluss an ihrer Forderung fest, Teile Deutschlands zugunsten Frankreichs abzutrennen, während Großbritannien seit 1944 ein einheitliches Deutschland als Gegengewicht gegen die unaufhaltsam nach Westen vordringende Sowjetunion wünschte, die ihrerseits in Osteuropa militärische Fakten im Sinne einer sowjetischen Einflussphäre schuf.

Solche Machtgegensätze und Interessenunterschiede waren in einer gemeinsamen Verlautbarung, wie sie die Berliner Erklärung darstellte, nicht auszugleichen. Dementsprechend nüchtern wurde zu Beginn der Erklärung lediglich festgestellt, dass es nach der Kapitulation in Deutschland „keine zentrale Regierung oder Behörde“ mehr gebe, „die fähig wäre, die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ordnung, für die Verwaltung des Landes und für die Ausführung der Forderungen der siegreichen Mächte zu übernehmen“. Diese Verantwortung müsse deshalb von den Alliierten selbst wahrgenommen werden, ohne dass damit eine „Annektierung Deutschlands“ verbunden sei. Auch über die Grenzen Deutschlands und seine rechtliche Stellung solle erst später entschieden werden.

 

„Grundgesetz der Besatzungsära“

Die Berliner Erklärung verschob somit alle wesentlichen Entscheidungen über die Zukunft Deutschlands in eine nicht näher bestimmte Zukunft und diente zunächst nur der Ausgestaltung der militärischen Kapitulation in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Zu den Festlegungen, die den Hauptteil der Berliner Erklärung ausmachten, gehörten deshalb vor allem praktische Regelungen: Einzelheiten zur Einstellung der Feindseligkeiten zu Lande, zu Wasser und in der Luft, die Entwaffnung der deutschen Streitkräfte, Bestimmungen über den Verbleib von Waffen, Gerät, Flugzeugen und Schiffen, die Freilassung aller Kriegsgefangenen sowie der Häftlinge, die aufgrund nationalsozialistischen Rechts eingesperrt, interniert oder sonstigen Einschränkungen ausgesetzt waren, sowie die Festnahme und Auslieferung der von den Alliierten benannten „hauptsächlichen Naziführer“ und Kriegsverbrecher. Zudem kündigten die Alliierten an, dass sie „nach eigenem Ermessen Streitkräfte und zivile Dienststellen in jedem beliebigen Teil oder auch in allen Teilen Deutschlands stationieren“ würden. Und schließlich behielten sie sich „sonstige Maßnahmen“ vor, die sie „für den künftigen Frieden und zur künftigen Sicherheit für erforderlich“ hielten. Dazu zählten auch zusätzliche politische, wirtschaftliche, finanzielle und militärische Forderungen, „die sich aus der vollständigen Niederlage Deutschlands ergeben“ könnten.

Die Bestimmungen der Berliner Erklärung bezogen sich also vorwiegend auf die unmittelbare Nachkriegszeit. Der Historiker Rudolf Morsey hat deshalb von der Erklärung als dem „Grundgesetz der Besatzungsära“ gesprochen. Doch bildete die Übernahme der Obersten Regierungsgewalt in Verbindung mit der Einrichtung der Besatzungszonen und der Errichtung des Alliierten Kontrollrats und der Alliierten Kommandantur unter Berufung auf originäres Siegerrecht auch die Grundlage der Vier-Mächte-Verantwortung für Deutschland als Ganzes und für Berlin im Besonderen. Diese Verantwortung wurde in der Folge sogar mehrfach bestätigt, wie in den Pariser Verträgen vom 23. Oktober 1954 oder im Viermächte-Abkommen über Berlin vom 3. September 1971. Auch wenn die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte durch Rückübertragung der Souveränität schrittweise gemindert wurden, blieb diese Struktur, die nicht zuletzt wesentliche alliierte Vorbehaltsrechte gegenüber Deutschland mit sich brachte, viereinhalb Jahrzehnte erhalten. Vollständig aufgehoben wurde sie erst durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 und die Zustimmung der Vier Mächte zur Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990.

Allerdings gingen die in der Berliner Erklärung enthaltenen Kapitulationsbedingungen deutlich über die militärische Kapitulation vom 8./9. Mai 1945 hinaus. Andreas Hillgruber hat die Erklärung deshalb als „eine von den Hauptsiegermächten einseitig deklarierte staatlich-politische Kapitulation“ und als „völkerrechtliches Novum“ bezeichnet. Zwar enthielt die Kapitulationsurkunde in Paragraph 4 den Vorbehalt, dass an die Stelle der Kapitulationserklärung andere allgemeine Kapitulationsbedingungen treten könnten, die Deutschland von den Vereinten Nationen und in deren Namen auferlegt werden könnten. Doch die Oberkommandierenden der Vier Mächte handelten bei der Unterzeichnung am 5. Juni nur als Vertreter ihrer Regierungen und brachten damit den Willen der Siegermächte zum Ausdruck, „die rechtliche Lage Deutschlands durch einseitige alliierte Akte zu gestalten“, wie Adolf M. Birke bemerkt hat.

 

Paradoxe Umkehrung

Inwieweit die Vier Mächte damit auch die Staatlichkeit Deutschlands in Frage stellten, ist in Deutschland lange kontrovers diskutiert worden. 1945 herrschte zunächst die Auffassung vor, das Deutsche Reich sei nicht untergegangen, sondern habe lediglich seine Willens- und Handlungsfähigkeit eingebüßt. Nach 1949 wurde behauptet, die Rechtsfähigkeit Deutschlands habe fortbestanden, und die Bundesrepublik Deutschland sei als Völkerrechtssubjekt identisch mit dem Reich. Auch wenn manche Historiker diese juristische Konstruktion als „bloßes rechtsdogmatisches Denkspiel“ (Wolfgang Jacobmeyer) ablehnten, ist unverkennbar, dass die Bundesrepublik sich in der Verantwortung des Reiches sah, während die DDR sich nach dem Systembruch von 1945 als neue Ordnung in bewusster Abgrenzung zur deutschen Vergangenheit begriff. Im Übrigen ging auch das Grundgesetz vom Fortbestand des Deutschen Reiches aus und sah sich darin 1973 noch einmal vom Bundesverfassungsgericht bestätigt, das in einem Urteil zum Grundlagenvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten vom Dezember 1972 feststellte, die Bundesrepublik sei nicht „Rechtsnachfolger“ des Deutschen Reiches, sondern „als Staat identisch mit dem Staat ‚Deutsches Reich’“ – in Bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings nur „teilidentisch“.

Die Alliierten selbst erklärten in der Berliner Erklärung ausdrücklich, Deutschland nicht annektieren zu wollen, so dass von einer Auflösung des Reiches nicht die Rede sein konnte. Zudem fehlte auch ein expliziter Auflösungsakt, wie er für Preußen etwa mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947 vorlag. Insofern ist der überwiegenden Auffassung der Völkerrechtler zuzustimmen, dass das Besatzungsregime nach der Berliner Erklärung „ein Rechtsverhältnis einmaliger Art“ (occupatio sui generis) darstellte, bevor die deutsche Staatsgewalt allmählich wiederaufgebaut wurde. Diese Deutung überzeugt auch deshalb, weil die zeitliche Phase zwischen der Berliner Erklärung und dem Beginn des Wiederaufbaus staatlicher Strukturen auf kommunaler Ebene und auf der Ebene der Länder praktisch zu vernachlässigen ist, da bereits unmittelbar nach der Kapitulation neue soziale und politische Strukturen entstanden.

Bemerkenswert ist schließlich noch die Tatsache, dass die militärische Unterwerfung Deutschlands, die mit der Berliner Erklärung ursprünglich nur rechtlich abgesichert werden sollte, schon nach kurzer Zeit eine paradoxe Umkehrung erfuhr, weil die Vier-Mächte-Bestimmungen nunmehr das Recht der Alliierten auf Anwesenheit in Deutschland (und besonders in Groß-Berlin) begründeten. Bereits während der Berliner Blockade 1948/49 wandelten sich die westlichen Besatzungsmächte damit zu Schutzmächten, die Berlin aus der Luft versorgten und seinen Status garantierten. Und noch bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen von Februar bis September 1990 waren die ehemaligen Besatzungsmächte – hier vor allem die USA – wichtige Verbündete bei den Verhandlungen mit der Sowjetunion im Prozess der deutschen Wiedervereinigung. Oder wie Henning Köhler es pointiert formuliert hat: Die „Annullierung deutscher Staatlichkeit“ 1945 sei schließlich „zur stärksten rechtlichen Klammer für das Fortbestehen eben dieses Deutschlands als Ganzem“ geworden.

 

Erschienen am 5. Juni 2020.

 

Manfred Görtemaker ist Emeritus der Professur Geschichte des 19./20. Jahrhunderts an der Universität Potsdam.

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