Asset Publisher
Evangelischer Arbeitskreis (EAK)
Asset Publisher
Die konfessionsübergreifende Brückenfunktion der Union
In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zählt die überkonfessionelle Gründung der Union zu den wegweisenden Neuerungen. Die häufig auf konfessionellen Gegensätzen beruhenden politischen Differenzen der Parteien in der Weimarer Republik verlieren angesichts der gemeinsamen Erfahrung von Verfolgung und Unterdrückung in der Zeit des Nationalsozialismus an Bedeutung. Mit dieser Entscheidung legt die Union ihre Grundlage für ihre Mehrheitsfähigkeit und die Entwicklung zur Volkspartei.
Warum erfolgt dennoch 1952 die Gründung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, der kein innerparteiliches katholisches Äquivalent gegenübersteht? Ziel des EAK ist es anfangs, die protestantischen Kräfte zusammenzuführen, innerhalb der Union die Präsenz und den Einfluss der evangelischen Christen zu erhöhen und Vorwürfe, die CDU sei eine klerikal dominierte Fortsetzung des Zentrums, zu widerlegen. Parteiintern setzt der EAK ein Gegengewicht gegen die dominierenden Katholiken und nach außen ein politisches Zeichen gegenüber der Evangelischen Kirche in Deutschland. Der Arbeitskreis will als Brücke dienen, um Dialog und Begegnung zwischen Kirche und Gesellschaft, Partei und Politik zu fördern. Letztlich wollen die Mitglieder auf der Grundlage ihres Glaubens in den Unionsparteien einen Beitrag zu einer vor Gott und den Menschen verantworteten Politik leisten.
Gründungsansätze
Erste Ansätze, den evangelischen Christen eine Stimme zu verleihen, gibt es bereits von 1946 bis 1948 in der „Evangelischen Tagung Rheinland“. Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland stocken die Gespräche zwischen Christdemokraten und der Evangelischen Kirche. Deutliches Signal der Spaltung zwischen Teilen der Evangelischen Kirche und der Regierung Adenauer ist der Rücktritt von Bundesinnenminister Gustav Heinemann am 9. Oktober 1950 wegen Adenauers Politik der Wiederbewaffnung. Heinemann war bis dahin als Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) protestantisches Aushängeschild der Union.
Diese Rolle übernimmt nun Hermann Ehlers, der aufgrund des plötzlichen Todes von Erich Köhler zehn Tage nach Heinemanns Rücktritt zum Präsidenten des Deutschen Bundestages gewählt wird. Ehlers, der Adenauers Politik der Westintegration im Gegensatz zu Heinemann unterstützt, pflegt Freundschaften und Gespräche mit ehemaligen Mitgliedern der Bekennenden Kirche, die Adenauers Politik strikt ablehnen. Aufgrund der dennoch wachsenden Distanz reifen Überlegungen, den Graben zwischen der evangelischen Bevölkerung und Kirche einerseits und der CDU andererseits zu überwinden.
Der Siegener Oberbürgermeister und Bundesschatzmeister der CDU, Ernst Bach, schlägt Konrad Adenauer am 13. Dezember 1951 in einem Brief vor, „einen evangelischen Ausschuß der CDU zu bilden, der sich besonders die Werbung evangelischer Bürger für die CDU zur Aufgabe macht und auch führende evangelische Kreise mit Material versieht“. Bach weist auf die Gefahr hin, die in der Vernachlässigung des evangelischen Wählerpotentials liegt. Der Ausschuss soll Gesprächspartner für evangelische Geistliche sowie führende Persönlichkeiten in evangelischen Jugendorganisationen und karitativen Verbänden sein.
Geburtsstunde des EAK in Siegen
Hermann Ehlers, Ernst Bach, Friedrich Holzapfel und Robert Tillmanns initiieren parallel einen „Meinungsaustausch über die Wahrnehmung der evangelischen Verantwortung innerhalb der CDU“. Sie beschließen, für den 14. bis 16. März 1952 eine Tagung für evangelische Unionsmitglieder nach Siegen einzuberufen. Es wird die Geburtsstunde des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU. In der verabschiedeten Resolution bekennen sich die Politiker klar zum Kurs des Bundeskanzlers. Sie erklären ein neutrales Gesamtdeutschland unter den Bedingungen des Ost-West-Konfliktes für unmöglich und unterstützen die Zusammenarbeit mit dem Westen – einhergehend mit der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland und einem Beitrag zur militärischen Sicherung Europas etwa in Form der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Die Resolution befürwortet die allgemeine Wehrpflicht und stellt sich gegen politischen Pazifismus.
Noch in Siegen konstituiert sich der Geschäftsführende Ausschuss, in den evangelische Vertreter der CDU-Landesverbände gewählt und weitere evangelische Persönlichkeiten kooptiert werden. In der ersten Sitzung im Mai 1952 wird Hermann Ehlers zum Sprecher gewählt. Er verfolgt drei Ziele: 1. Verbesserung der Wahlchancen der Union in der protestantischen Wählerschaft, 2. Stärkung des überkonfessionellen Charakters der Union in der Öffentlichkeit und Wahrung des Konfessionsproporzes innerhalb der Union und 3. geistige Orientierung und Selbstvergewisserung der Protestanten. Ernst Bach übernimmt federführend den organisatorischen Aufbau. Hans Strümpfel vervollständigt im Januar 1953 den Kreis als Geschäftsführer des EAK und Redakteur des seit März 1953 erscheinenden Informationsblattes „Evangelische Verantwortung“.
Die Gründung des EAK zeigt, dass die CDU keine rein katholische Partei und für evangelische Wähler wählbar ist. Zugleich ist sie eine deutliche Absage an Heinemanns im Oktober 1952 gegründete Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP). Der Erfolg von CDU und CSU bei der Bundestagswahl von 1953, bei der die GVP scheitert, wird daher auch als ein Erfolg des EAK gewertet.
Die großen Erfolge des EAK liegen in den 1950er Jahren. Für die Union wird mit dem konservativen Teil des evangelischen Kirchenvolks eine stabile Stammwählerschaft erschlossen. Durch die Bejahung der Westbindung wird der oft traditionelle Nationalismus im konservativen Protestantismus überwunden.
Stabilisierung
Der frühe Tod von Hermann Ehlers (1954) und auch dessen Nachfolger Robert Tillmanns (1955) bedeuten zunächst Stagnation. Erst der damalige Innen-, spätere Außenminister Gerhard Schröder (Vorsitz 1955–1978) stabilisiert Anfang der 1960er Jahre den EAK – insbesondere durch Eindämmung der mehrfachen organisatorischen Umstrukturierungen. Von katholischer Seite in der Union wird Schröder unterstellt, den EAK als „Hausmacht“ zu nutzen, um nach der Übernahme der Leitung des Auswärtigen Amtes 1961 seine Rolle als potentieller Nachfolger Adenauers und später Erhards zu untermauern. Doch als personalpolitisches Instrument oder gar als Hausmacht einzelner Politiker ist die Sonderorganisation weit weniger erfolgreich, gleichwohl sie den evangelischen Spitzenpolitikern als Plattform dient. Organisatorische Modernisierungsversuche werden durch die Rivalitäten um die Nachfolge erst Konrad Adenauers, dann Ludwig Erhards und die Streitigkeiten zwischen „Atlantikern“ und „Gaullisten“ überlagert.
Neue Herausforderungen
Als Ende der 1960er Jahre angesichts fortschreitender Säkularisierung die konfessionellen Fragen an Bedeutung verlieren, ändert sich das Selbstverständnis des EAK. Die Arbeitsschwerpunkte liegen in der Ansprache der Evangelischen Kirchen und der kirchennahen evangelischen Unionswähler. Doch die Arbeit im kirchlichen Raum kommt über einzelne, durchaus erfolgreiche Ansätze nicht hinaus.
Mit dem Fall der Mauer 1989 in Berlin warten neue Aufgaben auf den EAK. Im März 1990 findet in Wuppertal die erste Bundestagung statt, an der Redner und Gäste aus der DDR teilnehmen. Bundeskanzler Helmut Kohl mahnt auf der Schlusskundgebung: „Wir werden dafür arbeiten, den Evangelischen Arbeitskreis – als wichtigen Bestandteil unserer politischen Gemeinschaft – zu stärken. Ich rufe unsere evangelischen Parteifreunde auf, nach Kräften daran mitzuwirken. Denn ich bin überzeugt davon: Wir können auf den spezifischen evangelischen Beitrag zur Politik der Union nicht verzichten – heute weniger denn je. In einem vereinten Deutschland wird der Anteil der evangelischen Christen deutlich höher sein als heute in der Bundesrepublik. Das stellt für die Union eine neue Herausforderung dar. Der Evangelische Arbeitskreis ist für die CDU und CSU eine unentbehrliche Brücke zur Evangelischen Kirche – wie ich hoffe, demnächst auch zur Evangelischen Kirche in der DDR. Es gilt, auch im Hinblick auf die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, das Engagement evangelischer Christen in der Union zu fördern und zu bekräftigen. Hier wächst dem Evangelischen Arbeitskreis eine wichtige neue Aufgabe zu.“
Der seit 2003 amtierende Bundesvorsitzende Thomas Rachel resümiert in seinem Grußwort zum 50-jährigen Jubiläum: „War im Zeitpunkt der Gründung die evangelische Stimme in einer Partei mit stark katholischer Prägung das zentrale Anliegen, so verstehen wir uns heute als evangelisches Grundwerteforum – ja auch als Ort des ökumenischen Dialogs. Wir spüren ein großes Bedürfnis, abseits der tagesaktuellen Fragen grundlegende Themen - wie etwa die Bioethik, die Herausforderungen der Globalisierung oder auch das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen – zu besprechen. Der EAK war nie eine mächtige Organisation – immer aber Ausdruck des Wunsches, dass wir uns in der Politik unserer christlichen Wurzeln versichern und die ethischen Fragen von ihren unterschiedlichen Dimensionen her bedenken.“
Ulrike Hospes
Dokumente zusammengestellt von Carsten Pickert
Literatur:
Buchna, Kristian: Ein klerikales Jahrzehnt? Kirche, Konfession und Politik in der Bundesrepublik während der 1950er Jahre. Baden-Baden 2014.
Egen, Peter: Die Entstehung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU. Bochum 1971.
Großbölting, Thomas: Der verlorene Himmel: Glaube in Deutschland seit 1945. Göttingen 2013.
Klein, Michael: Der westdeutsche Protestantismus und die CDU bis zum Ende der Ära Adenauer (2007).
Martin, Albrecht und Gottfried Mehnert: Der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU 1952–2002. Werden, Wirken und Wollen. Berlin 2002 (Neuauflage 2012).
Wölbern, Jan Philipp: Siegen, Apollo-Theater. Die Gründung des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) der CDU, in: Michael Borchard/Judith Michel (Hg.), Erinnerungsorte der Christlichen Demokratie in Deutschland. Berlin 2020, S. 104–109.
Bundesvorsitzende des EAK |
|
---|---|
1952-1954 | Hermann Ehlers |
1954-1955 | Robert Tillmanns |
1955-1978 | Gerhard Schröder |
1978-1983 | Roman Herzog |
1984-1990 | Albrecht Martin |
1990-1992 | Peter Hintze |
1992-1993 | Angela Merkel |
1993-2003 | Jochen Borchert |
seit 2003 | Thomas Rachel |