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Gerald Götting, Portrait. (Quelle: KAS-ACDP) Gerald Götting, Portrait. (Quelle: KAS-ACDP) © (Quelle: KAS-ACDP)

Gerald Götting

Philologe, Vorsitzender der CDU in der DDR, Volkskammerpräsident June 9, 1923 Nietleben/Halle May 19, 2015 Berlin
by Ulrike Hospes

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Herkunft

Werner Wilhelm Gerald Götting wird am 9. Juni 1923 in Nietleben bei Halle geboren. Er kommt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Sein Vater, Werner Götting, technischer Kaufmann von Beruf, stirbt bereits 1934. Seine Mutter, Corisande Götting, ist Hausfrau.

Götting besucht nach der Grundschule die lateinische Hauptschule der Franckeschen Stiftungen in Halle/Saale und macht dort 1941 sein Abitur. Anschließend wird er zum Reichsarbeitsdienst, danach zur Luftnachrichtentruppe der Wehrmacht eingezogen. Nach dem Krieg wird er zunächst in den Jahren 1946/47 beim Kriegsschädenamt der Stadt Halle beschäftigt, bevor er von 1947 bis 1949 Philologie, Germanistik und Geschichte an der philosophischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg studiert. Aufgrund seines zunehmenden politischen Engagements bricht er sein Studium ab. Am 1. März 1952 heiratet Gerald Götting seine Frau Sabine. 1956 wird Tochter Katharina, 1960 Sohn Gisbert geboren.

 

„Plane mit, arbeite mit, regiere mit.“

Göttings Wirken erstreckt sich auf drei Ebenen: Er steht über 40 Jahre an der Spitze der CDU in der DDR, erfüllt seine Funktionen auf höchster Staatsebene und engagiert sich in gesellschaftlichen Organisationen. Mitbestimmung und Mitwirkung in allen Bereichen der Gesellschaft betrachtet die SED – zumindest offiziell – als staatsbürgerliche Pflicht. Gerald Götting beruft sich in seinen Reden und Publikationen auf die von SED-Ideologen im Vorfeld der Volkskammerwahl 1958 geprägte Losung „Plane mit, arbeite mit, regiere mit“.

Er „plant“ mit und unterstützt den Staat bei der Konzeption und Umsetzung sozialistischer Vorhaben.

Er „arbeitet“ mit und akzeptiert die „führende Rolle“ der Arbeiterschaft bzw. der „Partei der Arbeiterklasse“.

Er „regiert“ mit – zusammen mit allen anderen in der Nationalen Front versammelten Parteien und Massenorganisationen – und glaubt, damit dem Anspruch des Mitherrschens sichtbar Gestalt zu verleihen.

Göttings breit gefächertes Engagement eröffnet ihm Kontakte zu führenden Persönlichkeiten – an der Spitze Walter Ulbricht und Erich Honecker. Letzteren kennt er bereits aus gemeinsamen Zeiten in der Freien Deutschen Jugend (FDJ).

Aufstieg als Funktionsträger in der Partei

Nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt Göttings politische Karriere: Am 13. Januar 1946 tritt er in die CDU Halle ein. 14 Monate später wählt ihn der 2. Landesparteitag der CDU in Sachsen-Anhalt als Jugendvertreter und 6. Vorsitzenden in den Landesvorstand. Im September 1947 wird er als Jugendvertreter in den Hauptvorstand kooptiert. Die Wahl folgt auf dem 3. Parteitag der CDU 1948 in Erfurt. Auch außerhalb der CDU gilt sein Engagement der Jugend: Im März 1946 wird er Mitglied der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ). 1949 folgte die Wahl in deren Zentralrat. Hier organisiert er viele Aktionen gemeinsam mit Margot Feist, der späteren Frau Erich Honeckers.

Nach der Absetzung Jakob Kaisers und Ernst Lemmers als Gründungsvorsitzende der CDU in der SBZ wird Gerald Götting im Alter von 26 Jahren Mitglied im Hauptvorstand der CDUD. Der Parteivorsitzende Otto Nuschke beruft ihn am 19. Oktober 1949 zum Generalsekretär. Götting reüssiert als Kandidat der Besatzungsmacht: Den rasanten Aufstieg hat er in erster Linie Oberstleutnant Sawitschew, dem für die CDU zuständigen Offizier in der Hallenser Kommandantur der Sowjetischen Militäradministration, zu verdanken.

Götting setzt sich weiter durch: Nach fast 17 Jahren als Generalsekretär wird er am 3. Mai 1966 Nachfolger des verstorbenen August Bach im Amt des Vorsitzenden der CDUD. Er vereinigt nun für 23 Jahren beide Ämter in seiner Person (s. Protokollauszug).

Göttings Name steht für die Gleichschaltung der CDU in der DDR. Anfang der 1950er Jahre setzt der inzwischen überzeugte Marxist/Leninist das Sekretärssystem durch. Parteisekretäre aller Ebenen zeichnen dafür verantwortlich, die politische Arbeit zu organisieren, Parteiversammlungen und Schulungen vorzubereiten, die Einhaltung der Parteitagsbeschlüsse zu organisieren, kurz: sie dienen als Sprachrohr und Gehör der SED.

Insbesondere die Kampagne gegen die Junge Gemeinde – die Organisation der jungen evangelischen Gemeindemitglieder in der DDR – 1952/53 zeigt, wie der Generalsekretär den schützenden Kurs der CDU verlässt und sich auf die Seite des Staates und gegen christliches Engagement, auf die Seite der SED und gegen die Autorität des eigenen Parteivorsitzenden sowie gegen die Einheit der eigenen Partei stellt.

Unter Göttings Leitung wird 40 Jahre lang innerparteiliche Demokratie verhindert; die CDU dient als Instrument der SED.

Profilierung in staatlichen Institutionen

Von Anfang an ist Gerald Götting aktiv: in der Volkskongressbewegung (1947–1949), als Mitglied des Deutschen Volksrates (1948/49), der Provisorischen Volkskammer (1949/50) und der Volkskammer der DDR (1950–1990). Doch Götting ist nicht nur Abgeordneter. Mit dem Tode Wilhelm Piecks, dem ersten Präsidenten der DDR, am 7. September 1960, wird das Präsidentenamt abgeschafft. An dessen Stelle tritt eine Art „kollektives Staatsoberhaupt“, der Staatsrat, dessen jeweiliger Vorsitzender als Staatsoberhaupt der DDR fungiert. Gerald Götting wird von Anbeginn bis 1989 als einer der stellvertretenden Vorsitzenden in die Arbeit einbezogen. Bemerkenswert ist, dass Götting als Generalsekretär und nicht August Bach als Parteivorsitzender dieses Amt bekleidet – wie bei den anderen Vorsitzenden der Blockparteien üblich. Götting fühlt sich von nun an als Repräsentant des Staates – und dies letztlich mehr als der Partei. Abweichungen von offiziellen Sprachregelungen sind, sich der neuen Verantwortung sehr wohl bewusst, damit für Götting tabu und aufgrund der Beobachtung durch das Ministerium für Staatssicherheit auch nicht geboten.

Götting versteht sich als „Christ im Sozialismus“. Als Grundlage seines Denkens und Handelns erarbeitet er zu Beginn der 1950er Jahre den „christlichen Realismus“.

Er wirkt als treuer Partner der SED und ihrer Politik. In vorauseilendem Gehorsam sorgt er für die strikte Einhaltung des jeweiligen Kurses der SED. Er ist der lebendige Beweis gegen alle Christen, die in der DDR nicht unbelastet leben können. Götting will Christen und Kirchen für den Marxismus gewinnen. Er begrüßt die Gründung eines Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und damit die Loslösung von der Gesamtdeutschen EKD und unterstützt die Neuregelung der katholischen Bistumsgrenzen in der DDR.

Götting ist überzeugt, dass in einer sozialistischen Gesellschaft die durch christliche Ethik gebotenen Prinzipien der Friedens- und Nächstenliebe am besten umzusetzen seien. Publikationen wie „Der Christ sagt ja zum Sozialismus“ (1960) und „Der Christ beim Aufbau des Sozialismus“ (1963) offenbaren nicht nur seinen politischen Auftrag, sondern dienen gleichzeitig der Vermittlung einer Argumentationsanleitung für die Parteifunktionäre in den Städten und Dörfern.

Fernab aller Stellvertreterposten, die Blockparteien in der DDR in der Regel zustehen, darf Götting von 1969 bis 1976 Präsident der Volkskammer sein. Treue zum Sozialismus, enge und vertrauensvolle Verbundenheit mit der Vorhut der Arbeiterklasse, der SED, feste Freundschaft zu der Sowjetunion bescheinigt ihm damals das „Neue Deutschland“, das Zentralorgan der SED.

Engagement in gesellschaftlichen Organisationen

Auch in gesellschaftlichen Organisationen und Funktionen verschafft sich Gerald Götting Gehör. Auf den „Deutschen Friedenskongressen“ 1950 und 1952 wird er in das „Deutsche Friedenskomitee“ und in den „Friedensrat“ gewählt, wird 1955 Mitglied des Präsidiums.

Daneben engagiert sich Götting für die so genannte Freundschaft zwischen der DDR und der Sowjetunion. 1964 reist er mit Walter Ulbricht nach Moskau, um den Freundschaftsvertrag zu unterzeichnen. Zunächst Mitglied im Zentralvorstand der „Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ arbeitet er ab 1966 im Präsidium mit.

Leidenschaftlich verschreibt sich Götting der Außenpolitik, soweit das seine Kompetenzen erlauben. Insgesamt sind von 1947 bis 1989 166 Reisen verzeichnet. Diese führen ihn als Sonderbotschafter des Staatsratsvorsitzenden, als Mitglied von Regierungs- oder Volkskammerdelegationen oder als Vertreter der DDR auf internationalen Tagungen und Konferenzen hauptsächlich in andere Ostblockstaaten, nach Afrika, Asien und Lateinamerika, aber auch in westlich orientierte europäische Länder wie Schweden, Finnland, Österreich und die Schweiz.

 

Abruptes Ende

Nach dem innerparteilichen Reformprozess der CDUD Ende der 1980er Jahre ist Göttings Absetzung eine der ersten Forderungen der Basis im revolutionären Herbst 1989. Gerald Göttings politische Karriere endet offiziell mit der Rücktrittserklärung als CDU-Vorsitzender am 2. November 1989 sowie der Abberufung aus dem Staatsrat am 17. November 1989. 40 Jahre stand er im Dienst der DDR. Mit ihrem Untergang ist sein politisches Ende besiegelt. In Interviews und Leserbriefen verteidigt Götting auch nach der Wende seine Politik. Es ist zu erkennen, dass er sich keinesfalls nur als Aushängeschild fühlte, sondern als Politiker mit taktischen Zielen. In seinen Augen tat er das Mögliche und Richtige unter den gegebenen Bedingungen – und diente damit der Staatspartei SED. Gerald Götting gehört zu dem Kreis von Menschen, die sich schon frühzeitig mit dem System, den angetragenen Aufgaben und später mit dem Staat DDR arrangiert haben – stabilisierende Stütze nach innen, repräsentativer Gestalter nach außen.

 

Bestand

ACDP (Akten der CDU in der DDR).

Stadtarchiv Halle/Saale (privates Archiv).

 

Curriculum vitae

Beruf

  • 1941 Abitur
  • 1942-1945 Soldat
  • 1945 Beamter im Kriegsschädenamt (Halle/Saale)
  • 1947-1949 Studium der Philologie (Halle/Saale)

 

Partei

  • 1946 Eintritt in die CDU
  • 1948 3. Vorsitzender des CDU-Landesverbands Sachsen-Anhalt und Mitglied des CDU-Hauptvorstands
  • 1949-1966 Generalsekretär der CDUD
  • 1958-1963 Vorsitzender der CDUD-Fraktion in der Volkskammer der DDR
  • 1966-1989 Vorsitzender der CDUD
  • 02.11.1989 Rücktritt als Vorsitzender der CDUD
  • 12/1989-2/1990 U-Haft wegen des Verdachts, Parteigelder für private Zwecke verwendet zu haben
  • 6/1991 Austritt aus der CDU nach begonnenem Ausschlussverfahren
  • 6/1991 Prozessbeginn vor dem Berliner Landgericht wegen Veruntreuung von Parteigeldern
  • 7/1991 Verurteilung zu 18 Monaten Haft auf Bewährung

 

Staatliche Funktionen in der DDR

  • 1948/49 Mitglied des Deutschen Volksrats
  • 1949/50 Mitglied der Provisorischen Volkskammer
  • 1949-3/1990 Mitglied der Volkskammer
  • 1950-1954 deren Vizepräsident
  • 1950-1989 Mitglied des Präsidiums des Nationalrates der Nationalen Front der DDR
  • 1958-1963 Vorsitzender der CDU-Fraktion in der Volkskammer
  • 1960-1969 stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Nationale Verteidigung
  • 1960-1989 stellvertretender Vorsitzender des Staatsrats, 17.11.1989 Abberufung
  • 1969-1976 Präsident der Volkskammer
  • 1980-1989 stellvertretender Präsident der Volkskammer

Veröffentlichungen

  • Der Christ beim Aufbau des Sozialismus. Berlin 1963.
  • Christen und Marxisten in gemeinsamer Verantwortung. Berlin 1971.
  • Erkenntnishilfe und Wegweisung: Lenins Werk und wir Christen heute. Berlin 1970.
  • Christliche Demokraten, Mitgestalter der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR. Berlin 1977.

 

Literatur

  • Hospes, Ulrike: "Plane mit, arbeite mit, regiere mit": Gerald Götting. Gesicht der Blockpartei CDU und Träger des Systems der DDR, in: Historisch-Politische Mitteilungen, Heft 19 (2012).
  • Lapp, P.J.: Gerald Götting. CDU-Chef in der DDR. Eine politische Biographie, Aachen 2011.
  • Richter, Michael: Die Ost-CDU. Zwischen Widerstand und Gleichschaltung, 2. Auflage, Düsseldorf 1991.
  • Rissmann, Martin: Kaderschulung in der Ost-CDU 1949–1971. Zur geistigen Formierung einer Blockpartei, Düsseldorf 1995.
  • Schmidt-Pohl, Jürgen: Christlich-Demokratische Union Deutschlands. Sichtbare und geheime Parteitransformation der CDUD in der SBZ und Mitverantwortungs-Diktatur DDR (2 Bände), Schwerin 2003.

 

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Dr. Ulrike Hospes

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