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Reportajes internacionales

Mexikos Demokratie am Scheideweg

Regierungswechsel mit Turbulenzen

Die Wahlen vom vergangenen 2. Juni haben ein eindeutiges Ergebnis hervorgebracht und geben der Wahlsiegerin Claudia Sheinbaum ein umfangreiches Mandat für ihre am 1. Oktober beginnende sechsjährige Amtszeit. Allerdings scheint dies nicht mit einer Stärkung der Demokratie in Mexiko einherzugehen, sondern erinnert eher an die Zeiten einer de facto Einparteienherrschaft der Partido Revolucionario Institucional (PRI) in den 1970er und 80er Jahren, die Mario Vargas Llosa seinerzeit als die „perfekte Diktatur“ bezeichnet hat. Die Mehrheitsverhältnisse im Kongress mit der Möglichkeit von Verfassungsänderungen, die drastische Justizreform, die die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stellt, und die Abschaffung staatlicher Kontrollinstitutionen sind nur einige Aspekte, die die Frage provozieren, ob sich die mexikanische Demokratie nach den richtigen und wichtigen Entwicklungen seit dem Jahr 2000 in einer gefährlichen Abwärtsspirale befindet.

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Das Wahlergebnis vom 2. Juni

Die Ergebnisse der Präsidentschafts-, Parlaments- und Regionalwahlen vom 2. Juni mit mehr als 20.000 neu besetzten Ämtern auf allen Ebenen[1] waren von einer eindrucksvollen Deutlichkeit geprägt: Zum einen siegte die Spitzenkandidatin der aktuelle Regierungspartei MORENA (Movimiento de Regeneración Nacional), Claudia Sheinbaum, mit ihren Bündnispartnern Partido del Trabajo (PT) und Partido Verde Ecologista de México (PVEM) mit 59,76% mehr als klar vor ihrer Hauptkonkurrentin Xóchitl Gálvez der Oppositionskoalition PAN-PRI-PRD[2] mit 27,45% und dem Kandidaten der Oppositionspartei Movimiento Ciudadano, Jorge Álverez Maynez, mit 10,32%. Zum anderen ergaben die Ergebnisse in den direkt gewählten Wahlbezirken (300 der insgesamt 500 Sitze) des Abgeordnetenhauses ebenfalls ein eindeutiges Bild: Die Regierungskoalition erzielte im rund 55% der Stimmen, die Opposition rund 41%, im Senat waren die Ergebnisse ähnlich. Bei den Gouverneurswahlen in insgesamt neun Bundesstaaten konnte sich die Regierungskoalition ebenfalls in sieben durchsetzen, die PAN verlor unter anderem eine ihrer Bastionen (Bundesstaat Yucatán).

Allerdings ist die Zusammensetzung des mexikanischen Kongresses (sowohl im Senat wie in der Abgeordnetenkammer) eine Kombination aus Direktmandaten und Listenkandidaten (sog. plurinominales), die nach dem Verhältniswahlrecht bestimmt und nach entsprechender Kalkulation vom Wahlinstitut INE nach Auswertung des Wahlergebnisses den Parteien zugewiesen werden. Hier kristallisierte sich vor wenigen Wochen eine Tendenz ab, die das vor der Wahl als höchst unwahrscheinlich eingestufte Szenario einer 2/3-Mehrheit immer wahrscheinlicher werden ließ. Um Verfassungsänderungen mit 2/3-Mehrheit zu erschweren, sieht die Verfassung zwar vor, dass keine Partei in der Abgeordnetenkammer mehr als insgesamt 300 Sitze und auch mit der Addition der „plurinominales“ nicht mehr als 8% an Sitzen als ihr Stimmenanteil haben darf. Allerdings benennt die Verfassung nicht die Koalitionsbündnisse. Da die Mehrheit der Kandidaturen allerdings für ihre jeweilige Koalition angetreten sind, würde sinngemäß die 8%-Grenze für die Bündnisse gelten. Allerdings machten die Regierungsparteien mit Hinweisen auf den expliziten Verfassungstext jede für sich den Anspruch auf diese zusätzliche Zuweisung der Listenkandidaten geltend. Dieser Interpretation hat sich das Wahlinstitut INE (inzwischen mehrheitlich von MORENA-affinen Mitgliedern besetzt) angeschlossen, sodass neben dem schon eindeutigen Ergebnis der Direktmandate (hier konnte die MORENA-Koalition bereits 256 der 300 Wahlbezirke gewinnen) durch die Verteilung der 200 Listenplätze in der Abgeordnetenkammer nun das Wahlergebnis komplett zu Gunsten der Regierung und zu Lasten der Opposition verzerrt wird: Statt 55% Anteil gemäß Stimmen würden der Regierungskoalition nun 70% der Sitze in der Abgeordnetenkammer erhalten, womit die verfassungsändernde Mehrheit von 66% weit überschritten wird. Im Senat werden insgesamt 96 der 128 Sitze direkt gewählt, und nur 32 im Listenverfahren, hier sieht die Verteilung des INE vor, dass der Regierungskoalition mit insgesamt 83 Sitzen lediglich drei Stimmen für eben diese Mehrheit fehlte[3]. Diese „sobrerepresentación“ (Überrepräsentation) bestimmt seit Tagen eine hitzige politische Debatte. Die vage Hoffnung, dass dies noch vom Wahlgericht TEPJF (Tribunal Electoral del Poder Judicial de la Federación) diese Woche gestoppt werden könnte, gilt angesichts der dortigen politischen Verteilung als unwahrscheinlich.

Die neue Legislative würde ab dem 1. September damit alle politischen Schalthebel zugunsten der Regierung in der Hand haben, womit dem scheidenden Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO) in seinen verbleibenden vier Wochen noch einige seiner bisher verwehrten (weil verfassungsändernden) Reformvorhaben durch den Kongress gepeitscht werden könnten – und ganz so sieht es auch aus. Nach der Sommerpause hat der ausscheidende Kongress dazu in Windeseile alle weiter unten beschrieben Vorhaben formuliert und für die Abstimmung des neuen Kongresses mit den oben beschriebenen Mehrheitsverhältnissen vorbereitet. Die fast schon verzweifelten Proteste der Opposition, die sich hier regelrecht „über den Tisch gezogen“ fühlte, prallten an der bestehenden Gesetzgebung und den o.e. Mehrheitsverhältnissen im INE und TEPJF ab.

 

Reformpaket im Schnelldurchlauf

Das unter dem Begriff „Plan C“ schon im letzten Jahr angekündigte Paket von umfangreichen Reformvorschlägen wurde bis dato durch die fehlenden Mehrheiten (viele der Initiativen bedingen Verfassungsänderungen) und durch entsprechende Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes abgeschmettert oder zumindest auf Eis gelegt. Angeheizt durch das Wahlergebnis und die sich wie oben beschrieben abzeichnenden Mehrheitsverhältnisse im Kongress, nahm die Diskussion nun wieder Fahrt auf und es gelang in einer atemberaubenden Geschwindigkeit die entsprechenden Reformvorhaben in entscheidungsreife Vorlagen zu gießen. Folgende Aspekte haben dabei eine besonders schwerwiegende Bedeutung:

 

a) Justizreform

Der wohl kontroverseste und problematischste Aspekt des Reformpakets ist ohne Zweifel die Justizreform, die López Obrador seit dem Rücktritt des ehemaligen Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofe, Arturo Zaldivar, zu einem persönlichen Feldzug deklariert hat. Kaum eine seiner „mañaneras[4]“ ging ohne einen Angriff auf die Justiz, im Allgemeinen, die Richter im Besonderen und Norma Piña als Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes mit herausgehobener Intensität von statten. „Volksfern“, „korrupt“ und „mit zu vielen Privilegien ausgestattet“ waren die noch zurückhaltend formulierten Vorwürfe des Präsidenten.

Der Reformentwurf sieht nun vor, sämtliche (!) Richter auf allen Ebenen des Justizapparates zu entlassen und mittels allgemeiner Wahlen (!) ihre Nachfolger zu bestimmen, ein Verfahren, welches es in dieser umfassenden Form weltweit derzeit nur in Bolivien gibt. Die zweifelsohne bestehende und berechtige Kritik an der mangelnden Effizienz des mexikanischen Justizapparats (ca. 95% Straflosigkeit[5] sind nur ein Indiz, was aber auch nicht nur der Justiz zuzuschreiben ist) dürfte durch eine solche Maßnahme mindestens konterkariert werden. Die Bestimmung von Richtern im Rahmen eines „Popularitätswettbewerbs“ dürfte die schon bestehenden Zweifel an der Unabhängigkeit und fachlichen Eignung einiger Richter noch erhöhen, Qualifikation und juristische Laufbahn würden zur Nebensache, politische Nähe und vermutlich auch Finanzierung von entsprechenden Wahlkämpfen ein weitaus entscheidenderes Kriterium. Dass sich die organisierte Kriminalität an diesem Wettbewerb aus Eigeninteresse auch beteiligen wird, ist naheliegend und findet in den rein politischen Wahlprozessen auch schon hinreichend Anwendung. Dass ein solch radikaler und umfassender Umbruch die Justiz qualitativ schwächen und komplett lahmlegen würde[6], ist ein weiterer Aspekt, weswegen dieses Vorhaben unter Fachleuten für blankes Entsetzen sorgt.

 

b) Abschaffung und Schwächung der staatlichen Kontrollinstanzen

Eine der zentralen Errungenschaften der demokratischen Entwicklung Mexikos war die sukzessive Implementierung staatlicher (und damit regierungsunabhängiger) Kontrollinstanzen (die so genannten organismos autónomos), allen voran das Wahlinstitut Instituto Nacional Electoral (INE), aber auch Regulierungsbehörden wie die CRE (Comisión Reguladora de Energía) oder das Amt für Informationszugang INAI (Instituto Nacional de Transparencia, Acceso a la Información y Protección de Datos Personales), das vor allem für recherchierenden Journalisten eine wichtige Quelle zu veröffentlichungspflichtigen Regierungsinformationen war. Das Wahlinstitut INE wird nach den bestehenden Vorstellungen in seinen Kompetenzen deutlich eingeschränkt, ggf. sogar wieder dem Innenministerium unterstellt, die meisten der anderen Institution mit den Argumenten der „ausufernden Kosten“ komplett abgeschafft. Unbequeme Nachfragen oder gar unabhängige Kontrolle des Regierungshandelns muss Claudia Sheinbaum so in den nächsten Jahren von dieser Seite also nicht fürchten.

 

c) Guardia Nacional

Die von López Obrador 2008 neu eingeführte Guardia Nacional (nach Abschaffung der Bundespolizei Policia Federal) stellt eine Mischung aus Polizeiapparat und militärischer Einheit dar und war in den letzten Jahren mit einer Vielzahl von Funktionen (Grenz- und Migrationskontrolle, Bekämpfung organisierter Kriminalität, Katastrophenschutz, etc.) konfrontiert und häufig überfordert. Eine Maxime hatte dennoch Bestand: Die Leitung erfolgte unter zivilem Kommando, eine Unterstellung ins Verteidigungsministerium SEDENA (Secretaría de la Defensa Nacional) wurde vom Obersten Gerichtshof abgeschmettert. Das ist nun hinfällig; die Guardia Nacional wird unter militärischem Kommando dem Verteidigungsministerium unterstellt. Ein zentrales Wahlkampfversprechen von AMLO (Demilitarisierung) wird damit definitiv konterkariert.

 

d) Wahlrechtsreform

Im Mittelpunkt der Wahlrechtsreform bzw. der Reform des politischen Systems stehen die Abschaffung der Listenkandidaturen nicht nur im nationalen Kongress, sondern auch in den Länderparlamenten. Damit wird dieses Korrektiv, welches zu mehr Proportionalität beiträgt und die politischen Minderheiten stärkt, zu Gunsten der Mehrheit abgeschafft. Dies soll bereits zu den nächsten Zwischenwahlen 2027 in Kraft treten und würde die politische (Parteien-) Landschaft nochmals drastisch verändern. Ebenso ist vorgesehen, die mühsam eingeführte Wiederwählbarkeit von Mandatsträgern (bis dato sind davon nur Staatspräsident und Gouverneure ausgenommen) wieder abzuschaffen, die maximale Amtszeit eines Bürgermeisters beispielsweise würde sich demnach wieder auf drei Jahre reduzieren und Kontinuität in der Politik dadurch enorm erschwert. Ebenso ist vorgesehen, die öffentliche Finanzierung von Parteien um 50% zu kürzen, eine Zweifelsohne populäre Maßnahme, die aber vor allem die schwächeren Parteien in der Opposition trifft, da die Regierungsparteien andere Möglichkeiten der Unterstützung genießen.

 

Claudia Sheinbaums Weg ins Amt

In diesem Szenario hitziger politischer Debatten und sich abzeichnender Machtverhältnisse, verläuft der fast schon geräuschlose Übergang der gewählten Staatspräsidentin Claudia Sheinbaum ins Amt, welches sie am 1. Oktober antreten wird. Im Mittelpunkt dieser Transition von AMLO zu Sheinbaum steht dabei die Frage, welche „politische Handschrift“ von ihr zu erwarten ist. Noch gibt es dazu jedoch kaum verlässliche Anhaltspunkte. Claudia Sheinbaum agiert bis dato immer noch wie die von AMLO auserkorene Spitzenkandidatin im Wahlkampf, bei einer aktuellen gemeinsamen Tour durch das Land ist deutlich sichtbar, wer noch der Chef ist (AMLO) und seine treue Nachfolgerin hält sich fest an das Motto „es un honor estar con Obrador[7]“, welches sie mehrfach bei öffentlichen Auftritten skandiert. Die Frage nach eigenen Akzenten, ggf. sogar sanften Korrekturen in diversen Politikbereichen sucht man bisher vergebens, die Hoffnung auf mehr Rationalität, mehr internationale Öffnung, mehr Modernität bleibt bestehen, allerdings ohne konkrete Hinweise oder Zeichen von ihr selbst.

Ein wichtiger Indikator für diese Frage der „eigenen Handschrift“ ist die Zusammensetzung des zukünftigen Kabinetts, welches von Sheinbaum Schritt für Schritt in den letzten Wochen bekannt gegeben wurde.

Dort findet man einige eindeutig von Sheinbaum selbst favorisierte Minister, die für inhaltliche Kompetenz und Vertrauen (auch im Ausland) sorgen sollen wie Außenminister Juan Ramón de la Fuente, Rogelio Ramírez de la O (Finanzminister), Omar García Harfuch (Sicherheitsminister) oder Energieministerin Luiz Elena Gonzáles Escobar, aber auch ehemaliger Minister aus der AMLO-Regierung in neuen Ämtern wie Marcelo Ebrard, (früher Außen-, jetzt Wirtschaftsminister). Rosa Icela Rodríguez (früher Sicherheitsministerin, jetzt Innenministerin) und Alicia Bárcena (früher Außen-, jetzt Umweltministerin). Aber eben auch parteitreue Akteure wie Mario Delgado (Morena Vorsitzender, jetzt Erziehungsminister), Citlalli Hernández (Frauenministerium) und Ernestina Godoy (ehemalige Staatsanwältin in CDMX, jetzt juristische Chefberaterin der Regierung). Hier darf vermutet werden, dass bei diesen Nominierungen das Wort des amtierenden Präsidenten signifikanten Einfluss hatte.

Die Frage, ob sich die gewählte Präsidentin tatsächlich „freischwimmt“, ein eigenes Profil entwickelt und wieviel oder wie wenig Einfluss López Obrador auf die politischen Entscheidungen und den Zusammenhalt des MORENA-Apparates haben wird, dürfte sich erst nach der Amtsübernahme am 1. Oktober langsam herauskristallisieren, bis dahin ist viel Raum für Spekulationen in jedwede Richtung.

 

Implikationen und Reaktionen

Zwei wesentliche Reaktionen auf diesen „Reformhurrikan“ waren unmittelbar zu verzeichnen: Zum einen der unbefristete Streik des gesamten Justizapparates, dem sich neben den Angestellten auch die Richter selbst gesellten, und zum anderen die Reaktionen von internationaler Seite, allen voran der US-amerikanischen und der kanadischen Botschaft vor Ort.

Auf den Streik der Justizbeamten und Richter reagierte die Regierung mit nicht unerwarteter Schärfe: Zum einen wurde den Streikenden jegliche Legitimation für ihr Anliegen abgesprochen und zum anderen mit Gehaltsstopp und Entlassungen gedroht. Damit findet die nun schon seit knapp zwei Jahren anhaltende Eskalation im Verhältnis zwischen Exekutive und Judikativen ihren vorläufigen Höhepunkt. Neben dem Präsidenten selbst äußerten sich auch die gewählte Präsidentin Sheinbaum und führende MORENA-Politiker mit gleicher Schärfe und Inhalt, während sich die Oppositionsparteien - zumindest verbal - auf die Seiten der Justiz stellten, allerdings nicht mit der erhofften persönlichen Präsenz.

Rückendeckung gab es hingegen, in dieser Deutlichkeit durchaus unerwartet, zunächst vom US- Botschafter Ken Salazar – bis dahin ein gern und häufig gesehener Gast im Palacio Nacional bei López Obrador höchstpersönlich und in seiner Kommentierung der Regierungspolitik Mexikos bis dahin bewusst regierungsfreundlich und -nahe. Mit seinem persönlich am 22. August vorgetragenen Communiqué löste er aber eine als mittlere diplomatische Krise einzustufende Eskalation aus: „Auf der Grundlage meiner lebenslangen Erfahrung bei der Unterstützung des Rechtsstaats, glaube ich, dass die Direktwahl von Richtern ein erhebliches Risko für die Funktionsfähigkeit der Demokratie in Mexiko darstellt. Jegliche Justizreform muss die Schutzmaßnahmen beinhalten, die garantieren, dass die Justiz gestärkt und nicht zum Spielball der Korruption der Politik wird.“[8]

Der Hinweis auf das 2025/2026 neu zu verhandelnde Freihandelsabkommen T-MEC[9], bei der Rechtssicherheit und die Unabhängigkeit der Justiz wie schon in den vorangegangenen Versionen des Abkommens (NAFTA) eine zentrale Rolle und Kondition darstellte, lassen befürchten, dass diese Verhandlungen alles andere als ein Selbstläufer werden und neben der politischen Stabilität damit auch die wirtschaftliche Stabilität des Landes riskiert wird. Einen Tag später folgte eine gemeinsame Erklärung führender Senatoren aus dem Auswärtigen Ausschuss (Demokraten und Republikaner) mit ähnlicher Diktion, durchaus bemerkenswerten inmitten des US-Amerikanischen Wahlkampfes. Nichtsdestotrotz war die Reaktion der Regierung auch hier von ungewöhnlicher Schärfe: Zunächst wies der Präsident diese Äußerungen (denen sich der kanadische Botschafter Graeme Clarke vor Ort mit einem ähnliche Kommentar am selben Tag anschloss) als inakzeptable Einmischung in innere Angelegenheiten Mexikos zurück, um dann am Folgetag (27. August) zu einem eigenwilligen (schon vor einigen Jahren mit Spanien praktizierten) Modus zu eskalieren: Er erklärte die (diplomatischen) Beziehungen zu den USA und Kanada „en pausa“, eine Formulierung, die es formal so nicht gibt und auch keine unmittelbaren protokollarischen oder faktischen Konsequenzen hat, aber wohl ausdrücken sollen, dass man vorerst offiziell nicht miteinander reden will. Das dies mit den wichtigsten Handelspartnern geschieht, zeugt von einer mehr als handfesten Verstimmung und Eskalation, die begleitet wurde von kritischen Meinungsartikeln in internationalen Medien wie dem Wall Street Journal, Washington Post und einer deutlichen Abstrafung von Rating Agenturen wie Fitch bzw. internationalen Banken wie Bank of America, Morgan Stanley oder der mexikanischen Citibanamex.

Auch hier setzte Claudia Sheinbaum wiederum keine eigenen Akzente oder gar mildere Töne, da sie ja mit den Konsequenzen dieser Turbulenzen ab dem 1. Oktober konfrontiert wird, sondern wiederholte schlicht die Vorwürfe von López Obrador.

Und als wenn diese Turbulenzen in der Transitionsphase nicht schon genug wären, sei an dieser Stelle nur kurz erwähnt, dass das komplexe Thema der inneren Sicherheit und die Präsenz der organisierten Kriminalität durch die Verhaftung zweier zentralen Köpfe[10] des Sinaloa-Kartells bei ihrer Landung auf einem kleinen Privatflughafen in den USA für hohe Aufmerksamkeit und bis heute nicht abreißenden Spekulationen darüber führte, unter welchen Umständen diese Verhaftung zu Stande kam (interne Auseinandersetzung und Verrat innerhalb des Kartells, freiwillige Übergabe im Gegenzug zu Hafterleichterungen etc.). Inwieweit der amtierende MORENA-Gouverneur von Sinaloa, Rubén Rocha Moya, in diese Episode ganz speziell und die Aktivitäten des Sinaloa-Kartells allgemein involviert ist, ist ebenfalls Gegenstand zahlreicher Spekulationen. Auffallend ist dabei wie schnell und vorbehaltlos er von AMLO und Sheinbaum explizit in Schutz genommen wurde, gepaart mit einer auffallend häufigen Präsenz des Präsidenten und der zukünftigen Präsidentin in Sinaloa bei ihrer Rundreise durch Mexiko. Ob und inwieweit die mexikanische Regierung noch Herr (und demnächst Dame) im eigenen Hause ist, ist und bleibt die zentrale sicherheitspolitische Frage. Die Rätsel und Fehlinformationen im Kontext der erwähnten Verhaftungen tragen jedenfalls nicht dazu bei, Zweifel zu zerstreuen oder gar Vertrauen in die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Regierung zu stärken.

 

Ausblick

Mit „Mexikos Demokratie am Scheideweg“ ist eine Überschrift gewählt worden, in der noch ein gewisser Zweckoptimismus mitschwingt, dass vor allem der externe Druck (vor allem aus den USA) und die wirtschaftspolitische Rationalität einige der politisch bedenklichen Entscheidungen abmildert oder eindämmt. Wesentlich skeptischer äußert sich da der angesehene Politikwissenschaftler und Kommentator in der Zeitung Reforma, Jesús Silva Herzog am vergangenen 19. August: „Der autoritäre Stil steht kurz davor sich in ein autoritäres Regime zu verwandeln. Wir begeben uns in kritische Momente für die politische Geschichte Mexikos. Das, was bisher willkürliche Grobheiten, polarisierende Provokationen und Anfeindungen aller autonomen Quellen waren, wird sich in ein System verwandeln, welches per Verfassung Macht ohne Grenzen ausüben wird. Die zweite Monatshälfte August und der Monat September können die letzten Tage eines pluralistischen Regimes sein, welches, mit all seinen Defekten, in diesem Land entstanden ist[11]“. Ob sich diese düstere Prognose bewahrheitet, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen.

 

[1] Details siehe hier: Mexiko hat gewählt - Auslandsbüro Mexiko - Konrad-Adenauer-Stiftung (kas.de)

[2] Partido Acción Nacional (PAN), Partido Revolucionario Institucional (PRI), Partido de la Revolución Democrática (PRD)

[3] Am 28.8. wurde bekannt, dass zwei PRD-Senatoren ihren Übertritt in die MORENA Fraktion bekannt gegeben haben, somit fehlt nun de facto nur noch eine Stimme aus der Opposition für die 2/3-Mehrheit der Regierungsfraktion im Senat.

[4] Als „mañaneras“ versteht man in Mexiko die morgendlichen täglichen Pressekonferenzen des Präsidenten.

[5] Impunidad Cero

[6] Allein die bisher bekannten Vorschläge, wie diese tausenden Richter in den nächsten zwei Jahren landesweit gewählt werden sollen, stellen eine logistische Herausforderung dar, die kaum zu bewältigen sein wird, und dem Zufall bzw. der Willkür und gezielten Einflussnahme Tür und Tor öffnet.

[7] Es ist eine Ehre, mit Obrador zu sein.

[8] Embajador Ken Salazar en X: "My statement on Mexico’s judicial reform proposal https://t.co/fjOVgk7qRn" / X

[9] Tratado de Libre Comercio México-Estados Unidos-Canada, USMCA in der englischen Fassung.

[10] Zum einen Ismael “El Mayo“ Zambada, zusammen mit „El Chapo“ Gúzman, einer der Gründer des Sinaloa-Kartells, auf den eine Kopfprämie von 15 Mio. USD ausgesetzt war und Joaquin Gúzman López, einer der sog. „Chapitos“, also Söhne des in USA in Haft sitzenden Joaquín Gúzman Loera, „El Chapo“.

[11] Diario REFORMA, Tiempo Contado, Jesús Silva Herzog, 19.8.2024

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Sobre esta serie

La Fundación Konrad Adenauer está representada con oficina propia en unos 70 países en cinco continentes . Los empleados del extranjero pueden informar in situ de primera mano sobre acontecimientos actuales y desarrollos a largo plazo en su país de emplazamiento. En los "informes de países", ellos ofrecen de forma exclusiva a los usuarios de la página web de la fundación Konrad Adenauer análisis, informaciones de trasfondo y evaluaciones.