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Reportajes internacionales

Kontrollierte Marktwirtschaft?

de Dra. Kristin Wesemann, Daniel Schlierenzauer, Anna Raith

In Argentinien will der Staat künftig die gesamte Produktion großer Unternehmen lenken

„Es ist verrückt zu denken, dass wir die Preise der Wirtschaftsgüter kontrollieren wollen […]. Das sind nur Schreckgespenster,“ sagte Wirtschaftsminister Axel Kicillof in einem Interview mit Radio del Plata. Für die Opposition hingegen sind diese Gespenster ziemlich echt.

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Argentinien erlebt turbulente Zeiten: Rezession, Schuldenkriese, galoppierende Inflation, internationale Isolation, Versorgungsengpässe und schrumpfende Devisenreserven sind die technischen Worte für die Verzweiflung, die sich unter den Menschen ausbreitet. Die peronistische Regierung hält an ihrem „nationalen und populären Projekt“ fest und ignoriert die alltäglichen Hiobsbotschaften, die es dennoch in die Schlagzeilen schaffen. Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner bat ihre Funktionäre nun sogar, ihr keine schlechten Nachrichten mehr zu überbringen.´

Der Kirchnerismus ist angetreten, das Land mithilfe des Staatsapparates zu kontrollieren. Die bisherigen Eingriffe in die Wirtschaft haben die Rahmenbedingungen gesetzt – darunter feste Wechselkurse, Handelsbeschränkungen, Enteignungen, Preiskontrollen und staatlich festgeschriebene Preise. Jetzt allerdings hat sich der Staat per Gesetz in den gesamten Wertschöpfungsprozess der großen Unternehmen eingeschaltet.

Am 18. September und nach einer knapp 30-stündigen Marathonsession hat das Parlament dem „Versorgungsgesetzes“ (Ley de Abastecimiento) zugestimmt und der Regierung die Kontrolle über große Teile des argentinischen Marktes verschafft. 130 Ja-Stimmen, 105 Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen änderten das bestehende Versorgungsgesetz von 1974.

Juliana Di Tullio, Abgeordnete der Regierungspartei Frente para la Victoria, erklärte: „Die bestehenden Gesetze sind unzureichend, da sie die Möglichkeiten des Staates behindern, die Beziehung zwischen Produktion und Konsum zu kontrollieren. Deshalb hat die Präsidentin entschieden, den Staat zu stärken und ihm Werkzeuge zur Kontrolle dieser Beziehung in die Hand zu geben.”

Spürbare Hand des Staates

Über zwei Institutionen kann die Regierung die Produktion der großen Firmen künftig kontrollieren.

Zunächst wird eine Behörde zur Überwachung der Preise (Observatorio de Precios) geschaffen. Sie soll Zugang zu allen Daten privater und öffentlicher Unternehmen erhalten. Im Justizministerium soll zudem eine Beschwerdeeinheit entstehen. Bei der „Stelle für die präventive Schlichtung der Konsumbeziehungen“ (Servicio de Conciliación Previa en las Relaciones de Consumo) kann der Bürger gratis Anzeige erstatten, sollten die neuen Paragraphen nicht eingehalten werden.

Nicht mehr nur Preise, sondern auch die Produktions- und Verkaufsmengen wird Regierung nunmehr per Dekret bestimmen. Unter die Kontrolle der Exekutive fallen aber auch die Betriebsakten, Lizenzvergaben und vieles mehr. Sie kontrolliert damit nahezu den gesamten Wertschöpfungsprozess. Bei Nichteinhaltung der strengen Regelungen oder Verstößen gegen das Gesetz, sind Geldstrafen von bis zu 10 Millionen Pesos (rund 900.000 Euro), Lizenzentzug oder auch die Einstellung der Produktion innerhalb von 90 Tagen vorgesehen.

Kritik von allen Seiten

Marcelo Longobardi, regierungskritischer Journalist des Radiosenders Mitre, nannte das Versorgungsgesetz in seiner populären Sendung eine „Fußkralle für die Wirtschaft, ähnlich wie jene, die dem Devisenmarkt angehängt wurde“. „Anstatt die Devisenpolitik an die Wirtschaft anzugleichen, wurde die Wirtschaft an die Devisenpolitik angeglichen“, sagte der Journalist.

Die Opposition schloss sich im Parlament gegen das Regierungsvorhaben zusammen – für Argentinien ein durchaus denkwürdiger Moment. Das Gesetz sei unnütz und verfassungswidrig, da es gegen die Wirtschaftsfreiheit verstoße. Nach dem Ende des Kirchnerismus müsse das Gesetz umgehend wieder abgeschafft werden, versprachen die Spitzen der Opposition einhellig. Auch die Wirtschaftsverbände sparten nicht an Kritik. Die großen argentinischen Unternehmerverbände (Grupo de los Seis – Gruppe der Sechs) klärten bereits im Vorfeld rechtliche Schritte ab, um gegen das Gesetz vorzugehen. „Es (das Versorgungsgesetz) ist eine wirklich mächtige Waffe, die willkürlich eingesetzt werden kann. Dies ist die größte Gefahr“, sagt der Präsident der Industrieunion Argentinien, Héctor Méndez. Die Regierungspartei betont hingegen ihre Pflicht zum Konsumentenschutz.

Dass der Staat nun die Bürger schützen wolle, mag kaum jemand ernst nehmen. Auch in der Vergangenheit haben Gesetzesvorhaben ähnlicher Art vor allem zu stärkerer staatlicher Einflussnahme geführt. Besonders die Landwirtschaftsverbände sind besorgt, denn sie leben schon länger damit, dass der Staat die Preise ihrer Produkte und auch deren Absatz festlegt. Ex-Binnenhandels-Staatssekretär Guillermo Moreno war bekannt dafür, seine Entscheidungen mündlich vorzutragen. Und falls nötig, noch Sanktionen anzudrohen. Nun erhält die Regierung ein institutionalisiertes Instrument, das die Einhaltung der Preisdekrete rechtlich erzwingen kann. Nach der Einführung des Programms der precios cuidados – der geschützten Preise – ist dies der nächste Schritt zur Kontrolle des Marktes.

Die Kritik der Landwirte hat noch einen weiteren Grund: den Sojahandel. Sie befürchten, dass die Regierung sie nun verpflichten könne, ihre Ernte zu verkaufen, wann es der Casa Rosada beliebt. Die argentinischen Sojaexporte sind eine wichtige Devisenquelle. Allerdings muss der Agrarsektor zum offiziellen Dollarkurs exportieren. Und der liegt fast 80 Prozent unter dem inoffiziellen. Aus Unsicherheit und in Erwartung weiterer Währungsschranken halten die Landwirte ihre Ernten zurück; um Verluste möglichst zu vermeiden. Der Präsident der Federación Agraria, Eduardo Buzzi, erklärt es so: „Wir halten die halbe Ernte nicht aus Gefräßigkeit zurück, sondern weil die Wirtschaft ein Desaster ist“ Doch das Land ist dringend auf die Sojadollar angewiesen, um Energie importieren zu können. Der Sommer beginnt erst – und auch die Regierenden bereiten sich auf heiße Monate vor: Die Polizei hat im Dezember Urlaubsverbot. Man fürchtet, dass sich die gewaltsamen Proteste und Plünderungen des vergangenen Jahres wiederholen. Auslöser waren wochenlange Strom- und Wasserausfälle.

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Olaf Jacob

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Representante de la Fundación Konrad Adenauer en Chile

olaf.jacob@kas.de

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