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Martin Reuber

Zukunftswerkstatt

Ohne Kompass?

Europäische Autonomie zwischen Vision und Realität

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat der Frage, ob Europa bereit, fähig und willens ist, seine Werte und Interessen selbst zu verteidigen, ganz oben auf die politische Agenda gesetzt.

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Die größten Abhängigkeiten Europas liegen auf der Hand: Sicherheits- und energiepolitisch wurde in Europa zu wenig strategisch gedacht und gehandelt. Die USA garantieren unverändert die Sicherheit Europas, so dass die Energieversorung fahrlässig und vorrangig unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ("billiges Öl und Gas")  betrachtet werden konnte. Wenn Europa international, von den USA, von Russland und China, Ernst genommen werden und seinen Anspruch als globaler Akteur einlösen will, muss es seinen Bekenntnissen glaubhaft Taten folgen lassen. Dabei geht es um mehr als finanzielle Investitionen. Die Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich über das geplante Luftkampfsystem FCAS machen deutlich, welche Schwierigkeiten am Boden noch zu überwinden sind. Über diese Lücke zwischen europäischer Vision und Realität diskutierten die beiden Experten für internationale Politik aus Deutschland und Frankreich, Stefan Fröhlich und Christian Lequesne.

Frankreich, so Christan Lequesne, wünsche sich zwar ein größeres verteidigungspoitisches Engagement der Deutschen, fürchte andererseits aber, dass es von seinem Partner auf der östlichen Rheinseite überflügelt werde. Stefan Fröhlich machte derlei nationale Differenzen dafür verantwortlich, dass seit der strategischen Ausrichtung 2016 unter dem Namen "Global Vision" keine Fortschritte gemacht worden seien. Während Lequesne die grundsätzliche Frage stellte, welche Art von Macht Europa denn eigentlich werden wolle und wie Europa zu einer ernstzunehmenden Bedrohung für Russland werden könne, klagte Stefan fröhlich über eine bis heute zu reaktive Politik in Brüssel und den Hauptstädten der Mitgliedstaaten und den auch nach der "Zeitenwende" immer noch fehlenden eigenen politischen Willen. Nach wie vor verlasse man sich in Europa auf die USA., die aber auch unter Joe Biden in der Herausforderung durch China die geopolitisch zentralere Aufgabe sieht.

Fröhlich und Lequesne beklagten, dass es zwischen Deutschland und Frankreich keine gemeinsame Definition von Bedrohung und keine gemeinsame Analyse gebe. Wie gefährlich wird China und die chinesisch-russische Partnerschaft für Europa auf beiden Seiten des Rheins eingeschätzt? Die Ambivalenz des chinesischen Verhaltens, auf der einen Seite keine Abkoppelung von Europa zu riskieren und auf der anderen Seite die russische Kriegsbegründung zu akzeptieren, müsste einen Impuls für mehr strategische Autonomie Europas begriffen werden. Europa muss sich nicht nur der Abhängigkeiten bewusst werden, die von China als politische und geoökonomische Instrumente eingesetzt werden, es muss seinerseits selbstbewusster Abhängigkeiten im Bereich Technologie und Know how schaffen und die Zusammenarbeit mit asiatischen und südostasiatischen Staaten zusammenarbeiten. Die europäische "Global Gateway"-Initiative als Antwort auf die Seidenstraßen-Initiative Chinas sei dazu ein erster Schritt wie der Experte aus Paris konstatierte. Chinas Ziel bestehe letztlich darin, die Grundprinzipien der amerikanisch-europäisch geprägten liberalen internationalen Ordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf amerikanische Initiative geschaffen wurde, zu untergraben und der internationalen Welt eine eigene Ordnung unter der Hegemonie Chinas zu geben. Daher attestierte Lequesne der europäischen Außenpolitik fehlende Strategie und Funktionstüchtigkeit.

Erschüttert wird Europas Selbstverständnis aber auch dadurch, dass sein Wohlstandsparadigma auf dem Spiel stehe, wie Stefan Fröhlich prognostizierte, indem er die Opferbereitschft der Deutschen angesichts des absehbaren Gasnotstandes und der Preissteigerungen in Frage stellte. Auch Christian Lequesne zweifelte an dem Willen der Franzosen, die schmerzhaften Folgen der strategischen Autonomie zu tragen. In der französischen Atompolitik sah er nur vorübergehend eine Entlastung. Langfristig werde sich die Diskussion über die Transformation zu den Erneuerbaren Energien verschärfen. Frankreich könne sich allein auf die technologische Herausforderung konzentrieren, während in Deutschland ein moralisches Problem hinzukomme.

Auf die Frage, wo Europa in zehn Jahren im China-USA-Koflikt stehe, rieten beide Experten zum Schulterschluss mit dem transatlantischen Partner, denn die kleinen Staaten, zu denen beide auch die europäischen politischen und militärischen Schwergewichte zählten, würden in diesem Konflikt alleine nicht überleben.

 

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Prof. Dr. Martin Reuber

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Referent Europa- und Bildungspolitik, Büro Bundesstadt Bonn

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