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Im restlos gefüllten Vortragssaal des Industrieclub zu Bremen begrüßte Dr. Ralf Altenhof, Landesbeauftragter der KAS in Bremen, die Gäste und führte in das Thema ein. Es referierte Dr. Michael Menhart, Chefvolkswirt des Munich-Re-Konzerns. Sein „intellektueller Sparringspartner“ war der Chefanalyst der Bremer Landesbank, Folker Hellmeyer. Gabriele Piontkowski, CDU-Abgordnete der Bremischen
Bürgerschaft und finanzpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, sprach ein Grußwort und schlug eine Brücke von der Finanzkrise zur finanziellen Situation des hochverschuldeten Landes Bremen.
An den Hauptvortrag schloss sich eine hitzige Debatte an. Folker Hellmeyer, der vielen als wortgewandter Fernsehkommentator des Börsengeschehens bekannt ist, übte Kritik an der nach seiner Meinung sehr riskanten Ausrichtung der US-amerikanischen Finanzwirtschaft seit 1990. Seines Erachtens sei die Einführung der marktorientierten Bilanzierung ein Fehler gewesen, ebenso die ausufernde Fusionswelle
im Finanzwesen. Der Experte der Bremer Landesbank wandte sich gegen global agierende Bankinstitute, die keinerlei Loyalität gegenüber einzelnen Staaten zeigen würden. Das Bankgeschäft sollte nach seinen Vorstellungen wieder den Kunden in den Mittelpunkt des Handelns stellen. Menhart kritisierte die Ausführungen von Folker Hellmeyer dahin gehend, dass es niemand geben könne, der in der Lage wäre, global agierende Finanzinstitute zu zerschlagen. Der Experte der Münchner RE sprach sich für ein Trennbankensystem aus, doch dürften sich die einzelnen Sparten nicht untereinander finanzieren, um zukünftige Krisen zu minimieren.
Die Zuhörer erlebten einen spannenden, wortgewaltigen Schlagabtausch, der Lust auf die ebenfalls prominent besetzten Folgeveranstaltungen machen dürfte. Auf Einladung des Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung und ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments, Dr. Hans-Gert Pöttering MdEP, haben namhafte Persönlichkeiten zugesagt, an dieser Veranstaltungsreihe mitzuwirken.
Einen Überblick über alle Veranstaltungen der Rednertour finden Sie hier.
Finanzkrisen gibt es seit es Volkswirtschaften gibt. Seit einigen Jahren scheinen sie sich zu häufen. Woran liegt das?
Folker Hellmeyer: Seit Mitte bis Ende der 1990er-Jahre erleben wir, insbesondere von dem amerikanischen Beritt her, dass man die Deutungshoheit über Volkswirtschaft
aktiv aber leider auch antiautoritär lebt. Das heißt, dass man sich in den USA von dem klassischen System einer einkommensgetriebenen Ökonomie seit Ende der 90er Jahre weg bewegt hat in Richtung einer Wirtschaft, die von der Entwicklung der Vermögenspreise abhängig ist. Solche Feldversuche führen zu Krisen, wie wir sie jetzt erleben. Es ist an sich eine Krise, die von Amerika ausgeht und zu guten Teilen exportiert wurde und von daher viele Facetten entwickelt, so eben auch die aktuelle Defizitkrise in Europa.
Wer ist denn nun Schuld an der aktuellen Misere? Die USA?
Es gibt viele Schuldige. Das beginnt sicherlich bei den USA, die das Modell ihrer Volkswirtschaft umgeändert haben und Probleme exportiert haben. Es gibt Schuldige bei uns, weil es ein unglaubliches Maß an Naivität gab und man glaubte, dass man in Amerika und Großbritannien Finanzwirtschaft und Ökonomie besser versteht als im konservativen Kontinentaleuropa. Mahner in Europa wurden „laut“ überhört. Ich weiß wovon ich rede. Es ist insofern der Fehler von Bankern. Aber es ist auch der Fehler der Politik und der Aufsicht. Über die letzten 20 Jahre wurde zugelassen, dass die Finanzmärkte aggressiv dereguliert worden sind. Damit wurden die Zäune, die eine überschäumende Spekulation und eine Fehlallokation des Produktionsfaktors Kapital verhindern sollten, eingerissen. Dies geschah in der Erwartung, dass es nur rational
agierende Finanzmarktteilnehmer gibt. Und das ist einer der größten Irrtümer. Gerade am Finanzmarkt ist eher Turbokapitalismus angesagt.
Wie gehen die Medien mit dieser Krise um?
Wir haben hier in der Eurozone eine Reformpolitik auf die Agenda gesetzt, die weitestgehend erfolgreich ist, selbst in Griechenland. 80 Prozent der Reformen werden
umgesetzt. Die Medien als auch einige meiner Kollegen schaffen es, diese Eurozone
darzustellen, als würden wir hier latent scheitern. Tatsache ist, dass die Eurozone
in der Neuverschuldung, in der Gesamtverschuldung und in der Reformpolitik Spitzenreiter in der westlichen Welt ist. Das kommt überhaupt nicht in der Bevölkerung
an. Wir forcieren gerade in Deutschland damit eine anti-europäische Stimmung,
obwohl die Eurozone unser tragendes Geschäftsmodell ist. Für die deutsche Wirtschaft ist der Mittelstand entscheidend. Gerade auch in Bremen haben wir eine mittelständisch
geprägte Wirtschaft. 70 Prozent der Exporte des deutschen Mittelstands gehen in die Eurozone. Mit anderen Worten bin ich von den Medien zu großen
Teilen sehr enttäuscht. Man folgt viel zu sklavisch den Vorgaben aus NY und London und verbreitet Halbwahrheiten, die Charaktermerkmale der Desinformation
aufweisen.
Wie hat sich die Politik geschlagen?
In der Politik hat man nicht wahrgenommen, dass man sich auf einem falschen Weg befand. Fakt ist, dass die internationale Bankenaristokatrie, und da rede ich von global agierenden Banken, eine sehr starke Lobbyarbeit über die letzten 20 Jahre gemacht hat, die egozentrisch unter Vernachlässigung der volkswirtschaftlichen Funktionen der Banken ausfiel. Die Politik ist diesen Ansätzen sehr naiv gefolgt. An dieser Stelle ist auch Kritik an unserer eigenen Lobbygruppe der Sparkassen, aber und der der genossenschaftlichen Banken zu üben. Hier gab es nicht die notwendige kritische Distanz zu Deregulierungen und Neuerungen. Ich habe nichts gegen Neuerungen
und auch angemessene Deregulierung, aber sie sollten erst dann umgesetzt werden, wenn man sich über die Konsequenzen umfänglich bewusst ist. Genau das passierte nicht. Wir haben hier eine unangemessene Zukunftsgläubigkeit, eine Amerika- und Londongläubigkeit,
die sich als sehr kontraproduktiv erwiesen hat. Bis heute hat sich aus den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte keine erkennbare Lernkurve ergeben.
Was müssen denn die Lerneffekte sein?
Für mich sind die notwendigen Lerneffekte, dass man sich von dem angelsächsischen
Geschäftsmodell ein Stück weit entfernt. Das beginnt einerseits damit, dass man zurückkehrt zu den Ansätzen der Nachhaltigkeit. Wirtschaft ist Marathon,
kein Sprint. Das heißt, wir müssen zurück zu den Bilanzierungsansätzen des HGB. Dann können wir in den guten Jahren Fett aufbauen, welches wir in den schlechten Zeiten zusetzen können. Dann braucht man nicht derartige öffentliche Interventionen wie derzeit in dieser Krise. Der zweite Punkt ist, dass die aggressive Deregulierung
in wesentlichen Teilen zurückgeführt werden muss. Eine andere Behandlung von Hedgefonds und Derivaten ist notwendig. Wir brauchen hier ganz klar eine Kontrolle dieser Elemente, die heute für die uangemessenen Volatilitäten und die Marktbewegungen von elementarer Bedeutung sind. Wenn wir in Europa dieses Selbstbewusstsein entwickeln und eigenständige Regulierungen machen, dann werden wir sehen, dass Regionen wie Asien, Südamerika und auch Osteuropa uns gerne folgen werden. Denn eins ist ausreichend bewiesen: Alle maßgeblichen Probleme der letzten 20 Jahre haben ihre Ursache in diesen Entwicklungen, die aus London und New York kommen.
Und hier gilt es sich zu emanzipieren.
Welche Folgen hat es für den Mittelstand, sollte sich die Politik diesen Forderungen verschließen?
Das Risiko der aktuellen Ausformung der Neuregulierung (u.a. Basel III) ist, dass wir in der Versorgung des Mittelstands mit Krediten verstärkt Probleme bekommen
werden. Wir müssen demnächst Kreditmittel mit höherem Eigenkapital unterlegen,
obwohl die klassische Kreditvergabe gar nicht das Problem darstellten. Wir werden als Konsequenz weniger Kredite vergeben können, wenn wir diese oben zuvor skizzierten Maßnahmen nicht durchsetzen. Unternehmen werden an den Kapitalmarkt gezwungen. Der Kapitalmarkt hat bewiesen, dass er nicht effizient ist. Vor diesem Hintergrund gilt es, der Politik klar zu machen, dass das, was wir derzeit an Regulierung planen, grundsätzlich in die falsche Richtung geht. Wir müssen dahin zurückkommen, dass der Finanzdienstleistungssektor eine dienende Funktion gegenüber der Realwirtschaft hat. In den letzten 20 Jahren haben wir es genau umgekehrt forciert und gelebt.
Wie kann sich der Mittelstand krisenfest aufstellen?
Ich denke es ist wichtig, und hier reden wir von inhabergeführten
Firmen, dass man die Eigenkapitalbasis dieser Unternehmen stärkt. Die Betriebe sollten sich im regionalen Banking bewegen. Das heißt, mit Sparkassen mit Volks- und Landesbanken zusammen arbeitet und sich nicht auf wetterwendische internationale Finanzkonzerne verlassen. Wenn man diese Wege geht und ein gutes Networking in seiner Region in seinem Geschäftsumfeld aufbaut, dann haben diese Unternehmen eine Zukunft.
(jsl - mit freundlicher Genehmigung der Bremer Wirtschaftszeitung)