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Der Bonner Emeritus beklagte die Tabuisierung der öffentlichen Diskussion um das Integrationsziel und wertete dies als Beleg für das Fehlen eines europäischen Volkes und einer demokratischen politischen Kultur auf europäischer Ebene. Die Demokratie bleibe nach wie vor wesentlich durch die Mitgliedstaaten vermittelt. Es sei ein Trugschluss zu glauben, dass allein die Stärkung der Parlamentsrechte durch den Lissaboner Vertrag schon ein Mehr an Demokratie bedeute. Zu politischem Leben würden rechtlich verfasste demokratische Verfahren auf supranationaler Ebene erst erwachen und allseits praktizierte Akzeptanz erhalten – Isensee verwies auf Renans „tägliches Plebiszit“ –, wenn sie in einem europäischen Wir-Bewußtsein wurzelten.
Das Gemeinsame der Europäer, das im Christentum wurzelnde rechtliche, geistige und politische Erbe, trete mehr und mehr zu Gunsten von Merkmalen einer immer stärker amerikanisch-universalistisch geprägten Weltkultur zurück, warnte Isensee. In einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Islam aber könne Europa sein solidarisches Wir-Bewußtsein, kurz: seine Seele wiederfinden und zur Nation Europa zusammenwachsen.
Offen ließ er indes, warum und wie diese am klassischen Nationalstaat entwickelte Kategorie auf die von ihm als Innovation bezeichnete EU, die mehr einer Bewegung denn einem Staat gleiche, anwendbar sei. Ermunternde Anzeichen für die Existenz eines solchen europäischen Wir-Bewusstseins bestritt Isensee einstweilen in seiner dialektischen Argumentation, beschloss seinen Vortrag aber nicht mit einem pessimistischen Ausblick, sondern unterstrich, dass die Suche nach der Seele Europas alle Mühen lohne.
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