Reportajes internacionales
Im April 2016, vier Monate nach Beendigung ihrer Amtszeit, wurde Cristina Fernández de Kirchner zum ersten Mal wegen mutmaßlicher Geldwäsche vorgeladen. Bis heute musste sie mehrmals vor Gericht aussagen. Die Ex-Präsidentin muss nun eine Anklage wegen „systematischer Korruption und Veruntreuung von Staatsgeldern“ befürchten. Am 20. Oktober 2016 wird sie sich vor dem zuständigen Richter Julián Ercolini im Rahmen des Korruptionsfalles um den ehemaligen Staatssekretär des Planungsministeriums Lázaro Báez verantworten müssen. Darauf drängen mehrere Staatsanwälte, die dem Richter Ercolini eine Liste mit 227 Punkten vorgelegt haben. Diese sollen als Beweis dienen, dass die systematische Veruntreuung von öffentlichen Geldern nicht nur im Mitwissen von Cristina Kirchner geschah, sondern von ihr gelenkt wurde.
Frau Fernández de Kirchner nutzt jeden Auftritt vor Gericht, um radikale Vertreter der ihr nahestehenden „Cámpora-Bewegung“ zu mobilisieren. Die pro-Kirchner Demonstrationen enden in der Regel in Straßensperrungen (sogenannten „piquetes“) und politischen Manifestationen gegen den amtierenden Präsidenten Mauricio Macri, der als Vertreter des Neoliberalismus und „Feind des Volkes“ verschmäht wird. Die Regierung reagiert auf diese Provokationen gelassen, indem immer wieder darauf hingewiesen wird, dass die Justiz selbständig und unabhängig in einem modernen demokratischen Staat agieren soll.
Die Medien sprechen angesichts der hohen Anzahl an Korruptionsfällen, die alle mit der Regierung von Cristina und Néstor Kirchner zusammenhängen, unter anderem vom „Fall der Mafia“ und einer „Schattenwelt des Verbrechens“. Die Aufklärung der Korruptionsfälle und die Gerichtsverfahren werden sich aufgrund der Vielschichtigkeit und Komplexität der Korruptionsvorwürfe vermutlich über mehrere Jahre erstrecken.
Der Fall Jóse López
Den „Caso Jóse López“ kann man getrost als einen der spektakulärsten und skurrilsten Fälle in der gegenwärtigen Geschichte Argentiniens bezeichnen. Der ehemalige Staatssekretär für öffentliche Bauaufträge im Planungsministerium, Jóse López, hatte versucht, neun Millionen US-Dollar, vermutlich aus illegalen Geschäften mit Bauunternehmen, in einem Kloster in der kleinen Stadt General Rodriguez zu vergraben. Das Video einer Überwachungskamera zeigt, wie er mit Hilfe von drei Nonnen versucht, Geldsäcke und ein Maschinengewehr im Klostergarten zu verstecken. Der wegen unlauterer Bereicherung und illegalem Waffenbesitz angeklagte ehemalige Staatssekretär befindet sich derzeit in einer psychiatrischen Anstalt für Häftlinge in Buenos Aires. Auch die drei Ordensschwestern wurden von der Polizei vernommen. Der ehemalige Planungsminister und jetzige Abgeordnete des kirchneristischen Flügels der peronistischen Oppositionspartei „Frente para la Victoria“ (FpV) Julio de Vido hatte während seiner Amtszeit als Minister die Ordensschwestern mit einer halben Million US-Dollar an Steuergeldern bei der Modernisierung des Klostergebäudes „unterstützt“. De Vido und López verbindet neben der gleichen Arbeitsstelle im Planungsministerium auch eine persönliche Freundschaft, die de Vido nun jedoch abstreitet. Auch der ehemaligen Präsidentin, Cristina Fernández de Kirchner, wird vorgeworfen, in den Fall verwickelt zu sein.
Der Fall Julio de Vido und Lázaro Báez
Die Namen López und de Vido tauchen auch im Zusammenhang mit zahlreichen weiteren Korruptionsfällen im öffentlichen Bauwesen auf. Vor allem bei de Vido handelt es sich um den Politiker des Kirchnerismus mit den meisten offenen Korruptionsvorwürfen- und verfahren. Verschiedene Fälle erregten landesweites Aufsehen. Ein Beispiel ist eine vom ehemaligen Staatssekretär López angeordnete Überweisung von 24 Millionen Pesos (umgerechnet ca. 1,6 Millionen US-Dollar) in die Provinz Corrientes zum Ausbau von Landstraßen, der keine konkreten Baumaßnahmen folgten. In weiteren Fällen werden zudem Cristina Kirchner und de Vido eine Bevorzugung vom Unternehmer Lázaro Báez bei etlichen Bauvorhaben vorgeworfen. Mit seinen Baufirmen „Austral Construcciones“ und „Valle Mitre S.A.“ war er häufig der Begünstigte für die anfallenden staatlichen Aufträge.
Ein weiteres Beispiel ist die Zahlung von drei Millionen US-Dollar des Sekretariats für öffentliche Bauaufträge an Báez für den Ausbau einer Straße in der Heimatprovinz des Ehepaares Kirchner, Santa Cruz, die Schätzungen zufolge weit weniger als zwei Millionen US-Dollar hätte kosten sollen. Den aktuellsten und wohl brisantesten Fall stellt die Ausgabe von 200 Millionen argentinischen Pesos (umgerechnet ca. 13,3 Millionen US-Dollar) dar, die eigentlich für den Ausbau des nationalen Straßennetzes vorgesehen waren, letztendlich aber in zwei Prestigeprojekte flossen: Die Renovierung der offiziellen Residenz des Staatsoberhauptes in Olivos und die Errichtung des Messegeländes „Tecnópolis“. Die Mittel kamen aus dem Fond für den nationalen Straßenbau, der direkt dem damaligen Staatssekretariat für öffentliche Bauaufträge und somit López und de Vido unterstand.
Auch eng verwickelt in diesen Sumpf der Korruption ist der ehemalige Staatssekretär für Transport, Ricardo Jaime, der eng mit López zusammenarbeitete und den Posten von 2003-2009 innehatte. Verschiedene Fälle von Korruption und unlauterer Bereicherung werden ihm unter anderem deshalb angelastet, weil er die Herkunft eines Privatvermögens von 12,5 Millionen US-Dollar und eines Privatjets nicht nachweisen konnte. Diese Verwicklungen wurden gewissermaßen nebenbei entdeckt, als man versuchte festzustellen, ob ihm eine Mitschuld am tragischen Zugunfall von 2012 gegeben werden kann, bei dem eine S-Bahn im Stadtviertel Once von Buenos Aires entgleiste. Für das Unglück, bei dem 57 Menschen starben und 789 verletzt wurden, wurde Jaime verantwortlich gemacht und zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der konkrete Vorwurf lautete, er habe für eine dringend benötigte Renovierung des Schienennetzes und der schon älteren Züge keine Mittel bewilligt. Ihm sei der Zustand der Züge und der Infrastruktur bestens bekannt gewesen, habe jedoch auch nach mehreren Warnungen und Hinweisen der nationalen Verkehrskommission den Tatbestand ignoriert und sich so mitschuldig gemacht, heißt es im Gerichtsurteil. Eine weitere Facette dieses Skandals bildet die Anweisung von Jaime, im Jahr 2005 Züge im Wert von 100 Millionen Euro in Portugal und Spanien zu kaufen. Bei den Zügen handelte es sich ausnahmslos um alte, obsolete Wagen, die nie für den Schienenverkehr eingesetzt werden konnten und unmittelbar nach der Ankunft in Argentinien verschrottet wurden. Zeitungsberichten zufolge habe Jaime vom Zustand der „Neueinkäufe“ gewusst, diesen bewusst in Kauf genommen und sich daran bereichert.
Der Fall „La Rosadita“ und „Hotesur“
Ein weiterer Winkelzug, der den Unternehmer Báez mit der Familie Kirchner verbindet, sind die Fälle „La Rosadita“ und „Hotesur“. Hierbei handelt es sich um Verwicklungen, die Báez und seine Firmen in direkten Zusammenhang mit Néstor Kirchner, Cristina Kirchner und deren Familie bringen. Konkret lautet der Vorwurf im ersten Fall, Báez habe die von ihm aufgekaufte Firma SGI benutzt, um Geld zu waschen und Beträge, die ihm von der Kirchnerregierung für öffentliche Bauaufträge überwiesen worden waren, über Umwege an die Familie Kirchner zurückzuleiten. Dieser Fall wird in der Presse in Anlehnung an Argentiniens Präsidentenpalast, die „Casa Rosada“, auch als „La Rosadita“ bezeichnet.
Um einen ähnlichen Fall handelt es sich in der „Causa Hotesur“. Die Firma „Valle Mitre S.A.“ mietete Zimmer in der von der Familie Kirchner eigenen Hotelkette „Hotesur“ im Wert von 14,4 Millionen argentinischen Pesos (umgerechnet zirka eine Million US-Dollar). Die Anschuldigung besteht darin, dass die Firma, die wiederum die Interessen von Lázaro Báez im Hotelgeschäft vertritt, die Räume zwar gemietet und bezahlt, aber nie benutzt haben soll. So stellt es wieder eine neue Form des Geldrückflusses an die Familie Kirchner dar. Nach Néstor Kirchners Tod ging der Besitz an seine Kinder Máximo und Florencia über. Cristina Kirchner, in beiden Fällen direkt angeklagt, wurden inzwischen alle Konten eingefroren, genauso wie auch die Geldgüter von Máximo und Florencia Kirchner. Die Ex-Präsidentin bezeichnete die Entwicklung als „Verfolgungsjagd“ der Regierung Macri.
Komplizierte Aufdeckungsarbeit – ein Fall für die Justiz
Die Abläufe, die die Vergabe von öffentlichen Aufträgen bestimmten, waren von einer systeminhärenten Korruption geprägt. Es gab festgelegte „Schmiergeld-Tarife“ für den Zuschlag der öffentlichen Aufträge. Die systematische Korruption im öffentlichen Straßenbau war aber nur ein Teil des Korruptionsnetzes. Im sozialen Wohnungsbau gibt es noch nicht vollkommen aufgeklärte Verdachtsfälle auf Korruption gegen den ehemaligen Vizepräsidenten Amado Boudou und die kirchneristische Aktivistin Milagros Sala. In beiden Fällen wird vermutet, dass die Politiker sich illegal bereichert haben, indem Mittel, die für den sozialen Wohnungsbau bestimmt waren, über Umwege in die Privatschatulle der Angeschuldigten flossen. Die geplanten Sozialwohnungen wurden, trotz Mittelfluss, nie gebaut. Der ehemalige Kabinettschef der Regierung Kirchner, Aníbal Fernández, wird mit anderen Korruptionsvorwürfen konfrontiert. Laut Zeugenaussagen soll er im illegalen Handel mit Ephedrin, ein Vorprodukt der synthetischen Droge Crystal Meth, massiv beteiligt gewesen sein. Juristen und Journalisten gehen davon aus, dass das Ehepaar Kirchner nicht nur von den illegalen Machenschaften seiner Minister und Parteifreunde informiert, sondern aktiv mitgewirkt hat.
Die Justiz untersucht alle Korruptionsfälle und versucht die komplizierten Verflechtungen zu klären. Die geschilderten Fälle zeigen exemplarisch, wie die zwölfjährige Regierungszeit des Ehepaares Kirchner von Korruption durchzogen war. Sie war in vielen Bereichen des Regierungsapparates institutionalisiert. Politische Vorteile will die Regierung Macri aus den Korruptionsskandalen jedoch nicht ziehen. Dies sei eine Methode der Vorgängerregierung. Im Mittelpunkt steht jetzt die Bekämpfung der Inflation und der Arbeitslosigkeit sowie die Positionierung Argentiniens als attraktives Investitionsland und die Konsolidierung der eingeleiteten Wirtschaftsreformen.
Die Regierung von Präsident Mauricio Macri hat damit bereits demokratische Reife bewiesen. Weder Regierungsmitglieder noch Politiker der Regierungspartei PRO haben sich bisher zu den Korruptionsfällen öffentlich geäußert oder positioniert. Die Untersuchungen liegen in der Hand der Justiz. Die Judikative solle unabhängig und ohne Druck der Regierung agieren. Damit sollen die Gewaltenteilung und die demokratischen Institutionen Argentiniens gestärkt werden.