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Reportajes internacionales

Globalisierung und Neue Medien im Nahen Osten

de Gregor B. M. Meiering
Dass die Welt in großer Geschwindigkeit zusammenwächst, war bereits eine Erfahrung weitsichtiger Beobachter des 19. Jahrhunderts. Wirtschaftliche Verflechtungen in Handel und Industrie, verbunden mit der Überwindung von Distanzen und Grenzen durch Telegraphie und Eisenbahn, brachten auch den Nahen Osten und das nördliche Afrika auf den Kurs, den man die „Europäisierung der Welt“ genannt hat.

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Diese Bewegung war durchaus eine Einbahnstrasse; die Aneignung von Techniken in Verkehr, in Kommunikation und Medien, im Bauwesen, in der Medizin wie in der Mode erfolgte hauptsächlich in nur einer Richtung – selbst die USA galten noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts als ein „auswärtiges Europa“. Die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas wähnten sich dabei – nicht trotz, sondern wegen ihres Entwicklungsrückstands – auf der Seite des Fortschritts; schließlich galt es viel aufzuholen.

Die Jahrzehnte währenden gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen seit dem II. Weltkrieg haben die Staaten von Marokko bis zum Irak und von Syrien bis zum Jemen allerdings auf die Verliererstrecke gebracht. Die Aufholjagd gelang im Rest der Welt einigen Staaten Asiens und Lateinamerikas, nicht aber denen des Nahen Ostens und Nordafrikas. Im Prozess der Globalisierung scheinen der Region alle Segnungen verwehrt; statt wettbewerbsfähiger marktwirtschaftlicher Ordnungen dominieren öffentlicher Sektor und Klientelismus, und statt demokratischer Rechtsstaatlichkeit regieren autoritäre Regime. Schlagzeilen machen zwischen Mittelmeer und Persischem Golf nicht gewaltige Entwicklungsfortschritte in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, sondern vielmehr die unbewältigten Probleme kulturellen und sozialen Wandels.

Dennoch zeitigt der Prozess der Globalisierung auch im Nahen Osten und Nordafrika nicht nur Risiken, sondern auch Nebenwirkungen. Wäre Globalisierung nur ein ökonomisches Phänomen, könnten die Staaten der Region – dank internationaler Wirtschaftsauflagen – sich vermutlich nur auf der Liste derjenigen Länder wiederfinden, in denen die Wirtschaft bestenfalls nach Adam Smith funktionierte, während die Politik den Rezepten Thomas Hobbes folgen würde.

Doch weil Globalisierung im Kern Entterritorialisierung meint und anders als Verwestlichung nicht dem Signal der Einbahnstraße folgt, unterliegen die Verhältnisse von Rabat über Tunis bis Kairo wie von Beirut über Amman bis Riad neuen Einflüssen. Ein neuer Naher Osten ist im Werden.

Es ist nicht der New Middle East, den ein Schimon Peres vor rund zehn Jahren skizzierte, als er im Hinblick auf ein Ende des arabisch-israelischen Konflikts formulierte, die wirtschaftliche Zusammenarbeit möge die militärischen Konflikte ablösen und überwinden. Ein neuer Naher Osten entsteht derzeit weniger unter dem ökonomischen Aspekt der Globalisierung – noch heißen die Stabschefs der Region nicht wie in den neunziger Jahren erhofft General Electric und General Motors –, als vielmehr in ihrer kommunikativen Dimension. Es sind vor allem die elektronischen Medien, die derzeit am stärksten den Nahen Osten und Nordafrika verändern. Die Neuen Medien – Satellitenfernsehen und Internet in erster Linie – avancieren zum kräftigsten Motor der Globalisierung in der Region, denen gegenüber sich der Einfluss transnationaler Konzerne aber auch die Regelungskompetenzen nationaler Regierungen wie internationaler Organisationen als bescheiden ausnehmen.

Im Bereich der Medien haben Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas früh an den Chancen des transnationalen Handelns teilgehabt. In den Printmedien etwa ist der neue Nahe Osten in Redaktionsstuben und Druckhäusern Londons entstanden; schon in den achtziger Jahren operierten nicht wenige arabische Zeitungen aus Gründen der Liberalität von Europa aus. Diese Entterritorialisierung eröffnete der politischen und kulturellen Kommunikation insbesondere in der arabischen Welt neue Spielräume, die Satellitenfernsehen und Internet ihrerseits in den vergangenen Jahren nochmals gewaltig ausgedehnt haben.

Startpunkt: Golfkrieg

Noch zu Beginn der neunziger Jahre war die Öffentlichkeit der arabischen Länder am empfangenden Ende des Kommunikationsprozesses. Während des Kriegs um Kuwait 1990/1991 bestand in Sachen Information und Meinung praktisch ein Monopol des amerikanischen Senders CNN, der die Ereignisse nutzte, um sich weltweit als Marktführer im Bereich Nachrichten zu etablieren. Die arabischen Regierungen versuchten in dieser Situation, ihre bestehende vollständige Kontrolle über die nationalen Medien zu sichern, um einem Solidarisierungseffekt ihrer Bevölkerungen mit dem Irak vorzubeugen. Dass diese Gefahr nicht trotz, sondern wegen der Entsendung von Truppen verschiedener arabischer Länder zur Befreiung Kuwaits bestand, veranschaulichte das Lavieren des jordanischen Königs Hussein, der sich seinerzeit aufgrund der Instrumentalisierung der Palästinafrage zum Schulterschluss mit Saddam Hussein genötigt sah. Insbesondere um die Möglichkeiten irakischer Propaganda zu schwächen, richtete die regierungseigene Ägyptische Radio- und Fernsehunion (Egypt Radio and Television Union, ERTU) noch im Dezember 1990 den Ägyptischen Satellitenkanal (Egyptian Space Channel, ESC) ein, dessen Zielgruppe zunächst unmittelbar das im Golf stationierte ägyptische Militär war.

Allerdings standen Satellitentechnologie und Programminhalt in einem verqueren Verhältnis zueinander; allgemein bestand vor allem unter Saudis die Tendenz, eher den Direktreportagen von CNN aus Bagdad, als dem zensierten und zeitversetzten Bericht aus Kairo zu folgen. Der Krieg um Kuwait und gegen den Irak wurde auf diese Weise zum Hauptauslöser eines Booms, in dessen Folge dish und **receiver Einzug in die arabischen Haushalte und das arabische Vokabular hielten. Im Nachgang zur militärischen Auseinandersetzung sahen sich die Regierungen der Region daher vor der Option, entweder die Nutzung von Satellitenanlagen durch die Bevölkerungen zu verbieten oder aber die neue Technologie für ihre eigenen Zwecke zu nutzen.

Im September 1991 lancierten saudische Geschäftsleute von London aus das der BBC nachempfundene Middle East Broadcasting Center (MBC), dessen Aufgabe es war, neben für saudische Verhältnisse akzeptablen Unterhaltungsprogrammen vor allem Nachrichten zu senden. Auf diese Weise wurde die bestehende Entterritorialisierung arabischer Medien vom Printbereich auf das Fernsehen ausgeweitet; zugleich erfolgte von London aus ein transnationaler Zugriff, der es allen Ländern des Nahen Ostens ermöglichte, das Programm von MBC zu empfangen. Ebenfalls offshore nahmen von Italien aus zwei weitere saudische Satellitenprojekte im Jahr 1994 ihren Sendebetrieb auf. Von diesen profilierte sich der Kanal ART (Arab Radio and Television) als arabisches pay-TV mit einem milden Unterhaltungsprogramm sowie einem islamisch orientierten Kulturkanal.

ART verzichtete seinerzeit bewusst auf einen Spartenkanal Nachrichten, während der zweite Neustarter, Orbit, dies ausdrücklich anstrebte. Hierzu wurde eine Vereinbarung zur Übernahme von Nachrichten der BBC getroffen, mit der Maßgabe, diese nicht zu saudischen Zwecken zu zensieren. Nach britischen Berichten, die das Missfallen der Saudis erregten, kam diese Form der Kooperation im April 1996 zu einem vorzeitigen Ende; die Nachrichtensparte wurde stillgelegt, und mehrere Dutzend arabische Fernsehjournalisten wurden entlassen. Im Nachhinein war dies die Geburtsstunde des Senders Al-Jazeera, den der Emir von Qatar im Rahmen einer Liberalisierung des Medienwesens in Doha ansiedelte. Dabei war Al-Jazeera im Jahr 1996 zunächst nur eine Unternehmung neben anderen. Bereits 1992 hatte das Emirat Dubai in den Vereinigen Arabischen Emiraten ein eigenes Satellitenprogramm initiiert (Emirate of Dubai Television, EDTV), das seither in mehreren Sparten ausgebaut wurde. Hinzu kamen – nahezu zeitgleich mit Al-Jazeera – die libanesischen Sender LBC (Lebanese Broadcasting Corporation) und Al-Mustaqbal/Future Television. Die einzelnen Sender standen vor allem im Unterhaltungsbereich von Beginn an in einer gewissen Konkurrenz zueinander, wobei alle als staatstragend apostrophiert werden konnten. Während MBC, ART und Orbit – von London bzw. Rom aus – entterritorialisiert operierten, nutzten sie wenn auch nur in begrenztem Umfang die Möglichkeiten von im Ausland ansässigen Sendern; Orbit glänzte mit phone-in Programmen und politischen Interviews, MBC unterhielt darüberhinaus als erste arabische Fernsehstation mit Nabil Khatib einen kompetenten Korrespondenten in Palästina.

Al-Jazeera startete demgegenüber nicht offshore in Europa sondern operierte unter dem Schutz des qatarischen Emirs von Doha aus. Anders als die übrigen transnational im gesamten arabischen Raum empfangbaren Satellitensendern – zu denen Ägypten bald eine Reihe von Spartenkanälen hinzufügte – spezialisierte sich Al-Jazeera von vornherein auf Nachrichten, politische Programme sowie regelmässige Debattierprogramme wie al-ittijah al-muakis (Gegensätzliche Richtung) und akthar min ray (Mehr als eine Meinung). Gründungsphilosophie war, wie Muhammad Jasem Al-Ali, der Managing Director von Al-Jazeera, seither das Motto des Senders zu zitieren nicht müde wird „Meinung und Gegenmeinung“.

Quantitativer Einfluss

Ein gutes Jahrzehnt nach der Einrichtung des ersten Satellitenprogramms durch Ägypten im Zusammenhang mit dem Golfkrieg gibt es heute kaum ein Land der Region mehr, das nicht über einen eigenen Sender im All verfügen würde. Die Zahl liegt heute bei knapp 50 Kanälen, wobei das Prinzip der Transnationalität auch von Gruppen ohne staatliches Territorium, insbesondere Kurden, genutzt wird, um Öffentlichkeit herzustellen. Voraussetzung für einen spürbaren Einfluss der satellitengestützten Programme ist zunächst der Zugang der Haushalte zur entsprechenden technischen Ausrüstung. Während in den arabischen Ländern nahezu 100% der Haushalte über Fernseher verfügen, ist die Ausrüstung zum Empfang von Satellitenprogrammen ungleichmäßig verteilt.

Die arabischen Golfländer führen die Gruppe der gut ausgestatteten Haushalte an; so ist im Oman nahezu jeder Haushalt in der Lage, Satellitensender zu empfangen, in Kuwait sind es gut 80%, in Saudi Arabien rund 75%. Der Libanon und die Vereinigten Arabischen Emirate haben eine Versorgung von rund 65% der Haushalte, in Jordanien verfügen rund 45% der Haushalte über eine entsprechende Ausrüstung, während es in Ägypten unter 10% sind. Für sämtliche Länder der Region gilt allerdings, dass die Wachstumszahlen durchaus beachtlich sind. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre hat sich die Nutzung von Satellitenschüsseln und –empfängern insbesondere außerhalb der Ölmonarchien der Arabischen Halbinseln beständig nach oben entwickelt.

Von 1995 bis 2000 hat sich der Zugang zu Satellitensendern in Jordanien mehr als verdreifacht, während sich in Ägypten – ausgehend von einem niedrigen Niveau – die Zahl versiebenfacht hat. Im Libanon ist die Zahl der Haushalte sogar um den Faktor 11 gestiegen. Mit einer verbesserten Ausrüstung erhöhte sich im gleichen Zeitraum in der Regel auch die Zahl der Stunden, die vor dem Fernseher verbracht wurden; in den Golfländern liegt sie bei rund drei Stunden, im Libanon, Ägypten und Jordanien bei über vier Stunden pro Tag.

Die genannten Zahlen bieten bereits Anhaltspunkte dafür, dass – in welcher Form auch immer – dem Medium Fernsehen eine große Bedeutung zukommt. Geradezu dramatisch nimmt sich allerdings der Verfall der meisten Regierungssender in der Region aus, wobei es unerheblich ist, ob die Programme terrestrisch oder per Satellit ausgestrahlt werden. In Jordanien etwa ist die Zuschauerzahl des ersten Programms seit 1997 bis 2001 von 70% auf 57% gefallen, die des zweiten Programms hat sich auf 15% mehr als halbiert. Demgegenüber stieg der Anteil des seinerzeit in London – seit März 2002 in Dubai – ansässigen Senders MBC von unter 5% auf 27%, während Al-Jazeera aus dem Stand im Jahr 2001 knapp ein Viertel der Haushalte erreichte. In Kuwait kann das erste terrestrische Programm im Vergleich von 1999 zu 1996 nur noch knapp ein Drittel von ehemals fast 60% Zuschauern erreichen. Und während MBC in Kuwait rund 18% verloren hat, erreichte das libanesische LBC über 35% der Zuschauer.

Das ebenfalls in Beirut ansässige Future Television erreichte 1999 mehr als ein Viertel der Haushalte, Al-Jazeera nahezu ein Drittel. Im Oman erreichte der Sender aus Qatar sogar mehr als ein Drittel im gleichen Zeitraum, wobei die Zahl in den vergangenen zwei Jahren nach vorsichtigen Schätzungen nochmals angestiegen sein wird. In Saudi Arabien verlor das erste Programm seit 1996 rund 17% an Zuschauern und erreichte 2000 nur noch etwa 36%. Die Zahl für das zweite Programm hat sich im gleichen Zeitraum auf etwa 12% um mehr als die Hälfte reduziert. Demgegenüber hat sich MBC in Saudi Arabien von rund 38% in 1996 auf 42% verbessern können. Gewinner war aber auch im Königreich Al-Jazeera, das auf Anhieb auf einen Zuschaueranteil von 37% kletterte. Ein weiterer Trend ist bei den libanesischen Sendern LBC und Future Television zu verzeichnen, deren Anteil 2000 bei 30% beziehungsweise 18% lag.

Zwei Länder der Region bilden allerdings Sonderfälle. Ägypten ist – vor dem Hintergrund eines zahlenmäßig schwachen Zugangs zur Satellitentechnik auf der Verbraucherseite – im wesentlichen nicht vom Verfall des Regierungsfernsehens betroffen. Das erste terrestrische Programm der Ägyptischen Rundfunkanstalt ERTU erreichte 2000 fast 90% aller Haushalte, das zweite rund 77%. ART und LBC spielen mit kaum über einem Prozent fast keine Rolle, während die gleichfalls satellitengestützten Spartenkanäle der ERTU auf Zuschauerzahlen zwischen 7% und 18% kommen. Neben dem begrenzten Zugang zu Satellitenschüsseln und

-empfängern ist in Ägypten vermutlich auch eine nationale Präferenz Grund für die Orientierung hin auf die staatlichen Kanäle, bei der Fragen des Geschmacks sowie der Gewohnheit ausschlaggebend sein dürften.

Das zweite Land, das weniger Zuschauer im Bereich anderer arabischer Sender aufweist, ist der Libanon. LBC erreichte hier im Jahr 2001 rund 71%, Future Television gut 29%, während der staatliche Sender Télé Liban schon 1998 nur auf rund 35% kam. Al-Jazeera erreichte im Libanon im Jahr 2001 immerhin bereits 16%. Diese vergleichsweise geringe Zahl relativiert sich aber durch das ohnehin bestehende Angebot der libanesischen Sender, die im übrigen ja auch zu den Gewinnern bei den Zuwächsen im übrigen arabischen Raum zählen.

Qualitativer Einfluss

Während die Nutzung des Internets gegenwärtig noch gering ist, üben die verschiedenen Satellitenfernsehen schon heute eine unmittelbare Wirkung aus. Dies kann am Verfall der Zuschauerzahlen bei den staatlichen Programmen – seien sie terrestrisch oder per Satellit verbreitet – abgelesen werden. Dass es keinen ausschließlichen Zugriff nationaler Rundfunkanstalten gibt, wird Konsequenzen in vermutlich vielen Bereichen zeitigen. Dies gilt für Fragen des Sozialverhaltens und der Verhältnisse zwischen den Geschlechtern ebenso wie für Nachrichten und politische Debatten, in denen die Zahl der Tabuthemen beständig abnimmt. Mit Unterhaltungssendungen im Format Infotainment und Spie lshows, präsentiert von attraktiven Moderatorinnen, hat das libanesische LBC Schneisen in Sachen Mode und Lebensstil in den konservativen arabischen Golfländern – vor allem Saudi Arabien – geschlagen.

Beirut ist damit nach langen Jahren des libanesischen Bürgerkriegs wieder zu einem Bezugspunkt geworden. Es repräsentiert eine gesellschaftliche Offenheit, die in anderen arabischen Ländern derzeit nur als frommer Wunsch Bestand haben kann – aber dieser Wunsch wird durch die Transnationalität des Satellitenfernsehens beständig gestärkt und vermag auf diese Weise durchaus Wirkungen zu entfalten. Ähnliches gilt für libanesische Sendungen in der Sparte politische Satire, die sich in der Vergangenheit im arabischen Raum meist im Weitergeben von Politikerwitzen – Ägypten ist berühmt dafür – beschränkte. Hier werden neuerdings in Ton und Bild von Beirut aus Mächtige in einer Weise aufs Korn genommen, dass sich ein völlig neuer Standard entwickelt.

Im politischen Bereich, vor allem zu Nachrichten und Meinungen, eröffnen sich neue Möglichkeiten der Einflussnahme. Transnational operierende Satellitensender – Al-Jazeera, MBC, Abu Dhabi, Dubai – entwickeln das Fernsehen zu einer Vierten Gewalt, auch wenn dies zunächst im Hinblick auf Drittstaaten der Fall ist. Es gibt kaum mehr politische Prozesse oder Ereignisse, die nicht der Berichterstattung, dem Kommentar und der Debatte unterworfen wären. Dies gilt allerdings eher im Hinblick auf die regionale Dynamik als auf den Einfluss auf lokale Gegebenheiten. Die jüngste Volksabstimmung vom 27. Mai 2002 zur Verfassungsreform in Tunesien, durch die Präsident **Ben Ali die Möglichkeit erneuter – mehrfacher – Wiederwahl erhielt, wurde durch nüchterne Berichterstattung auf einer Reihe von Satellitensendern als demokratische Farce enttarnt. Das stolze Ergebnis von 99,5 % Zustimmung zur Änderung der Verfassung war nicht nur Gegenstand der Reportage, sondern auch des Kommentars; die politische Öffentlichkeit in den arabischen Ländern nimmt dieses Ergebnis zum Anlass, Kritik an der eigenen Regierung und ähnlichen Praktiken zu üben. Insofern mag zwar der unmittelbare Einfluss der Berichterstattung auf die politische Szene in Tunis gering sein, aber die Messlatte dessen, was in den übrigen Ländern als Akt der Demokratie präsentierbar ist, wurde damit erneut höher gehängt.

Ähnlich verhält es sich mit der Praxis arabischer Regierungen, unliebsame Medien mit den Mitteln des Presse- oder des Strafrechts zum Schweigen zu bringen. Im Bereich des Satellitenfernsehens ist in den vergangenen Jahren wiederholt praktiziert worden, was im Printjournalismus – der in der Regel klar national verortet werden kann – üblich ist; Korrespondenten werden verhaftet, Büros werden geschlossen, Zeitungen verboten. So erteilte etwa die Palästinensische Nationalbehörde am 19. März 2001 die Anweisung, das Al-Jazeera Büro in Ramallah zu schliessen; Hintergrund war die Ausstrahlung eines viel beachteten Dokumentarfilms zum Libanonkrieg, der das Missfallen Yassir Arafats gefunden hatte. Ähnlich wie bei vergleichbaren Fällen (etwa zuvor in Kuwait) ließ sich die Entscheidung aber nur wenige Tage aufrechterhalten; die Nachricht von der Schließung des Palästinabüros wurde von der Redaktion in Doha auf den vordersten Nachrichtenplatz gesetzt.

Da der Palästinensischen Nationalbehörde jeglicher Zugriff auf den Sendebetrieb des Kanals in Qatar fehlt, konnte Al-Jazeera nicht in einer Weise gemaßregelt werden, die normalerweise dem Umgang etwa mit vor Ort gedruckten palästinensischen Zeitungen entspricht. Die Peinlichkeit dieses Unterfangens konnte damit für die gesamte Dauer der Schließung des Büros dokumentiert und allen Zuschauern im arabischen Raum vor Augen geführt werden. Schließlich mussten die verantwortlichen palästinensischen Politiker sich eingestehen, dass sie ihre eigenen Anliegen vor dem Hintergrund der Intifada nicht mehr an die arabische Öffentlichkeit übermitteln konnten, so dass Al-Jazeera aus diesem Vorfall gestärkt an den Sendebetrieb aus Palästina zurückging. Auch im Zusammenhang mit den jüngsten Wahlen in Bahrein am 10. Mai 2002 wurde das Al-Jazeera Büro in Manama Ziel der Zensur aufgrund früherer Berichterstattung über anti-amerikanische Proteste im Königreich; auch hier verkannte das für die Linientreue der Medien zuständige Informationsministerium den unmittelbaren negativen Effekt, den die Behinderung des transnational operierenden Satellitensenders auf das sich liberal gebende Bahrein ausübte.

Die Neuen Medien haben es innerhalb eines Jahrzehnts vermocht, früher selbstverständliche Beschränkungen nationaler Regierungen auszuhebeln. Insbesondere die Satellitensender operieren dabei – gestützt auf die transnational wirkende Technologie des direkten Satellitenempfangs und eine gemeinsame arabische Sprache – in einer bisher unbekannten Weise. Diese ist durch eine vollständige Entterritorialisierung gekennzeichnet, die sich jedem traditionellen Zugriff entzieht. Die Auswirkungen der sich ausweitenden Medienfreiheit sind angesichts des Fehlens regional greifender Sanktionen deshalb beträchtlich. Zuerst spricht vieles dafür, dass das Monopol der Regierungen auf Information und Meinung unwiderruflich gebrochen ist. Nachricht und Kommentar werden durch die Neuen Medien ohne das Zwischenschalten von Regierungskontrollen zugänglich.

Zweitens ändert sich in diesem Zusammenhang auch die Öffentlichkeit; Inhalte, die insbesondere in den konservativen Gesellschaften der arabischen Golfländer zuvor der Geschlechtertrennung unterlagen, werden nunmehr von Männern und Frauen gleichermaßen rezipiert. Ein Strukturwandel der Öffentlichkeit ist hier unübersehbar geworden. Drittens haben es die Neuen Medien vermocht, Zuschauer in arabischen Staaten untereinander in einen zuvor nie gekannten Austausch miteinander zu bringen. Informationen und Kommentare zu Entwicklungen in Nachbarländern werden frei verfügbar; die Ereignisse in Israel und Palästina spielen dabei eine große Rolle. Viertens – und dies ist der nach außen wirkende Aspekt der Globalisierung – haben die Neuen Medien es vermocht, einen von westlichen Medienunternehmen unabhängigen Diskurs im arabischen Raum zu etablieren und diesen in den weltweiten Informationsfluss einzubringen.

Während europäische Medien etwa im Laufe des Jahres 2001 deutlich weniger zur palästinensischen Intifada berichteten als zu deren Beginn im September und Oktober 2000, behielten die transnational operierenden Satellitensender das Thema auf dem vordersten Nachrichtenplatz bei. Dadurch behielt die Situation im Westjordanland und im Gazastreifen eine unübersehbare regionale Dynamik im arabischen Raum. Schließlich übernahm Al-Jazeera beim Angriff der USA auf Afghanistan die exklusive Berichterstattung vom Ort des Geschehens. In den folgenden Monaten gelang es mehrfach, zur Quelle von Nachrichten, Interviews sowie Videomaterial im Umfeld Usama Bin Ladens zu avancieren.

Zwischen Transparenz und Zensur des Marktes

Angesichts dieser Auswirkungen muss insbesondere im Rückblick auf die letzten fünf Jahre ein deutlicher Zuwachs an Transparenz in gesellschaftlichen und politischen Fragen konstatiert werden. Es ist allerdings nicht sicher, ob diese Entwicklung sich dauerhaft wird festigen können. Die Fähigkeit, politische Prozesse zu beeinflussen und sich auch heiklen Themen, Skandalen, Tabus und Korruption zuzuwenden, ist zwar genügend unter Beweis gestellt worden. Dennoch ist keinesfalls garantiert, dass die Neuen Medien sich um jeden Preis an diesem erkennbar hohen Ethos weiterorientieren werden. Kritiker unterstellen nicht wenigen Satellitensendern, die politisch sensiblen Fragen aus Gründen der Effekthascherei in den Vordergrund zu rücken und dabei dem Mischdiktat von Einschaltquote und Werbetat zu folgen. Insofern würde es sich unter Umständen lediglich um eine vordergründige Konjunktur des Politischen handeln, die dann abflauen würde, wenn die Mehrzahl der behandelten Themen erst einmal in den Bereich des Banalen absinken würde. In der Tat sind diese Befürchtungen ernst zu nehmen, zumal die Erfahrungen auch in den Industrieländern Europas und Nordamerikas zeigen, dass ein sowohl extensives wie auch intensives politisches Profil nicht ohne weiteres Basis für ein wirtschaftlich erfolgreiches Medienprojekt sein kann. Im Bereich der arabischen Satellitensender bieten insbesondere die libanesischen Kanäle LBC und Future Television Beispiele für die Dominanz von Unterhaltungsprogrammen, bei denen das Moment der Zerstreuung dem der Bildung und Information übergeordnet ist. Dennoch ist beim gegenwärtigen Stand der Angebotsvielfalt im transnationalen Rahmen durchaus die Hoffnung nicht unberechtigt, dass ein erkennbar hohes Niveau in politischer Berichterstattung und Diskussion erhalten bleibt. Gerade weil die lokalen politischen Situationen in den einzelnen Ländern auf absehbare Zeit ohne weiteres Zutun Medienthemen gebären, kann davon ausgegangen werden, dass im Bereich von Information, Meinung und Debatte bereits jetzt ein hoher Grad an Nachhaltigkeit erreicht ist. Dies gilt insofern auch im Hinblick auf die Kritiken, welche den gegenwärtigen Beitrag zur politischen Transparenz in Funktion zu seinem wirtschaftlichen Nutzen für die Medienunternehmen sehen.

Mit der wirtschaftlichen Dimension ist zugleich ein weiterer Punkt skizziert, der im Bereich der Neuen Medien in den nächsten Jahren eine vermutlich größere Rolle zu spielen imstande ist. Die Technologien sowohl des direkt empfangbaren Satellitenfernsehens als auch des Internets entziehen sich weitgehend dem Zugriff klassischer Maßregelung und Manipulation. Zu einem neuen Instrument der Zensur kann sich aber durchaus der Markt entwickeln. Dies gilt weniger im Hinblick auf die Überlebenschancen von Nachrichtensendern im allgemeinen, als vielmehr für einzelne Programmpräferenzen. Allen Satellitensendern gemeinsam ist der Wettbewerb um die kaufkraftstarken Ölstaaten des Golfs, deren Werbeblöcke in zunehmendem Masse die Einnahmen der verschiedenen Medienunternehmen bestimmen. Sendungen, die entweder am Interesse oder am Geschmack des Publikums vorbeigehen oder aber eklatant gegen soziale Normen verstoßen, können sich hierbei durchaus einer indirekten Zensur durch die Macht der Werbeindustrie ausgesetzt sehen. Einige Sender – wie etwa LBC oder Future Television – haben sich früh auf eine hohe Rentabilität hin ausgerichtet und dementsprechend ihr Programm gestaltet. Dabei scheint sich ein – gemessen am Publikum der Golfstaaten – gerüttelt Maß an Liberalität durchaus nicht negativ auf Werbeeinnahmen auszuwirken, im Gegenteil.

Der Tendenz nach scheint eine Zensur des Marktes daher in der Tat weniger im politischen Bereich als wirtschaftlich zu greifen. Der klassischen politischen Zensur und den herkömmlichen Akteuren staatlicher Einmischung – insbesondere den diversen Informationsministerien – kann dabei kaum eine Rolle mehr zufallen. Die Möglichkeiten der direkten Einflussnahme schwinden gegenüber den unmittelbaren finanziellen Instrumenten der Privatindustrie, die sich insbesondere in den arabischen Golfländern über Jahrzehnte hinweg hat etablieren können. Wege der indirekten Ausübung staatlicher Kontrolle eröffnen sich allerdings, wenn statt der Medien die Wirtschaft selbst ins Visier der Regierungen gerät. Während Unternehmen damit einerseits das Mediengeschehen zu beeinflussen vermögen, können sie andererseits unter stärkeren staatlichen Druck geraten. Dies weist auf eine bevorstehende Neuausrichtung des politischen Feldes zumindest in einigen arabischen Ländern hin.

Fazit

Satellitenfernsehen und Internet sind nicht nur in technologischer Hinsicht Neue Medien. Neu sind sie auch deshalb, weil an sie besondere Hoffnungen geknüpft werden. Die Neuheit ließe sich geradezu ebenso gut aus den hohen Erwartungen definieren, die an die modernen Kommunikationsmittel gestellt werden. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sollten neue Printmedien in der arabischen Welt dem Nationalismus zur Durchbruch verhelfen, mit begrenztem Erfolg. In den zwanziger Jahren versprach sich das Deutsche Reich vom damals neuen Radio Fortschritte in Bildung und Erziehung, bevor der Volksempfänger es zum Vehikel von Volksaufklärung und Propaganda machte. In den fünfziger Jahren versprach sich die Kolonialmacht Frankreich vom seinerzeit neuen Fernsehen die Zementierung ihrer Position in Algerien. In den sechziger Jahren glaubten die indische Regierung und Entwicklungspolitiker, durch den gezielten Einsatz von Fernsehprogrammen die Bevölkerungsexplosion in den Griff zu bekommen. Neue Medien sind per definitionem dazu verurteilt, alt zu werden, und zwar umso schneller, je früher sich hochgesteckte Erwartungen zerschlagen. Bei allen Hoffnungen, die sich heute an Satellitenfernsehen und Internet knüpfen, macht es deshalb Sinn, nicht in grenzenlosen Optimismus zu verfallen.

Eine offenere politische Kultur, eine Teilhabe an Entscheidungsprozessen in Gesellschaft und Staat sowie nicht zuletzt ein notwendiger wirtschaftlicher Entwicklungsschub werden in der arabischen Welt nur dann möglich sein, wenn die transnationalen Errungenschaften des letzten Jahrzehnts in die einzelnen Länder der Region zurückverortet werden können. Ein Mehr an Freiheit verdanken die Neuen Medien dem Prinzip der Entterritorialisierung. Gesichert werden können diese Zugewinne nur durch eine Re-Territorialisierung. Ohne diese würden Herausforderungen und Chancen der Globalisierung nur zur Hälfte – und damit vermutlich nicht – bewältigt.

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