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Ringen um Tarifautonomie: Zwischen Selbst- und Fremdbestimmung

de Dr. Katja Gelinsky

Kontroverse Diskussion über das Urteil zum Tarifeinheitsgesetz beim Berliner Jahresrückblick

Deutlich kontroverse Ansichten prägten die Vorträge und die Diskussion zur Frage: „Wie autonom ist die Tarifautonomie?". Das erste Panel des Jahresrückblicks zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 2017 sprach über das Urteil des Karlsruher Gerichts vom 11. Juli 2017 zum Tarifeinheitsgesetz.

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Professor Matthias Jacobs von der Bucerius Law School in Hamburg kritisierte zum Auftakt seines Vortrags, die Tarifautonomie sei nach dem Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes weniger tarifautonom als vorher: „Und das Bundesverfassungsgericht hat daran nur wenig geändert“, so Jacobs. Er hätte erwartet, dass Karlsruhe den „Frontalangriff auf die Tarifautonomie“ abwehre.

 

Stattdessen habe der Erste Senat dem Gesetzgeber nur eine „freundlich abgefederte Ohrfeige erteilt“, wie in der rechtswissenschaftlichen Literatur zu Recht bemerkt werde. Dies sei das Gegenteil eines lebendigen Koalitionspluralismus: „An Stelle von Selbstbestimmung tritt kontrollierte Fremdbestimmung“, kritisiert Jacobs. Bei einem solchen Tarifverständnis bleibe von staatsferner Tarifautonomie nicht viel übrig. Jacobs Empfehlung an den Gesetzgeber lautete, er möge das Tarifeinheitsgesetz „beerdigen“. „Was wir tatsächlich brauchen, ist ein Gesetz des Arbeitskampfs“, empfahl er. Gute Vorschläge dafür seien vorhanden.

 

Roland Wolf, Geschäftsführer und Leiter der Abteilung Arbeitsrecht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, begrüßte dagegen das Urteil aus Karlsruhe grundsätzlich. Die Tarifautonomie sei durch die Entscheidung gestärkt worden. Mit Recht habe der Erste Senat das Mehrheitsprinzip und das Betriebsprinzip gebilligt. Seinem Vorredner stimmte Wolf insoweit zu, als auch aus seiner Sicht ein Arbeitskampfgesetz erforderlich wäre: „Es kann nicht sein, dass der Gesetzgeber sich seit 50 Jahren weigert, ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden und die Gerichte die Kohlen aus dem Feuer holen müssen.“

 

 

Unterschiedliches Verständnis von Tarifautonomie

Deutlich unterschiedliche Auffassungen vertraten beide Impulsgeber zum Wesen und zur Bedeutung von Tarifautonomie. Wolf kritisierte in diesem Zusammenhang auch das Minderheitenvotum aus Karlsruhe, welches das Ordnungs- und Befriedungsprinzip im Tarifrecht in Frage stellt: „Wenn Tarifverträge nicht mehr ordnen und befrieden können, dann ist die Tarifautonomie am Ende“, mahnte der BDA-Vertreter. Die Ordnungs- und Befriedungsfunktion sei der entscheidende Grund für die Arbeitnehmer, sich auf Tarifverhandlungen einzulassen. Jacobs hielt dagegen, es sei eine Fehlvorstellung, wenn man davon ausgehe, Tarifverträge müssten für alle Arbeitnehmer Arbeitsbedingungen regeln: „Gewerkschaften schaffen Arbeitsbedingungen für ihre Mitglieder“, betonte er. Selbstbestimmung sei der entscheidende Gedanke der Tarifautonomie.

 

Bundesverfassungsrichter Andreas Paulus, Mitautor des Minderheitenvotums, bemerkte zu dem Streit, der Erste Senat sei sich „völlig einig“ in der Bewertung, dass die Einigung von Arbeitnehmern und Gewerkschaften ein Freiheitsrecht sei. Aufgabe des Gesetzgebers sei es, strukturelle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich diese Freiheit organisieren kann, „nicht dass eine ideale Ordnung hergestellt wird“.

 

Vizepräsident Kirchhof: Waren sehr nett zu den Minderheitsgewerkschaften

Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzende des Ersten Senats, Ferdinand Kirchhof, bemerkte zu der Kritik, dass nicht Tarifpluralität, sondern Streiks das eigentlich Problem seien, das Bundesverfassungsgericht könne nur über das entscheiden, was ihm vorgelegt werde: „Unser Thema war nicht Arbeitskampfrecht.“ Der Sichtweise Jacobs setzte Kirchhof entgegen: „Die Minderheitsgewerkschaft kommt in unserer Interpretation sehr gut weg und wird ihre Stellung behaupten.“ Auch enthalte der Nachbesserungsauftrag an Gesetzgeber die Mahnung, Interessen der Minderheitsgewerkschaft zu berücksichtigen. Auch Jacobs Kritik inhaltlicher staatlicher Regulierung wies der Senatsvorsitzende zurück. „Dagegen haben wir uns energisch gewehrt".

 

Scholz: Arbeitskampfgesetz unrealistisch

Professor Rupert Scholz betonte, die Kartellwirkung und Konzentrationswirkung des Tarifvertrages sei das Grundprinzip des Tarifrechts. Dann müsse man aber auch sicherstellen, dass das System funktionstüchtig bleibt, so der Staatsrechtler. Wenn Minderheitsgewerkschaften in eine faktische Übermachtposition kommen, sei das unhaltbar. Scholz hält es für unrealistisch, dass es in naher Zukunft gelinge, ein Arbeitskampfgesetz zu verabschieden: „Geben wir uns keinen Illusionen hin; ein Arbeitskampfgesetz wird es auch künftig nicht geben.“

 

Dass es dem Gesetzgeber gelingen wird, das Tarifeinheitsgesetz in der von Karlsruhe gesetzten Frist bis Ende 2018 nachzubessern, hielten die Panelteilnehmer für nicht sehr wahrscheinlich. BDA-Vertreter Wolf mahnte jedoch: „Es ist schon eine Frage der Achtung vor dem Gericht, dass gehandelt wird.“ Jacobs sprach von einem „Riesenprojekt“, das gründlicher Überlegungen und Abwägungen bedürfe. Die Frist zu halten, werde „bitterschwer“: „Der 31. Dezember 2018 ist gesetzgebungstechnisch schon fast übermorgen.“

 

 

Video-Mitschnitt des ersten Panels des Berliner Jahresrückblicks

 

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