Reportajes internacionales
Mauricio Macri ist gestern als 53. Präsident Argentiniens vereidigt worden. In seiner ersten Rede versprach der konservativ-liberale Politiker dem Land für die nächsten vier Jahre Zusammenhalt und Zusammenarbeit. Ausdrücklich wünschte er sich Kritik, sollte seine Regierung Fehler machen. „Wir sind nicht unfehlbar.“ Eigentlich hätte Cristina Kirchner ihrem Nachfolger im Präsidentenpalast Schärpe und Zepter übergeben sollen, die Symbole der Macht. Doch die scheidende Staatschefin zog es vor, der Zeremonie fern zu bleiben.
Am Ende hat es tatsächlich geklappt mit dem Machtwechsel am Río de la Plata. Stolz und erleichtert wirkte Mauricio Macri am Donnerstagmittag, als er im Parlament seinen Amtseid ablegte. Der Politiker, der wie kein anderer im Wahlkampf einen Neuanfang nach zwölfeinhalb kirchneristischen Regierungsjahren versprochen hatte, war am Ziel. Und er legte gleich nach. Was die Argentinier in seiner ersten Rede zu hören bekamen, waren neue, jedenfalls lange nicht mehr gehörte Töne: Macri bat seine Landsleute um Hilfe und ausdrücklich um Kritik, sollte seine Regierung Fehler machen. „Wir sind nicht unfehlbar.“ Der Präsident aller Argentinier wolle er sein, ein Regent, der das zerstrittene Land eine. Einen Namen nannte er nicht, aber man verstand auch so, wem dieser Seitenhieb galt.
Cristina Kirchner hat in ihren zwei Amtszeiten Argentinien so polarisiert wie wohl kein Staatschef seit Juan Domingo Perón in den vierziger und fünfziger Jahren. Zweifel kannte sie nicht, Widerspruch wollte sie nicht, sie suchte die Konfrontation, nicht den Ausgleich. Sie hatte grundsätzlich Recht, und wer ihr glaubte, war ein Freund.
Mit dem Aufteilen des Landes in Freunde und Feinde soll nun Schluss sein. Die „Kunst des Kompromisses und des Übereinkommens“ will Macri zur politischen Agenda machen. Ein großer Satz für jemanden, der bis zur letzten Minute den Attacken seiner Gegner ausgesetzt war und auch in Zukunft auf sich aufpassen muss.
Macri ist der erste demokratisch gewählte Präsident seit fast 70 Jahren, der nicht aus den beiden großen Kräften – Peronismus und Radikalismus – kommt. Er repräsentiert tatsächlich etwas Neues, für viele im Land auch Fremdes. Der Anführer der erst 2005 gegründeten Partei PRO ist der Sohn eines erfolgreichen, nicht unumstrittenen Unternehmers und obendrein ein politischer Quereinsteiger. Nicht einmal Jurist, wie so viele seiner Vorgänger, ist er, sondern Ingenieur.
Einen Vorgeschmack, wie viel Widerstand ihn erwartet, hat er schon in den gut zweieinhalb Wochen vor seinem Amtsantritt bekommen. Dem Kirchnerismus fiel das Loslassen erkennbar schwer. Als wäre sie im Besitz des Landes, stemmte sich die Regierung gegen die Rückgabe der Macht. So verlegte Kirchners Generalstaatssekretär Natalio Etchegaray das Ende der Amtszeit auf Mitternacht des 10. Dezembers, was bedeutet hätte, dass Kirchner noch über die Amtsübergabe hinaus offiziell Regierungschefin und Oberbefehlshaberin geblieben wäre. Macri rief daraufhin nicht nur das Oberste Gericht zur Klärung des Sachverhalts an, sondern zog auch eine Anzeige wegen falscher Amtsausübung in Betracht. Erst am 9. Dezember befand schließlich Richterin Servini de Cubría, wann die Präsidentin abgelöst werde, nämlich in wenigen Stunden, Punkt 0 Uhr. So sehe es die Verfassung vor. Kirchner ließ verkünden, dass die „Voraussetzungen für die Teilnahme an der Vereidigung nicht gegeben sind“ und sie Macri Schärpe und Zepter nicht überreichen werde. Ihr Geheimdienstchef Oscar Parilli sprach von einem „Staatsstreich“. Viele Argentinier sahen es anders und verabredeten sich über die sozialen Netzwerke spontan zum kollektiven Aufatmen.
Um 23.59 Uhr begannen sie, auf Straßen und Plätzen zu hupen und zu singen; und nach altem Brauch wurde auch auf die Kochtöpfe geschlagen. Und Macri trat mit seiner Frau Juliana auf den Balkon seiner Wohnung und winkte den Nachbarn.
Macri eilt der Ruf voraus, sehr pünktlich zu sein. Die Sammelbüchse für den guten Zweck, in die Zuspätkommer eine Spende hinterlassen mussten, gehört zum Legendenschatz seiner acht Bürgermeisterjahre. Zu seinem Amtsantritt erschien er sogar überpünktlich. Eine viertel Stunde früher als geplant leistete er vor dem Ehrenwerten Kongress der Nation in Buenos Aires seinen Schwur auf die Bibel. Außer der Reihe fügte er ein Wort hinzu, das in Argentinien selten im Zusammenhang mit Politikern genannt wird: „Ehrlichkeit“. Das vom Kirchnerismus überstrapazierte Wort „Patriotismus“ kam ihm indes nicht über die Lippen. Seine Rede dauerte gerade 23 Minuten – ein deutlicher Bruch mit den ausschweifenden Diskursen seiner Vorgängerin. Klare Botschaften hatte sie trotzdem, oder gerade deshalb.
Macri skizzierte einen Regierungsplan, der Erneuerung versprach und eine Wiederdemokratisierung des zuletzt recht autoritär regierten Landes. Er verpflichtete sich und seine Regierung zum Kampf gegen die Korruption und sagte, er werde „unerbittlich mit all jenen sein, die nicht nach dem Gesetz handeln“, unabhängig vom Parteibuch. „Ich möchte meine absolute Unterstützung für die Unabhängigkeit der Justiz ausdrücken. In den vergangenen Jahren ist sie ein Bollwerk der Demokratie gewesen, und sie hat verhindert, dass das Land einem irreversiblen Autoritarismus anheimfällt.“
Den Kampf gegen Armut und Drogenhandel, die Rückkehr Argentiniens in die westliche Weltgemeinschaft und den Wiederaufbau der öffentlichen Bildung nannte der Präsident als wichtige Aufgaben seiner Regierung. Allerdings hat diese bislang allenfalls eine Ahnung von der Erbmasse, die der Kirchnerismus hinterlässt. Denn objektive Daten, Statistiken oder sonstige ideologiefreie Aussagen gab es in Argentinien zuletzt kaum noch.
Zudem hat die Vorgängerregierung in ihren letzten Wochen alles getan, um die Arbeit ihres Nachfolgers so schwer wie möglich zu machen: Sie stellte tausende Beamte mit unkündbaren Verträgen ein und leerte die Devisenkonten der Zentralbank. Viel finanziellen Handlungsspielraum wird die neue Regierung zunächst nicht haben.
Wegen der schwierigen wirtschaftlichen Situation – das Land befindet sich seit vier Jahren in der Rezession und kämpft mit galoppierender Inflation – vertraut Macri stark auf Arbeitsteilung und privatwirtschaftliche Expertise. Das Wirtschaftsministerium teilt er in drei Ministerien auf: eines für Steuern und Finanzen, eines für Produktion und Exporte und eines für Energie und Transportwesen. An der Spitze der Ministerien sitzen Unternehmer und Wirtschaftswissenschaftler; ein gutes Zeichen für eine unternehmerfreundlichere Politik. Der neue Steuer- und Finanzminister Alfonso Prat-Gay hat erst einmal die undankbarste Aufgabe: Verhandlungen mit den „Geierfonds“. Seit vielen Jahren befindet sich Argentinien im Dauerclinch mit einigen New Yorker Hedgefonds, die den Schuldenschnitt nach dem Staatsbankrott im Jahr 2001 nicht akzeptieren. Gleichwohl ist Einigung unabdingbar. Nur so kann Argentinien seine Kreditwürdigkeit an der Wall Street zurückerlangen, denn: Kredite werden dringend gebraucht, weil die Kassen leer sind.
Insgesamt besteht das Kabinett Macri aus 21 Ministerien – es ist eines der größten in der Geschichte Argentiniens. Die Ministerien seien zwar erstklassig und professionell besetzt, so der bekannte Radiojournalist Marcelo Longobardi, doch die Probleme des Landes sind ebenfalls sehr groß. Die nächsten Monate werden zeigen, ob Macri mit seinem Kabinett die richtige Wahl getroffen hat.