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Die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag: Fraktion in der Fraktion

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Seit ihrer Gründung nach der ersten Bundestagswahl 1949 versteht sich die Landesgruppe der CSU als parlamentarische Vertretung einer eigenständigen Partei. Sie ist mehr als nur ein Teil der Unionsfraktion; ihr Sonderstatus als „Fraktion in der Fraktion“ (Günter Buchstab) wird von der CDU anerkannt.

 

Die Landesgruppenvollversammlung

Der Landesgruppenvorsitzende

Lobbyistin bayerischer Interessen im Bund

Fraktionsgemeinschaft mit der CDU

Konflikt zwischen Bundespolitik und Landespolitik

Differenzen zwischen CDU und CSU

Bundespolitischer Gestaltungsanspruch

 

Die Landesgruppenvollversammlung

Neben der Vollversammlung der CDU/CSU-Fraktion existiert eine Landesgruppenvollversammlung. Die Landesgruppensitzungen finden in der Regel am Montagabend nach den Sitzungen des Vorstands der Gesamtfraktion statt, der zuvor tagt und das Arbeitsprogramm der Woche berät. In Kenntnis der Beratungsergebnisse bereitet die Landesgruppe die Sitzung der Vollversammlung der Gesamtfraktion am Dienstag vor. Weiter verfügt die Landesgruppe über einen eigenen Vorstand und eine selbständige Geschäftsführung. Der Parlamentarische Geschäftsführer koordiniert die Landesgruppenarbeit und übt die Dienstaufsicht über das Landesgruppenbüro aus. Die Einrichtung eines Landesgruppenbüros mit einem eigenen Mitarbeiterstab, der aus dem Etat der Gesamtfraktion finanziert wird, unterstreicht die Sonderstellung der CSU-Landesgruppe als eine Teilorganisation der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag.

 

Herausragender Akteur auf der politischen Bühne: Der Landesgruppenvorsitzende

Der Vorsitzende der Landesgruppe nimmt in der Hierarchie der CDU/CSU-Fraktion eine herausgehobene Stellung ein. Kraft Amtes ist er erster stellvertretender Vorsitzender der Gesamtfraktion. Bei Verhinderung des Fraktionsvorsitzenden führt er die Geschäfte der Fraktion. Alle Spitzengespräche – interfraktionell wie mit der Regierung – führen der Fraktionsvorsitzende und sein erster Stellvertreter in der Regel gemeinsam. Mit seiner Wahl hat der Landesgruppenvorsitzende die Ernennungsurkunde zum Bundesminister bereits im Tornister. Angefangen bei Fritz Schäffer und Franz Josef Strauß bis hin zu Hans-Peter Friedrich setzte der Landesgruppenvorsitzende seine politische Karriere mit der Berufung in das Bundeskabinett fort. Ausnahmen bildeten Richard Stücklen, der 1976 nach seiner zweiten Amtszeit Vizepräsident des Deutschen Bundestages wurde, sowie Gerda Hasselfeldt und Alexander Dobrindt, die den umgekehrten Weg gingen, also vom Ministeramt an die Spitze der CSU-Landesgruppe. In der langen Liste der Landesgruppenvorsitzenden steht Hasselfeldt als bislang einzige Frau.

 

Lobbyistin bayerischer Interessen im Bund

Am Kabinettstisch sitzt die Landesgruppe als eigenständiger Koalitionspartner, der mit seinen Bundesministern einen wesentlichen Beitrag zur „erfolgreichen Transformation Bayerns vom rückständigen Agrar- zum modernen High-Tech-Industrieland“ (Volker Stalmann) leistete. Allen voran ist Strauß zu nennen, der sich zwischen 1953 und 1962 als Bundesminister – zunächst für besondere Aufgaben, dann für Atomfragen und schließlich der Verteidigung – zum Cheflobbyisten bayerischer Interessen im Bund entwickelt. Für den Ausbau und die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur in dem Flächenland Bayern war für die CSU von strategischer Bedeutung, dass sie in der Ära Merkel von 2009 bis 2021 das Bundesministerium für Verkehr besetzte.

 

Fraktionsgemeinschaft mit der CDU

Als „einzige Hüterin weiß-blauer Interessen“ (Petra Weber) wahrgenommen zu werden, war das Ziel der CSU, als sie ihre parlamentarische Arbeit nach der Bundestagswahl von 1949 in Bonn aufnahm. Zu diesem Zeitpunkt stand sie noch in unmittelbarer Konkurrenz mit der Bayernpartei, die den Christsozialen die führende Rolle im Freistaat streitig machte. Als erfolgreich erwies sich die Bildung einer Fraktionsgemeinschaft mit der CDU, wie sie bereits im Frankfurter Wirtschaftsrat und im Parlamentarischen Rat praktiziert worden war. Die Kooperation mit den Christlichen Demokraten in einer gemeinsamen parlamentarischen Vertretung ermöglicht der CSU „ein Maximum an Einfluss bei einem relativ hohen Maß an Eigenständigkeit“ (Volker Stalmann).

Zu Beginn jeder Wahlperiode fassen CDU und CSU einen Beschluss zur Fortsetzung ihrer Fraktionsgemeinschaft im Deutschen Bundestag. Der institutionellen Zusammenarbeit musste bis zur Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages im März 1969 das Parlament jeweils zustimmen. Mit dieser Änderung der Geschäftsordnung wurde festgelegt, dass „Vereinigungen von mindestens fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages, die derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die aufgrund gleichgerichteter Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen“, Fraktionen bilden können. Die Fraktionspakte regeln die organisatorisch-politischen Grundlagen der Fraktionsgemeinschaft. Die entsprechenden Verhandlungen über die weitere Zusammenarbeit sind für die CSU „das wichtigste Mittel zum Ausbau der institutionellen Sonderstellung in der Fraktionsgemeinschaft“ (Alf Mintzel).

 

Konflikt zwischen bundespolitischem Anspruch und landespolitischen Interessen

 

In die Vereinbarungen zur Fortführung der Fraktionsgemeinschaft wird jeweils ein sogenannter Föderalismusvorbehalt aufgenommen, der besagt, dass die CDU/CSU-Fraktion keiner Grundgesetzänderung zustimmt, der die CSU-Landesgruppe „aus Gründen der Wahrung der Grundlagen des föderativen Staatsaufbaus widerspricht“. Die CSU versteht sich als „Gralshüterin des bundesdeutschen Föderalismus“ (Andreas Zellhuber). Dies führt bisweilen zu Konflikten zwischen der Landesgruppe in Bonn bzw. Berlin sowie der Landtagsfraktion und der von der CSU geführten Staatsregierung in München. Die CSU-Landesgruppe macht deutlich, dass sie kein „ferngesteuertes Vollzugsorgan der Münchner Regierung und Landtagsfraktion“ (Petra Weber) ist. Während der parteiinternen Auseinandersetzungen über die Finanzverfassungsreform in den Jahren der ersten Großen Koalition von 1966 bis 1969 stellte Strauß als Bundesfinanzminister und Parteivorsitzender gesamtstaatliche Interessen und die Regierungsfähigkeit der CSU auf Bundesebene über föderalistische Bedenken auf Landesebene.

 

Differenzen zwischen CDU und CSU und der Trennungsbeschluss von Kreuth

Für die CSU stellte der Eintritt in die Regierung der Großen Koalition eine große Herausforderung dar. Sie büßte ihre Bedeutung für die Kanzlermehrheit eines Christlichen Demokraten ein und musste sich zwischen den beiden Volksparteien CDU und SPD behaupten. Das Ziel einer größeren Selbständigkeit gegenüber der CDU führte nach dem Machtverlust von 1969 zu ernsthaften Konflikten zwischen den Unionsparteien. Die Landesgruppe, die ihren Verwaltungsapparat ausbaute und selbständige Arbeitsgruppen einrichtete, die inhaltlich den Fraktionsarbeitskreisen angelehnt waren, stritt mit der CDU über die Oppositionsstrategie, insbesondere in der Deutschland- und Ostpolitik.

Nach der verlorenen Bundestagswahl von 1972 konnte der Bruch der Fraktionsgemeinschaft noch abgewendet werden. Nach zähem Ringen wurde der Fraktionspakt „auf der Grundlage der Gleichberechtigung beider Parteien“ erneuert, womit die Sonderstellung der CSU-Landesgruppe innerhalb der Fraktion unterstrichen wurde. Doch nur vier Jahre später, nachdem CDU und CSU bei der Bundestagswahl nur denkbar knapp eine eigene Mehrheit verfehlt hatten, fasste die Landesgruppe am 19. November 1976 auf ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth den Beschluss, die parlamentarische Zusammenarbeit mit der CDU in einer gemeinsamen Bundestagsfraktion nicht fortzusetzen. Die Entschlossenheit der CDU, die mit der Gründung eines eigenen Landesverbandes in Bayern drohte, und erheblicher Widerstand an der Parteibasis und in den Gliederungen der CSU führten zur Rücknahme des Trennungsbeschlusses und schließlich Neuauflage der Fraktionsgemeinschaft.

 

Bundespolitischer Gestaltungsanspruch unter veränderten Rahmenbedingungen

Die gemeinsame Bundestagsfraktion wurde seither nicht mehr grundsätzlich infrage gestellt – auch nicht im Sommer 2018, als der Streit zwischen den Unionsparteien über den Kurs in der Asylfrage Erinnerungen an die „Zerreißprobe von 1976“ (Günter Buchstab) weckte. Die Etablierung der Grünen als neue politische Kraft in den 1980er-Jahren sowie das Hinzukommen der PDS/Die Linke mit der Wiedervereinigung und der AfD seit den 2010er-Jahren hatten die Rahmenbedingungen für das bundespolitische Wirken der CSU grundlegend verändert. Der Versuch der CSU, im wiedervereinigten Deutschland ihre Basis mit Hilfe der DSU zu erweitern, war gescheitert. Ihre Rolle als bayerische Regionalpartei mit bundespolitischem Gestaltungsanspruch kann sie nur in der Fraktionsgemeinschaft mit der größeren Unionsschwester ausfüllen.

 

Stefan Marx

 

Vorsitzende seit 1949

 

 

CSU-Landesgruppe: Vorsitzende seit 1949  
1949-1953 Fritz Schäffer
1953-1957 Franz Josef Strauß
1957-1961 Hermann Höcherl
1961-1962 Werner Dollinger
1963-1966 Franz Josef Strauß
1966-1976 Richard Stücklen
1976-1982 Friedrich Zimmermann
1982-1989 Theo Waigel
1989-1993 Wolfgang Bötsch
1993-2005 Michael Glos
2005-2009 Peter Ramsauer
2009-2011 Hans-Peter Friedrich
2011-2017 Gerda Hasselfeldt
seit 2017 Alexander Dobrindt

 

Literatur

 

  • Die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1949–1972, bearbeitet von Andreas Zellhuber/Tim B. Peters (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Vierte Reihe, Bd. 15/I). Düsseldorf 2011.
  • Die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1972–1983, bearbeitet von Volker Stalmann (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Vierte Reihe, Bd. 15/II). Düsseldorf 2019.
  • Günter Buchstab: Ein parlamentarisches Unikum: die CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft, in: Hans-Peter Schwarz (Hg.): Die Fraktion als Machtfaktor. CDU/CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute. München 2009, S. 255–274.
  • Alf Mintzel: Geschichte der CSU. Ein Überblick. Opladen 1977.
  • Petra Weber: Föderalismus und Lobbyismus. Die CSU-Landesgruppe zwischen Bundes- und Landespolitik 1949 bis 1969, in: Thomas Schlemmer/Hans Woller (Hg.): Bayern im Bund. Band 3: Politik und Kultur im föderativen Staat 1949 bis 1973 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 54). München 2004, S. 23–116.   

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