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Robert Schuman

„Staatsmann“, „Vater Europas“, „Grenzgänger“ – Robert Schumans Leben wurde wesentlich von den Entwicklungen im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich bestimmt.

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Als Lothringer im Deutschen Kaiserreich

Robert Jean-Baptiste Nicolas Schuman kam am 29. Juni 1886 in Clausen im Großherzogtum Luxemburg zur Welt. Infolge der Annexion des Elsass und des Départements Moselle als Reichsland Elsass-Lothringen nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 befand sich der Bauernhof der Familie im lothringischen Dorf Évrange auf deutschem Boden. Robert Schumans Vater Jean-Pierre Schuman (1837–1900) war nun Reichsdeutscher, hatte im Krieg jedoch noch auf französischer Seite gekämpft. Gemeinsam mit seiner aus Luxemburg stammenden Frau Eugénie Schuman geb.  Duren (1864–1911) fasste er 1873 den Entschluss, auf die andere Seite der Grenze nach Clausen überzusiedeln. Sein Erbanteil am väterlichen Hof und den Ländereien ermöglichten Jean-Pierre Schuman und seiner Familie ein Leben in Wohlstand. Nach dem Besuch der Primarschule absolvierte Robert Schuman von 1896 bis 1903 das Luxemburger großherzogliche Athenäum.

Schumans Wunsch war es, an einer deutschen Universität zu studieren. Dafür benötigte er allerdings den Nachweis eines deutschen humanistischen Abiturs. Daher besuchte er erst noch die Oberprima des Kaiserlichen Gymnasiums in Metz, bevor er sich 1904 für Rechtswissenschaften immatrikulierte. Studienorte waren die Universitäten Bonn, München, Berlin sowie die damalige Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, an der Schuman 1908 das Erste Staatsexamen ablegte. Seine Referendarzeit absolvierte er unter anderem beim Landgericht in Straßburg sowie bei der Bezirksverwaltung in Metz. Im Jahr 1910 wurde er „summa cum laude“ mit einem zivilrechtlichen Thema in Straßburg promoviert und absolvierte 1912 das Zweite Staatsexamen.

Einen persönlichen Einschnitt bedeutete der Tod der Mutter, die 1911 bei einem Kutschunfall ums Leben kam. Zwischenzeitlich spielte der Katholik mit dem Gedanken an den Eintritt in ein Kloster, eröffnete 1912 jedoch schließlich eine Anwaltskanzlei am repräsentativen Kaiser-Wilhelm-Ring (ab 1919 und seit 1944 Avenue Foch, 1940–1944 Hermann-Göring-Straße) in Metz. Seinem Glauben verlieh Schuman als Laie Ausdruck. Bereits seit seiner Bonner Studienzeit gehörte er dem Wissenschaftlichen katholischen Studentenverein Unitas-Salia an, 1910 trat er der Görres-Gesellschaft und 1912 dem Volksverein für das katholische Deutschland bei. Einer breiten lokalen Öffentlichkeit wurde er 1913 als Mitorganisator des Katholikentags in Metz bekannt.     

Den Grenzgänger zwischen Deutschland, Frankreich und Luxemburg, der die Sprachen aller drei Länder sprach und sich zu jener Zeit primär als Lothringer definierte, traf der Ausbruch des Ersten Weltkriegs unvorbereitet. Obwohl untauglich gemustert, wurde Schuman auf deutscher Seite zum Unterstützungsdienst eingezogen und in der Schreibstube eines nicht kämpfenden Bataillons der Festung Metz eingesetzt, ab dem Sommer 1915 war er als Zivilist dienstverpflichtet in der Lokalverwaltung des lothringischen Städtchens Boulay (Bolchen) tätig, um die zum Kriegsdienst eingezogenen Mitarbeiter zu ersetzen. Bereits während des Krieges kam es zu einer inneren Annäherung an Frankreich, was wohl mit den – teils auf Wahrheit, teils auf Propaganda beruhenden – Berichten über Gräueltaten deutscher Soldaten in Belgien zusammenhing. Für Bestürzung, insbesondere bei Katholiken, sorgte zudem die Beschießung der Kathedrale von Reims durch die Deutschen. 

Politiker der Dritten Republik in der Zwischenkriegszeit    

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurden das Elsass und der zum Deutschen Reich gehörende Teil Lothringens wieder Teil Frankreichs. In umgekehrter Weise erlebte die Region einen abermaligen Elitenaustausch. Vor allem die Bildungs- und Entscheidungseliten verließen die Region, also deutsche oder deutschstämmige Wissenschaftler und Verwaltungsbeamte. „In dieses Vakuum“, so Bernhard Mihm, „stößt nun der junge Rechtsanwalt Robert Schuman“. Mit der Region verbunden und während der Kriegsjahre bereits innerlich an Frankreich herangerückt, hielt er trotz seiner Ausbildung im deutschen Universitätssystem und Rechtswesen seiner lothringischen Heimat die Treue. Seine Kenntnisse und Verwaltungserfahrung waren unter diesen Bedingungen für den wieder die Kontrolle über die Region übernehmenden französischen Staat von großem Nutzen.

Hatte sich Schumans Engagement bislang auf die katholische Kirche und katholische Verbände beschränkt, so trat er nun in die aktive Politik ein. Im November 1918 wurde er Mitglied des Stadtrats von Metz und kandidierte ein Jahr später erfolgreich für einen Sitz in der französischen Abgeordnetenkammer. Im Dezember 1919 nahm er als Abgeordneter für den Bezirk Thionville (Diedenhofen) erstmals an einer Parlamentssitzung teil. Er wurde Mitglied und später Vorsitzender eines neuen Parlamentsausschusses für die Belange Elsass-Lothringens. Ein Arbeitsschwerpunkt war die Angleichung der bislang geltenden Rechtsvorschriften an das französische Recht, allerdings mit Ausnahmen. So setzte Schuman sich etwa mit Erfolg dafür ein, dass das französische Gesetz über die Trennung von Kirche und Staat von 1905 im Elsass und im lothringischen Département Moselle nur eingeschränkt angewendet wurde und einige Sonderregelungen zum Verhältnis von Staat und Kirche aus deutscher Zeit bestehen blieben. Sein Biograph Raymond Poidevin bezeichnet ihn für jene Zeit als „den Verteidiger des elsässischen und lothringischen Partikularismus“.

Darüber hinaus gehörte Schuman dem Haushaltsausschuss, an. Er war zudem an der Gründung einer neuen Partei beteiligt, der „Union Républicaine Lorraine“ (URL). Der zentristisch ausgerichteten Partei ging es primär um die besonderen Interessen der Region und um soziale Belange, zugleich war sie strikt antikommunistisch ausgerichtet. Letzterem diente auch die Gründung einer regionalen Sektion der Gewerkschaft „Confédération Françaises des Travailleurs Chrétiens“ (CFTC) als Konkurrenz zu den kommunistisch eingestellten Arbeiternehmerorganisationen.

 

Inhaftierung und Leben im Untergrund

Im Zuge des sich in Europa abzeichnenden Krieges wurde Schuman im Juni 1939 zum Unterstaatssekretär für Flüchtlingsfragen berufen und übernahm damit erstmals ein nationales Exekutivamt. Die weitere Entwicklung mit der schnellen Niederlage Frankreichs nach dem deutschen Angriff vom Mai 1940 ließ ihm aber kaum Handlungsmöglichkeiten. Mit dem Vorrücken der deutschen Truppen setzte eine innerfranzösische Fluchtwelle Richtung Westen ein, unter den flüchtenden Menschen befanden sich viele Elsässer und Lothringer. Schuman organisierte die Versorgung der Binnenflüchtlinge in Westfrankreich und wich als Teil der Regierung von Paris nach Bordeaux aus. Nach dem Waffenstillstand von Compiègne am 22. Juni 1940 stimmte er im Parlament für die Vereinbarung. Das Angebot von Marschall Philippe Pétain, ein Ministeramt in der Vichy-Regierung zu übernehmen, lehnte Schuman hingegen ab und kehrte nach Metz zurück.

Am 14. September 1940 wurde er dort von der Gestapo verhaftet. Er sollte unter Druck gesetzt werden, als angesehene Persönlichkeit mit den deutschen Besatzern zusammenzuarbeiten, was er jedoch verweigerte. Überlegungen, ihn in ein Konzentrationslager zu deportieren, wurden vermutlich deshalb fallen gelassen, weil der Generalstaatsanwalt (und spätere saarländische Ministerpräsident) Heinrich Welsch intervenierte und auf die Gefahr von Unruhen hinwies. Schließlich wurde Schuman als Zivilinternierter in einer Pension in Neustadt an der Weinstraße untergebracht. Am 2. August 1942 nutzte er eine Reise zur Flucht und führte fortan im Süden Frankreichs ein Leben im Untergrund.   

 

Staatsmann der Vierten Republik und Vordenker der europäischen Einigung

Nach der Befreiung Frankreichs kehrte Schuman Ende 1944 nach Metz zurück und nahm seine politischen Aktivitäten wieder auf. Er gehörte zu den Mitbegründern der lothringischen Sektion des neu geschaffenen christdemokratischen Mouvement Républicain Populaire (MRP). Zu den bekanntesten Mitgliedern dieser zentristischen Partei zählten Georges Bidault und Pierre Pflimlin. Im Juni 1946 wurde Schuman Finanzminister in der Provisorischen Regierung.

Nachdem das französische Volk im wiederholten Anlauf die neue Verfassung gebilligt und Wahlen zur Nationalversammlung stattgefunden hatten, entstand zum Jahresbeginn 1947 die Vierte Republik. Im November 1947 wurde Schuman der zweite Ministerpräsident ihrer Geschichte. Frankreich befand sich in einer tiefen innenpolitischen Krise mit Streiks und Straßenkrawallen. Es ging – auch vor dem Hintergrund des Entstehens des Kalten Krieges – um die Frage des Einflusses der Kommunisten und der sie unterstützenden Gewerkschaften in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Dieser Machtprobe begegnete der neue Ministerpräsident wesentlich mit zwei Sicherheitsgesetzen. Die Zahl der Sicherheitskräfte wurde verstärkt und Einheiten, die sich dem Staat gegenüber als unzuverlässig erwiesen hatten, wurden aufgelöst. Schuman betonte den gemeinsamen republikanischen, demokratischen Geist über die Parteigrenzen hinweg. Sein Kabinett zerbrach zwar bereits im Juli 1948 am Streit über den Militärhaushalt, doch hatte Schuman in einer veritablen Krisensituation seines Landes für die Abwehr der Gefahr gesorgt.

Zwischen 1948 und Anfang 1953 bekleidete Schuman das Amt des Außenministers. Am 9. Mai 1950 trat er in einer Rede mit seinem berühmten, von Jean Monnet inspirierten Vorschlag zur Schaffung einer Montanunion zwischen Deutschland und Frankreich hervor, die auch anderen europäischen Staaten offenstehen sollte. Damit sollten die für die Kriegführung traditionell wichtigen Rohstoffe Kohle und Stahl einer gemeinsamen Kontrolle unterstellt und hierdurch, wies es in seiner Rede hieß, „der jahrhundertealte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland ausgelöscht“ werden. Der Vorschlag mündete in Verhandlungen über die Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg. Am 18. April 1951 fand in Paris die Unterzeichnung des EGKS-Vertrags durch die Außenminister der sechs Staaten statt. Der Inhalt des EGKS-Vertrags war revolutionär, denn er enthielt mit der Schaffung einer gemeinsamen Hohen Behörde als dem wichtigsten Gremium der EGKS erstmals supranationale Strukturen. Die Montanunion war die Geburtsstunde des europäischen Integrationsprozesses. Der 9. Mai wird in Erinnerung an Schumans Initiative heute als Europa-Tag begangen.

Infolge innenpolitischer Machtverschiebungen und persönlicher Angriffe gegen ihn in der Diskussion über die Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) trat Schuman am 3. Januar 1953 als Außenminister zurück. Abgesehen von einer einjährigen Episode als Justizminister 1955/56 wirkte er wieder als Parlamentarier sowie als Vorkämpfer für die europäische Einigung. Zwischen 1955 und 1961 war er Vorsitzender der Europäischen Bewegung. Von 1958 bis 1960 hatte er das Amt des Präsidenten des Europäischen Parlaments inne. Ebenfalls 1958 wurde er mit dem renommierten Aachener Karls-Preis „in Anerkennung“, wie es in der Festurkunde hieß, „seiner hohen Verdienste um erste praktische Grundlagen der europäischen Föderation auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet und einer gemeinsamen Zukunft Deutschlands und Frankreichs in Friede und Sicherheit“ ausgezeichnet. Das Europäische Parlament verlieh ihm 1960 zudem den Titel „Vater Europas“.

 

Fazit

Am 4. September 1963 verstarb Robert Schuman in seiner lothringischen Heimat. Im Jahr 2004 wurde im Vatikan ein Seligsprechungsprozess eingeleitet und ihm 2021 von Papst Franziskus als Vorstufe der „heroische Tugendgrad“ zuerkannt. Mit dem in seinem Todesjahr erschienenen Buch „Für Europa“, einer Sammlung seiner wichtigsten Reden und Aufsätze, hinterließ Schuman sein „europäisches Testament“ (Marie-Thérèse Bitsch). Im Herbst 1962, unter dem Eindruck des umjubelten Staatsbesuchs des französischen Präsidenten Charles de Gaulle in der Bundesrepublik, schrieb Konrad Adenauer an Schuman, „in der vergangenen Woche habe ich oft Ihrer gedacht als des Mannes, der durch den Vorschlag der Montanunion den Grundstein legte zu der Freundschaft, die nunmehr unsere beiden Länder so eng miteinander verbindet. Unserer gemeinsamen Arbeit gedenke ich immer in Dankbarkeit.“   

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