Die Ethik ist bekanntermaßen jener Teilbereich der Philosophie, der fragt: Unter welchen Voraussetzungen handeln Menschen – und wie ist das moralisch zu bewerten? Christiane Woopen, Professorin für Ethik und Theorie der Medizin an der Universität zu Köln, ist seit Beginn der Coronakrise eine gefragte Gesprächspartnerin, weil sich viele moralische Spannungsfelder ergeben haben. Am Dienstag, 16. Juni war sie zu Gast bei der digitalen Veranstaltungsreihe #KASkonkret.
Just in dieser Woche ist die neue Corona Warn App erschienen, Millionen Deutsche haben sie bereits auf ihrem Smartphone installiert. Als Mitglied im Datenschutzbeirat der Deutschen Telekom hat Christiane Woopen die Entwicklung begleitet. „Ich finde das Ergebnis großartig“, sagte sie zu Beginn des Livestreams. Die Funktionsweise sei gut erklärt und die Bedienung einfach. „Außerdem sind die ethischen Grundsätze gewahrt“, sagte die 57-Jährige. So erfolge beispielsweise keine Standortaufzeichnung, die Privatheit sei gewahrt.
„Die Freiheit ist das höchste Gut“
Dagegen vermisst sie eine Information darüber, was konkret passiert, wenn man auf den Kontakt mit einer positiv getesteten Person hingewiesen wird. „Da tun sich viele Fragen auf“, sagt die Professorin. „Ich wünsche mir ein viel intensiveres Informieren vonseiten des Gesundheitsministeriums.“
Die Kernfrage der digitalen Veranstaltung war die der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit in Zeiten der Pandemie. „Nach meiner ethischen Auffassung ist die Freiheit das höchste Gut“, stellte Christiane Woopen klar. „Sie ist das, was unmittelbar auch mit der Würde des Menschen verbunden ist.“
Dementsprechend begrüßte sie, dass die Bundesregierung den Bürgern immer mehr Freiheit zurückgibt. Allerdings beklagte sie, dass man bei der Öffnung der Altenheime „schon viel früher wieder viel menschenwürdigere Zustände hätte herbeiführen können“. Zum Beispiel, indem man durch Tests der Besucher wieder Besuche ermöglicht hätte. „Das sind Dinge, die empfinde ich ethisch wirklich nicht vertretbar nach einer so langen Zeit.“
Grundsätzlich attestierte die Mutter von vier Töchtern der Bundesregierung ein gelungenes Krisenmanagement, auch in Bezug auf die wirtschaftlichen Hilfen. Allerdings kritisierte sie, dass aufgrund der teilweise immer noch geschlossenen Schulen „Kinder aus prekären Verhältnissen völlig von der Bildfläche verschwinden, weil es keine Endgeräte gibt, worüber sie digital erreichbar wären“. Dass für Familien, die es sowieso nicht leicht haben, der Alltag dadurch noch belastender wird – „das stand mir viel zu wenig im Vordergrund“, sagte Christiane Woopen.
Die Wissenschaftlerin ist auch Vorsitzende des Europäischen Ethikrates. Dieser warnte zur Hochzeit der Krise davor, dass sich die Menschen an das Leben mit eingeschränkten Grundrechten gewöhnen. Und was glaubt sie heute, wie Corona unseren Alltag verändern wird? „Wir müssen uns auf Dauer daran gewöhnen, ein bestimmtes verantwortungsvolles Verhalten an den Tag zu legen“, antwortete die Kölnerin. Konkret meinte sie, dass Abstand halten und Maske tragen eher „sehr leicht zu begründende verhältnismäßige Maßnahmen“ seien, und keine unzulässigen Einschränkungen unserer Freiheitsrechte. Als Vergleich nannte sie die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen.
„Neue Ansprüche auf Mitsprache sind die eigentliche digitale Revolution“
Christian Koecke, Referent für Politische Grundsatzfragen und Internationale Politik im Bonner Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung, sieht noch eine weitere langfristige Veränderung durch Corona – und zwar für unser demokratisches Zusammenleben:
„Digitale Kommunikation verändert das Verhältnis der Kommunikationspartner zueinander“, sagte er. Bürgerinnen und Bürger hätten höhere Ansprüche auf Mitsprache an die Politik, Schülerinnen und Schüler an die Schulen. „Das ist die eigentliche digitale Revolution.“
Zum Ende des Livestreams, bei dem sich erneut Dutzende Menschen über Facebook hinzuschalteten, ging es noch um die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Covid-19. Christiane Woopen wies darauf hin, dass ein schneller Erfolg alles andere als sicher ist. In jedem Fall aber müsse es eine Verteilungsstrategie geben, „die weit über Ländergrenzen hinausgeht“. Außerdem wäre es wichtig, „zunächst diejenigen zu impfen, die für unsere Versorgung ausschlaggebend sind – also zum Beispiel Ärztinnen und Pfleger“. Außerdem sollten Menschen mit Vorerkrankungen früher einen Zugang bekommen als vollkommen gesunde Personen.
Es war ein intensives Gespräch mit vielen neuen Erkenntnissen zu Moral in Zeiten von Corona. Kommende Woche geht es bei #KASkonkret weiter mit dem Thema struktureller Rassismus. Zu Gast ist Frank Joung, der in seinem Podcast „Halbe Katoffl“ Deutschen mit ausländischen Wurzeln eine Stimme gibt. Wir übertragen die Veranstaltung live auf unserer Facebookseite am Dienstag, 23. Juni um 18 Uhr. Bis dann, wir sehen uns!
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