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Aufklärung, Engagement, Freiheit. Das sollten die Begriffe des Abends werden. In der Aula der St.-Johannis-Schule präsentierte die DDR-Bürgerrechtlerin und Regisseurin Freya Klier ihren zusammen mit Andreas Kuno Richter gedrehten neuen Dokumentarfilm. Darin wird in vier Episoden das Schicksal von DDR-Flüchtlingen geschildert, die versuchten, über Bulgarien in den Westen zu fliehen. Fluchtversuche, die hin und wieder gelangen, oft aber auch tragisch endeten. So schildert die letzte Episode des Films die Geschichte zweier Jugendlicher, die bei ihrem Fluchtversuch gleichsam hingerichtet wurden – obwohl sie sich vorher ergaben. Dass der Dokumentarfilm nicht nur visuell, sondern auch in seiner Entstehungsgeschichte ein ganz besonderes Stück Aufklärung ist, wurde schnell deutlich, als Klier und der Bremer Zeitzeuge Thomas Stellmann nach der Filmaufführung ins Gespräch kamen. Denn anfänglich wollte Stellmann, dessen Schicksal in einer der Episoden dargestellt wird, für den Film gar nicht zur Verfügung stehen.
Stellmann, Jahrgang 1960, war nie ein Rebell, spürte aber in seiner Liebe zum Reisen schnell die Enge der sozialistischen Welt. Die Reisebeschränkungen empfand er als ein Eingesperrtsein. Das wollte er nicht hinnehmen, und so wagte er 1981 einen Fluchtversuch über die bulgarisch-türkische Grenze. Der Versuch misslang und man zerschoss Stellmann bei der Flucht beide Beine. In nachgestellten Szenen, die an den Originalschauplätzen in Bulgarien gefilmt wurden, rekonstruiert der Film, wie Stellmann schwer verletzt und um sein Leben ringend in ein bulgarisches Krankenhaus gebracht wurde. Um sein Leben zu retten, amputierten Ärzte sein rechtes Bein. Nach zweimonatigem Krankenhausaufenthalt verbrachte er zuerst vier Monate in Stasi-U-Haft und schließlich sechs Monate im Gefängnis in Brandenburg. „Für mich war diese Geschichte ganz normal“, sagte Stellmann bei der Diskussion auf dem Podium. 30 Jahre lang hatte er diese Geschichte ruhen lassen und sein altes Tagebuch nicht mehr aufgeschlagen. Durch Andreas Kuno Richter begann Stellmann aber nach all den Jahren neu über seine Vergangenheit nachzudenken und den Film als Möglichkeit der persönlichen Aufarbeitung zu sehen. Nach der Haft blieb Stellmann in der DDR und engagierte sich in der kirchlichen Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“. 1984 wurde er, rein zufällig, Zeuge der Botschaftsbesetzung in der Ostberliner Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland. Er nutzte die Chance und kam, zusammen mit den Besetzern, einen Tag später nach Westberlin.
Klier, die 1968 Republikflucht beging, ergänzte Stellmanns Schilderungen um ihre eigenen Gefängniserfahrungen. „Die Zeit wird zum Feind“, sagte sie über ihren Gefängnisaufenthalt, deshalb habe sie sich, um nicht wahnsinnig zu werden, eine eigene Welt aufgebaut. In dieser Zeit stellte sie sich Musik vor und dachte sich Theaterszenen aus. Wie notwendig die gesellschaftliche Aufarbeitung ist, wurde deutlich, als Klier von der Finanzierung des Films, ihren Recherchen und den Dreharbeiten sprach. „Das alte Personal sträubt sich mit Händen und Füßen“, sagte sie auf die Entscheidungsträger in den Rundfunkanstalten gemünzt, die das Projekt nicht unterstützen wollten. Um dann lakonisch ein „die Genossen sind gut platziert“ hinterherzuschieben. Doch nicht nur hierzulande sträubt man sich, wie Klier zu berichten wusste. Die Recherche in den Archiven in Sofia wurde zur Herausforderung, da das Gros des historischen Materials noch verschlossen ist. Und bei den Dreharbeiten an der Grenze wurde das Team von der bulgarischen Staatssicherheit beobachtet, die sich im Dorf einquartiert hatte, um Kliers Recherchen zu den Todesschützen der damaligen Grenze zu sabotieren.
Doch Klier machte deutlich, dass sie ans Aufgeben nicht denkt. Sie plane viele neue Schulprojekte, in denen die Schüler mit einbezogen werden sollen, um die DDR-Erfahrung möglichst authentisch zu vermitteln. In diesem Zusammenhang stellte Klier die besondere Rolle der Konrad-Adenauer-Stiftung heraus, „die fast als einzige Stiftung DDR-Aufklärung betreibt.“
Auf die Frage von Ralf Altenhof, dem Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung Bremen, was Freiheit für sie heute bedeute, antwortete Klier: „Freiheit ist der höchste Wert“. Freiheit zwinge jedoch auch zur Verantwortung, an Schwächere zu denken und denen zu helfen, die noch nicht frei sind. Blogger, Journalisten, Autoren. Klier wurde an dieser Stelle ganz konkret. In der DDR seien Kreativität und eigenständiges Denken verboten gewesen. Schikanen, Haftstrafen und Abschreckungsurteile waren an der Tagesordnung, so Klier. Es gab in den sechziger Jahren „bösartige Haarschneideaktionen“ – weil lange Haare bei Jungen als Zeichen der Rebellion gewertet wurden – und Schüler wurden für Kleinigkeiten abgestraft. Kein Wunder, dass die DDR die zweithöchste Selbstmordrate der Welt hatte, urteilte Klier. „Freiheit ist ein großes Geschenk“, sagte sie an das Publikum gewandt. Aber: „Es muss noch viel getan werden.“