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Die Fotos, die Mueller zeigte, gingen unter die Haut. Flüchtlinge in Kabul, die bei tiefem Schnee in Zelten untergebracht werden und deren Kinder vor Kälte aufgerissene Wangen haben, lichtete er genauso schonungslos ab, wie bettelnde Witwen, die ohne soziale Absicherung und ohne familiäre Unterstützung ihrem Schicksal überlassen werden. Um möglichst weit in die Abgründe des Krieges vorzudringen, schloss Mueller sich ISAF-Truppen an, besuchte Opium-Bauern und Nomaden-Völker, erkaufte sich Polizeischutz und begleitete Rebellen. Mehr als einmal kam er nur knapp mit dem Leben davon. „Glück“ war für ihn, in heiklen Situationen unbeschadet „Bilder schießen“ zu können, wie etwa bei der Ankunft der bekannten pakistanischen Politikerin Benazir Bhutto, wo nur kurze Zeit, nachdem er den Platz verlassen hatte, eine Bombe Hunderte in den Tod riss. „Pech“ bedeutete, gerade so ein Ereignis knapp zu verpassen, wie 2009 den Luftangriff auf zwei Tanklaster, der weltweit durch die Medien ging. Das Schlammloch, in dem die Fahrzeuge stecken blieben, fotografierte er nur zwei Wochen vorher.
In schneller Folge reihten sich die Eindrücke, die Mueller seinen Zuhörern vermittelte, aneinander. Malerische Landschaften, kunstvolle Moscheen und historisch anmutende Reiterspiele wechselten sich mit zerfallenden und zerstörten Kulturstätten ab, die als „vormuslimische“ Gebäude keine Restauration erfahren. Viele der von der Konrad-Adenauer-Stiftungen eingeladenen Personen nickten nachdenklich, während der Referent über die schier unbegreiflichen Gegensätze von bitterer Armut und die durch Drogen reich gewordenen Warlords sowie die ihnen zuarbeitenden Opiumhersteller berichtete. Verurteilen konnte Mueller die Drogenbauern nicht. Für die meisten sei der Mohn-Anbau der einzige Weg, ihr Überleben zu sichern.
Den ISAF-Einsatz hält der SPIEGEL-Reporter dennoch für richtig. Erfolg zeichnet sich für die ISAF-Misson seiner Ansicht nach dort ab, wo medizinischer Versorgung geleistet wird, wo Bildung für Jungen und Mädchen gleichermaßen zugänglich ist und wo afghanische Analphabeten zu Polizisten ausgebildet werden können. Hier wurde schon viel erreicht. Doch der Fortschritt ist nicht uneingeschränkt: Ausländische Soldaten werden nicht länger bejubelt, sondern müssen jederzeit um ihr Leben fürchten. Die erste weibliche Polizeikraft im Süden Afghanistans sollte auch die einzige bleiben und ist inzwischen ermordet. Deutsche Polizeiausbilder lassen ihre afghanischen Schüler nur noch mit Holzgewehren üben, aus Angst vor Anschlägen. Denn – wie Knut Mueller ein wenig desillusioniert feststellte – die Übergänge sind fließend. Der eine Bruder ist Polizist, der nächste Soldat und der dritte Talibankämpfer - und jeder kann schon morgen die Seiten wechseln.