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Ludwig Windthorst

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Herkunft und Studium

Am 17. Januar 1812 wurde Ludwig Windthorst auf Gut Kaldenhof bei Ostercappeln geboren. Das Kind war zwergwüchsig, das schlechte Gehör und die schwachen Augen blieben zeitlebens eine Belastung. In einem Zeitalter, in dem körperliche Behinderung häufig mit mangelnder Intelligenz gleichgesetzt wurde, war dies ein nicht unwesentliches Handicap. Nach dem Tod des Vaters 1822 geriet die Familie zudem noch in finanzielle Bedrängnis. Der Schulunterricht war für Ludwig Windthorst anfänglich eine Qual, allerdings trieben ihn die Misserfolge dazu, die für ihn später charakteristische Beharrlichkeit zu entwickeln. Obwohl ein Lehrer in völliger Verkennung von Windthorsts Intelligenz zu einer Drechslerlehre geraten hatte, schaffte er 1830 ein glänzendes Abitur und konnte trotz seiner angespannten wirtschaftlichen Verhältnisse das Jurastudium in Göttingen aufnehmen. Für einen weitgehend mittellosen Studenten waren die Rechts- und Staatswissenschaften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – neben dem Theologiestudium – die einzige realistische Möglichkeit, über einen akademischen Beruf mit einem entsprechenden Einkommen später der Familie die Auslagen und Entbehrungen zu ersetzen, die sie auf sich genommen hatten, um ihm das Studium zu ermöglichen. Später wechselte Windthorst nach Heidelberg und schloss sein Studium 1834 ab. Es schloss sich das übliche zweijährige Referendariat an, bevor er sich als Anwalt niederließ.

 

Justizminister im Königreich Hannover

Das nächste Jahrzehnt in Windthorsts Leben verlief unspektakulär, aber allem Anschein nach glücklich. Mit der ihm eigenen Beharrlichkeit warb er um die deutlich ältere Julie Engelen, eine Tochter aus gutem Haus, und heiratete sie 1838. Der Ehe entstammten vier Kinder, die – bis auf eine Tochter – alle noch vor Windthorst starben. Seine Anwaltskanzlei war einträglich, Windthorst agierte häufig im Umfeld der katholischen Kirche und der verfassten Ritterschaft. Als Katholik gehörte er im Königreich Hannover zu einer widerwillig geduldeten Minderheit, als Anwalt und juristischer Vertreter der Ritterschaft war er dem autokratischen Welfenhaus doppelt suspekt. König Ernst August I. hatte 1837 die Verfassung von 1833 aufgehoben und damit eine innenpolitische Krise in Hannover ausgelöst, die bis zur Annexion durch Preußen 1866 weiterschwelen sollte.

In der Revolution 1848/49 unternahm Windthorst mehrere Anläufe, um ins hannoversche Parlament gewählt zu werden. Ab 1849 vertrat er Iburg in der Zweiten Kammer. Die Tätigkeit als Parlamentarier wies im 19. Jahrhundert deutlich andere Rahmenbedingungen auf als heutzutage. Die Diäten ersetzten in der Regel nicht einmal die erhöhten Fahrt- und Lebenshaltungskosten, Abgeordneter konnte – und sollte – nur sein, wer wirtschaftlich unabhängig war. Außerdem drohten bei zu starker oppositioneller Tätigkeit in der Kammer Schikanen der Regierung, die besonders für einen Anwalt im Umfeld von staatlichen Mandaten wirtschaftlich bedrohlich sein konnten. Andererseits schloss die Stellung ein immenses Sozialprestige ein; Windthorst war nun arriviert.

Im Parlament verfolgte er von Anfang an eine Position zwischen den regierungsfeindlichen Liberalen und der Regierung, die sich auch aus seiner Rolle als inoffizieller Vertreter der hannoverschen Katholiken ergab. Er profilierte sich bald als glänzender Redner und parlamentarischer Taktiker, dem allerdings auch von seinen Gegnern wohl nicht immer zu Unrecht Doppelzüngigkeit vorgeworfen wurde. Als sich die Mehrheitssituation Anfang der 1850er Jahre verschob, trat Windthorst 1851 als Justizminister in die Regierung ein – ein immenser sozialer Aufstieg für einen nichtadeligen katholischen Akademiker. Seine Entlassung erfolgte 1853 mit Beteiligung des preußischen Bundesratsgesandten Otto von Bismarck. In den folgenden fünfzehn Jahren befand sich Windthorst immer wieder phasenweise in Opposition zum erratisch agierenden Monarchen, dem blinden König Georg V., und verfolgte parallel dazu eine Karriere im Justizdienst des Landes weiter. 1862 bis 1865 schloss sich eine zweite Amtszeit als Justizminister an, bei der sich der großdeutsch ausgerichtete Windthorst stark in verschiedenen Projekten zur Reform des Deutschen Bundes engagierte. Im Gefolge des Fürstentages von Frankfurt 1863 war Bewegung in den angeblich so immobilen Deutschen Bund gekommen und auf vielen Gebieten – Währung, Handelsgesetzbuch, gemeinsame Außenpolitik – wurden Konzepte entwickelt, die Bismarck nach der Reichseinigung mit Erfolg umsetzte. In den Nachwehen einer borussischen Geschichtsschreibung wird dies freilich bis heute nur unzureichend wahrgenommen. Nach seinem zweiten Rücktritt übernahm Windthorst das Amt des Kronoberanwalts in Celle.

 

Zwischen „deutschem Krieg“ und Unfehlbarkeitsdogma

1865/66 gelang es dem im gesamten Deutschen Bund ungeliebten preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck, seinen Monarchen und den Deutschen Bund in einen bewaffneten Konflikt hineinzumanövrieren. Es war deutlich geworden, dass bei einer Reform des Bundes die Mehrheit der Staaten eher zu einer österreichischen Führung als zu einer preußischen Dominanz tendieren würden, während andererseits Preußen militärisch nach den gegen massive innenpolitische Widerstände durchgesetzten Heeresreformen gut gerüstet war. Obwohl die wichtigsten deutschen Mittelstaaten – Bayern, Sachsen, Hannover – an die Seite Österreichs traten, wurde mit der für Österreich verlorenen Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 die Frage der Vorherrschaft im Deutschen Bund zugunsten Preußens entschieden. Preußen annektierte neben kleineren Gebieten auch das Königreich Hannover. Die Annexion wurde von Teilen der Hannoverschen Bevölkerung, insbesondere der bürgerlich-liberalen Opposition gutgeheißen, während die Katholiken mehrheitlich den Welfen anhingen.

Generell stellte sich für die Katholiken im neugegründeten „Norddeutschen Bund“ die Frage, wie sie sich zu der sich abzeichnenden kleindeutschen Lösung stellen sollten. Windthorst vertrat hier eine Position ähnlich der des ihm vertrauten Bischofs von Mainz, Wilhelm von Ketteler. Dieser wohl sozialpolitisch profilierteste deutsche Bischof im 19. Jahrhundert hatte die deutschen Katholiken in seiner weit verbreiteten Flugschrift „Deutschland nach dem Kriege von 1866“ gedrängt, sich „auf den Boden der Tatsachen“ zu stellen und das neue Reich mitzugestalten. Nachdem Windthorst aus dem nun preußischen Justizdienst ausgeschieden war, ließ er sich 1867 sowohl für die Wahlen zum Preußischen Abgeordnetenhaus wie für den Reichstag des Norddeutschen Bundes aufstellen und errang jeweils das Mandat. Entscheidend war hierfür – und daran sollte sich bis zu seinem Tode nichts ändern – die feste Unterstützung durch die örtliche Honoratiorenschaft, insbesondere die regionalen Adelsfamilien, und die katholische Kirche. In beiden Parlamenten schloss sich Windthorst anfangs konstitutionell-liberalen Gruppierungen an.

Die kirchenpolitischen Rahmenbedingungen änderten sich jedoch in den Jahren zwischen dem „deutschen Krieg“ und der Reichsgründung deutlich. Zum einen führte die parallel stattfindende Bildung des italienischen Nationalstaates, die nur möglich war durch den Sieg Preußens über Österreich, zwangsläufig zur Zerschlagung des Kirchenstaates. Damit ergab sich für die Katholiken in Deutschland, in Frankreich und Belgien die Forderung nach dessen Wiederherstellung, eine politische Hypothek, die sie jeweils innenpolitisch in Gegensatz zu ihren nationalen Regierungen brachte, die natürlich nicht daran dachten, dadurch die Beziehungen zum Königreich Italien zu belasten. Gleichzeitig bestand die innerkirchliche Gegenreaktion darin, im I. Vatikanischen Konzil 1869–70 die Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit als Dogma festzuschreiben. Das Dogma, das wohl ohne die äußere Bedrohung so nicht von der Konzilsmehrheit angenommen worden wäre, belastete die Beziehungen der Katholiken zur liberal bestimmten öffentlichen Meinung in den meisten europäischen Staaten zusätzlich. Auch innerkirchlich stark umstritten – Bischof Ketteler etwa reiste aus Rom vorzeitig ab, um nicht mit abstimmen zu müssen – führte es zur Abspaltung der Altkatholiken, die sich ihm nicht unterwerfen wollten.

In Preußen kam Bismarck die empörte Reaktion der Öffentlichkeit auf das sich abzeichnende Unfehlbarkeitsdogma wie gerufen. Antikatholizismus, der „Antisemitismus für Intellektuelle“, ließ sich in seinem macchiavellistischen Instrumentarium hervorragend verwenden, um endgültig die Liberalen auf seine Seite zu ziehen. Nachdem die Liberalen schon mit der Indemnitätsvorlage, die Bismarcks ohne parlamentarische Legitimation durchgeführte Heeresreform im Nachhinein legalisierte, dessen rapide steigender Popularität Rechnung getragen hatten, gingen sie jetzt mit dem Reichskanzler bei der Bekämpfung „römischen Ungeistes“ zusammen.

Lebenslauf 

 

  • 18.01.1812 auf Gut Kaldenhof bei Ostercappeln geboren
  • 1830-1834 Abitur, Studium der Rechtswissenschaft in Göttingen und Heidelberg
  • 1834-1836 Referendariat
  • 1838-1848 Tätigkeit als Anwalt
  • 1848 Oberappellationsgerichtsrat in Celle
  • 1849-1856 Mitglied der Zweiten Kammer der Ständeversammlung des Königreichs Hannover
  • 1851-1853 Justizminister des Königreichs Hannover
  • 1857-1862 Anwaltstätigkeit
  • 1862-1866 wieder Mitglied der Zeiten Kammer des Königsreichs Hannover
  • 1862-1865 zweite Amtszeit als Justizminister des Königreichs Hannover
  • 1866 Kronoberanwalt in Celle
  • 1867 Pensionierung durch den preußischen König Wilhelm I.
  • 1867-1891 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses
  • 1867-1871 Mitglied des Reichstags des Norddeutschen Bundes
  • 1871-1891 Mitglied des Deutschen Reichstages
  • 1884-1891 Mitglied des Hannoverschen Provinziallandtages
  • 1890 Gründung des „Volksvereins für das katholische Deutschland“
  • 1891 gestorben in Berlin, beerdigt in der Marienkirche in Hannover

Literatur 

 

  • Margaret Lavinia Anderson: Windthorst. Zentrumspolitiker und Gegenspieler Bismarcks. Düsseldorf 1988 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte Bd. 14).
  • Hans-Georg Aschoff/Heinz-Jörg Heinrich (Bearb.): Ludwig Windthorst. Briefe 1834–1880. Paderborn u.a. 1995 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A. Quellen, Bd. 45).
  • Hans-Georg Aschoff/Heinz-Jörg Heinrich (Bearb.): Ludwig Windthorst. Briefe 1881–1891. Paderborn u.a. 2002 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A. Quellen, Bd. 47).
  • Manuel Borutta: Antikatholizismus. Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe. 2. Aufl. Göttingen 2011 (Bürgertum. Neue Folge Bd. 7).
  • Rüdiger Drews: Ludwig Windthorst. Katholischer Volkstribun gegen Bismarck. Regensburg 2011.
  • Eduard Hüsgen: Ludwig Windthorst. 2. Aufl., Köln 1911.
  • Eleonore Föhles: Kulturkampf und katholisches Milieu 1866–1890 in den niederrheinischen Kreisen Kempen, Geldern und der Stadt Viersen. Geldern 1996 (Veröffentlichungen des Historischen Vereins für Geldern und Umgegend Bd. 95).
  • Helmut Lensing: Ludwig Windthorst. Neue Facetten seines politischen Wirkens. Haselünne 2011.
  • Ludwig Windthorst 1812-1891. Christlicher Parlamentarier und Gegenspieler Bismarcks. Begleitbuch zur Gedenkausstellung aus Anlaß des 100. Todestages. Meppen 1991.
  • Ludwig Windthorst: Ausgewählte Reden des Staatsministers a.D. und Parlamentariers Dr. Ludwig Windthorst, gehalten in der Zeit von 1851-1891. Bd.I–III. ND der 2. Aufl. Hildesheim 2003.

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