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Oswald von Nell-Breuning SJ

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Am 8. März 1890 wird Johann Peter Franz Maria Oswald von Nell in Trier geboren. Um ein Aussterben des mütterlichen Familiennamens von Breuning zu verhindern, verleiht Oswald von Nell im Jahr 1910 zusätzlich den Namen Breuning.

Sein Vater, Arthur von Nell (1857–1936), ist promovierter Jurist, preußischer Rittmeister und erster Beigeordneter der Stadt Trier. Die Mutter, Bernharda Klara Hermine von Nell (1862–1933), geborene von Breuning, kommt aus einer angesehen Familie. Ihr Vater, ehemaliger Landgerichtspräsident in Köln und Koblenz, ist mit König Wilhelm I. von Preußen bekannt. 1906 wird Oswalds Bruder Carl Maria Philipp von Nell (1906–1969) geboren.

 

Studien- und Ordenszeit

Nach dem Besuch der Volksschule wechselt Oswald von Nell-Breuning auf das humanistische Friedrich-Wilhelms-Gymnasium in Trier, einem der ältesten Gymnasien in Deutschland. Hier macht er 1908 sein Abitur, ebenso wie vor ihm Karl Marx (1835) und nach ihm Joseph Höffner (1926).

Nach dem Abitur studiert er in Kiel, München, Straßburg und Berlin (je ein Semester) Mathematik und theoretische Physik. Während dieser Zeit macht er die Bekanntschaft mit Ludwig Wolker und Carl Sonnenschein, die ihm wichtige Anstöße für seinen weiteren Lebensweg geben.

Dann geht er nach Innsbruck und beginnt dort mit dem Studium der Philosophie und Theologie. 1911 tritt er in den Jesuitenorden ein. Sein zweijähriges Noviziat absolviert er in ´s-Heerenberg in den Niederlanden. Dann folgt das Studium der Philosophie an der Ordenshochschule in Valkenburg, Niederlande. Von Mai 1915 bis August 1916 ist er im Verwaltungsdienst beim Malteserlazaretttrupp des Kriegslazaretts 51 in der Nähe von Verdun.

Von 1916 bis 1920 wird er von seinem Orden als Präfekt am Kolleg „Stella Matutina“ in Feldkirch/Vorarlberg eingesetzt. Ab dem Wintersemester 1920 studiert er wieder Theologie in Innsbruck. Im Jahr 1921 erhält er die Diakonen- und die Priesterweihe.

Den Ordensoberen ist die ungewöhnliche Begabung Oswald von Nell-Breunings nicht verborgen geblieben. Sie schicken ihn zuerst aber von 1923 bis 1926 nach Düsseldorf, wo er Mitglied einer kirchlichen Rednergruppe ist, die in 100 Städten „religiös-wissenschaftliche Vorträge“ hält. Dort soll er Erfahrungen im Bereich von Seelsorge und Öffentlichkeitsarbeit sammeln.

Am 2. Februar 1926 legt Oswald von Nell-Breuning die feierlichen Ordensgelübde ab.

Eine Zusammenarbeit mit Pater Heinrich Pesch SJ in Berlin, dem Begründer des christlichen Solidarismus, kommt nicht zustande. Nell-Breuning teilt Pesch mit, es sei wichtig, dessen Hauptwerk, das fünfbändige „Lehrbuch der Nationalökonomie“, in einem Band zusammenzufassen. Die Chemie stimmt nicht zwischen beiden und sie finden nicht zueinander.

Nell-Breuning führt den Gedanken des Solidarismus trotzdem weiter. 1968 wird er  unter dem Titel „Baugesetze der Gesellschaft“ eine kleine Programmschrift vorlegen, die sich als ‚Kurzfassung‘ des Solidarismus-Konzepts von Pesch versteht und 1990 als letzte monografische Veröffentlichung Nell-Breunings eine gebundene Neuauflage erlebt. Dieser Spätschrift des katholischen Solidarismus ist deutlich das Bedauern anzumerken, dass sich die katholische Programmformel des Solidarismus als politisch-sozialer Leitbegriff für die Gesellschaften des 20. Jahrhunderts nicht zu behaupten vermochte. Nell-Breuning notiert denn auch resignativ:

„Der Name ist gut und treffend gewählt, aber er ist nicht zügig. ‚Sozialismus‘ ist ein Schlagwort geworden, das breiteste Massen elektrisiert; ‚Solidarismus‘ ist ein wissenschaftlicher Fachausdruck geblieben, mit dem man keine Massen in Bewegung setzen kann.“

 

Promotion und Lehrtätigkeit

Bei Josef Mausbach und Heinrich Weber in Münster wird Oswald von Nell-Breuning 1928 mit der Arbeit „Grundzüge der Börsenmoral“ promoviert. Nicht jeder versteht damals, dass er sein Dissertationsthema normativ abhandelt, nicht empirisch-soziologisch, wie der Titel vielleicht nahelegt. Das Thema ist bis heute aktuell:  

„Die Börse ist von jeher der Tummelplatz skrupellosester Machenschaften gewesen, und nirgends wohl kann rücksichtsloser Eigennutz so ungeniert über Leichen gehen wie an der Börse. Aber wenn nach einem bekannten Worte Augustins selbst die Räuberbanden ihren Ehrenkodex und ihre Moral haben, ohne die sie überhaupt nicht bestehen konnten, dann setzt das Funktionieren eines so feinen und komplizierten Apparates wie die Börse erst recht eine vielleicht sehr einseitig entwickelte, aber gewiss nicht unbeträchtliche Kaufmannsmoral voraus. Um nur eines zu nennen: ohne absoluteste Vertragstreue ist die Technik des modernen Börsenbetriebes überhaupt nicht denkbar.“

Nach seiner Promotion wird er zum Professor für Ethik, Moraltheologie, Kirchenrecht und Gesellschaftswissenschaften an der Ordenshochschule Sankt Georgen berufen. 1948 erhält er auch einen Lehrauftrag für Wirtschafts- und Sozialethik an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt a.M.

Im Wintersemester 1984/85 hält er seine letzte Vorlesung an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen. Er ist über vierzig Jahre dort tätig und prägt viele Generationen von Jesuiten, Priestern und Theologen.

 

Mitarbeit an der Enzyklika „Quadragesimo anno“

Im Herbst 1930 beauftragt der damalige Ordensgeneral der Gesellschaft Jesu, Pater Wladimir Ledóchowski, ein enger Berater Papst Pius XI., Nell-Breuning mit dem Entwurf einer Sozialenzyklika. Eine wichtige Hilfe ist ihm bei dieser Arbeit der „Königswinterer Kreis“, dem er angehört. Der „Königswinterer Kreis“ ist vom damaligen Generaldirektor des Volksvereins und späteren Aachener Bischof Johannes Joseph van der Velden ins Leben gerufen worden. Er setzt sich zusammen aus: Theodor Brauer, Götz Briefs, Gustav Gundlach SJ, Paul Jostock, Rudolf Kaibach, Franz H. Müller, Heinrich Rommen, Wilhelm Schwer und Nell-Breuning. Ihre Arbeiten sollen einer umfassenden Sozialreform dienen, wobei jeder von seiner speziellen Sicht her Vorschläge macht.

Die Enzyklika „Quadragesimo anno“ gliedert sich in drei Teile: Im ersten (16–40) geht es um die Wirkungsgeschichte von „Rerum novarum“, im umfangreichsten zweiten um die kirchliche Lehre von Wirtschaft und Gesellschaft (41–98) und im dritten um die Beurteilung von Kapitalismus und Sozialismus (99–126). Im Einzelnen behandelt die Enzyklika fünf Themenkreise: das Eigentumsrecht, das Verhältnis von Kapital und Arbeit, die Entproletarisierung des Proletariats, die Lohngerechtigkeit und die Reform der Gesellschaftsordnung. Der Papst verwendet im Abschnitt über die neue Gesellschaftsordnung (76–98) die berühmt gewordene Formulierung des Subsidiaritätsprinzips (79). Die kurzen, sehr allgemein gehaltenen Aussagen zur berufsständigen Ordnung (81–87), im Grunde das Kernstück der Enzyklika, sind Anlass zu vielfältigen Missverständnissen und -deutungen. Man muss den Wert der Enzyklika insgesamt vor allem in ihrem systematischen Zugriff erblicken. Indem Pius XI. die Arbeiterfrage in den größeren Kontext der Suche nach einer angemessenen gesamtgesellschaftlichen Ordnung stellt und diese Ordnung zugleich erstmalig vermittels des Begriffs der „sozialen Gerechtigkeit“ im Sinne umfassender „Gemeinwohlgerechtigkeit“ näher zu bestimmen sucht, geht er sowohl konzeptionell als auch terminologisch einen wichtigen Schritt über Leo XIII. und dessen Enzyklika „Rerum novarum“ hinaus, ohne damit allerdings auch schon eine in jeder Hinsicht befriedigende theoretische Reflexion dieser veränderten Sichtweise und der mit ihr einhergehenden Neuerungen leisten zu können.

 

Zeit des Nationalsozialismus

Während der Zeit des Nationalsozialismus publiziert Oswald von Nell-Breuning kaum. Zusammen mit Gustav Gundlach SJ hält er anti-nationalsozialistische Vorträge für Theologen der Diözese Limburg, bis Gundlach 1934 ins Ausland fliehen muss. Da Nell-Breuning in der Vermögensverwaltung der Deutschen Jesuiten tätig ist, sammeln die Nationalsozialisten jahrelang Material gegen ihn, um ihn wegen vermeintlicher Devisenvergehen anklagen zu können. Sie leiten 1936 ein Verfahren gegen Nell-Breuning ein. Es dauert sieben Jahre bis zum Prozess – Jahre die geprägt sind durch den Wechsel von zermürbenden Phasen des Stillstands, mit hektischen Maßnahmen der Durchsuchung und mehrfacher, teilweise tagelanger Vernehmung. 1939 wird er von der Gestapo für drei Wochen in Schutzhaft genommen. Diese Zeit nimmt ihn sehr mit, wie ein Mitbruder berichtet: „Denn dieses Nazi-Gefängnis hat ihn ganz kaputt gemacht. Er war mit den Nerven total am Ende.“ Nach seiner Entlassung verbringt Nell-Breuning zur Erholung einige Zeit in der Schweiz, und kehrt dann wieder zurück. 1943 wird er durch das Sondergericht München wegen angeblicher Devisenverstöße zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt, drei Jahren Ehrverlust und zu einer Geldstrafe von 500.000 Reichsmark. Aufgrund von zweimalig attestierter Haftunfähigkeit tritt er diese bis Kriegsende nicht an. Erst am 28. Mai 1948 hebt das bayerische Justizministerium die Zuchthausstrafe auf und verleiht Oswald von Nell-Breuning die bürgerlichen Ehrenrechte wieder. Die hohe Geldstrafe wird erst am 7. Januar 1950 von der 2. Strafkammer des Landgerichts München I aufgehoben.

 

Gesuchter Ratgeber in der Bundesrepublik

„Alles Menschenwerk ist Stückwerk oder Bruch“, sagt Nell-Breuning 1972 nach der Verleihung des Romano-Guardini-Preises. Die heile Welt gibt es für ihn nicht, wohl aber die Verpflichtung, die Welt „heiler“ zu machen. Für ihn ist die Rolle des Priesters dafür wie geschaffen. Doch seine Position gleicht einer Gratwanderung. 1951 stellt er dazu zwei Thesen auf: „1. Der Priester trägt eine ungeheure Verantwortung für die Politik. 2. Der Priester lasse um Gottes willen die Finger aus der Politik.“

Über viele Jahre ist von Nell-Breuning ein gefragter Ratgeber in sozialen Fragen. Dabei versteht er es wie kein anderer, unterschiedliche Kompetenzen, gesellschaftswissenschaftliche, ökonomische, juristische, philosophische wie auch theologische miteinander zu vereinen. Von 1948 bis 1965 ist er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats bei der Verwaltung für Wirtschaft bzw. beim Bundesministerium für Wirtschaft, 1949 Mitbegründer des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU). Ebenfalls 1949 übernimmt er einen Lehrauftrag an der Akademie der Arbeit, Frankfurt a.M., der Ausbildungseinrichtung für Gewerkschaftssekretäre. Von 1950 bis 1959 ist er Stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen (wohnungswirtschaftlichen) Beirats beim Bundesministerium für Städtebau und Wohnungswesen. Von 1953 bis 1955 fungiert er Berater des Zentralverbandes Deutscher Konsumgenossenschaften, und von 1959 bis 1961 als Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des Bundesministeriums für Familien- und Jugendfragen. Von 1959 bis 1965 berät er die „Stiftung Mitbestimmung“ und ab 1959 gehört er dem Wirtschaftswissenschaftlichen Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes an.

So ist er der vielfach Mahnende, der ohne Rücksicht auf Ansehen und Person seine Stimme erhebt. Er ist selbst denen, die ihn um Rat aufsuchen oft ein unbequemer Ratgeber. Sein Rat wird seit Kriegsende von Regierungen, den großen Volksparteien CDU und SPD, von Gewerkschaften, von Unternehmerseite wie von der Kirche eingeholt. Dabei ist er den einen immer zu links und den andren immer zu rechts, da er ein unbequemer und unbestechlicher Anreger ist. Viele machen sich immer wieder auf den Weg nach Sankt Georgen, wo er seit 1950 sein bescheidenes Zimmer bewohnt.

Mit seinen Beiträgen zum Marxismus schaltet er sich sowohl in die Auseinandersetzungen auf der Würzburger Synode ein, die zu dem Beschluss „Kirche und Arbeiterschaft“ führen, sowie in den Konflikt zwischen westdeutschen Soziallehrern und lateinamerikanischen Befreiungstheologen. Einige Themen bleiben sowohl in den siebziger, als auch in den achtziger Jahren virulent. Das betrifft das Selbstverständnis der katholischen Soziallehre, die Gewerkschaften in ihrer Funktion als Interessenvertretung und Ordnungsfaktor, eine funktionstüchtige und sozial gezähmte Marktwirtschaft, das Bemühen um eine echte Unternehmensverfassung, das Verhältnis der Kirche zu den Arbeitern. Und hin und wieder kündigen sich in diesen beiden Jahrzehnten bereits die Themen des kommenden Jahrhunderts an: die Relativierung der Erwerbsarbeit, die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie, Ausländerintegration und die Frage einer solidarischen Weltwirtschaft.

 

Nestor der katholischen Soziallehre

Oswald von Nell-Breuning wird als Nestor der Katholischen Soziallehre bezeichnet. Als Philosoph und Theologe steht er im Schatten der neuscholastischen Naturrechtslehre. Als Sozialethiker lässt er sich jedoch in erster Linie von den „Sachverhalten“ und Problemlagen anstoßen, wie sich diese seinem juristischen und ökonomischen Denkstil erschließen. Seine Einsicht „Wir stehen alle auf den Schultern von Karl Marx“ ist das Ergebnis jener dialogischen Vorgehensweise, die er konsequent befolgt, „alles was in der Meinung des Gegners an Wahrheitsgehalt enthalten ist bis aufs Letzte […] anzuerkennen“.

Vierzig Jahre nach seinem Kommentar zu „Quadragesimo anno“ legt Nell-Breuning eine kritische Bilanz der katholischen Soziallehre vor, die zugleich auch eine Selbstkritik darstellt. Seine Buch „Wie sozial ist die Kirche?“ deutet schon im Untertitel „Leistung und Versagen der katholischen Soziallehre“ deren ambivalenten Charakter an. Den unleugbaren Erfolgen stellt er ebenso offen die Versäumnisse gegenüber. Er kritisiert, dass sich die katholische Soziallehre seit dem „Syllabus“ Pius IX. (1864) „frontal gegen den individualistisch-liberalistischen Zeitgeist“ gestellt habe, eine Haltung, die in moderaterer Form auch bei Leo XIII. zu erkennen sei. Als „ein äußerst schweres Versäumnis der katholischen Soziallehre oder besser der katholischen Sozialwissenschaftler“ kritisiert er die mangelhafte Auseinandersetzung mit der „heutigen Wissenschaftstheorie“. Diese kritische Selbstreflexion befähigt den Nestor der katholischen Soziallehre, in seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten den Defiziten des sozialethisch-kirchlichen Denkens, das so sehr mit seinem eigenen Werk verbunden ist, mit Entschiedenheit zu begegnen. Den Anstoß zur Neuorientierung bewirkt die Soziallehre Papst Johannes XXIII.

„Für Pius XII.“, so schreibt Nell-Breuning, „war mit den beiden Sozialenzykliken […] alles gesagt“. Die Päpste hätten philosophisch, näher hin naturrechtlich argumentiert und diese Argumentation theologisch untermauert: Johannes XXIII. habe stattdessen damit begonnen, empirisch-soziologisch zu argumentieren und theologisch zu motivieren. Für denjenigen, der seinen Denkstil an den Enzykliken von Leo XIII. bis zu Pius XII. und dessen Ansprachen, Rundfunkbotschaften und Lehrschreiben gebildet habe, sei es nicht leicht gewesen, sich den neuen Denkstil anzueignen. Auch ihm selbst sei dies, so Nell-Breuning, nicht sogleich gelungen.

Oswald von Nell-Breuning setzt mit seinem Werk in historischer und systematischer Hinsicht Marksteine nicht nur für eine zeitgemäße christliche Soziallehre, sondern auch für die politische Ethik und die politische Theorie. Dass diese Politik- und Sozialethik die neuscholastische Enge abzulegen vermag, ohne ihre Kontinuität zur aristotelisch-thomistischen Lehre aufzugeben, hat er ebenso gezeigt wie die Möglichkeit, das sozialethische Denken den modernen Herausforderungen sowie den wissenschaftlichen Methoden und Fragestellungen zu öffnen. Eine Erweiterung seines Ansatzes ist auch in der Forderung zu sehen, in die Sozialethik vermehrt biblisch-theologische Elemente einzubeziehen. Dabei bedauert Nell-Breuning es immer sehr, dass er trotz so vieler Veröffentlichungen, kein umfassendes Lebenswerk hinterlassen habe.

 

Unruhestand

Nell-Breuning ist unermüdlich tätig. Dies gelingt ihm nicht nur durch seine robuste Gesundheit, sondern auch durch eiserne jesuitische Disziplin, Tagesordnung und asketische Lebensweise. Wenn er nicht gerade zu Vorträgen, Kongressen und Sitzungen von Beiräten verreist, feiert er jeden Morgen die Messe.

Von 1928 bis 1987 betreut er das Theresienkinderheim in Offenbach täglich als Hausgeistlicher und als Prüfer der dortigen Buchhaltung und Berater der Leitung des Hauses.

Nach der Messe räumt er sein Zimmer auf und reinigt es, um sich dann der wissenschaftlichen Arbeit zu widmen. Seine Beiträge und Briefe schreibt er immer selbst auf seiner, mittlerweile jahrzehntealten, Schreibmaschine. Er hält minutiös die Essens- und Rekreationszeiten des Kollegs ein und erwartet seine Besucher stets pünktlich an der Pforte.

Nell-Breuning stellt immer die Sache in den Vordergrund und vertritt sie mit Kompetenz. Er kann gelassen und überlegen, aber auch kämpferisch sein. Er achtet nicht auf persönliches Wohlergehen, auch nicht auf Ehrungen, und setzt alle Kräfte für seine Arbeit ein. Dieses Höchstmaß an sachbezogener Arbeit verschafft ihm Respekt, da man weiß, der sagt, was er denkt, und hat neben dem, was er ausspricht, keine Hintergedanken über die Verbindungen des zur Sache Gesagten mit persönlichem oder parteilichem Nutzen.

Gelassen, mit ruhiger, ausgeglichener Stimme sagt er immer, dass er sich vor dem Tod nicht fürchte. Vielmehr fragt er sich, wann Gott ein Einsehen mit ihm hat und sagt: jetzt habe ich ihn lang genug leben lassen und ihm Zeit gegeben, an sich selber zu arbeiten – jesuitische Gedanken auch in den Fragen, die man im Allgemeinen als die letzten bezeichnet. Aber er leidet darunter, dass ihm im hohen Alter vieles immer schwerer fällt, so sagt er zu Norbert Blüm, der ihn wenige Tage vor seinem Tod noch besucht: „So, jetzt können Sie sehen, wie ein Geist verfallen ist. […] Ich bin zu nichts mehr nutze, außer täglich die Messe. Und wenn ich das nicht mehr kann, dann bitte ich den Herrgott um ‚ab‘ und er machte dazu eine Handbewegung, als wolle er eine Brotkrume vom Tisch wischen“.

Am 21. August 1991 stirbt Oswald von Nell-Breuning im Alter von 101 Jahren in Sankt Georgen. Beerdigt wird er auf dem Frankfurter Südfriedhof.

 

Lebenslauf 

 

  • 1911 Eintritt in den Jesuitenorden
  • 1921 Priesterweihe
  • seit 1928 Professor für Moraltheologie, Kirchenrecht und Gesellschaftswissenschaften an der Ordenshochschule St. Georgen in Frankfurt/Main
  • seit 1956 Honorarprofessor für Philosophische Grundlagen der Wirtschaft an der Universität Frankfurt/Main, Dozent an der Akademie der Arbeit, Mitglied verschiedener wissenschaftlicher Beiräte der Bundesregierung

Literatur (Auswahl)

 

  • Hengsbach, Friedhelm / Möhring-Hesse (Hrsg.), Oswald von Nell-Breuning SJ. Sachdienliche Hinweise. Verzeichnis sämtlicher Schriften (Studien zur christlichen Gesellschaftsethik, Bd.7), Münster, Hamburg, London 2005.
  • Grundzüge der Börsenmoral, Freiburg i.Br. 1928 (= Reprint, mit einer Einf. von Friedhelm Hengsbach und Bernhard Emunds (Studien zur christlichen Gesellschaftsethik, Bd. 6) Münster, Hamburg, London 2002).
  • Die soziale Enzyklika. Erläuterungen zum Weltrundschreiben Papst Pius XI. über die gesellschaftliche Ordnung, Köln 1932.
  • Zur christlichen Gesellschaftslehre, Freiburg i.Br. 1947.
  • Einzelmensch und Gesellschaft, Heidelberg 1950.
  • Mitbestimmung, Landshut 1950.
  • Wörterbuch der Politik. Gesellschaft – Staat – Wirtschaft – Soziale Frage, zweite Aufl., Freiburg i.br. 1954.
  • Neoliberalismus und katholische Soziallehre, in: Boarman, Patrick (Hrsg.), Der Christ und die soziale Marktwirtschaft, Stuttgart 1955, S. 101-122.
  • Wirtschaft und Gesellschaft heute, 3 Bde., Freiburg i.Br. 1956-1960.
  • Baugesetze der Gesellschaft. Solidarität und Subsidiarität, Freiburg i.Br. 1968, zweite durchges. Aufl. 1990.
  • Wie sozial ist die Kirche? Leistung und Versagen der katholischen Soziallehre, Düsseldorf 1972.
  • Können Neoliberale und Katholische Soziallehre sich verständigen?, in: Sauermann, Heinz / Mestmäcker, Ernst-Joachim (Hrsg.): Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung. Festschrift für Franz Böhm zum 80. Geburtstag, Tübingen 1975, S. 461-470.
  • Soziallehre der Kirche. Erläuterungen der lehramtlichen Dokumente (Soziale Brennpunkte; Nr. 5), Wien (u.a.) 1977.
  • Gerechtigkeit und Freiheit. Grundzüge katholischer Soziallehre (Soziale Brennpunkte; Nr. 8), Wien (u.a.) 1980, zweite Aufl. München 1985.
  • Worauf es mir ankommt. Zur sozialen Verantwortung, Freiburg i.Br. 1983.
  • Arbeit vor Kapital. Kommentar zur Enzyklika „Laborem exercens“ von Papst Johannes Paul II., Wien 1983.
  • Unsere Verantwortung. Für eine solidarische Gesellschaft, Freiburg i.Br. 1987.

 

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