Entrevistas
1. In Deutschland zählt der Fachkräftemangel zu den großen Zukunftsaufgaben. In Wirtschaft und Politik herrscht grundsätzlich Einigkeit darüber, dass wir künftig mehr Zuwanderung zu Erwerbszwecken benötigen, vor allem auch aus dem außereuropäischen Ausland. Kam diese Einsicht Ihrer Einschätzung nach zu spät?
Die Einsicht kam spät, aber meiner Meinung nach nicht zu spät, um Änderungen zu erreichen. Als Union haben wir schon früh die Zeichen der Zeit erkannt und bereits 2019 mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz die Hürden zur Einwanderung für qualifizierte Fach- und Arbeitskräfte gesenkt, damals gegen den Widerstand von FDP und Grünen. Auch die OECD hat damals das Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Großen Koalition in Berichten und Analysen als einen bedeutenden Schritt gelobt, um dem Fachkräftemangel in Deutschland entgegenzuwirken.
Auch in der Opposition nehmen wir unseren Gestaltungswillen wahr, um die Fachkräfteeinwanderung zu digitalisieren und zu beschleunigen. Es zeigt sich, dass sich vor allem die Ausländerbehörden als Flaschenhals erweisen. Deutschland verfügt weder über ein arbeitgebergestütztes Einwanderungsverfahren noch über eine Bundeseinwanderungsagentur. Ich halte eine digitale Work-and-Stay-Agentur für zielführend, um die Prozesse rund um die Arbeitsmigration zu bündeln, zu beschleunigen und von der Asylmigration klar zu trennen.
Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, dass wir nicht nur auf Zuwanderung setzen, sondern auch die Ausbildung und Qualifizierung inländischer Talente stärken. Die Fachkräfteeinwanderung ist eine Notwendigkeit, um unseren Wohlstand zu sichern. Trotz aller Errungenschaften bleibt eine strikte Trennung zwischen Asyl- und Erwerbsmigration geboten.
2. Ein positiver Trend der letzten Jahre ist der große Beschäftigungszuwachs indischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Deutschland. Inzwischen arbeitet jeder dritte von ihnen in Deutschland im IT-Sektor. Die erwerbsbezogene Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten befindet sich insgesamt jedoch weiterhin auf einem sehr niedrigen Niveau – und das, obwohl Deutschland eines der liberalsten Einwanderungsgesetze der Welt vorweisen kann. Warum geht es hier nicht richtig voran?
Es ist an der Zeit, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Deutschland als attraktiver Standort für Fachkräfte aus aller Welt wahrgenommen wird. Das gelingt der Ampel-Bundesregierung bisweilen nicht. Die Hürden zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten in unseren Arbeitsmarkt sind nach wie vor zu hoch. Ebenso haben wir schleppende und langwierige Visaverfahren oder Anforderungen an Sprachkenntnisse, die nicht benötigt werden. Anders ausgedrückt: Deutschland ist für ein modernes Einwanderungsland zu langsam, zu behäbig, zu wenig digital. Die Lösung liegt in arbeitgebergestützten Einwanderungsverfahren, das zeigen uns die internationalen Vergleiche, und in der bereits erwähnten Work-and-Stay-Agentur, als One-Stop-Shop, in der die gesamten Prozesse von der Antragstellung bis zur -bewilligung zusammenlaufen und bearbeitet werden.
3. Sie sind aus Baden-Württemberg, einem Bundesland, in dem besonders viele Hidden Champions beheimatet sind. Um mit den gegenwärtigen Transformationsprozessen Schritt halten zu können, sind kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) auf Spitzenkräfte aus dem MINT-Bereich angewiesen. Wo sehen Sie die größten Hürden für KMU bei der Gewinnung internationaler Talente?
Die größten Hürden für kleine und mittelständische Unternehmen liegen vor allem in der überbordenden Bürokratie, das höre ich bei allen Gesprächen immer wieder heraus. Die komplexen Visa- und Anerkennungsverfahren sowie die Möglichkeit, sich als attraktiver Arbeitgeber auf dem internationalen Markt zu positionieren, sind eine echte Bürde für unsere KMU. Dies liegt aber auch daran, dass sie nicht die personellen und finanziellen Ressourcen wie global agierende Konzerne besitzen, um sich im internationalen Wettbewerb um Talente durchzusetzen. Um diesen Wettbewerbsnachteil zu bereinigen, müssten die Hürden abgebaut und ein attraktives Umfeld für KMU geschaffen werden, damit sie die dringend benötigten Fachkräfte gewinnen und halten können. Es muss darum gehen, den Mittelstand, das Rückgrat unserer Wirtschaft, zu entlasten und zu unterstützen, daher wäre die Ampel-Bundesregierung gut beraten, mit gezielten Förderprogrammen die KMU zu unterstützen.
4. Aus den Gesprächen in Ihrem Wahlkreis: Was sind die Erwartungen der Bevölkerung und des Mittelstands an die Bundespolitik? Welche politischen Rahmenbedingungen müssten geschaffen werden, um die Rekrutierung und Integration von internationalen Fachkräften zu erleichtern?
Die Bevölkerung und der Mittelstand erwarten von der Bundesregierung zu Recht klare und handlungsfähige Strategien zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Insbesondere wünschen sie sich eine Politik, die bürokratische Hürden abbaut, um die Rekrutierung und Integration internationaler Fachkräfte zu erleichtern. Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben wir vielfach Vorschläge unterbreitet, um gezielt die Fach- und Arbeitskräftelücke zu schließen. Dazu gehören schnellere und unbürokratischere Visaverfahren, einschließlich transparenter und beschleunigter Verfahren zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse und Berufsqualifikationen.
Gleichzeitig müssen die Integrationsprogramme gezielt ausgebaut und weiterentwickelt werden, die Sprachkurse und berufliche Qualifizierungen umfassen. Nur so kann es gelingen, internationale Fachkräfte schneller in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dass die Ampel-Bundesregierung nunmehr Goethe-Institute zur Förderung der deutschen Sprache im Ausland schließen will, ist kontraproduktiv und geht an der gesellschaftspolitischen Realität vorbei. Auf der anderen Seite muss natürlich in die Ausbildung und Weiterbildung von inländischen Talenten investiert werden, da die Fachkräftezuwanderung die Herausforderungen nicht allein bewältigen kann.
5. In Deutschland fehlt es nicht nur an qualifiziertem (Fach-)Personal. Wie können Politik und Wirtschaft auf die wachsenden Arbeitskräftelücken in infrastrukturrelevanten Bereichen wie Transport oder Gastronomie reagieren, die zunehmend zum Standortnachteil für Deutschland werden?
Vor allem die Gastronomiebranche steht vor erheblichen Herausforderungen. Nicht erst die Corona-Pandemie hat das Geschäftsmodell des Gastgewerbes, das auf geringfügig und saisonal Beschäftigte angewiesen ist, ins Wanken gebracht. Und die Beschäftigtenzahl im Gastronomiegewerbe sinkt weiter. Die Folgen erleben wir alle in unserem Alltag, wenn Gastronomen verkürzte Öffnungszeiten anbieten oder gar schließen müssen, weil die Arbeitskräfte fehlen. Ich bin davon überzeugt, dass wir hier konsequent gegensteuern müssen. Was wir brauchen, ist eine gezielte Fachkräftestrategie, die die Aus- und Weiterbildung in diesen Branchen fördert. Dies umfasst sowohl die Stärkung von Ausbildungsplätzen als auch die gezielte Förderung von Weiterbildungsprogrammen, um bestehende Arbeitskräfte für die Bedürfnisse, die die Wirtschaft nachfragt, zu qualifizieren.
6. Von der Bundesregierung wurden zuletzt steuerliche Anreize vorgeschlagen, um internationale Talente nach Deutschland zu locken. Sie haben sich klar gegen diesen Vorschlag positioniert. Was ist Ihre Vision, um den Standort Deutschland für Hochqualifizierte auch im internationalen Vergleich attraktiver zu machen?
Ich halte steuerliche Vergünstigungen für Menschen, die nach Deutschland kommen, für keine gute Lösung. Zum einen schafft dies neue Ungerechtigkeiten gegenüber den Menschen, die bereits hier sind und ihren Beitrag leisten. Zum anderen wäre es Wasser auf den Mühlen populistischer Parteien. Wodurch wir auch keine einzige zusätzliche Fach- oder Arbeitskraft gewinnen. Im Gegenteil, Studien belegen, dass die größten Hürden darin liegen, dass die Verfahren zu bürokratisch und langwierig sind, das treibt die qualifizierten Fachkräfte in andere Länder. Die Steuerlast ist hingegen kein hinreichender Grund für potenzielle Zuwanderung.
Allerdings ist Deutschland auf Zuwanderung in den Arbeitsmarkt angewiesen, um seinen Wohlstand zu sichern. Derzeit müssen Arbeitgeber für das Auslandsrecruiting und die Unterstützung der Menschen, die zu uns kommen, allein aufkommen. An dieser Stelle kann man beispielsweise den politischen Hebel ansetzen: Ein arbeitgebergestütztes Verfahren im Prozess der Einwanderung von Arbeitskräften ist sinnvoller als die unterschiedliche Besteuerung gleicher Arbeit.
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