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Entlassung Otto von Bismarcks aus den Ämtern des Reichskanzlers und preußischen Ministerpräsidenten

by Wolfgang Tischner
„Männer machen Geschichte“ – dieser Satz, den der wahlpreußische Historiker Heinrich von Treitschke in seiner „Deutschen Geschichte“ 1879 formulierte, war nicht frauenfeindlich gemeint; er war die Reaktion eines Zeitgenossen auf das Wirken des preußischen Ministerpräsidenten und ersten Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck.

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Ein Junker vom Lande

Am 1. April 1815 wurde Otto von Bismarck-Schönhausen auf dem Landgut seiner Eltern in Schönhausen bei Stendal als zweiter Sohn geboren. Die Bismarcks waren fast idealtypische preußische Junker aus der Altmark: Landadelige mit durchschnittlichem Vermögen, Monarchisten, politisch und religiös konservativ. Die Mutter, eine geborene Mencken, entstammte einer bürgerlichen Gelehrtenfamilie. Nach dem Abitur am Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin 1832 studierte Bismarck Jura in Göttingen und Berlin. Der Einstieg in eine Verwaltungslaufbahn misslang; Bismarck konnte sich nicht unterordnen und schied freiwillig aus dem Staatsdienst aus. In den nächsten Jahren widmete er sich der Verwaltung der elterlichen Güter; hier war er mit modernen Methoden durchaus erfolgreich. Als Landwirt nicht ausgelastet, fand Bismarck über die ständische Vertretung in die Politik. In der Revolution von 1848/49 vertrat er ultrakonservative Ansichten bis hin zu dem Plan, mit bewaffneten Bauern auf Berlin zu marschieren. Im Erfurter Unionsparlament zeigten seine Reden dann schon einen politisch gereiften Monarchisten, der sich für höhere Aufgaben empfahl. Ihm vertraute Friedrich Wilhelm IV. 1851 den vielleicht wichtigsten Posten an, der im Auswärtigen Dienst Preußens zu vergeben war, die Gesandtschaft beim Bundestag in Frankfurt. Hier sah es Bismarck als seine Aufgabe an, teilweise auch in Überschreitung seiner Kompetenzen Österreichs Einfluss als Vormacht im Deutschen Bund in Frage zu stellen.

 

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Preußischer Ministerpräsident

Als 1862 der innenpolitische Streit in Preußen um die geplante Heeresreform eskalierte, berief König Wilhelm I. Bismarck zum Preußischen Ministerpräsidenten, da er ihm zutraute, auch gegen das Parlament die Reform durchzusetzen. In der Folge war das unbedingte Vertrauen des Monarchen die Basis für Bismarcks außergewöhnlichen politischen Handlungsspielraum. Die eigentliche Sachfrage, die Reform der preußischen Armee, trat hinter die Frage „Königsheer oder Parlamentsheer?“ zurück. Sachlich gab es für die geplante Reform gute Gründe: die Professionalisierung des Offiziersstandes, die bessere Finanzierung, die längeren Dienstzeiten der Rekruten waren zu einer Zeit, als Napoleon III. mit einer modernen französischen Armee außenpolitische Abenteuer in Europa suchte, durchaus empfehlenswert. Der energische Kriegsminister Albrecht von Roon wurde Bismarcks wichtigster Verbündeter, der Generalstabschef, Helmuth von Moltke, würde sich als einer der erfolgreichsten Militärs des 19. Jahrhunderts erweisen, und die preußische Industrie mit dem „Kanonenkönig“ Alfred Krupp war leistungsfähig genug, die entsprechende Ausrüstung bereitzustellen. Allerdings waren die Fronten so verhärtet, dass Bismarck keine parlamentarische Mehrheit gegen die liberale Opposition zustande brachte. Immer politischer Pragmatiker, regierte der Preußische Ministerpräsident einfach mit den letzten regulären Haushaltsansätzen weiter und rechtfertigte diesen extrakonstitutionellen Etat mit der „Lückentheorie“, nach der der tatsächlich nicht geregelte Fall der dauerhaften Uneinigkeit zwischen Krone und Abgeordnetenhaus dies möglich mache.

Im Deutschen Bund konterkarierte Bismarck die in den 1860er Jahren einsetzenden Reformbestrebungen. Auch heute noch nicht ausreichend historiographisch gewürdigt, wurde durch etliche Initiativen besonders der Mittelstaaten Sachsen, Hannover und Bayern eine deutsche Staatlichkeit energisch vorangetrieben – sei es durch Vorbereitung einer Münzunion, eines Handelsgesetzbuches und, etwa beim Frankfurter Fürstentag 1863, auch einer politischen Einigung. Bismarck verhinderte eine konstruktive Rolle Preußens und war zeitweise wohl der verhassteste deutsche Politiker.

 

Die Einigungskriege

Bismarck undiplomatische Feststellung, die er zu Beginn seiner Zeit als Ministerpräsident getroffen hatte, dass die Fragen der Zeit nicht am Kabinettstisch, sondern „durch Eisen und Blut“ entschieden würden, traf für ein Jahrhundert zu, das den Krieg noch frei nach Clausewitz als Verlängerung der Politik sah. 1863/64 befreite der Bruch des Londoner Protokolls von 1852 durch Dänemark Bismarck aus der innenpolitischen Defensive, in die er durch die Bundesreformpläne geraten war. Mit einer eiderdänischen Verfassung versuchte Christian IX., Schleswig entgegen der Rechtslage in den dänischen Staat zu integrieren. Die vereinten preußischen und österreichischen Streitkräfte besiegten Dänemark schnell, ein brillant agierender Bismarck schaffte es, die eigentlich an einem starken Dänemark interessierten europäischen Großmächte aus dem Konflikt herauszuhalten und präsentierte sich erstmals der deutschen Öffentlichkeit als der Vollstrecker der Forderungen der deutschen Nationalbewegung – ein heute in Vergessenheit geratener Grund für das Scheitern der Revolution 1849 war die Niederlage gegen Dänemark in der Auseinandersetzung um Schleswig-Holstein gewesen. Nur zwei Jahre später, 1866, kam es dann zum entscheidenden Waffengang gegen Österreich. Flankiert durch ein Bündnis mit dem Königreich Italien schlugen die präzise aufmarschierenden Preußen die mit Österreich verbündeten Armeen Bayerns und Hannovers getrennt, im böhmischen Königgrätz kam es dann zur Entscheidungsschlacht. Neben der überlegenen Führung durch Moltke war die moderne Infanteriebewaffnung der Preußen entscheidend; die Heeresreform hatte sich bezahlt gemacht.

Die Friedensregelungen vermieden, von Bismarck mit Rücktrittsdrohung durchgesetzt, eine Demütigung Österreichs, das freilich aus dem Deutschen Bund ausscheiden musste. Das Königreich Hannover wurde von Preußen annektiert, die übrigen deutschen Staaten mussten entweder dem Norddeutschen Bund beitreten oder sich über zuerst noch geheime Bündnisverträge an Preußen binden. Der deutsche Dualismus war zugunsten Preußens entschieden um den Preis eines Herausdrängens Österreichs aus dem deutschen Staatsverband. Der Verfassung nach war der Norddeutsche Bund eher eine Fürstenunion verschiedener teilsouveräner Staaten mit weitgehender innerer Autonomie, aber gemeinsamer Außenpolitik. Dementsprechend gelang es Bismarck auch, mit der Indemnitätsvorlage den Konflikt mit den Liberalen beizulegen, die in den Folgejahren seine Politik parlamentarisch unterstützten.

Der große Verlierer des Krieges von 1866 war neben dem Habsburger Reich Napoleon III. gewesen, dessen cäsarisches Regime sein dynastisches Legitimationsdefizit durch eine aggressive Hegemonialpolitik zu kompensieren zu suchte. 1870 manövrierte Bismarck Frankreich in der Frage der spanischen Thronfolge in eine unbedachte Kriegserklärung an Preußen hinein, die über die Bündnisverträge mit den süddeutschen Staaten zu einem gesamtdeutschen Krieg wurde. Die vor allem bei der Artillerie überlegenen Truppen der deutschen Staaten schlugen bei Sedan die französische Armee entscheidend. Die folgende Belagerung von Paris und hastig aufgestellte neue französische Armeen verlängerten nur den Krieg, änderten aber nichts am deutschen Sieg. Die öffentliche Meinung in Deutschland zwang Bismarck zur Annexion von Elsass und Lothringen, was für die nächsten Jahrzehnte das deutsch-französische Verhältnis vergiften sollte.

Innenpolitisch freilich war Bismarck auf dem Zenit seines Erfolges angekommen; mit einer an die Schilderhebung Ottos des Großen auf dem Lechfeld erinnernden Zeremonie wurde Wilhelm I. am 18. Januar 1871 „im Felde“ noch während der Belagerung von Paris im Spiegelsaal von Versailles von den deutschen Fürsten zum „deutschen Kaiser“ proklamiert, die süddeutschen Staaten traten dem Norddeutschen Bund bei. In den Augen der Nationalbewegung hatte Bismarck das Deutsche Reich neu begründet.

 

„Innenpolitischer Präventivkrieg“ – Der Kulturkampf

Als Gegengewicht zu einer befürchteten liberalen Kammermehrheit hatte Bismarck schon in der Verfassung des Norddeutschen Bundes ein allgemeines und gleiches Männerwahlrecht durchgesetzt. Als Preußischer Ministerpräsident, Reichskanzler und Außenminister vereinte er eine ungewöhnliche Machtfülle. Trotzdem stützte er sich nach der Reichsgründung hauptsächlich auf die Nationalliberalen. Ein wesentliches Element dabei war eine strikt antikatholische Politik, die die Liberalen – empört über das 1870 verkündete Unfehlbarkeitsdogma des Ersten Vatikanischen Konzils – verlangten. In einer Serie von Gesetzen setzte Bismarck im Reich und in Preußen die Zivilehe, staatliche Schulaufsicht, einen staatlichen Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten, ein weitgehendes Verbot katholischer Orden in Deutschland und, mit dem „Kanzelparagraphen“, ein Gesetz zur Neutralität bei der kirchlichen Verkündigung durch. Die Auswirkungen dieser Gesetze waren für den katholischen Volksteil gravierend: In Preußen waren de facto die Karrieren für Katholiken in allen staatlich kontrollierten Bereichen begrenzt, es gab – außer bei Theologen – kaum noch katholische Professoren, kaum ein katholischer Jurist erreichte eine Beförderung über die Stufe des Amtsrichters hinaus, in der preußischen Armee kam man maximal bis zum Major. Besonders hart traf der mittlerweile von den Liberalen als „Kulturkampf“ apostrophierte Konflikt katholische Ordensangehörige, von denen über Tausend das Deutsche Reich verlassen mussten. Diese Sondergesetze, mit denen rund ein Drittel der Reichsbevölkerung drangsaliert wurde, hatten allerdings den Effekt, dass bis zu 80% der Katholiken das Zentrum, das 1870 als dezidiert katholische Partei entstanden war, wählten. Trotz oder gerade wegen der staatlichen Verfolgung als „Reichsfeinde“ bildete sich eine katholische Sondergesellschaft mit eigenen Organisationsstrukturen. In wenigen Jahren entstand ein exklusiv katholisches Vereinswesen, eine katholische Presse mit der „Germania“ und der „Kölnischen Volkszeitung“ als ihren wichtigsten Organen: die Katholiken igelten sich ein, es entstand das katholische Milieu. Diese Vorfeldorganisationen stabilisierten die Wahlentscheidung der Katholiken im Reich für das Zentrum. Bis in die 1970er Jahre hinein blieb das katholische Milieu mit seiner Wahlentscheidung für das Zentrum bzw. die CDU stabil.

Ende der 1870er Jahre erkannte Bismarck, das die Bekämpfung der Katholiken, die für ihn nie ein genuines eigenes politisches Ziel, sondern eher eine Opportunitätsentscheidung gewesen zu sein scheint, gescheitert war. Da sich außerdem in der Zusammenarbeit mit den Liberalen ein Grundsatzkonflikt in der Zollpolitik abzeichnete, begann ab 1878, der „konservativen Wende“ in seiner Politik, eine Phase, in der sein wichtigster parlamentarischer Gegenspieler, der ehemalige hannoversche Ministerpräsident und unangefochtene Kopf des Zentrums, Ludwig Windthorst, Bismarck Schritt um Schritt die sogenannten Milderungsgesetze abringen konnte, die bis Ende der 1880er Jahre die drückendsten Kulturkampfgesetze entschärften.

 

Ein zweiter gescheiterter Kampf: Das Sozialistengesetz

Mit der Abkehr von den Liberalen und dem Ende des Kulturkampfes suchte Bismarck einen anderen Gegner für seine agonale Innenpolitik. Die mit der Industrialisierung in Deutschland rapide anwachsende Arbeiterschaft wählte verstärkt die Sozialdemokratische Partei, die besonders bei den Reichstagswahlen, wo sie nicht durch das Dreiklassenwahlrecht wie in Preußen benachteiligt wurde, reüssieren konnte. Zwei Attentate auf den Kaiser 1878 lieferten den Vorwand, im „Sozialistengesetz“ die Sozialdemokratie mit einer Serie von Verfolgungsmaßnahmen zu überziehen. Das Muster entsprach dem Kulturkampf: Während die Reichstagsfraktion der SPD durch ihre parlamentarische Immunität geschützt war, wurden sozialdemokratische Zeitungen und Vereine rigoros verfolgt. Der Effekt war ebenfalls derselbe wie bei den Katholiken: Die Arbeiterschaft scharrte sich um ihre Partei, es entstand, zuerst noch in der Illegalität, das sozialistische Milieu, das wiederum die Wahlentscheidung der Arbeiterschaft (mit Ausnahme der katholischen Arbeiter) für die SPD zementierte. Es lässt sich festhalten, dass die beiden wichtigsten politischen Strömungen des deutschen Parlamentarismus, die christliche Demokratie und die Sozialdemokratie, in ihrer Ausformung entscheidend durch die Bismarcksche Politik geprägt worden sind.

Allerdings versuchte Bismarck nicht nur mit Repressionsmaßnahmen, die Arbeiterschaft der Sozialdemokratie zu entfremden. Die bis dahin fast ausschließlich privatrechtlichen Versicherungen gegen Krankheit und Invalidität boten die Anregung zu den Gesetzen über eine allgemeine Krankenversicherung der Arbeiter (1883) und schließlich dem Gesetz zur Alters- und Invalidenversicherung von 1889, der ersten modernen staatlichen Rentenversicherung. Die Grundsteinlegung des modernen Sozialstaats ist – neben der Reichsgründung – vermutlich Bismarcks bleibendste Leistung.

 

„Ein ehrlicher Makler“ – Bismarcks Außenpolitik nach der Reichsgründung

Außenpolitisch veränderte die Reichsgründung die politische Landkarte in Europa entscheidend. Frankreich wurde von der Hegemonialmacht zu einem Staat zweiten Ranges, der permanent auf Revanche für die Gebietsabtretungen 1871 sann. Für Deutschland ergab sich daraus der „cauchemar des coalitions“, die Angst vor einem Zweifrontenkrieg, der in der Zukunft die Determinante von Bismarcks Außenpolitik wurde. Gleichzeitig erforderte die öffentliche Meinung im Deutschen Reich als Ausgleich für die Abspaltung Österreichs wenigstens ein unverbrüchliches Bündnis zur Habsburger Monarchie, das wiederum strukturell Deutschlands Beziehungen zum Zarenreich belastete. Großbritannien, ursprünglich durchaus dem dynastisch verbundenen Preußen wohlgesonnen, empfand die aufstrebende junge Industriemacht Deutschland bald immer mehr als Konkurrenten.

Bismarck reagierte auf diese Situation mit einer ausgleichenden Außenpolitik, in der das Deutsche Reich als „ehrlicher Makler“ in mehreren Situationen versuchte, durch Vermittlung potentiell gefährliche Krisen zu entschärfen. Teilweise war dies erfolgreich, da tatsächlich das Deutsche Reich unter Bismarck von den anderen europäischen Mächten als „saturiert“ wahrgenommen wurde, allerdings fühlte sich etwa Russland bei der Berliner Konferenz 1878 um die Früchte seines Erfolges gebracht und machte dafür das Deutsche Reich verantwortlich. In Bismarcks Planung sollte das Machtgleichgewicht in Europa so aufgebaut sein, dass alle Staaten auf eine Kooperation mit dem Reich angewiesen sein sollten und eine Koalition gegen Deutschland nicht möglich wäre. In einer Serie von Verträgen versuchte der Kanzler dieses Konzept zu verwirklichen; ein Zweibund bestand mit Österreich, zeitweise der Dreikaiserbund mit Russland und Österreich, daneben ein geheimer Rückversicherungsvertrag mit Russland, um nicht in einen russisch-österreichischen Konflikt hineingezogen zu werden. Dieses komplizierte Vertragsgeflecht war für einen äußerst fähigen und skrupellosen Außenpolitiker wie Bismarck gerade noch beherrschbar, überforderte jedoch seine Nachfolger.

 

Der Sturz

Nachdem im Dreikaiserjahr 1888 auf den greisen Wilhelm I. sein todkranker Sohn Friedrich III. und darauf nach wenigen Wochen dessen Sohn Wilhelm II. gefolgt war, deutete sich ein Machtwechsel an. Wilhelm II., den Bismarck zutreffend als intelligent, aber geltungssüchtig und sprunghaft einschätzte, wollte ein „persönliches Regiment“ führen, das nicht mit Bismarcks dominanter Stellung zu vereinen war. Die deutsche Öffentlichkeit wollte den mit innenpolitischer Repression verbundenen Reichskanzler gehen sehen. An der Frage der Verlängerung des Sozialistengesetzes entzündete sich der Konflikt, der zu Bismarcks Abdankungsgesuch vom 18. März 1890 führte.

 

Der „Alte im Sachsenwald“

Nach seinem Sturz zog sich Bismarck auf seinen Landsitz Friedrichsruh bei Hamburg zurück. Der Sachsenwald wurde zu einer Pilgerstätte begeisterter Deutscher; Bismarck genoss eine quasimonarchische Verehrung, die auch durchaus einen kritischen Unterton gegenüber der Regierung des impulsiven jungen Kaisers Wilhelm II. hatte. Bismarck selbst unterstützte diese Deutung nach Kräften, und auch medienwirksame „Versöhnungstreffen“ 1894 änderten daran nichts. Nach dem Tod seiner Frau Johanna 1894 verschlechterte sich Bismarcks Gesundheitszustand; er verstarb am 30. Juli 1898. Die Familie düpierte mit der Beerdigung im Mausoleum in Friedrichsruh Wilhelm II., der Bismarck gerne mit einem Staatsakt und einer Grablege in der Hohenzollerngruft in Berlin vereinnahmt hätte. Der von Bismarck ausgewählte Grabspruch blieb eine letzte Provokation an den regierenden Monarchen: „Ein treuer deutscher Diener Kaiser Wilhelms I.“

 

Nachleben und Historiographie

Bismarck war zusammen mit dem Feldherrn Moltke der einzige Deutsche seiner Generation, dem, obwohl nicht Mitglied einer Herrscherfamilie, schon zu Lebzeiten Denkmäler gesetzt wurden. Nach seinem Tod setzte eine wahre Manie ein, jede größere Stadt im Reich verfügte bald über eine Bismarckstraße, ein Denkmal oder einen Bismarckturm. Die von Wilhelm II. geförderte Verehrung „Kaiser Wilhelms des Großen“ blieb dagegen eine Pflichtübung.

Ikonographisch leitete die Bismarck-Verehrung in Deutschland die Abkehr vom rein monarchisch orientierten „Personenkult“ ein; dieser Trend setzte sich verstärkt im Ersten Weltkrieg mit dem Hindenburg-Kult fort und fand seinen Höhepunkt im Dritten Reich mit Hitler. In diesem Sinne – und nicht in Bezug auf Aggressionskrieg oder gar Genozid – ist Bismarck tatsächlich zu einem unfreiwilligen Vorläufer Hitlers geworden.

Schon während seiner Amtszeit hatte Bismarck dem Historiker Heinrich von Sybel Aktenzugang für dessen monumentale Geschichte „Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I.“ (1889) gegeben. Zusammen mit Bismarcks Memoiren, den „Gedanken und Erinnerungen“, die in enger Zusammenarbeit mit Lothar Bucher entstanden, dienten sie der teleologischen Interpretation der eigenen Biographie. Besonders die „Gedanken“ dominierten fast ein Jahrhundert lang die deutsche Historiographie zur Reichsgründungszeit mit einer borussisch-kleindeutschen Sicht. Großdeutsche Deutungsversuche wie die des welfischen Historiker Onno Klopp konnten dagegen auch methodisch nicht bestehen.

Die Biographie von Lothar Gall leitete die moderne Bismarck-Forschung mit der Deutung als „weißem Revolutionär“ ein, konnte sich gleichwohl nicht völlig von liberalen Stereotypen befreien. Auch ein innenpolitisches Signal in der DDR war die Veröffentlichung der Bismarck-Biographie des ostdeutschen Historikers Ernst Engelberg, der sich in den 1950er Jahren noch als strammer Stalinist bei der Gleichschaltung der Universität Leipzig erwiesen hatte, 1987 dann jedoch die wohl quellennächste Lebensbeschreibung des „eisernen Kanzlers“ vorlegte. Als zurzeit vielleicht modernste Deutung kann die im Original dreibändige Biographie des amerikanischen Historikers Otto Pflanze gelten.

Die 1996 als Stiftung öffentlichen Rechts gegründete Otto-von Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh verwaltet den schriftlichen Nachlass und ediert ihn in der Neuen Friedrichsruher Ausgabe.

 

Was bleibt?

Bismarck hat sicherlich die Einheit Kleindeutschlands schneller vollendet, als dies auf einem konsensualen, über den Deutschen Bund führenden Weg möglich gewesen wäre. Ob sich im nationalstaatlich organisierten Europa des 19. Jahrhunderts dies ohne kriegerische Auseinandersetzung hätte realisieren lassen, muss man bezweifeln; die Einigungskriege kann man Bismarck mithin moralisch nicht anlasten. Der Preis für die borussisch dominierte Einigung war allerdings hoch: eine vertiefte Feindschaft zu Frankreich, die Abspaltung Österreichs und die Fragmentierung der deutschen Gesellschaft durch die Diskriminierung von Katholiken und Sozialdemokraten erwiesen sich als schwere Hypotheken für die Nachfolger des „Eisernen Kanzlers“. Es bleibt das Bild eines äußerst befähigten Politikers, der als Einzelperson den Lauf der deutschen Geschichte bleibend verändert hat, wenn auch nicht unbedingt zum Guten. „Männer machen Geschichte“, wie Treitschke zutreffend formulierte.

 

Literaturhinweise:

  • Otto von Bismarck: Gedanken und Erinnerungen. Bd.1-2. Stuttgart 1898. (und öfter)
  • Ernst Engelberg: Bismarck. Bd. 1: Urpreuße und Reichsgründer. Berlin (Ost) 1987. Bd.2: Das Reich in der Mitte Europas. Berlin 1990. (und öfter)
  • Lothar Gall: Bismarck. Der weiße Revolutionär. Frankfurt/M. 1980. (und öfter)
  • Otto Pflanze: Bismarck. Bd. 1: Der Reichsgründer. Bd. 2: Der Reichskanzler. München 1997-98. (amer. 1990)

 

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