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Endlich digital wählen! Die Sozialwahl 2023

Interview mit Peter Weiß (MdB, CDU), Bundeswahlbeauftragter der Sozialwahl 2023

Von April bis Ende Mai 2023 sind alle wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger angehalten, ihre Stimme abzugeben. Wer in die Sozialparlamente einziehen darf, ist von entscheidender Bedeutung für die zukünftige Gestaltung der Sozialversicherungen in Deutschland. So wird der Kurs der Ersatzkassen und der Deutschen Rentenversicherung aktiv mitbestimmt. Erstmalig bei einer bundesweiten Wahl kann nun auch digital gewählt werden. Aus diesem Anlass haben wir uns mit Peter Weiß zu einem Interview getroffen. Seine Hauptaufgabe war die Vorbereitung und Durchführung der Sozialversicherungswahlen 2023.

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Herr Weiß, bevor wir zum Thema digitales Wählen kommen, eine Frage vorab: Was ist eigentlich die Sozialwahl und warum sollte man bei dieser Wahl seine Stimme abgeben?

Vielfach ist nicht bewusst, dass die Sozialversicherungen den Versicherten, sprich den Bürgerinnen und Bürgern, gehören. Und wer Beiträge einzahlt oder eingezahlt hat, sollte auch über die Zukunft von Rente und Gesundheit mitbestimmen dürfen. Diese Mitbestimmung erfolgt über gewählte Vertreterinnen und Vertreter in den sogenannten Sozialparlamenten der Sozialversicherungen. Und warum ist es wichtig, diese zu wählen? Ganz einfach: Wenn Sie etwa mit einer Entscheidung Ihrer Krankenkasse nicht zufrieden sind, können Sie Widerspruch einlegen. Dieser landet im sogenannten Widerspruchsausschuss und wer dort sitzt, entscheiden die Bürgerinnen und Bürger bei der Wahl mit. Wenn Sie wiederum einen Rentenantrag stellen und Beratung benötigen, ist ein Berater ihrer Rentenversicherung unverzichtbar. Und auch hier sind es die von Ihnen gewählten Vertreterinnen und Vertreter in den Sozialparlamenten, die diese Berater bestellen. Sie sehen, es ist gerade nicht egal, für wen Sie bei der Sozialwahl Ihre Stimme abgeben. 

 

Nach Jahren des Ringens hat man festgelegt, dass die Sozialwahl 2023 der erste deutschlandweite Modellversuch für das digitale Wählen sein wird. Was waren zentrale Beweggründe bei dieser Entscheidung?

Um diesen Modellversuch zu ermöglichen, hat die Bundesregierung unter Angela Merkel das 7. Sozialgesetzbuch-IV-Änderungsgesetz beschlossen. Blicken wir auf die Debatten rings um diesen Beschluss zurück, sind aus meiner Sicht zwei Dinge festzuhalten. Erstens, was wir gerade nicht wollen, ist das klassische Wählen abzulösen. Um es ganz klar zu sagen: Der klassische Gang ins Wahllokal wird auch weiterhin die bevorzugte Art der Stimmabgabe bleiben. Die Onlinewahl ist eine Alternative zur Briefwahl und wird auch als solche getestet. Genau daher bietet sich die Sozialwahl ja auch an, da diese traditionell eine Briefwahl ist. Darüber hinaus wollen wir schauen, ob mit dem digitalen Wählen mehr Bürger für die Stimmabgabe mobilisiert werden können. Aktuell gehen wir davon aus, dass vielleicht zehn Prozent der Stimmberechtigten die digitale Option nutzen. Es wird spannend zu sehen sein, ob wir diese Zahl und dadurch auch eine höhere Wahlbeteiligung erreichen. Unabhängig davon, ob das gelingt, ist der Modellversuch per se wichtig, da Demokratien keine Mühen scheuen dürfen, um die Wahlbeteiligung zu verbessern. 

 

Im digitalen Zeitalter scheint es für viele nur schwer verständlich, warum man nicht schon längst digital wählen kann. Was sind eigentlich die zentralen Herausforderungen bei Onlinewahlen?

Es gibt Wahlgrundsätze, denen wir bei Onlinewahlen gerecht werden müssen. Nehmen wir etwa den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl. Dieser besagt, dass alle Bürger Deutschlands über 18 Jahre ganz unabhängig von ihrem Geschlecht, Einkommen, Konfession, Beruf oder eben auch der digitalen Kompetenz das Wahlrecht besitzen. Entsprechend müssen wir sicherstellen, dass Onlinewahlen so barrierefrei wie möglich sind. Eine weitere Herausforderung stellt die geheime Wahl dar. Im Zuge der Stimmabgabe müssen wir nämlich nicht nur sicherstellen, dass jeder Bürger der seine Stimme abgibt, auch wahlberechtigt ist, eine Bestätigung seiner Stimmabgabe erhält und alle Stimmen im Nachgang überprüfbar sind. Diese Anforderungen müssen so umgesetzt werden, dass rückwirkend nicht feststellbar ist, wer seine Stimme wie abgegeben hat. Außerdem müssen wir sicherstellen, dass keine Stimme doppelt gezählt wird, auch dann nicht, wenn ein Wähler seine Stimme digital und per Briefwahl abgibt. Und letztlich sind natürlich die Sicherheit der Wahl vor Cyberattacken und Manipulation sowie die technologisch einwandfreie Funktion der Wahlplattform unerlässlich. Um den reibungslosen Ablauf und die Sicherheit der Wahlen zu garantieren, haben wir eng mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) kooperiert und mit der estnischen Firma zusammengearbeitet, die auch dort das digitale Wählen organisiert. Sie sehen, was so einfach klingt, birgt in der Umsetzung am Ende eine ganze Reihe an Tücken. 

 

Gibt es denn aus der Vorbereitung des Modellversuchs bereits erste Erkenntnisse, die Sie für die Zukunft mitnehmen? 

Oh ja, die gibt es. Nehmen Sie zum Beispiel die Anforderung, dass wir alle Wahlberechtigten bei der Teilnahme an der Onlinewahl eindeutig identifizieren müssen. Dies wäre, wenn alle Stimmberechtigten ihren digitalen Personalausweis freigeschaltet hätten, relativ einfach lösbar. Tatsächlich ist es aber so, dass nur eine Minderheit der Mitbürgerinnen und Mitbürger dies bereits getan hat. 

 

Folglich mussten wir ein weiteres, dreistufiges Identifikationsverfahren unter Rückgriff auf die Versichertenkarte einrichten. Um der fehlenden Nutzung des digitalen Personalausweises, die übrigens für fast alle Digitalangebote des Staates ein Problem ist, entgegenzuwirken, brauchen wir ganz dringend eine Infokampagne. So eine Kampagne muss aufzeigen, für was der digitale Personalausweis eigentlich nützlich ist. Denn klar ist, den lässt man nur freischalten, wenn man weiß, welchen Nutzen man davon hat. 

 

Und wie soll es mit dem digitalen Wählen nach der Sozialwahl weitergehen? 

Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung steht ja schon, dass man Onlinewahlen ebenso bei Betriebsratswahlen etablieren will. Darüber hinaus wird es aber sicherlich auch zu einer Diskussion kommen, wo die Onlinestimmabgabe bei anderen Wahlen eingesetzt werden kann. Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass nach diesem Modellversuch sofort bei allen Wahlen in Deutschland online wählen möglich gemacht wird. Ich denke, dass es schrittweise vorangehen wird. Ich glaube eher man wird es neben der schon erwähnten Betriebsratswahl eventuell für Wahlen zu Kammern, wie etwa der Industrie- und Handelskammer oder der Handwerkskammer, gesetzlich als Möglichkeit verankern. Als nächsten Schritt könnte ich mir vorstellen, dass man Onlinewahlen bei Kommunalwahlen ausprobiert. Digitales Wählen bei Landtags- und Bundestagswahlen wird also wahrscheinlich erst als letzter Schritt einer Entwicklung hinzukommen. All dies sind aber politische Fragen, die von der Politik und der Gesellschaft beantwortet werden müssen. Als Bundeswahlbeauftragter stehen für mich neben der sicheren und einwandfreien Wahl mit Blick auf das Morgen eher die Auswertung des Modellversuchs und der Aufbau von Expertise im Fokus.

 

Und wie wollen Sie diese sicherstellen? 

Um Expertise aufzubauen und den Modellversuch adäquat auszuwerten, werden wir diesen einerseits durch externe Expertinnen und Experten begleiten und auswerten lassen. Hierbei wird neben der bereits genannten Frage nach der höheren Wahlbeteiligung und unseren Erfahrungen aus der Vorbereitung insbesondere auch der korrekte Ablauf der Wahl im Fokus stehen. Andererseits werden wir im Nachgang Fachgespräche durchführen und die Erkenntnisse mit Wahlrechtsexpertinnen und Wahlorganisatoren diskutieren. Ich bin mir zwar sicher, dass wir nach diesem Modellversuch sicher nicht alle Fragen zu hundert Prozent beantwortet haben werden. Aber wenn man nicht mit einem Modellversuch anfängt und Lehren daraus zieht, wird man das Thema Onlinewählen in Deutschland nie voranbringen können.

 

Herr Weiß, herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Die Fragen stellte Sebastian Weise, Experte für Digitale Demokratie in der Hauptabteilung Analyse und Beratung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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